Taliban Kabul
Taliban-Kämpfer patrouillieren nach ihrer Machtübernahme durch Kabul / dpa

Talibanherrschaft in Afghanistan - Der Terror wird im Westen spürbar werden

Die Taliban erobern Afghanistan – vor den Augen der internationalen Gemeinschaft. Was bedeutet dieser Feldzug des Bösen und welche Folgen hat unser Voyeurismus? Ein Gastbeitrag von Ahmad Milad Karimi.

Autoreninfo

Ahmad Milad Karimi (Foto Elif Kücük), geb. 1979 in Kabul, studierte Philosophie und Islamwissenschaft an der Universität Freiburg i.Br. und wurde 2012 mit einer Arbeit über Hegel und Heidegger promoviert. Er ist ordentlicher Professor für Kalām, islamische Philosophie und Mystik an der Universität Münster. Karimi ist stellvertretender Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster, Leiter der internationalen Muhammad Iqbal-Forschungsstelle. 2019 erhielt er den Voltaire-Preis für „Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz“ der Universität Potsdam.

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Der Himmel über Kabul ist blau, leuchtend blau. Die Stadt ist umgriffen von Bergen, deren Gipfel grau in den Himmel ragen. In meiner Kindheit gaben mir die Berge und der blaue, ferne Himmel inmitten des Bürgerkrieges Trost und Hoffnung, dass einmal der Krieg entschwinden werde. Doch nach 42 Jahren hält der Krieg in Afghanistan an, allein seine Protagonisten wechseln – seine Besetzer und Beschützer auch.

Der Blick in den blauen Himmel ist heute trostlos geworden. Im ganzen Land sind Menschen auf der Flucht, ziellos auf der Flucht, mittellos auf der Flucht, die deshalb meistens nirgendwo, irgendwo in Afghanistan selbst endet, nicht selten in einem freien Feld an einem Straßenrand. Die Menschen, die aus Afghanistan flüchten, mögen sich zunächst wie Helden vorkommen, weil sie überlebten, aber spätestens im Iran, in Pakistan, wo seit Jahrzehnten eine desaströse Afghanistanpolitik verfolgt wird, erkennen sie, dass sie zu den Elenden unserer Zeit gehören.

Anziehungspunkt für Terroristen aller Länder

Die Jagenden sind die Taliban. Sie sind keine neuen Protagonisten. Exakt vor 20 Jahren waren sie schon einmal die schrecklichen Herrscher Afghanistans, haben Musik und Fernsehen verboten, Mädchenschulen geschlossen, Frauenrechte überhaupt nicht beachtet, Bildung, Kunst, Kultur zugrunde gerichtet, die Buddha-Statuen in Zentralafghanistan zerstört. Aber allen voran haben sie Afghanistan zu einem Land verkommen lassen, das für militante Terroristen aller Länder, insbesondere des Terrornetzwerks Al-Qaida, zu einem Anziehungsort wurde.

Die Existenz der Taliban und deren afghanische Wirkungsstätte hat keine bloß regionale Bedeutung, vor der sich die Weltgemeinschaft mit bequemer Verachtung abwenden kann. Sie hat vielmehr eine globale Bewandtnis, die uns alle und überall betrifft, weil Terror grenzenlos ist. Denn fast exakt vor 20 Jahren, am 11. September 2001, verübte die Al-Qaida, koordiniert aus Afghanistan, Terroranschläge in den Vereinigten Staaten mit annähernd 3.000 Toten. Die USA, die zu keiner Zeit eine eindeutige Afghanistanpolitik erkennen ließen, reagierten darauf radikal und griffen unmittelbar Afghanistan an.

Keine flächendeckende Demokratisierung

Der Entschluss zum Krieg galt weniger der Befreiung des afghanischen Volkes aus den Fängen der Taliban als der Bekämpfung von al-Qaida. Der darauffolgende Nato-Einsatz sollte auf den Kampf gegen den Terror zielen, aber auch den Aufbau des Landes, die Ausbildung der afghanischen Armee und Sicherheitskräfte, zivilgesellschaftliche und demokratische Strukturen ermöglichen. Die Terrorbekämpfung als die eigentliche Zielsetzung der USA ist durchaus gelungen, aber die Taliban, die anfänglich vertrieben wurden, waren niemals ganz weg.

Immer wieder musste die afghanische Bevölkerung durch Terroranschläge an deren Existenz erinnert werden. Der Aufbau des Landes hatte aber von Anfang an keine überzeugende Struktur, keinen nachhaltigen Plan. Die Demokratisierung des Landes ist bei weitem nicht flächendeckend gelungen, Infrastrukturen, Alphabetisierungsmaßen, die Gleichstellung der Frauen und andere zentrale Elemente sind nicht abgeschlossen.

Die Regierungen in Afghanistan innerhalb der vergangenen 20 Jahren ähnelten stark ihren Vorgängern, wirkten wie Marionetten anderer Ideologien, korrupt, zuweilen inkompetent, mut- und saftlos, an der eigenen Bereicherung mehr interessiert als daran, die notwendige Sorge für die leiderfahrene Bevölkerung zu tragen. Hoffnungsmomente waren aber immer wieder da. Frauen waren sichtbar, an der Gestaltung des Landes integriert; partielle Projekte wie die Errichtung einzelner Mädchenschulen, Elektrisierungsprojekte und so weiter waren durchaus erfolgreich. Umso bestürzender ist der Zerfall all dieser Arbeit.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump schloss im Februar 2020 ein Friedensabkommen mit den Taliban auf Grundlage des Abzugs aller US- und Nato-Truppen bis zum 1. Mai 2021. Die Taliban sollten im Gegenzug die Gewalt reduzieren und in ein Friedensgespräch mit der afghanischen Regierung eintreten. Hier ging es nicht um Bedingungen, die notwendig wären, sondern um einen bedingungslosen Abzug, der am Ende unwürdig wie eine Flucht wirkte. Bei den Gesprächen und Vereinbarungen waren weder die afghanische Regierung noch die politische Opposition beteiligt. Das ist weder politisch noch humanitär haltbar.

Übereilter Aktionismus

Der aktuelle US-Präsident Joe Biden hat mit einer Verzögerung letztlich den Abzug vollzogen. Und die restlichen Staaten folgten diesem Schritt. Der gesamte Entscheidungsprozess wirkt wie ein übereilter Aktionismus. Die Ortskräfte in Afghanistan bangen um ihr Leben, weil ihnen nicht entschieden geholfen wurde. Das ist verantwortungslos und ein gravierendes politisches Versagen. Das Land wird in einer Phase verlassen und sich selbst überlassen, deren Herausforderungen es nicht gewachsen ist. Der Westen hat damit eine milliardenschwere Arbeit, aber auch seine Glaubwürdigkeit verloren.

Das afghanische Militär mit seinen rund 300.000 Soldaten (so die offiziellen Angaben, die augenscheinlich illusorisch waren) wurde kostspielig ausgebildet und aufgerüstet, aber sie haben sich kampflos den Taliban ergeben. Die rasche Übernahme Afghanistans scheint für niemanden absehbar gewesen zu sein. Das heißt aber auch, dass in Bezug auf Afghanistan wohl jegliche Expertise fehlt, dass dieser durchaus kalkulierbare Verlauf der Geschehnisse nicht bedacht wurde. Auch dies ist inakzeptabel.

Das ist aber auch ein Zeugnis dafür, dass die afghanische Regierung nicht von ihrem Militär unterstützt wurde. Dies wurde aber nicht jetzt plötzlich offenbart, sondern seit langem war der Unmut des Militärs gegenüber der afghanischen Regierung wahrnehmbar. Damit haben die Regierung und das Militär ihr Volk im Stich gelassen, aber verlässlich waren beide Größen von Anfang an nicht.

Es ist jedoch auch die Verantwortung des Westens, der Nato und insbesondere der USA, die ihren Einsatz in den vergangenen 20 Jahren selbst für nichtig erklärt haben und nun achselzuckend behaupten wollen, dass Afghanistan in der Verantwortung der Afghanen sei. Doch dies überzeugt zum einen deshalb nicht, weil die außenpolitische Einmischung des Westens in die politische Situation Afghanistans seit dem Ende der 1970er-Jahre massiv gewesen ist, da die geopolitische Lage Afghanistans im Kalten Krieg von großer Bedeutung war. Und zum anderen würde die völlige Lossagung von Afghanistan nichts als die Leugnung weltpolitischer Verantwortung bedeuten.

Militante Ideologen

Die Taliban übernehmen also nach wenigen Wochen nicht nur die wichtigsten Provinzen und Großstädte des Landes, sondern auch die Hauptstadt Kabul. Mit Kabul zerfällt aber die letzte Hoffnung, die in den vergangenen 20 Jahren gewachsen war. Menschen in Kabul sind erneut Gefangene in ihrem eigenen Land. Und die Taliban fangen mit ihrem Feldzug an, zerstören Häuser, bedrohen Frauen, verhaften Menschen und sind dabei, ihre Schreckensherrschaft über ganz Afghanistan zu etablieren und auszuweiten.

Sie sind nicht bloß eine extreme Strömung, sondern eine ideologische Bewegung, die denk- und pluralitätsfeindlich, frauenverachtend, jede Form der Mehrdeutigkeit, der religiösen Demut, der Offenheit und Freiheit verbietet. Die Taliban sind nicht einfach Muslime, die ihre Religion ideologisiert haben; vielmehr sind sie militante, fundamentalistische Ideologen, die ihre Ideologie islamisieren. Sie meinen mit Gewissheit zu wissen, was die Wahrheit ist, was Gott will und wie sich der Wille Gottes vollstrecken lässt. Diese hybride Hyperreligiosität verrät im Kern alle Tugenden der Religion.

Die Frage ist: Wessen Problem ist Afghanistan? Afghanen selbst leben in mehreren Generationen bereits im Krieg, in Armut und in Gefahr, dass jeder Tag der letzte Tag ihres Lebens sein könnte. Afghanistan wird das Problem aller bleiben, weil sich die internationale Gemeinschaft nicht von Afghanistan lossagen kann. Denn der Terror, der zunächst das afghanische Volk betrifft und die gesamte Region vergiften wird, wird dann erneut global, aber vor allem im Westen spürbar werden.

Wir schauen zu, wie Kabul zerfällt, sehen aber daran den Zerfall an Vertrauen in die Idee Europas, in Wertevorstellungen wie Demokratie und Menschenrechte, die mit unserem Voyeurismus an Wert, an Glaubwürdigkeit verlieren. Denn der Zerfall Afghanistans bedeutet allem voran eine moralische, eine humanitäre Katastrophe.

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Rob Schuberth | Sa., 21. August 2021 - 20:18

Wer hindert denn die Medien daran die Berichterstattung über Taten der Taliban einzustellen?!

Genau, niemand.

Die Medien selbst sind es doch die mit clickbaiting (reißerische headlines) mehr Aufmerksamkeit gerieren will.

Echter Terror(im Westen) wird m. E. zunächst nicht von dort kommen, denn die Taliban werden alle Hände voll zu tun haben um dieses Land halbwegs unter ihre Kontrolle zu bekommen.

Wäre doch int. zu sehen was passiert wenn sich niemand mehr um die Taliban scheren würde.

So so, die Taliban führen seit mehr als 25 Jahren Krieg, weil sie Aufmerksamkeit brauchen...
Wer nach dem Lesen des vorliegenden Artikels immer noch nicht verstanden hat, dass die Ereignisse in Afghanistan auch für Europa Konsequenzen haben, dem ist nicht zu helfen.
Angesichts dieser humanitären Katastrophe zu fordern, die Berichterstattung einzustellen, wäre das nicht auch eine Form von Cancel Culture?
Probleme verschwinden nicht, wenn man die Augen davor verschließt, Herr Schuberth!
Aber gut, ich bin sicher, schon bald erscheint im Cicero wieder ein Beitrag über die wirklich wichtigen Themen, damit man sich an Gendersternchen, Schulschwänzern oder der Frage abarbeiten kann, ob Dieter Nuhr nun ein Kabarettist ist, der den Finger in die Wunde legt oder doch nur ein unterdurchschnittlich begabter Pausenclown.
Mal sehen, was Herr Grau als nächstes vorlegt....

Rob Schuberth | So., 22. August 2021 - 13:55

Antwort auf von Kai Hügle

es ist ok, werter Herr Hügel, dass Sie das anders sehen.
Der alte Spruch: >>Aus den Augen aus dem Sinn<< hat für mich immer noch Gültigkeit. Und nur darauf hatte ich angespielt.

Eine neue Gefahr sehe ich nicht in Terror aus Afghanistan sondern in neuen Forderungen der schwedischen Kommunistin u. EU-Kommissarin Johansson.
Wörtlich sagte Johansson: „Dieser Schutz sollte in legaler, sicherer und geordneter Weise gewährt werden innerhalb des Umsiedlungsprogramms des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR).

Wer jetzt noch das Recexxlementprogramm leugnet u. dessen Kritiker als "braun" bez. der muss sich neu orientieren. Entschuldigen wäre nat. auch möglich.

Sie sehen, es gibt eine Gefahr für Europa, nur ist es eine altbekannte.
Die aber jetzt, so kurz vor der Wahl, weiterhin geleugnet wird.

Bernd Haushalter | Sa., 21. August 2021 - 20:57

"Die Frage ist: Wessen Problem ist Afghanistan? "
Wessen Problem es ist, das werden wir noch erleben. Kaum ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Die Frage ist: Können die Afghanen ihre Probleme selbst lösen? Vielleicht in 100 Jahren?
Eine Chip-Fabrik in Afghanistan, unvorstellbar.

Markus Michaelis | Sa., 21. August 2021 - 23:38

Herr Karimi, Sie schreiben, dass "DIE" Afghanen vom Westen im Stich gelassen, von ihrer Regierung verkauft und von den Taliban bedroht sind. Ansonsten suggerieren Sie, dass die große Mehrheit der Afghanen wohl hinter soetwas wie unserem westlichen Weltbild stünde?

Ich denke, dass müssten wir hier im Westen oder müssten Sie klarer und glaubhafter zeigen, dass wirklich die große Mehrheit der Afghanen hinter unseren Ideen steht und sich freut, wenn wir und unsere Ideen mehr Einfluss in Afghanistan und der Region gewönnen. Bisher habe ich allerdings eher den gegenteiligen Eindruck - nicht nur in Afghanistan, sondern in der ganzen Region und weiten Teilen der Welt.

Für micht liegt da ein wichtiger Punkt: es ist gut sich für die ganze Menschheit einzusetzen und viele Beispiele aufzuzählen, wo Menschen das dankbar annehmen. Am Ende sollte man aber auch zeigen dass wirklich Mehrheiten hinter einem stehen.

Yvonne Stange | So., 22. August 2021 - 00:45

Wieviele "Ortskräfte" sind auch wirklich welche, wieviele Hunderttausende werden unkontrolliert und ohne Papiere einströmen und was werden sie hier tun? Schauen wir uns die Kriminalstatistik und die Ehrenmorde in wenigen Jahren mal an....

Urban Will | So., 22. August 2021 - 07:48

Worin sehen Sie eine „eindeutige Afghanistanpolitik“, die Sie offensichtlich vermissen?
Warum suchen Sie die „Schuld“ an den Zuständen immer nur bei anderen, nicht aber beim afghanischen Volk?
Ja, Ihr Land war seit vielen Jahrzehnten „Objekt“ anderer Mächte und 911 der Anlass für das, was nun so katastrophal endete.
Warum endete es? Warum entschloss sich die größte Militärmacht zum Rückzug? Gestand somit ihre Niederlage ein?
Glauben Sie wirklich, weitere 20 Jahre Präsenz dort in der bisherigen Form hätten irgendetwas geändert? Glauben Sie, die afghanischen Männer dieser „Armee“ wären dann „entschlossener“ gg. d Schlächter vorgegangen?
Sie sind der Fachmann, ich nicht, ich hocke hier in D, schaue mir die Dinge an, ziehe meine Schlüsse.
Aber zurück zur eigentlichen Frage: Warum sind immer andere schuld, nicht Ihr Volk?
Nur wenn das Volk es will, kann eine Demokratie, kann Freiheit wachsen. Das wiederum kann man als Deutscher mit Gewissheit sagen.

Der Hr. Karimi scheint im Geiste ein RotGrüner zu sein, anders kann man seine Einlassungen nicht verstehen.
Das Afghanische Volk hatte 20 Jahre Zeit gehabt, um das zu verwirklichen was Hr. Karimi sich so vorstellt.
Allein sie taten es nicht und arrangieren sich lieber mit den Taliban, es ist ihre Geschichte die sie so vollziehen.

Romuald Veselic | So., 22. August 2021 - 07:57

aus dem Feuer ziehen, mit eigenen Gefallenen im fremden, feindlichen Land, dass mental-mehrheitlich im finsteren Klerikalfeudalismus steckt.
Absolut inkompatibel nach europäischen Standardnormen der Humanität/Toleranz/Friedfertigkeit.
Der Beweis dafür: Scharia Rechtsprechung ist das Gegenteil der Charta der Menschenrechten. Wann begreift man das endlich? Taqiyya (Verstellung) nicht vergessen.
Die 300000 Afgh Soldaten sind nur deshalb der Armee beigetreten, weil dort die allgemeine Versorgung die beste im Afghanistan war. Abgesehen vom Sold, denn man regelmäßig u. zuverlässig Monat für Monat erhielt. Und das Ganze vom wem finanziert?
Wenn jemand so wie im "Westen" leben will, muss gegen die Despoten u. Tyrannen selbst kämpfen, um sich von ihnen befreien. Ähnlich, wie es die Titos Partisanen auf dem Balkan, im 2WK bewerkstelligten. Mit allen Konsequenzen. Den Koranschülern kommt man mit rechtlichen Mitteln nicht bei, um sie auf der geschichtlichen Müllhalde verschwinden lassen.

Wie sagte Joe Biden: „Amerikanische Soldaten können und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und sterben, den die afghanischen Streitkräfte selbst nicht kämpfen wollen.“ Und ja, so sehe ich das auch. Wie viele Jahre oder besser Jahrzehnte wie viele Milliarden sollte der Westen noch in dieses hoffnungslose Land investieren? Keine! Afghanistan muss sich endlich selbst helfen! Oder wie Herr Will schreibt, warum sind immer andere schuld?

helmut armbruster | So., 22. August 2021 - 08:02

Verlässlichkeit und Ansehen. Denn ist der Ruf erst ruiniert...
Jedes Land, das bisher geglaubt hatte es stehe unter dem militärischen Schutz bzw. dem Atomschirm der USA, muss sich jetzt fragen, ob ein solcher Glaube nicht eine Illusion ist.
Auch die BRD vertraut auf die USA als Schutzmacht.
Die Frage ist jetzt ob dieses Vertrauen noch gerechtfertigt ist. Und falls man diese Frage mit nein beantworten muss, muss man sich weiter fragen, welche Alternativen wir haben.
Es darf bezweifelt werden ob unsere derzeitige politische Führung dieses Problem überhaupt erkennt.

Wir selbst sind also ganz direkt betroffen.

A. Friedrich | So., 22. August 2021 - 08:10

Wenn denn keiner einem helfen will oder kann, muss man sich selbst helfen.
Das wird auch Geltung haben für die Menschen in Afghanistan. Für Frauen z.B. wird es nur einen Weg geben, den gleichen, den wir Frauen in der westlichen Welt gegangen sind: aufstehen, kämpfen, und sicher zum nicht zu vernachlässigenden Teil gegen die eigenen Geschlechtsgenossinnen. Der Samen ist gelegt. Es wird mehrere Generationen dauern, auch bei uns sind wir noch nicht "durch".
Artikel wie dieser zeichnen erneut die deasaströse Lage und das Versagen der westlichen Welt nach, mittlerweile hinlänglich bekannt.
Von einem Kenner der Szene hätte ich allerdings erwartet, dass er Möglichkeiten aufzeigt, wie es positiv mit Afghanistan weitergehen könnte, ob und was es jetzt zu tun gibt.

Christoph Kuhlmann | So., 22. August 2021 - 08:55

Die Taliban würden nicht in Wochen Afghanistan zurück erobern können, wenn sie keine Unterstützung in der Bevölkerung hätten. Ich meine jetzt nicht die Stadtbewohner sondern die Menschen in den entlegenen Provinzen, die auch ohne Krieg um ihr Überleben kämpfen. 13 Millionen Afghanen sind bereits von Lebensmittellieferungen abhängig. Die afghanischen Eliten hatten nie einen guten Draht zu diesen einfachen Menschen und die westlichen Medien schon gar nicht. Wir werden wahrscheinlich in der ganzen Region Dürre und Hunger erleben. Dabei wird es sicher weiter Kooperationen und Initiativen der internationalen Gemeinschaft geben. Aber es wird keine demokratischen Mehrheiten dafür geben eine korrupte Kleptokratie im Namen der Demokratie an der Macht zu halten, die keine nennenswerte Unterstützung in der Bevölkerung hat. Denn wie sonst hätten 37 000 Taliban 180 000 afghanische Soldaten und 120 000 Polizisten so leicht besiegen können? Offenbar haben die Hilfsgelder die Soldaten nicht erreicht.

Ernst-Günther Konrad | So., 22. August 2021 - 09:47

Dieses Vertrauen hat es mehrheitlich in Afghanistan nie gegeben. Es mögen einige Frauen tatsächlich den westlichen Traum geträumt haben. Tief im Herzen sind sie aber dem Islam, egal in welcher Lesart tief verbunden und der kommt für alle an erster Stelle. Ihre Religion geht ihnen über alles, auch wenn man dafür mal für 20 Jahre sich den Besatzern beugt und sich durch gespielte Anpassung sein Leben sichert.
"Die Taliban sind nicht einfach Muslime, die ihre Religion ideologisiert haben; vielmehr sind sie militante, fundamentalistische Ideologen, die ihre Ideologie islamisieren."
Ich frage Sie mal: Ist der Islam so friedlich, wie er uns hier im Westen verkauft werden soll? Ist der Islam nicht für sich gesehen eine religiöse Ideologie und die Unterschiede und Kämpfe innerhalb der verschiedenen Islamauslegungen sind das Problem und die Einstellung zur Frau und der Scharia? Warum hat die Armee nicht gekämpft? Warum "flüchten" gerade junge Männer, anstatt ihr Land und Frauen zu verteidigen?

Gerhard Lenz | So., 22. August 2021 - 10:32

Doller Satz, so einfach daher geplappert.

Genauso, wie die angebliche Erkenntnis aller vermeintlichen Afghanistan-Experten, die Mehrheit der Menschen dort würde den Taliban gar mit Sympathie begegnen. Weil die afghanische Armee einem (aus ihrer Sicht nicht zu gewinnenden) militärischen Kampf ausgewichen ist. Was für zahlreiche Afghanen - vielleicht - als kleinere Not erschien - wird hier in diesem Forum natürlich zur bereitwilligen Kollaboration mit den Steinzeitterroristen.

Und sowieso interessiert ja nur die Frage, wieviele von Tod bedrohte Menschen wohl hierherkommen - und natürlich nicht willkommen sind.

Afghanistan ist jetzt wieder ein Feldversuch für die Umsetzung des radikalen Islams. Zwangsläufig wird das Land Terroristen anziehen, die dort den Siegeszug der Taliban als Fingerzeig werten, man müsse nur energisch genug die Ungläubigen überall auf der Welt bekämpfen.

Kapiert der gemeine Wutbürger natürlich nicht. Sind ja auch nur irgendwelche Moslems.

tun immer nur die anderen, gell?
Ein Kampf 300 000 gut ausgerüstete Soldaten gg. 50 oder 100 000 oder wieviele auch immer Steinzeit – Islamisten auf Mopeds ist „aussichtslos“? Aha.
Sie sind also auch ein „Militär – Experte“?
Anscheinend. Lassen Sie doch auch immer wieder durchklingen, man hätte dort bleiben sollen. Sie spotten ja auch gerne über Lafontaine u.a., die mit d Taliban verhandeln wollten.
Nun, Sie mögen Recht haben, verhandeln werden die nicht. Dann klopfen Sie doch mal bei AKK und Biden an und sagen denen, sie sollen ein paar Divisionen Kampftruppen da runter schicken und „aufräumen“, da die afghanischen Männer nun mal ihre Energie für andere Dinge brauchen (so etwa, um nach D zu gelangen)
Und ein Experte in Sachen Einschätzung, wer denn genau vom „Tod bedroht“ ist (und somit in D aufgenommen werden soll, also quasi alle „Nicht – Taliban“) sind Sie auch? Also her damit? Ein paar Milliönchen mehr machen dann auch nichts mehr aus, oder?

Carola Schommer | So., 22. August 2021 - 10:47

ist es eine humanitäre Katastrophe ja. Aber was in 20 Jahren nicht gelang, gelingt auch nicht in 25 oder 30 Jahren. Wie lange sollen denn die westlichen Mächte in Afghanistan etwas aufrechterhalten, was sofort wie ein Kartenhaus zusammenbricht, sobald man einmal wegschaut ?

Sie können in keinem Land eine Demokratie aufbauen, indem die Mehrheit der Menschen noch nicht einmal lesen kann.

Manfred Bühring | So., 22. August 2021 - 11:58

Der unsägliche Zustand Afghanistans ist in erster Linie auf das totale Versagen der einheimischen Eliten zurückzuführen. Die städtischen Eliten in Kabul lebten in den 70er und 80er Jahren ihren westlich geprägten Lebensstil ohne jedwedes Verständnis für die Probleme der überwiegend ländlichen Bevölkerung. Erst daraus entwickelten sich die islamischen Bewegungen erst der eher gemäßigten Mudjahedin, dann der radikal-islamistischen Taliban. Sie holten die Landbevölkerung bei ihren Problemen ab, während die Eliten sich weiter am westlichen Lebensstil und den üppig fließenden Gelden bedienten (siehe hierzu eine hervorragende 4-teilige Doku in der ARD-Mediathek). Der (europäische) Westen wird natürlich über die Flüchtlingsströme weiter mit Afghanistan "verbunden" bleiben. Der Rest wird aber schnell aus dem medialen und politischen Bewußtsein verschwinden.

Die Mudjahedin, die höchstens im Vergleich zu den Taliban als moderat bezeichnet werden können, entstanden und erstarkten in der Zeit der sowjetischen Besatzung.

Sie dürfen sich informieren: Die prokommunistische Fraktion putschte gegen einen links-nationalistischen Regierungschef. Unruhen waren die Folge.

Wie üblich in jenen Zeiten, rief die kommunistische Regierung die sowjetischen Brüder zu Hilfe. Die versuchten, eine in Traditionen gefangene Landbevölkerung mit Zwang ins 20. Jahrhundert zu befördern, und dies ohne jegliche Rücksicht auf ihre religiös bedingte Lebensweise.

Das war selbstverständlich Wasser auf die Mühlen fast aller Muslime, für die der heilige Krieg gegen die Ungläubigen zur Pflicht wurde.

Wenn man heute über das "unrettbare" Afghanistan lamentiert, sollte man den Beitrag der Russen bzw. Sowjets nicht vergessen.

Ellen Wolff | So., 22. August 2021 - 13:29

Der Westen verrät immer dann seine Werte, wenn er direkt oder indirekt korrupte Regime unterstützt. Also, am besten raushalten, und andere Völker selbst entscheiden lassen, wie sie leben wollen. In Ländern, die durch Clanstrukturen geprägt sind, wird der Krieg aller gegen alle erst enden, wenn die Menschen sich von diesen archaischen Strukturen emanzipieren und anfangen sich für ein friedliches Miteinander einzusetzen.

Christian Haustein | So., 22. August 2021 - 17:03

Eine wirklich le Chance gibt es in Afghanistan nicht. Man müsste schon mit ähnlicher Härte wie gegen die Nazis vorgehen. Zur Not mit verbrannter Erde, einer bedingungslosen Kapitulationoder einem Atombomben Abwurf, wie über Hiroshima, um seine Macht zu demonstrieren... Wer möchte dies und wie möchte man das rechtfertigen? Anders ist ideologisierten Menschen nicht beizukommen, die für ihren Glauben sterben. Es ist besser einen großen Bogen um den Nahen und mittleren Osten zu machen. Keine Medizin, keine Hilfslieferungen oder sonstige Unterstützung. Solange sich die Leute über Wasser halten müssen, haben sie keine Chance sich übermäßig zu vermehren und zu expandieren. Ich wüsste nicht, dass es einen islamischen Nobelpreisträger gegeben hätte. Wenn man die Menschen vom technologischen Fortschritt abschneidet geht ihnen ganz schnell die Luft aus, schade für die Menschen, aber ansonsten subventioniert man noch indirekt den Islamismus.

Jochen Rollwagen | So., 22. August 2021 - 19:59

Hat so viele Sprünge, da flieht die Nadel vom Tonabnehmer. Angefangen von der angeblichen Beteiligung Afghanistans an 9/11 über die "Demokratisierung" bis zur Mär von den Taliban als Fremdkörper in Afghanistan bis hin zu den "Tugenden" des Islam. Die Taliban sind in den Islamschulen in Pakistan groß geworden, finanziert von Saudi-Arabien wo heute noch Hinrichtungen stattfinden. Da staunt der Herr Professor.

Aber wahrscheinlich muß man solche Märchen erzählen um in D-Land eine Professur abzugreifen.