Dürr
Christian Dürr / Screenshot (TikTok), Clemens Traub

Die Politik der Ampel ist zur Comedy verkommen - Urkomischer Unernst

Wirtschaftskrise, Migrationskrise, Haushaltskrise – die Hauptdarsteller der Ampel scheinen so verzweifelt, dass sie sich offenbar nur noch mit Humor und Satire zu helfen wissen. Vorhang auf!

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der FDP-Fraktionschef Christian Dürr bezeichnet seinen FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner als „Gangster“. Aber Würstchen würden das Blatt im Bundestag zum Guten wenden können, so plaudert der neue liberale Slapstick-Star am Tiktok-Himmel. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den einst so bündnisflauschigen Grünen wiederum greift zur „Kettensäge“. Mit roher Gewalt will er nun Gesetze „wegbolzen“, wie er jüngst bei einer Veranstaltung der Arbeitgeber ins Mikro brummte. Spaßbremse und Bundeskanzler Olaf Scholz hingegen erträgt das Theater selbst nur noch mit Mühe, das sei alles schwer auszuhalten, sagt er der öffentlich-rechtlichen Beichtmutter Maybrit Illner. Aber sich „einfach in die Büsche schlagen“, das wolle er auch nicht.

In der Spätphase der Ampelkoalition, in diesem als „Herbst der Entscheidungen“ angekündigten Kabarettprogramm, hat sich in der Berliner Bubble ein so beißender wie bitterer Unernst ausgebreitet. Längst geht es nicht mehr um falsche oder richtige Politik, um gute oder schlechte Lösungen für die dramatischen Probleme, vielmehr flüchten sich die Hauptdarsteller offenbar aus Verzweiflung direkt in den vorgezogenen Karneval. Manche nennen es euphemistisch: vorgezogenen Wahlkampf. Doch tatsächlich ist ja Humor die beste Medizin, wenn in auswegloser Lage sonst gar nichts mehr geht. Doch bei den Scherzen der Ampel bleibt manchem Beobachter doch das Lachen im Halse stecken.

Gipfel der Worthülsen-Inflation

Die wirtschaftliche Lage ist dramatisch, Firmen wandern aus Deutschland ab, es fehlt an Investitionen, Arbeitslosigkeit droht, der Wohlstandsverlust für jeden spürbar, zum Beispiel wenn die Apotheke nicht liefern kann; die Kommunen sind mannigfaltig überlastet, auch durch den ungeregelten Zuzug. Nun lädt der Kanzler zum „Industriegipfel“ ins Kanzleramt. Ein „Gipfel“ ist inzwischen schon zum Synonym für Politikverweigerung geworden. Es ist schon eine tiefe Ironie, die dem Begriff innewohnt, denn die Mühe des Bergaufstiegs unternimmt schon längt keiner mehr. Man fängt gleich oben beim Gipfel an. Einen Plan gibt es keinen, Ideen viele, manche könnten mit Geld zu tun haben, das nicht da ist. Steuereinnahmen sinken, Ausgaben steigen, die Ampel steht noch ohne Haushalt für das Jahr 2025 da. Aber stattdessen Worthülsen-Inflation.

Mit Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden wolle er nun eine „vertrauliche Diskussion“ führen, sagt Scholz, „Mein Ziel ist aber, das nicht so zu machen, dass ich quasi da hingehe und sage, das will ich machen, stimmt ihr alle zu?“ Vielmehr wolle er Maßnahmen finden, bei denen „alle gleichzeitig sagen, das sind die richtigen“, und habe das Ziel, „dass das eine vertrauliche Meinungsbildung wird, wo möglichst sich alle unterhaken“. Das zitiert wörtlich spiegel.de so. Ist das schon kafkaesk oder etwa nur der neuste Sketch von Hape Kerkeling, der sich als Kanzler verkleidet ins Kanzleramt eingeschlichen hat? Königin Beatrix lässt grüßen! Nein, es ist noch lustiger, es ist alles echt. 

Cringe-Dürr mit OG Christian

Der liberale Shootingstar auf der Bühne des politischen Lebens ist Christian Dürr. Da er sonst nicht so viel zu tun hat, hat er jüngst ein Video für den Social-Media-Kanal Tiktok gedreht. Damit will er die jüngeren Wähler zurückgewinnen, die 2021 noch mehrheitlich der FDP ihre Stimme gegeben haben. Die offenkundige Enttäuschung kompensiert der Cringe-Dürr nun mit Jugendsprache. Endlich, möchte man schreien, endlich einer, der wieder mit den Kids auf Augenhöhe reden kann! „Hier ist euer Boy, OG Christian Lindner“, trällert Dürr und zeigt auf das Video mit dem Parteivorsitzenden am Rednerpult. „OG“ bedeutet Original Gangster, meint so viel wie „Chef“, schon klar. „Der Pop of King, seine Reden, purer Slay“, so Dürr. Das muss man nicht übersetzen. 

Der alte Lindner-Gauner hat eine großartige fiese Idee. Er lädt die Wirtschaftsverbände zu einem eigenen Gipfel ein, weil der ganz große Schuft im Kanzleramt die Fabrikbosse einfach zusammengetrommelt hat, ohne ihn, den OG Christian, zu fragen. Das Vorgehen seines Kanzlers kommentiert er mit: „konzeptionelle Hilflosigkeit“.  Was sollen die Beratung mit den Verbänden bringen? Steuern runter, Bürokratie-Monster endlich besiegen und die Grünen beschimpfen. Das wird ein Fest! In den Tagesthemen sagt Lindner: „Die Finanzpolitik kann nicht reparieren, was die Wirtschaftspolitik versäumt.“ Das sitzt, das wird nicht nur Scholz, sondern auch noch dem Habeck-Schuft nun wirklich zusetzen.

Terminator der Lieferketten 

Der Robert Habeck, der Wirtschaftsminister, der ist aber auch ein ganz Schlauer, der hat längst verstanden, was die Stunde geschlagen hat. Klimaschutz triggert nicht mehr. „Is‘s the economy stupid!“ Neulich stand er am Pult, und es muss ihm irgendwie der argentinische Präsident Javier Milei vor seinem inneren Auge erschienen sein, denn er nutzte dessen politisiertes Kampfmittel für seine Argumentation. Das Lieferkettengesetz, das dereinst die Menschheitsgeißeln Kinderarbeit, Klimawandel und soziale Ungleichheit mithilfe deutscher Berichtspflichten aus der Welt schaffen wollte, ist nun selbst zum Ausbund des Bösen geworden. Oh Wunder! Einst als grünes Allheilmittel besungen, will Habeck nun „die Kettensäge anwerfen und das ganze Ding wegbolzen“. Liefer-Ketten-Gesetz, welch ein Wohlklang verströmte das Wort dereinst. Wer hätte das gedacht, dass der sanfte Mann von der Wärmepumpe noch mal als Terminator der Lieferketten enden würde.  

Robert Habeck, der Denker, der Philosoph, der Doktor, der stammelt nicht rum wie der Kanzler. O-Ton: „Ich selbst werde keinen Gipfel machen, der Gipfel ist meine tägliche Arbeit.“ Alle Achtung! Der Wirtschaftsminister hat ein 15-seitiges Strategiepapier geschrieben, als ob es kein Gestern und kein Morgen gäbe. Jetzt ist die Stunde! Deutschland braucht massive Investitionen“ für die Wirtschaft und die Infrastruktur in Deutschland. Donnerwetter! Unfassbar! Noch nie gehört, endlich sagt es mal jemand. OG Habeck schlägt einen „Deutschlandfonds“ vor. Eine unbürokratische Investitionsprämie von zehn Prozent sollen Unternehmen erhalten. Man reibt sich die Augen! Das ist nicht Kafka, das ist Schlaraffenland-Porno. Keiner weiß, woher die Milliarden kommen sollen, keiner weiß, wie das funktionieren soll. Und was es bringt, auch umstritten. Egal, hört sich aber geil an.

Es ist dieser heilige Unernst, der die politische Arena befallen hat. Vorschläge, Gipfel, Papiere, Punktepläne, Tiktok – alles zur Unterhaltung eines in Verzweiflung und Paralyse verharrenden Wahlvolks. Doch es scheint so, als ob nicht nur die staunenden Massen, sondern auch weite Teile der politischen Klasse selbst die Realität nicht mehr ertragen und sich deswegen wahlweise in Wunschwelten, Aktionismus oder Klamauk stürzen. Kein Thema, das länger als ein paar Tage im Blickfeld bleibt, keine Positionierung, die die Aufmerksamkeitsspanne von wenigen Wochen oder Monaten überdauert. Selbst die Schuldenbremse schützt vorm neuen Schuldenmachen nicht, egal, macht nichts. Los, auf zur neuen Sause!

Über die Ankündigungs-Diarrhöe 

Vor einem Jahr hatte Olaf Scholz im Spiegel gesagt: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Martialische Worte mit wenig Effekt. Nach dem Anschlag von Solingen hat erneut eine Ankündigungs-Diarrhöe alle befallen. Schrecklich! Das Ergebnis: viel Lärm und Sicherheitspäkchen, das Probleme löst, die vorher gar nicht da waren. Nun legt die schwarz-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ein Maßnahmenbündel vor, das viele Reizthemen der vergangene Monate aufnimmt. Sicherere Herkunftsstaaten, schnellere Verfahren, neue Haftanstalten für irreguläre Migranten. Kiel und Stuttgart machen auch mit. Doch Berlin stellt auf stur. Man ist offenbar zu beschäftig mit dem eigenen Klamauk.

Die Bundes-Grünen blockieren eine umfassende Einigung bei der Lösung der Flüchtlingskrise. Doch selbst das passiert auf eine solche verwirrende Weise, dass sich kein ernstes und ernsthaftes Bild davon zeichnen ließe. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat den Blick fürs Wesentliche und konzentriert sich aufs Klein-Klein. Bei den laufenden Haushaltsverhandlungen beharrt sie weiterhin auf der Finanzierung privater Organisationen, die Seenotrettung im Mittelmeer betreiben. So wird das Schleppergeschäft am Laufen gehalten. Doch das stört sie nicht, jeder will halt der größte Besserwisser in der Manege sein. Die FDP ist inzwischen dagegen, vor kurzem hat sie noch zugestimmt. Jeder macht hier seine eigene Show. 

Wann bloß endlich fällt der Vorhang?

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Ingofrank | Fr., 25. Oktober 2024 - 16:44

Hampel Ampel ? ? ?
Selbst da ein meilenweiter Abstand zu deutschen Spitzenkabatettisten wie Monika Gruber oder Lisa Eckert ….
Mit besten Gruß aus der Erfurter Republik

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