- Vom Masken-Debakel an den Schulen
Die Schulöffnungen werden angesichts der steigenden Corona-Fallzahlen kritisch betrachtet. Auch die Sinnhaftigkeit einer Maskenpflicht im Unterricht wird heiß debattiert. Doch das Scheitern der Bildungspolitik liegt tiefer, findet Lilli Fischer.
Seit gut zwei Wochen findet in den ersten Schulen wieder Unterricht statt. Die Klassenzimmer sind voll besetzt und es soll, so gut es geht, einen Regelbetrieb geben. So die Theorie. Der Plan ist: Wenn alle eine Maske tragen, dann kann das Lernen wie üblich stattfinden, quasi wie im Februar, nur eben mit Maske. Bei 36 Grad. Meiner Meinung nach eine Zumutung. Doch das Debakel der Schulpolitik in Krisenzeiten hat eine ganz andere Chronologie und die Maskenpflicht ist nur die Spitze.
Das Scheitern der Schulpolitik
Lassen Sie mich kurz rekapitulieren: Am 16. März, einem Montag, schlossen in Deutschland die Schultüren. Geplant war, die Kinder bis nach den Osterferien zu Hause zu beschulen. Bekannt wurde der Entschluss zur Schließung am Donnerstag zuvor. Trotzdem gab es nicht wenige Schulen und auch Lehrer, die sich zurückgelehnt und zunächst keine Arbeitsanweisungen für ihre Schüler mitgegeben haben. Es handelte sich ja zunächst auch nur um wenige Wochen. Nach den Osterferien würde schon alles wieder seinen geregelten Gang gehen.
In den Osterferien eröffnete sich dann die Tatsache, dass die Schulen länger geschlossen bleiben würden, um nicht zu sagen „auf nicht absehbare Zeit“. Abschlussklassen bangten zunehmend um ihre Vorbereitung für die Prüfungen, Eltern sorgten sich um die Betreuung ihrer Kinder. Mitte Mai öffneten die ersten Schulen, einige von ihnen mussten sofort wieder schließen.
Und jetzt, nach den Sommerferien? Masken all the way und alle Schüler sollen auf einmal in die Schulen. Mecklenburg-Vorpommern beendete als erstes Land die Sommerferien und musste unmittelbar danach wieder Schulen schließen. Die Infektionszahlen in Deutschland schnellen derweil wieder in die Höhe. Dass Masken nach den Ferien dabei helfen, die Infektionsausweitung einzudämmen, bezweifle ich stark, wenn Schüler wieder dicht an dicht nebeneinander sitzen sollen.
Fehlende Vergleichbarkeit im Bildungsföderalismus
Das Krisenmanagement an unseren Schulen seit Februar offenbart die Achillesferse des deutschen Föderalismus: Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Mal schauen, wo es uns am Ende hinführt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte viel vom Föderalismus und halte auch das föderale Bildungssystem für sinnvoll. Vergleichbarkeit aber ist das, woran es uns fehlt – das kann Ihnen jeder Schüler so unterschreiben.
Die Krise hat auch hier gezeigt, dass allein in den Grundlagen, der Grundstruktur und Ausstattung der Schulen keine Einheitlichkeit besteht, teilweise nicht mal innerhalb eines Landes. Vom Polylux aus DDR-Zeiten bis hin zu Whiteboards kann man an Schulen so ziemlich alles finden. Das eigentliche Problem liegt aber auch zu Hause, bei den Schülern und ihren Familien selbst: Während sich einige Familien die Bücher nicht leisten können, haben in der nächsten Familie alle Kinder ein iPad zur Verfügung. Und WLAN, das gibt’s dort sowieso.
Homeschooling ohne digitale Infrastruktur
Und so unterschiedlich die Grundvoraussetzungen sind, so unterschiedlich fand auch das Homeschooling statt. Während einige Lehrer mit einem Arbeitsblatt von Haustür zu Haustür liefen, damit die Eltern die Aufgaben davon abschreiben konnten, haben andere Lehrkräfte komplette Netzwerke und Plattformen erstellt, um digitalen Unterricht durchzuführen. Der tollste digitale Unterricht erwirkt jedoch nichts, wenn der Schüler ihn zu Hause nicht anschauen kann, weil es an der digitalen Infrastruktur scheitert.
In Thüringen hat es bis vor der Corona-Pandemie nicht einmal für eine Cloud für alle Schulen gereicht und in der Krise wurde deutlich, dass die, die getestet wurde, nicht funktionsfähig ist. Unterricht via Zoom, Discord und anderen Plattformen, der von engagierten Lehrer ausprobiert wurde, sollte später durch den Datenschutzbeauftragten geahndet werden. Das ist nicht nur frech, sondern auch unverschämt unter dem Gesichtspunkt, dass vielen Lehrern quasi keine datenschutzrechtlichen, technischen und inhaltlichen Anhaltspunkte an die Hand gegeben wurden, um digitalen Unterricht gelingen zu lassen.
Nur wenige Informationen für Schüler und Eltern
Auch an der Kommunikation hat es gemangelt. Zwar haben die Ministerien einiges an die Lehrer weitergegeben, aber die wenigsten Informationen erreichten am Ende auch die Schüler und Eltern. Eine Ministerin, die sich jedoch in der Krise sehr hervorgetan hat, war die Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern Bettina Martin (SPD), die schon am 20. März, vier Tage nach der Schließung, beim Landesschülerrat auf Instagram live Rede und Antwort stand. Nicht nur, dass sie sofort greifbar war, nein, sie zeigte damit auch, wie wichtig es ihr ist, dass Schülerinnen und Schüler frühzeitig informiert sind und beteiligt werden. Chapeau! So stelle ich mir die Kommunikation von Ministerium zum Schüler idealerweise vor.
Krisenmanagement und Schulöffnung sind viel diskutiert worden. Eine goldene Lösung, die ab sofort und uneingeschränkt umsetzbar ist, gibt es aber sicherlich nicht. Ich bin der Überzeugung, dass jeder Minister nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, auch wenn nicht alles ideal war. Dass es da sicherlich Unterschiede im Handeln zwischen den Ländern gibt, ist auch wahr.
Weiterbildung für Lehrer notwendig
Ich will nicht nur kritisieren, ich will auch konkret werden. In meinen Augen hat sich beispielsweise der Unterricht in Gruppen, die im Wochenrhythmus wechseln, bewährt. So kann genug Abstand in den Klassen gewahrt werden und es findet ein regelmäßiger Präsenzunterricht statt. Feste Klassenzimmer für die jeweiligen Kurse sind dabei angebracht und sinnvoll. Damit dies gelingt, braucht es jedoch auch eine ausreichende digitale Infrastruktur: Von Breitband, über WLAN für alle Schüler (auch zu Hause) bis hin zu digitalen Endgeräten für jeden Schüler und jeden Lehrer.
Bei einem Altersdurchschnitt von über 50 in den Lehrerzimmern mancher Länder ist auch eine ordentliche Lehrerbildung zu digitalem Unterricht noch dringend nötig. Nur so kann auch angemessenes Homeschooling stattfinden. Es braucht aber auch unbedingt umfassende Betreuungsangebote für alle Schüler, die nicht einfach zu Hause bleiben können und natürlich braucht es klare Hygieneregeln.
„Man muss Schule vom Schüler her denken“
Die Maskenpflicht an Schulen ist lediglich die Spitze des Eisbergs aus Fehlkommunikation und Missmanagement. Sie steht symbolisch für alles, was in den letzten Wochen und vermutlich schon Jahren an unseren Schulen falsch läuft: das Durchdrücken von Neuerungen mit der Brechstange oder die fehlende Rücksicht auf die Schüler bei der Bewertung von Situationen und Maßnahmen.
Jetzt nach den Ferien muss ein Fokus auf den neuen Abschlussjahrgang gelegt werden. Denn er ist der eigentliche Verlierer der Krise. Die Schüler haben weite Teile des Stoffes verpasst, der prüfungsrelevant sein wird. Der Abschlussjahrgang 2020 hingegen war zum Zeitpunkt der Schulschließung weitestgehend auf die Prüfungen vorbereitet, für ihn sind lediglich die Wiederholungen entfallen. Beim Abschlussjahrgang 2021 aber fehlen die Inhalte.
Der Thüringer Bildungsminister sagt immer wieder, man müsse Schule vom Schüler her denken. Diese Aussage unterschreibe ich uneingeschränkt. Ich würde mich nur freuen, wenn das umgesetzt wird.
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.... die Erfahrungen und das Know How von privaten Bildungsanbietern? (Aber nur solche, wo Selbstzahler (!!) in den Kursen sind und keine Teilnehmer vom AA und ESF). Die haben ihren Seminarbetrieb sofort umgestellt, denn es ist ihr Überleben. Solange Menschen an den Schalthebeln sitzen, deren Auskommen gesichert ist und die sich keine Sorgen um ihr monatliches Einkommen machen müssen, solange ist alles zum Scheitern verurteilt. - Und noch etwas zu Lehrern: es ist immer eine Sache des Wollens. Aber Lehrer tun sich allgemein damit sehr schwer, sich von anderen etwas lehren zu lassen... 50 ist kein Alter, meine Mutter (auch ehemalige Lehrerin) hat sich mit 83 noch ein Tablet gekauft und kommt super damit zurecht.
"Bei einem Altersdurchschnitt von über 50 in den Lehrerzimmern mancher Länder ist auch eine ordentliche Lehrerbildung zu digitalem Unterricht noch dringend nötig."
Solange nicht klar ist, welche Inhalte diese Weiterbildungen haben sollen/müssen, solange ist diese Forderung nichts anderes als billiger Populismus (darf man das Wort in diesem, unpolitisch gemeinten Zusammenhang verwenden?).
"...ich halte viel vom Föderalismus und halte auch das föderale Bildungssystem für sinnvoll."
In Zeiten, in denen immer mehr Kompetenzen des Bundes in Richtung Brüssel abgegeben werden, halte ich den Förderalismus in Sachen Bildung für einen teueren und darüber hinaus bremsenden Anachronismus.
und niemand fühlt sich zuständig, verantwortlich.
Man redet sich die Köpfe heiß, nickt bedeutungsschwer, breitet auch sehr gerne einmal die Arme aus wie mein ganz spezieller Freund Bedford-Strohm: "Seht her, ich kann nicht anders!"
Nein, es mangelt nicht an Geld sondern am Willen, der Kompetenz!
Die Schulen waren bereits zu meiner Schulzeit (70er Jahre, Abi 81) marode, waren es zu Schulzeiten von Tochtern und sind es bis heute.
Labern immer, Handeln nimmer!
Diese Sprüche wie "gemeinsame Kraftanstrengung, ein Wumms, ein Ruck etc." kann man nicht mehr hören!
Unangefochtene Nr.1: WIR SCHAFFEN DAS!
Scholl-Latour:
"Eine Gesellschaft welche so verdummt und verblödet ist, hat nichts besseres verdient!"
"Beim Abschlussjahrgang 2021 aber fehlen die Inhalte."
Wenn etwa im Chemie-LK weder die Schrödinger-Gleichung noch die Heisenbergsche Unschärferelation doziert wurden, dann verlangt man eben den unterschiedlichen Aufbau der Kohlenstoffatome Graphit/Diamant.
Nur Gelehrtes kann man prüfen!
Ihre Zustandsbeschreibung betrifft aber nicht nur Schulen.
Schuld an der Misere ist wohl eher die Tatsache, dass der öffentliche Sektor am besten gar nichts kosten sollte. Denn zur Finanzierung braucht man verlässliche Steuereinnahmen.
Deutschland wurde aber lange von einer 5%-Partei mitregiert, deren politische Ziele man in zwei Forderungen zusammenfassen kann:
1. Weniger Staat
2. Steuern senken!
Heute trommelt man für das Home-Schooling mit IPad und Cloud. Morgen wird für die digitale Home-Kita mit IPad und mobiler Essensausgabe nach Hause für jedes Kind im Kita-Alter trompetet. Die Schüler treffen sich in Bus und Bahn, vielerorts wie Sardinen in Büchsen, treffen sich nach der Schule und feiern an geheimen Orten Partys oder sitzen zusammen, weil Mutter Staat sämtliche soziale Anlaufstellen verboten hat. Es wird ein heißer Herbst in Deutschland werden. Je länger die Coronoia anhält, desto mehr Bürger werden wach werden, spätestens dann, wenn Großunternehmen wegen des weltweiten Handelsverbot Insolvenz anmelden oder schliessen. Das Kurzarbeitergeld ist hart erarbeitete Steuerabgabe. Das kann man nicht über unbestimmte Zahl von Jahre verteilen, während Klein- und mittelständische Unternehmen am Hungertuch nagen oder immer noch Berufsverbot haben.
Das haben Sie richtig beobachtet, Frau Fischer.
Ich bin schon länger der Meinung, dass die Bildungspolitik in Bundeshand gehört. Für Familien mit schulpflichtigen Kindern kann z.B.ein berufsbedingter Umzug in ein anderes Bundesland zum Fiasko werden.
In DE ist zu beobachten, dass Bildung zunehmend an die soziale Herkunft gekoppelt ist. Wer kann schickt sein Kind auf Privatschulen.
Das System ist schwerfällig und träge –siehe langsames Anlaufen Digitalisierung. Und marode... der Investitionsrückstand in Sachen Schulgebäude liegt deutschlandweit bei 42,8 Milliarden Euro.
Für ein "reiches Land" ein Armutszeugnis.