- Brisanter Brief an Amtskollegin: Habeck hoffte auf französischen Atomstrom
Im U-Ausschuss zu den AKW Files ist ein bislang geheim gehaltener Brief aufgetaucht: Robert Habeck wollte im Sommer 2022 von Frankreichs Energieministerin wissen, wann französische Kernkraftwerke wieder ausreichend Strom liefern – damit er die deutschen abschalten konnte. Dies war der meistgelesene Cicero-Artikel im November.
Der Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Energiekrise 2022 wird für Robert Habeck (Grüne) noch zum Problem. Bisher beschäftigten sich die Abgeordneten vor allem damit, was während der Debatte über eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke im Bundesumweltministerium geschehen ist. Das von Habecks Parteifreundin Steffi Lemke geführte Ministerium ist für die nukleare Sicherheit zuständig. Doch bald nehmen sie verstärkt auch Habecks Wirtschaftsministerium in den Blick.
Für kommenden Donnerstag sind die (damaligen) Chefs der drei Kernkraftwerksbetreiber als Zeugen in den Untersuchungsausschuss geladen. Markus Krebber (RWE), Frank Mastiaux (ehemals EnBW) und Guido Knott (Eon-Tochter Preussen-Elektra) werden Fragen dazu beantworten müssen, was sie ab Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 mit Wirtschaftsminister Habeck und seinem damaligen Energie-Staatssekretär Patrick Graichen besprochen haben.
War es wirklich so, dass die Unternehmen am 2011 festgelegten Atomausstiegsplan festhalten wollten, wie es Habeck und andere Grünen-Politiker darstellen? Oder hatten die Betreiber der Bundesregierung erfolglos angeboten, die Kernkraftwerke angesichts des (drohenden) Ausfalls russischer Gaslieferungen und der steigenden Strompreise für mehrere Jahre weiter zu betreiben?
„Dein Robert“
Der Ausschuss, den CDU und CSU im Bundestag durchgesetzt haben, nachdem Cicero die Atomkraft-Akten des Wirtschaftsministeriums freigeklagt hatte und dadurch regierungsamtliche Manipulationen aufdecken konnte, bringt weitere brisante Details ans Licht. So tauchte in den Unterlagen, die Habecks Ministerium dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung stellen musste, ein bislang geheim gehaltener Brief des Ministers an seine französische Amtskollegin auf.
Er stammt aus dem Sommer 2022, als Habeck gegenüber der Öffentlichkeit noch behauptete, Deutschland habe „aktuell ein Gasproblem, kein Stromproblem“. Das Wörtchen „aktuell“ machte an dieser Stelle den feinen Unterschied zwischen plumper Lüge und geschickter Halbwahrheit. Denn dass Deutschland im Winter 2022/2023 ein Stromproblem drohte, muss Habeck zu diesem Zeitpunkt längst klar gewesen sein. Schließlich war dies der Grund dafür, weshalb er sich persönlich an Agnès Pannier-Runacher wandte, zum Füllfederhalter griff und den Brief mit „Dein Robert“ unterschrieb.
Es ging damals darum, ob die drei letzten deutschen Kernkraftwerke, wie im Atomgesetz festgelegt, am Jahresende 2022 abgeschaltet werden. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber, die für die Sicherheit der Stromversorgung zuständig sind, arbeiteten zu diesem Zeitpunkt an einem Stresstest. Sie untersuchten mit Modellrechnungen, ob das Stromnetz trotz Atomausstieg und Gasmangel stabil bleiben kann. Dabei stellte sich heraus: Entscheidend ist nicht nur, wie das Wetter wird (ein langer kalter, windarmer Winter hätte Stromausfälle wahrscheinlich gemacht), sondern auch, wie viel Atomstrom die Franzosen produzieren.
Im Rahmen des europäische Verbundsystems sind die Stromnetze Deutschlands und Frankreichs auf der Hochspannungsebene zusammengeschaltet. Dies dient dem Austausch in beide Richtungen. Früher lieferten deutsche Kraftwerke im Winter oft Strom nach Frankreich, wenn er dort wegen der Elektroheizungen knapp wurde. Seitdem der Atomausstieg vollendet wurde, ist eher Deutschland auf den Import von französischem Strom angewiesen. Und der stammt zu fast 70 Prozent aus Kernkraftwerken.
Reaktoren in Revision
Im Krisenjahr 2022 kam zur Gasknappheit ein unerwartetes Problem hinzu: Etliche französische Reaktoren mussten wegen Revisionsarbeiten vom Netz genommen werden. Das war eine Vorsorgemaßnahme. Nachdem bei einem Kernkraftwerk sicherheitstechnische Probleme aufgetreten waren, wurden alle anderen Reaktoren des selben Typs aufwendig untersucht. Für den Stresstest, den die deutschen Netzbetreiber unter enger Begleitung von Habecks Staatssekretär Patrick Graichen berechneten, war es wichtig zu wissen, ob diese Kernkraftwerke wieder rechtzeitig vor dem Winter ans Netz gehen. Davon hing ab, ob Deutschland seinen Atomausstieg gefahrlos durchziehen kann.
Vor diesem Hintergrund schrieb Robert Habeck am 8. August 2022 an die Ministerin für die Energiewende in Paris:
„Liebe Agnes,
am Rande des Energieministerrates haben wir über die Energiesituation in unseren Ländern gesprochen. Du sagtest, dass das Ziel der französischen Regierung ist, zum 1. November 2022 40 Gigawatt AKW-Leistung und zum 1. Januar 2023 50 Gigawatt am Netz zu haben. Kannst Du mir bestätigen, dass ich das richtig erinnert habe? (...)
Beste Grüße
Dein Robert“
Dass dieses Schreiben für den Grünen-Politiker – der auf französischen Atomstrom hoffte, damit er die eigenen Kernkraftwerke stilllegen konnte – peinlich werden kann, war seinen Mitarbeitern offenbar bewusst. Denn sie behandelten es sogar innerhalb des Ministeriums als Geheimsache. Weil Habeck keine schnelle Antwort von Agnès Pannier-Runacher erhielt, weihte seine Büroleiterin einen kleinen Kreis Vertrauter ein. Sie schickte ihnen den Brief am 18. August 2022 per E-Mail und betonte: „Ich bitte darum, den Brief vertraulich zu behandeln und nicht weiterzuleiten. Danke!“ Es galt zu vermeiden, dass er an die Öffentlichkeit gelangt.
„Wir haben hierzu noch keine Rückmeldung aus Frankreich erhalten“, schrieb Habecks Büroleiterin außerdem. „Eine kurzfristige schriftliche Bestätigung seitens Frankreich (innerhalb der nächsten Woche) wäre allerdings wichtig. BM bittet daher darum, dass unsere FE auf die französische FE zugeht. BM hat am 29.08 ein Telefonat mit der Energieministerin und wird bei der Gelegenheit das Thema ebenfalls ansprechen.“ BM steht für Bundesminister, FE für Fachebene, also die zuständigen Beamten in der Strom-Abteilung des Ministeriums.
Krisentelefonat mit der Ministerin
Einen Tag später, am 19. August 2022, antwortete Pannier-Runacher schließlich. Sie schrieb an Habeck einen deutlich längeren und deutlich förmlicheren Brief. Auf Habecks Geduze ging sie nicht ein, sondern sprach ihn mit „Monsieur le Vice-Chancelier“ (Herr Vizekanzler) an und siezte ihn durchgehend. Auf seine dringende Frage nach dem Atomstrom antwortete sie: „Was die Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke betrifft, ist es unser Ziel, Anfang 2023 eine Kapazität von mindestens 50 Gigawatt zu erreichen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss das Wartungsprogramm für die EDF-Reaktoren allerdings ohne nennenswerte Verzögerung umgesetzt werden.“ Da Verzögerungen nie ausgeschlossen werden können, war das keine Garantie. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben daraufhin bei ihrem Stresstest im Extremszenario mit maximal 40 Gigawatt Kernkraft in Frankreich gerechnet.
Die französische Energieministerin nutzte die Gelegenheit, um ihren deutschen Amtskollegen auf einen in Brüssel tobenden Grundsatzstreit anzusprechen. Deutschland versucht dort seit Jahren, Kernkraft im europäischen Regelwerk gegenüber „Erneuerbaren Energien“ zu benachteiligen. „Im gleichen Geist der Solidarität und der gegenseitigen Anerkennung der unterschiedlichen Wege, die unsere beiden Staaten zur Erreichung der CO2-Neutralität eingeschlagen haben, wünschen sich die französischen Behörden eine engere Zusammenarbeit mit ihren deutschen Partnern, um im europäischen Recht eine faire und ausgewogene Regelung zu schaffen“, schrieb Pannier-Runacher. „Die Dekarbonisierung des europäischen Energiemixes muss Priorität haben und gleichzeitig unsere Energieunabhängigkeit stärken.“
In Habecks Akten findet sich zudem ein Dokument zur Vorbereitung seines Telefonats mit der französischen Ministerin am 29. August 2022. Darin stand: „FRA betont, auf DEU Unterstützung bei Stromversorgung im kommenden Herbst/Winter angewiesen zu sein. FRA ist es wichtig, dass wir im Winter ausreichend Strom nach FRA liefern (explizite Erwähnung europ. Solidarität).“ Und als eigene Position dazu: „DEU sollte nicht die Verantwortung dafür bekommen, wenn FRA aufgrund der zunehmenden Alterung seiner AKW-Parks in Versorgungssicherheitsprobleme gerät.“ Über die deutschen Kernkraftwerke, die zuverlässig und sicher liefen, aber im Energiekrisenwinter stillgelegt werden sollten, stand in der Gesprächsvorbereitung kaum ein Wort.
Verkorkste Idee
Anfang September 2022 stellten die deutschen Übertragungsnetzbetreiber ihr Stresstest-Ergebnis gemeinsam mit Habeck und Patrick Graichen der Öffentlichkeit vor. Ihre Empfehlung war eindeutig: Alle drei damals noch laufenden Kernkraftwerke in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen sollten im Winter am Netz bleiben, um die Stromversorgung zu stützen. Habeck stellte daraufhin seine verkorkste Idee einer „Einsatzreserve“ von zwei Kernkraftwerken auf Abruf vor. Das dritte in Niedersachsen ließ er aus Angst vor dem dort einflussreichen Jürgen Trittin, dem Vater des Atomausstiegs, zunächst außen vor.
Bei jener Pressekonferenz zum Stresstest erklärte Habeck ganz offen, dass er vorhabe, den Abruf der „Einsatzreserve“ vom Zustand der französischen Kernkraftwerke abhängig zu machen. Er sagte: „Also wenn wir im Dezember sehen, dass dieses Jahr sich weiter so extrem entwickelt hat und dass die Zusagen und die Pläne beispielsweise der französischen Regierung und auch von EDF, Kapazitäten wieder ans Netz zurückzubringen, sich nicht bewahrheitet haben, dann können wir diese Entscheidung natürlich auch schon vor Ende des Jahres treffen und würden dann in diesen sogenannten Streckbetrieb einschwenken. Aber es kann sich eben auch anders entwickeln.“
Olaf Scholz beendete diesen Plan per Kanzlermachtwort. Im Bundestagsuntersuchungsausschuss haben vor allem die Mitglieder der SPD durch gezielte Fragen herausgearbeitet, dass Habecks „Einsatzreserve“ auch sicherheitstechnisch problematisch gewesen wäre. Für die Grünen, das zeigt nun auch der Brief an die Ministerin in Paris, scheint nahezu jedes Mittel Recht gewesen zu sein, um den Atomausstieg als ihren historischen Sieg zu retten. Und sei es französischer Atomstrom.
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