
- Bye Bye, Bürgertum
Der Westen ist im Umbruch. Amerika nimmt wenig Rücksicht auf Freunde und Feinde. Das bekommen jetzt alle Staaten zu spüren. Doch was bedeutet „America first“ für die Mittelschicht? Wie zu vermuten steht, nichts Gutes.
Schon die Amtseinführung Donald Trumps machte deutlich, welche Menschen in seiner besonderen Gunst stehen. Während bei der Inauguration von John F. Kennedy immerhin noch der amerikanische Dichter Robert Frost einige denkwürdige Verse sprechen durfte, ging es bei Trump wesentlich prosaischer zur Sache. Im engsten Kreise stand ein Dutzend Geschäftsleute und Milliardäre, die eine undurchdringliche Phalanx um ihn bildeten. Zwei dieser Geldprätorianer stachen heraus, Elon Musk und Bernard Arnault, Großaktionär und CEO der größten Luxusholding der Welt. Der reichste Amerikaner und der reichste Europäer huldigten dem mächtigsten Mann der Welt. Die primitive Offensichtlichkeit dieser Szene ist kaum steigerungsfähig.
Die Dominanz des schweren Geldes ist in dieser völlig ungeschminkten Form etwas Neues, zumindest in demokratisch verfassten Gemeinwesen. Erstmals wurde der „oligarchische Schatten der Demokratie“ (Alexandra Eckert) öffentlich sichtbar. Nabobs buhlen um die Gunst des politisch Einflussreichsten. So entsteht ein neuer Hofstaat, der mit der sozioökonomischen Lebenswirklichkeit der restlichen Welt nichts zu tun hat. Aus dieser Perspektive heraus hat auch ein Ruinenfeld am südöstlichen Mittelmeer das Potenzial zu einer neuen Riviera.
Ein maximal disruptiver Aktivismus
Trumps zweite Präsidentschaft steht für den markanten Übergang vom ökonomischen Konsumismus zum politischen Klientelismus. Die gewohnten neoliberalen Konzepte mit ihrer Tendenz zu staatlicher Deregulierung werden seit der Unterzeichnung der ersten präsidialen Dekrete von einem maximal disruptiven Aktivismus abgelöst, der lediglich in der Politik, nicht aber in der Digitalwirtschaft, überrascht. Wer neue Märkte erobern will, muss die alten durchrütteln und zerstören. „Creative destruction“ lautet das von dem Ökonomen Joseph Schumpeter übernommene Mantra.
Genau dieser Mechanismus der „schöpferischen Zerstörung“, an dessen Ende eine enorme Akkumulation von Marktmacht steht, überträgt die amerikanische Regierung nun auch auf die eigene Politik. Verträge und Absprachen gelten bloß, solange sie einseitig nützlich sind. Grönland und Panama, das ist lediglich der Anfang. Nur konkurrierende Großmächte wie China oder Indien können sich erlauben, nicht zu kooperieren oder gar eigene Wege zu suchen. Europa, eine chaotische Ansammlung politisch uneiniger Mittelmächte, gehört nicht zu diesem Kreis. Der Kotau europäischer Politiker hat bereits begonnen.
Prekarisierung der Middle Class
Bekanntlich fackelt die neue Trump-Administration auch innenpolitisch nicht lange, um ihre Agenda auszurollen. Bundesbehörden werden aufgelöst, Gehaltszahlungen eingestellt, die Ministerialbürokratie ausgehöhlt. Kritische Diskursfähigkeit und professionelle Distanz sind in diesem Modell nicht vorgesehen und werden negativ sanktioniert.
In der neuen Hierarchie ist kein Bedarf für Spezialisten und Experten – den typischen Vertretern der akademisierten bürgerlichen Mittelschicht. Die willigen Vollstrecker von Trumps Agenda sind Mitte Zwanzig und kommen aus dem Umfeld des Tech-Entrepreneurs Peter Thiel. Sie haben nichts zu verlieren und viel zu gewinnen. Junge rücksichtslose Männer mit vermeintlich großer Zukunft sind das komplette Gegenteil zu den langsam ergrauenden Vertretern der Mittelschicht, die ihr Eigenheim noch immer mühselig aus ihrem Erwerbseinkommen abbezahlen. Auch sie haben mittlerweile verstanden, dass nicht Arbeit, sondern nur Besitz wirklich reich macht. Womöglich eine frustrierende Erkenntnis – sie gehören nicht länger zu den Gewinnern des Kapitalismus.
Der tiefste Quell ihres Konformismus
Die ökonomische Erpressbarkeit der bürgerlichen Mittelschicht ist beides zugleich, ihre stärkste disziplinierende Kraft und der tiefste Quell ihres Konformismus. Ihre nicht nur in den Vereinigten Staaten zu beobachtende panische Hilfslosigkeit gibt einen ersten Vorgeschmack, was Europa blüht. Während Trump und seine Administration frei agieren und versuchen, ihren Handlungsspielraum vor nationalen Gerichten durchzusetzen und sogar auszudehnen, stagnieren die Mitglieder der Mittelschicht in einer Welt des galoppierenden Wandels. Anders gesagt, das Bürgertum hat aufgehört, die dominierende oder auch bloß mitgestaltende gesellschaftliche Kraft zu sein.
Dieser „Prozess der sozialen Regression in den einstmals stabilen Beschäftigungslagen“ (Luc Boltanski) ist weniger eine Frage von politischer Loyalität und Illoyalität. Vielmehr folgt er der neuen ökonomischen Logik, in welcher die bürgerliche Mittelschicht einfach nicht mehr relevant genug ist, um die politische Agenda zu bestimmen.
Nicht das Gleichgewicht – die Mitte und ihre gesellschaftlichen Akteure – ist entscheidend, sondern allein das Gewicht von Größe und Durchsetzungsfähigkeit. Während sich die Mittelschicht in einer bestenfalls auskömmlichen Einkommensklasse abarbeitet, kämpfen die politischen und ökonomischen Schwergewichte längst in einem ganz anderen Ring. Gewogen und zu leicht befunden: Bemühungen, die auf Ausgleich, Gerechtigkeit, Partizipation und dergleichen mehr abzielen, werden hier rigoros abgeschmettert. Die moralischen Werte und kulturellen Fetische der Mittelschicht wirken im Angesicht der neuen politischen Dynamik geradezu absurd. Glaubt jemand noch ernsthaft, dass wir im Zeitalter der Toleranz und des Respekts, der Gerechtigkeit und Chancengleichheit leben?
Die neue Lust an der Disruption
Disruption als Konzept ist nicht nur in den Vereinigten Staaten zu beobachten, sondern hat längst auch auf Europa übergegriffen. Rechtsnationale Bewegungen sind das Erdbeben in der gewohnten Parteienlandschaft ihrer jeweiligen Länder. Nationaler Partikularismus wirkt disruptiv auf transnationale Strukturen. Das wird am momentanen Zustand der Europäischen Union wohl deutlich. Auch die europäischen Mittelschichten steuern auf ein für sie unlösbares Dilemma zu. Ökonomisch werden sie immer abhängiger von oligarchischen Strukturen – zugleich verweigern sie sich den gesellschaftlichen Konsequenzen dieser neofeudalen Verhältnisse. Zum ersten Mal zeigt sich, dass sich ihr hemmungsloser Opportunismus gerade nicht für sie auszahlt.
In seinem Gedicht zu Kennedys Inauguration schrieb Robert Frost reichlich naiv von einem „golden age of poetry and power“, dem „Goldenen Zeitalter der Dichtung und der Macht“. Ein kolossaler Irrtum. Mit Trumps Amtsantritt hat ein wahrhaft Titanisches Zeitalter begonnen, welches Macht und Geld, Technologie und rohstoffreiche Territorien, Medien und Diskurshoheit in den Händen Weniger konzentriert. Differenzierung und Zögerlichkeit, die Philosophie des „Ja, aber“ und des „Sowohl als auch“ haben fürs erste ausgedient. Allerdings stehen auch Maß und Mitte in dieser neuen maximalistischen Welt des „Great again“ auf der Verliererseite. Nichts ist so morsch und einsturzgefährdet wie ein Gesellschaftsmodell der Vergangenheit: das Bürgertum wird überrollt, ohne es selbst zu bemerken.
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aber betreiben Klaus Schwab und die EU eben das nicht schon seit ungefähr drei Jahrzehnten mit wachsender Begeisterung?
Insofern kann man Trump auch als einen etwas aus der Zeit gefallenen bürgerlicher Underdog sehen, der den übergriffigen Staat zurückstutzt und die neofeudalen Kidnapper der höheren Moral decouvriert.
Das liest sich düster, so als ob die bürgerliche Seite der USA ins Nirgendwo verschwand. Ein neuer schwarzer Börsentag und all die Herrlichkeit steht zur Disposition. Wenn der Masse das Geld ausgeht und nötige Arbeit nicht verrichtet wird, sind auch ein Messias und seine Jünger für dessen Anhänger nicht sakrosankt.
An dem, was Dr. Pietzcker da schreibt, ist m. E. etwas dran. Trump und seine "Mitstreiter" folgen strikt der Devise "America first" und das geht wohl nur auf dem "American way of life" in Amerika! Solange sich aber die Europäer weiter sinnlos um ein Halbinsel im Schwarzen Meer die Köpfe einschlagen wollen statt zu einer sinnvollen Einheit aus Staaten, die sich halt in Gottes Namen anders konstituieren als die Bundesstaaten der USA, wird das nichts. Dazu wäre eine EWG a la Konstrukt 1957 oder auch einer EG a la 1967, einem System aus sich selber finanzierenden autarker aber kooperierender Bundesstaaten besser geeignet. Das hat nämlich im Unterschied zu dem heutigen 2000 oktroyierten zentralistisch überbürokratisierten korrupten Brüsseler Gebilde, in dem jeder alles und nichts zu bestimmen hat, funktioniert! Es ist m. E. einfach falsch, ein sich seit 2000 Jahren natürlich entwickeltes Staatensystem mit einem "Jungspund" wie den USA vergleichen zu wollen. USA ist eben nicht Europa!
Erwähnenswert ist, dass die Disruption und Entkopplung bereits lange vor Trump begonnen haben.
Die aktivistische Linke hatte begonnen, sich den Staat zur Beute zu machen und im großen Stil Steuergelder für ihre Projekte umzuleiten.
So wurden enorme Summen in Genderprojekte investiert, die kein Mensch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehen konnte. Es setzte eine Entkopplung von Wahrnehmung und veröffentlichter Meinung ein.
Auch die Aushöhlung des Vertrauens in vermeintlich sichere Institutionen begann lange vor Trump. Es war Obama, der die Unschuldsvermutung an den Universitäten aushöhlte, indem er für sexuelle Übergriffe eine Art parallele Justiz einführte, in der keine Unschuld existierte.
Maßnahmen wie diese zerstörten das Vertrauen junger Menschen und weniger Privilegierter in den Staat.
Trump nutzt diesen enormen Vertrauensverlust, der lange vor ihm – und aus guten Gründen – begann, um seine Agenda durchzusetzen, er ist nicht der Erfinder der Staatszersetzung.
Grüße
"Glaubt jemand noch ernsthaft, dass wir im Zeitalter der Toleranz und des Respekts, der Gerechtigkeit und Chancengleichheit leben?"
Da müssen wir nicht auf die USA blicken. In D gelten für ca. 20% der Wahlberechtigten Worte wie Toleranz, Respekt, Gerechtigkeit und Chancengleichheit genau N i c h t s! Führende aktuell regierende Politiker schließen diese 20% definitiv von jeder Mitwirkung aus und nennen das Demokratie. Mehr Undemokratie geht nicht.
Wirklich, aber die neuen beängstigenden Zustände sind ja nicht vom Himmel gefallen. Sie sind jedenfalls in Deutschland die Folge einer zunehmend unproduktiven, von der eigenen moralischen Vortrefflichkeit besoffenen pseudo-intellektuellen Mittelschicht, die sich mit Firlefanz à la Gendern, Transen-Verehrung, Fernstenliebe und Verpäppelung staatlich anerkannter Opfer-Entitäten die Zeit vertrieb und ungerührt zusah, wie wachsende Teile der unteren Mittelschicht immer weiter abrutschten und die Schattenseiten der ihnen aufgezwungen bunten Traumwelt zu schmecken bekamen. Da, wo das Wirtschaftswunder langsam aber sicher auslief. Jetzt kommt es gerade für die Deutschen knüppelsdick und da wir wegen eines gewissen Vogelschisses unserer Geschichte- der in Wirklichkeit ein riesiger Elefantenfladen war- außer dem Stolz auf unser Wirtschaftswunder praktisch nichts haben, auf das sich unser Nationalstolz noch stützen kann, sehe ich mit dem Ende dieses Wunders rabenschwarz für unser Land.
Aha, Philosophie, wie Habeck, und lässt ähnlichen Schwachsinn los. Die Mittelschicht hat doch nach wie vor unter diesem linksgrün versifften ideologischen Schwachsinn zu leiden. Das wird erst besser, wenn dieses ganze Gesindel in der Versenkung verschwinden ist. Trump ist ein Mann der Mittelschicht und nachweislich auch mehrheitliche von dieser gewählt worden. Da ist das Studium der Geschichte wohl etwas zu kurz gewesen oder im Kopf gar nicht erst angekommen.