Frankfurter Studenten 1968 bei einem „Sit-in“ vor der Universität
Frankfurter Studenten 1968 bei einem „Sit-in“ vor der Universität / picture alliance

68er-Debatte: Fluch oder Segen? - Das Best-of der Leserkommentare

Was denken Sie über die 68er? Wo war die Studentenrevolte hilfreich? Wo hat sie geschadet? Wir haben die Cicero-Leser eingeladen, mitzudiskutieren. Hier sind Ihre besten Antworten

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„Damals waren sie die Revoluzzer, dann wurden sie die graue Eminenz. Als bestes Beispiel ist hier Herr Fischer zu nennen. Und so wird es auch mit der heutigen Jugend werden. Erst gegen alles, dann gegen etwas weniger und dann dafür. Welche Jugend hat das nicht durch. Bleiben wird zum Schluss nicht viel, im Grunde passt man sich an, mehr oder weniger. (...)“ (Reiner Schöne)

„(...) Ein wichtiger Aspekt ist, dass aus (guten) Ideen schnell starre Ideologien werden können, die, wie derzeit insbesondere bei den Grünen zu erleben, nicht nur dogmatisch sind und nerven, sondern auch konkret Freiheiten anderer einschränken. (...)“ (Mathias Trostdorf)

„(...) Flausen haben nur Studenten oder Leute, die nicht arbeiten müssen, denn wenn einer arbeiten muss, hat er dazu keine Zeit. Das war die Meinung der einfachen Leute. Da war etwas dran. Arbeit und Fortbildung abends ließen wenig Zeit für die Verbesserung der Welt. In den tollen Sit-ins und Diskussionen von Theorien des Mao-Marx-Ho-Chi-Min-Che Guevara war für Normalos wenig Erbauendes dabei, einzig der Klamauk der Demos war lustig. (...)“ (Dieter Wenzel)

„Von den 68ern haben wir in der DDR nur vom Hörensagen durch West-Verwandte erfahren. Wir Jugendlichen hatten weder die Möglichkeiten gegen den Staat zu räsonieren, noch hatten wir ein Luxusproblem. Unser Streben ging dahin, eine gute Ausbildung und eine gut bezahlte Arbeit zu bekommen, um uns einen bescheidenen Hausstand zu schaffen, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen. (...)“ (Karin Zeitz)

„(...) Der Protest war durchaus notwendig angesichts einer rigiden und verklemmt-bigotten Bundesrepublik. Ist es ihre Schuld, dass aus der sexuellen Befreiung eine Pornoindustrie entstand und sie auf diese Weise die Durchkapitalisierung der Lebensverhältnisse förderten? Dass viele Initiativen in einem politischen Extremismus endeten, der mindestens so engstirnig war wie ‚das System‘, das sie zu bekämpfen vorgaben? Dass viele psychosoziale Experimente in einem Drogensumpf versanken? Das alles kann man als notwendige Kosten gesellschaftlicher Umbrüche sehen. (...)“ (Christoph Kuhlmann)

„Natürlich war das Land im Umbruch. Aber das kam nicht durch die ‚Studentenrevolte‘, die allenfalls ein Sturm im Wasserglas war, sondern durch so revolutionäre Dinge wie die Westbindung, Freundschaft mit Frankreich und USA, Nato-Mitgliedschaft und Gründung der EWG. Der wirkliche Revolutionär war also Adenauer, nicht die Mitläufer und Mitschreier auf irgendwelchen Studentendemos. ‚Ihr habt nicht verändert. Ihr wurdet verändert‘, sage ich immer zu selbsternannten 68ern, die keineswegs revolutionär, sondern nur wild gewordene Wohlstandspießer waren.“ (Walter Meiering)

„Wer zweimal mit der gleichen pennt, gehört schon zum Establishment. Wir haben darüber gelacht, wir fanden es sehr emanzipiert, diesen Spruch der Freiheit, frei zu sein nach Lust und Laune. Den Spruch ‚Wer zweimal mit dem gleichen pennt, gehört schon zum Establishment‘, gab es nicht. Ist niemandem aufgefallen, mir auch nicht. (...) Natürlich hatte man diesen Spruch, der von den Männern in Bezug auf die Frauen, gut zu finden, auch die Frauen. Ich habe gelitten wie eine Sau. Wenn der Mann, den ich meinen Freund nannte, mit dem ich eine intime Beziehung hatte, wenn er also ganz selbstverständlich sein politisch anerkanntes Recht, was zu seinem natürlich Recht wurde, wahrnahm und mit einer anderen pennte, dann hatte ich das ebenso natürlich und politisch korrekt hinzunehmen. Da brauchte man doch nicht darüber zu diskutieren. Ja, ich war kleinbürgerlich, neurotisch, krankhaft eifersüchtig, einfach jenseits der politischen Linie, die die Gesellschaft in das nächste Paradies führen würde. (...)“ (Christa Baisch)

„(...) Sehr schnell habe ich Anfang der 70er Jahre an der Universität die Kehrseite der studentischen Befreiung erlebt: ‚Sit-ins‘ zur Störung von Vorlesungen, einhergehend mit Beleidigungen und Angriffen auf Professoren, die ich abstoßend und einfach unanständig fand. Diskussionen im Audimax beschäftigten sich lieber mit Resolutionen zum Konflikt in Angola als mit unseren eigenen Studienangelegenheiten. Hans-Martin Schleyer war zu einem Vortrag eingeladen und wurde in erschreckend brutaler Weise niedergebrüllt und mit Eiern beworfen – für mich ein Ausdruck von Intoleranz, Inhumanität und Gewalt, der ich nicht mehr folgen konnte. Das hatte nun gar nichts mehr zu tun mit einer fairen Auseinandersetzung mit Schleyers Nazi-Vergangenheit, sondern war fast Lynchjustiz. Fast noch erschreckender war die Atmosphäre in den WGs, die meist dreckig, verraucht, offen für jedermann und damit ohne jede Intimität und ohne jeden Schutz für ganz persönliche Bedürfnisse waren. Die Musik, die ich liebte, Bach und Beethoven, wurde zutiefst verachtet – wie überhaupt nahezu alles aus der bürgerlichen Kulturtradition. (...)“ (Beate Maier)

Cicero Cover der aktuellen Juni-Ausgabe

Wir danken unseren Lesern herzlich für die rege Beteiligung. Auch in der aktuellen Cicero-Ausgabe ziehen ehemalige Protagonisten wie Nachgeborene der 68er-Generation ihre persönliche Bilanz der Bewegung. Das Magazin erhalten Sie ab sofort am Kiosk oder in unserem Online-Shop.

Lesen Sie hier, was Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke über die 68er denkt.

 

 

 

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ursula keuck | Fr., 2. Juni 2017 - 09:07

Deutschland war bis 1968 bienenfleißig, diszipliniert, gradlinig, man setzte auf Tradition, Bildung, Ordnung, Moral, Treue, Qualität, Disziplin, Pflichtgefühl, Autorität, Wertebindung.
Die „68er“ schufen in den siebziger Jahren ohne Not nur aus purer Übersättigung und Faulenzerei eine von Revolutionsfanatismus beherrschte Scheinwelt, deren Sinnlosigkeit an Irrsinn nicht zu Toppen war. Sie wussten alle insgeheim, das sie in Wirklichkeit die besten Jahre – seit Deutschland existiert – von Wohlstand, bezahlbarer Arbeit, angemessener, sozialer Sicherheit, sozialen Frieden und vor Allem gesicherter Altersversorgung durchlebten. Aus Tagedieberei und Müßiggang besetzten sie Universitäten und Häuser, bewarfen Polizisten mit Steinen und Bomben. Kein Wunder, sie haben 1968 für einen antiautoritären Staat gekämpft und haben ihn bekommen und damit einen beispiellosen, negativen Kultur- und Wertewandel in allen Bereichen unserer Gesellschaft eingeleitet.

Ganz meine Meinung. Ich kann wenig Gutes sehen, was daraus hervorgegangen wäre. Die unerträgliche Arroganz haben die Grünen bis heute nicht abgelegt

Dr. Jürgen Laufer | Sa., 3. Juni 2017 - 18:15

Ja, Frau Keuck,das sind die Eigenschaften von Menschen die eine Gesellschaft hoch produktiv machen.
Nur Frau Keuk, sie vergessen zu erwähnen, dass dies nur möglich war, weil ein Marshallplan existierte, mit dem dieses möglich wurde. Ein Plan der (maßgeblich) von amerikanischen Politologen und Wirtschaftlern benutzt wurde, den sich ausbreitenden Kommunismus zurück zu drängen. Die von Ihnen beschriebenen Eigenschaften hatten die Deutschen auch von 1933 bis etwa 1942 (Stalingrad) entwickelt, denn sie wurden auch als Argument in der Propaganda und Erziehung herangezogen den "Herrenmenschen" vom Untermenschen (den jüdisch-bolschewistischen) zu unterscheiden.
Die 68-iger haben diesen Aspekt gefühlt - ich sage ganz bewusst gefühlt, denn für einen Wandel genügt es nicht eine Ideologie zu haben, die Konträr zu den Produktionsnotwendigkeiten, den Warenaustausch und der weltpolitischen Abhängigkeit steht. Dafür war aber damals in der aufstrebenden Bundesrepublik kein Platz. Sie waren jung.

Hans-Georg Köster | Sa., 3. Juni 2017 - 19:46

Dem kann ich voll zustimmen .