- Überforderte Entscheider
Der liberale Rechtsstaat weicht zurück. An seine Stelle tritt die autoritäre Idee, Wirtschaft und Gesellschaft zentral zu lenken. Sie ist zwar zum Scheitern verurteilt. Doch es dauert lange, bis sich diese Erkenntnis durchsetzt.
„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, heißt das berühmte Diktum des (umstrittenen) Staatsrechtlers Carl Schmitt. Der Ausnahmefall offenbart laut Schmitt das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten, und die staatliche Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht recht zu haben braucht. „Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles.“ Sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme. Starker Tobak eines genialen, aber von den Nazis korrumpierten Juristen, möchte man dazu sagen. Wenn Schmitts Theorie „des Politischen“ für unsere Zeit nicht so aktuell wäre.
Von den meisten unbemerkt, schleicht sich Schmitts Verständnis vom Staat als entscheidungsstarker Vollstrecker des alternativlos Notwendigen an uns heran. Der vollstreckende Entscheiderstaat unterminiert die Grundmauern unseres liberalen, deliberativen und kompromissorientierten Rechtsstaats. Die Infektion mit dem Schmitt-Virus beginnt mit gut gemeinten Vorhaben, gegen die kein vernünftiger Mensch etwas haben kann. Nehmen wir als Beispiel den von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seit 2019 vorangetriebenen „Green Deal“ zur Transformation der europäischen Wirtschaft, die keine Treibhausgase mehr erzeugen soll. Dafür soll im Automobilsektor der Verbrennungsmotor vom Staat verboten und durch den Elektromotor ersetzt, im Gebäudesektor mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizungen durch elektrische Wärmepumpen abgelöst und der Flugverkehr durch staatlich verfügte Kostenerhöhungen ausgedünnt werden. Muss die grüne Transformation denn nicht vom Staat erzwungen werden, wenn die Menschheit überleben will?
Oder nehmen wir den von US-Präsident Joe Biden in den Jahren 2020 und 2021 auf den Weg gebrachten „Build Back Better Plan“. Er sollte nach der Corona-Pandemie das größte nationale Programm für öffentliche Investitionen in soziale Einrichtungen, öffentliche Infrastruktur und den Umweltschutz seit dem von Franklin Delano Roosevelt während der Großen Depression in den 1930er Jahren umgesetzten „New Deal“ werden. Ziel des Biden-Plans ist es, die US-Wirtschaft „grüner“ und sozialer zu machen und sie für die Zukunft mit einer besseren öffentlichen Infrastruktur und mehr Arbeitsplätzen zu rüsten. Ein Meilenstein darin ist der im Jahr 2022 beschlossene „Inflation Reduction Act“, so benannt wegen einiger Maßnahmen zur Verringerung von Preisen für Pharmazeutika und des staatlichen Budgetdefizits.
Die wichtigste Stoßrichtung des „Acts“ sind jedoch staatliche Subventionen speziell an US-Unternehmen für die „grüne Transformation“, die sich nach verschiedenen Schätzungen auf Ausgaben zwischen 800 Milliarden und über einer Billion US-Dollar belaufen. Wie nach der Großen Depression wird wohl auch diesmal die Staatsverschuldung enorm ansteigen. Damals stieg sie um rund 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr von 18 Prozent im Jahr 1930 auf 42 Prozent 1940. Heute soll sie nach Schätzungen des Industrieländerclubs OECD um 3 Prozent des BIP pro Jahr von 120 Prozent im Jahr 2022 auf 129 Prozent im Jahr 2025 wachsen.
Die Bürger sollen nicht nur die Gesetze respektieren, sondern auch so leben, wie es sich die Staatspolitiker vorstellen
Bei uns ist die Wirtschaftspolitik von Vizekanzler Robert Habeck vom Glauben an die Gestaltungsmacht des Staates beseelt. Nach dem gescheiterten Heizungsgesetz soll nun sein „Deutschlandfonds“ am Kapitalmarkt Mittel beschaffen, um die Not leidenden deutschen Unternehmen mit staatlichen Subventionen aufzupäppeln. Dabei wurde die Not der Unternehmen durch eine verfehlte Energiepolitik, hohe Abgabenlast und wuchernde Bürokratie zum großen Teil vom Staat selbst geschaffen. Anscheinend ohne sich dessen bewusst zu sein, steckt der Wirtschaftsminister in einer Interventionsspirale, in der ein Staatseingriff den anderen nach sich zieht und der Staat sich wie ein Ölfleck im Wasser immer weiter ausdehnt. Und Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, baut mit Bürgergeld und Rentenpaket den Versorgungs- und Wohlfahrtsstaat aus, den „modernen Wahn“, wie Ludwig Erhard diesen nannte. Dieser allmächtige Versorgungsstaat, so Erhard, bringt die bevormundende Garantierung der materiellen Sicherheit für den „sozialen Untertan“, lähmt aber auch den wirtschaftlichen Fortschritt in Freiheit.
Doch der Staat will nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft gestalten. Die Bürger sollen nicht nur die Gesetze respektieren, sondern auch so leben, denken und sprechen, wie es sich die Staatspolitiker vorstellen. Die politische Rechte ist unappetitlich bis böse, die Linke will immer nur das Beste und ist besonders gut, wenn sie sich mit der grünen Bewegung verbindet. Fleisch essen ist schlecht für den Esser und die Menschheit, Vegetarier sind die Guten, Veganer noch besser. Gesellschaftliche Minderheiten, definiert nach Herkunft oder Geschlecht (von dem es weit mehr als zwei Varianten geben soll), sollen nicht nur gleichberechtigt sein, sondern zur Kompensation früherer Benachteiligungen bevorzugt werden.
Dem „woken“ (wachen) Bürger ist dies allgegenwärtig, und er respektiert demütig die staatliche Kulturhoheit, die von einem politisch moralisierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunkapparat gestützt wird. Wer sich dem widersetzt, dem droht der deutsche Staat mit intensiver Überwachung. Dazu heißt es im Verfassungsschutzbericht 2023: „Die Akteure des Phänomenbereichs ‚Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates‘ zielen darauf ab, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Kraft zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen zu beeinträchtigen.“ Wer wegen dieser Vergehen ins Visier der Behörde kommt, ist „verfassungsschutzrelevant“, auch wenn er keine Gesetze bricht. Da die Verfassungsschützer nicht omnipräsent sein können, wurden zahlreiche „Meldestellen“ eingerichtet, bei denen „Hasskommentare“ und „Fake News“ angezeigt werden können.
Der Staat, so Carl Schmitt, „lässt in seinem Innern keinerlei staatsfeindliche, staatshemmende oder staatsspaltende Kräfte aufkommen. Er denkt nicht daran, die neuen Machtmittel seinen eigenen Feinden zu überliefern und seine Macht unter irgendwelchen Stichworten, Liberalismus, Rechtsstaat oder wie man es nennen will, untergraben zu lassen. Ein solcher Staat kann Freund und Feind unterscheiden.“ Von alleine wird der liberale Rechtsstaat, diese Errungenschaft der Aufklärung, jedoch nicht zum entscheidungsstarken Vollstreckerstaat. Erst im Ausnahmezustand, so Schmitt, durchbricht „die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik“.
Nach dem Fall der Mauer und dem Untergang der Sowjetunion triumphierte der westliche liberale Rechtsstaat. Die Geschichte schien ihr Ziel erreicht zu haben, an ihr Ende gekommen zu sein. Doch dann folgten drei Krisen, in denen der Staat sich seine Vormachtstellung, seine Souveränität über alles, zurückholen, über die „erstarrte Mechanik“ von Recht und Gesetz triumphieren konnte.
Finanzkrise, Klimakrise, Corona-Krise
Es begann mit der Großen Finanzkrise von 2007 bis 2008. Der Crash des US-Immobilienmarkts brachte die Banken weltweit zum Wanken und löste den Hilferuf nach dem Staat aus. Der verkündete den Ausnahmezustand und rettete – entgegen allen Prinzipien der liberalen Wirtschaftsordnung – mit dem Geld seiner Steuerzahler und den Gelddruckmaschinen seiner Zentralbanken das Abendland. Im Nachbeben zur Großen Finanzkrise, der Eurokrise von 2010 bis 2012, legitimierte der Ausnahmezustand den Rechtsbruch: „Wir haben gegen alle Regeln verstoßen, weil wir die Reihen schließen und die Eurozone wirklich retten wollten“, sagte die damalige französische Wirtschaftsministerin und heutige Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde. Die Krise verhalf dem Staat zum Aufstieg auf die Kommandohöhe über den Finanzsektor, der sich in zentnerschweren Regulierungswerken und der Machtergreifung der Zentralbanken über den wichtigsten Preis der Wirtschaft, den Zins, niederschlug. Da die Sieger die Geschichte schreiben, wurde die Schuld an der Krise auf den „Finanzkapitalismus“ und die Gier der Banker abgeladen. Die Rolle der Zentralbanken, die mit ihrer Niedrigzinspolitik die Finanzblase angefacht hatten, und der US-Politiker, die mit Programmen für billige Kredite an kreditunwürdige Hauskäufer auf Wählerfang gegangen waren, blieb im Dunkeln.
Die nächste Großkrise kam in Form der „Klimakrise“. Die wissenschaftliche These vom Klimawandel, die trotz intensiver Erforschung immer der kritisch-rationalen Falsifizierbarkeit unterliegen muss, wenn sie Wissenschaftlichkeit beanspruchen will, wurde zu einer dem Religiösen ähnlichen Glaubensgewissheit. Dafür dürften insbesondere zwei Ereignisse verantwortlich gewesen sein, die mit Wissenschaft nichts zu tun hatten.
In dem Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“, der im Februar 2007 mit Oscars prämiert wurde, illustrierte der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore die Folgen der Erderwärmung mit einer Szene, in der sich ein ausgezehrter Eisbär an eine schmelzende Eisscholle klammert. Damit hatte die These vom Klimawandel ein Bild. Und als sich die schwedische Schülerin Greta Thunberg am 20. August 2018 mit einem Schild „Schulstreik für das Klima“ vor ihre Schule setzte, wurde die Ikone einer apokalyptischen Botschaft geboren. Die Angst vor dem „Klimatod“ löste die Angst vor dem „Atomtod“ ab, und eine Reihe von Ländern und Gemeinden rief den „Klimanotstand“ aus. Und wieder rechtfertigte die Ausrufung des Ausnahmezustands die Aktivierung des Entscheiderstaats, für den beispielhaft die Flut von Dekreten im Rahmen des „Green Deals“ der Europäischen Union steht.
Die (vorläufige) Klimax der Ausnahmezustände wurde in der Corona-Krise erreicht. Zur Brechung der Infektionsketten verfügte der Staat das Tragen von Atemschutzmasken und Ausgangsbeschränkungen, die in Deutschland wiederholt von Anfang 2020 bis Mitte 2021 galten. Wie erst später aus ursprünglich geheimen Protokollen des Robert-Koch-Instituts hervorging, legte die staatliche Politik die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne der Maximierung des Ausnahmezustands aus und umgab sich mit Beratern, die diese Auslegung legitimierten. Abweichende Einschätzungen wurden ausgegrenzt, und die Beteiligung des Parlaments wurde, ganz im Sinne von Carl Schmitt, umgangen. Der Souverän ist in der Ausnahmesituation auch dazu befugt, die bestehende Rechtsordnung zu suspendieren und Entscheidungen zu treffen, die nötig sind, um Normalität wiederherzustellen.
Mit der Beförderung von Stephan Harbarth sorgte Merkel für eine regierungsfreundliche Rechtsprechung
Für Schmitt war der nationalsozialistische Führerstaat die ideale Konstruktion. Der Führer ist als oberster Souverän nicht an das Recht gebunden, sondern setzt es. „Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick kraft seines Führertums als Oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. (…) Der wahre Führer ist immer auch der Richter (…) Die Tat des Führers (…) war echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz.“ Heute ist der Führerstaat tabu, und seine Befürwortung würde als „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ geächtet. Und dennoch bewegten sich die agierenden Politiker in den Krisen in seine Richtung.
Die Finanz-, Klima- und Corona-Krisen prägten die lange Regierungszeit von Angela Merkel. Nicht umsonst wurde sie die „Krisenkanzlerin“ genannt. Ihr Handeln hatte sie wohl nie als „echte Gerichtsbarkeit“ verstanden und sich selbst sicherlich nie als „höchste Justiz“ gesehen. Aber sie verstand es, ihre Politik als „alternativlos“ zu präsentieren und das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Rechts und Gegner des Ausnahmezustands zu zähmen. Mit der Beförderung von Stephan Harbarth, einem engen Freund und Fraktionsvize der CDU im Bundestag, zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts schuf sie das Umfeld für eine regierungsfreundliche Rechtsprechung des obersten Gerichts.
So befand das Gericht in einem Beschluss aus dem Jahr 2021 die damals kontroversen Schulschließungen für rechtmäßig und wies Verfassungsbeschwerden gegen die im Rahmen der „Bundesnotbremse“ verhängten Kontaktsperren zurück. In einem Beschluss zum Klimaschutz, einem hohen Anliegen von Merkel, verpflichtete das Gericht die Bundesregierung ebenfalls im Jahr 2021 zu weiterreichenden Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen.
Bemerkenswert ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht bis heute nicht über die im Jahr 2021 eingereichte Klage gegen das in der Pandemie aufgelegte Anleihekaufprogramm PEPP („Pandemic Emergency Purchase Programme“) der Europäischen Zentralbank entschieden hat, obwohl dieses Programm augenscheinlich die Kriterien sprengt, welche das Gericht in einem früheren Urteil über das Programm PSPP („Public Sector Purchase Programme“) für die Rechtmäßigkeit von Anleihekäufen festgelegt hat. Eine regierungsfreundliche Rechtsprechung des Verfassungsgerichts kann den Ausnahmezustand zwar nicht zum Normalzustand im Führerstaat machen, aber den liberalen Rechtsstaat durch die Legitimierung des Entscheiderstaats schwächen.
Mit dem Aufstieg des Entscheiderstaats verändern sich das Klima der politischen Debatten und die Charaktere der Debattenführer. Bei Carl Schmitt liegt die Essenz der Politik in der Einteilung in Freund und Feind. „Politisches Denken und politischer Instinkt bewähren sich theoretisch und praktisch an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden.“ Die Politik erreicht in den Augenblicken die höchste Stufe, „in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erkannt wird“. Und wie wir schon gesehen haben, kulminiert der Entscheiderstaat im Führerstaat.
Es sollte uns also nicht überraschen, wenn der mit dem durch die Ausrufung der Ausnahmezustände beförderte Aufstieg des Staates zugleich die „starken Männer“ und die Spaltung der Gesellschaft in feindliche Lager hervorgebracht hat. Für die „starken Männer“ stehen beispielhaft Donald Trump, Viktor Orbán oder Jair Bolsonaro. Sie sind autokratischen Führern wie Xi Jinping, Wladimir Putin oder Kim Jong-un ähnlicher als ihren noch vom liberalen Rechtsstaat gezeichneten Opponenten. Und das Wort von den „gespaltenen Staaten von Amerika“ beschreibt einen Zustand der Gesellschaft, der über Polarisierung hinausgeht. Bezeichnete man mit dem Begriff der Polarisierung das Auseinanderlaufen politischer Positionen, so besteht die Spaltung der Gesellschaft heute in den unterschiedlichen Identitäten sozialer Gruppen.
Aus dem politischen Gegner wird der Feind, den es nicht zu überzeugen, sondern schlicht zu vernichten gilt. Kontroverse Debatten sind unerwünscht, denn die Teilnehmer verbindet immerhin noch der Austausch von Argumenten. Besser ist es, die Gegenseite gar nicht zu Wort kommen zu lassen, sie zu „canceln“. Der Umstand, dass das Wort „Cancel Culture“ Eingang in die deutsche Sprache gefunden hat, zeigt, dass der Kulturkampf und die Spaltung auch bei uns angekommen sind. Lieber „cancelt“ man Vertreter der AfD, als mit ihnen zu debattieren, und schafft sich Schutzräume, zu denen nur „wahre Demokraten“ Zugang haben.
Der Entscheiderstaat hat einen unersättlichen Bedarf an Finanzmitteln
Doch der Entscheiderstaat kann nicht liefern, was sich seine Anhänger von ihm versprechen. Im früheren nationalsozialistischen wie auch im heutigen russischen oder chinesischen Führerstaat wurde und wird das Staatsversagen oft mit den Fehlleistungen subalterner Exekutoren des höheren Willens erklärt: Wenn der große Führer das nur wüsste …! Doch scheitert der Entscheiderstaat immer wieder am Mangel an der für die Entscheidungen notwendigen Informationen, an den ihm zur Verfügung stehenden Finanzmitteln und an der Überforderung der ausführenden Bürokratie.
Mit dem Sowjetkommunismus entstand ein riesiges Mahnmal für die Funktionsunfähigkeit zentraler Wirtschaftsplanung. Wie Interventionisten von Xi Jinping bis zu Robert Habeck dieses Mahnmal übersehen können, entzieht sich der Vorstellungskraft. Seit Xi als unentbehrlicher Führer die Geschicke der chinesischen Wirtschaft lenkt, nimmt dort die Wirtschaftsdynamik ab. Und seit Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der reflexhaften Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke die „Energiewende“ garnierte, zieht die staatliche Energiepolitik die deutsche Wirtschaft in den Abgrund. Die Beharrlichkeit, mit welcher der Absturz vorangetrieben wird, lässt sich nur mit dem „Canceln“ des gesunden Menschenverstands in den Köpfen der Entscheider erklären. „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“, hieß es im Lied der Sozialistischen Einheitspartei der DDR. Die Zentralplaner summen es heute noch immer vor sich hin.
Der Entscheiderstaat hat einen unersättlichen Bedarf an Finanzmitteln, denn er muss sich um alles kümmern und für jeden sorgen. So ist es nicht verwunderlich, wenn laut Internationalem Währungsfonds die öffentliche Verschuldung in den Industrieländern von 64 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2001 auf 122 Prozent im Jahr 2023 gestiegen ist und bis 2029 auf 131 Prozent steigen soll. Schon Alexis de Tocqueville wusste über die Bürger im paternalistischen Staat zu berichten: „Über diesen Bürgern erhebt sich eine gewaltige Vormundschaftsgewalt, die es allein übernimmt, ihr Behagen sicherzustellen und über ihr Schicksal zu wachen. Sie ist absolut, ins Einzelne gehend, pünktlich, vorausschauend und milde. Sie würde der väterlichen Gewalt gleichen, hätte sie – wie diese – die Vorbereitung der Menschen auf das Mannesalter zum Ziel; sie sucht aber, im Gegenteil, die Menschen unwiderruflich in der Kindheit festzuhalten; sie freut sich, wenn es den Bürgern gut geht, vorausgesetzt, dass diese ausschließlich an ihr Wohlergehen denken. Sie arbeitet gern für ihr Glück; aber sie will allein daran arbeiten und allein darüber entscheiden; sie sorgt für ihre Sicherheit, sieht und sichert ihren Bedarf, erleichtert ihre Vergnügungen, führt ihre wichtigsten Geschäfte, leitet ihre gewerblichen Unternehmungen, regelt ihre Erfolge und teilt ihren Nachlass; könnte sie ihnen nicht vollends die Sorge, zu denken, abnehmen und die Mühe, zu leben?“
Wäre es nur so, möchte man da seufzen. Tatsächlich aber überfordert der Entscheiderstaat seine mit der Exekution der Entscheidungen beauftragte Bürokratie. Die Sorge um die Sicherheit, die Abdeckung des Bedarfs, die Erleichterung der Vergnügen, die Führung der wichtigsten Geschäfte für die Bürger, die Leitung der gewerblichen Unternehmungen, die Regelung des Nachlasses, das sind überaus komplexe Aufgaben, welche die Staatsbürokratie nicht leisten kann. Immer mehr Bürokraten werden gebraucht, aber das hilft nicht, weil sich die Bürokraten letztlich selbst im Wege stehen. Das Bürokratieversagen ist unvermeidlich. Die überall geforderte Digitalisierung der Behörden ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und geht am Kern des Problems vorbei: Bürokratie lässt sich nur abbauen, wenn der Entscheiderstaat selbst zerlegt wird.
Die Geschichte zeigt, dass das Modell des sich zum obersten Entscheider und Versorger für die Angelegenheiten der Bürger ermächtigenden Staates ein Fehlschlag ist. Sie zeigt aber auch, dass es oft lange braucht, bis die Entwicklung dahin korrigiert wird. So steht man nun vor dem von dem Ökonomen Albert O. Hirschman analysierten Dilemma: Lohnt es sich, dagegen zu kämpfen, oder soll man sich zurückziehen? Hirschman kommt zu dem Schluss, dass der Anreiz zum Kampf umso größer ist, je mehr einem an der Sache liegt. Wer mit Heinrich Heine in der Nacht schlaflos über Deutschland nachdenkt, müsste den Kampf aufnehmen. Oder er kann nach einer in einem anderen Land durchwachten Nacht erleichtert resümieren: „Gottlob! Durch meine Fenster bricht / Französisch heitres Tageslicht; / Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen, / Und lächelt fort die deutschen Sorgen.“
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