Illustration: Dominik Herrmann

Kandidieren leicht gemacht: Kleiner Ratgeber für Wahlbewerber - Teil 2: Wenn es knapp wird

Im Wahlkampf kommt es auf Events an, auf den richtigen Kandidaten – und natürlich auf eine Wahlkampagne, die wirkt. Dabei geht es einerseits um die lange vorbereitete Parteiwerbung. Andererseits um die Reaktionsfähigkeit, wenn etwas passiert.

Autoreninfo

Hans-Peter Bartels ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er war seit 1998 SPD-Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 2015–2020.

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Noch ist alles offen. In allen Parteien laufen gerade die Nominierung der Wahlkreiskandidaten und die Aufstellung von Landeslisten zur Bundestagswahl im September 2025 an. Zudem wollen nach den ostdeutschen Landtagswahlen nicht nur zwei oder drei, sondern diesmal gleich vier Parteien eigene „Kanzlerkandidaten“ aufstellen: SPD, CDU/CSU, Grüne und AfD. Das heißt volles Risiko! Denn Wahlergebnisse und Umfragen der letzten Jahre gleichen einer Achterbahnfahrt, immer schneller geht es auf und ab.

Aber es gibt nicht nur Ungewissheit, sondern auch gewisse Gesetzmäßigkeiten und Erfahrungen im Kampf um den Wahlsieg. Unser Experte Dr. Hans-Peter Bartels hat ein paar davon zusammengestellt. Sie erscheinen in den kommenden Wochen als dreiteilige Serie auf cicero.de. Bartels ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er war selbst von 1998 bis 2015 SPD-Bundestagsabgeordneter, fünfmal direkt gewählt, danach bis 2020 Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. In diversen Veröffentlichungen hat er sich mit Funktionsweise und Fehlentwicklungen des politischen Betriebs in Deutschland beschäftigt, zuletzt erschien von ihm 2021 „Unsere Demokratie“ (Dietz-Verlag).

Genialer Wahlkampf kann den Unterschied machen. Man weiss es vorher nicht. Die Ausgangslage mag aussichtslos erscheinen – und dann versinkt die Konkurrenz in einer Parteispendenaffäre, dann kommt das Elbehochwasser, kommt die Absage an ein militärisches Abenteuer der USA, dann lacht der Gegenkandidat an unpassender Stelle. Auf einmal könnte alles sich drehen. Wenn man die Gelegenheit nutzt.

Dinge geschehen. Von Harold Macmillan, dem früheren britischen Premierminister, ist eine unschlagbare Antwort überliefert auf die Frage, was das Schicksal seiner konservativen Regierung entscheide. Er sagte: „Events, dear boy, events!“ Ereignisse. Und Olaf Scholz sagte einmal, und zwar bevor er zum Kanzlerkandidaten der SPD erwählt worden war, der „richtige“ Kandidat könne einen Unterschied von 10 Prozentpunkten ausmachen. Was er dann selbst bewies.

Also, darauf kommt es an: auf Events, den richtigen Kandidaten – und natürlich auf eine Wahlkampagne, die wirkt. Dabei geht es einerseits um die lange vorbereitete Parteiwerbung, um Farben, Slogans, Plakate, Flyer, Symbole (Merkel-Raute!), die Inszenierung der Spitzenkandidaten-Person. Und andererseits um die Reaktionsfähigkeit, die Schlagfertigkeit, wenn etwas passiert.

Das klang weltfremd

Legendär wurden Gerhard Schröders hohntriefende Zitate über einen „Professor aus Heidelberg“, den hochangesehenen Verfassungsjuristen Paul Kirchhof, der als Mitglied in Angela Merkels erstem Kompetenzteam eines Tages öffentlich Steuerberechnungen für Mütter „mit 1,3 Kindern“ angestellt hatte. Das klang weltfremd, von oben herab, professoral: fortan ein Running Gag bei allen Schröder-Auftritten. Fast hätte der kämpfende Kanzler die vorgezogene Wahl 2005 doch noch gewonnen. Union und SPD trennte am Schluss gerade ein Prozentpunkt.

In der Endphase des ebenfalls extrem knappen Bundestagswahlkampfes 2002 (die SPD lag am Wahlabend 6000 Stimmen vor Edmund Stoibers CDU/CSU) war das beliebteste Give-away ein Aufkleber ohne Parteilogo mit einem Satz in schönstem Ruhrpott-Deutsch: „Ich wähle Doris ihren Mann seine Partei.“ Geradeaus, hintersinnig, fast feministisch. Doris Schröder-Köpf ging übrigens später selbst in die Politik.

Eher nach hinten los ging bei Helmut Kohls letztem Wahlkampf 1998 eine CDU-Aktion, die ich in einem Kieler Stadtteil beobachten konnte. Der dortige Ortsverband hatte eine Wagenladung Kohlköpfe bestellt. Während am Nachbarstand die SPD wie immer am letzten Samstag vor der Wahl Rosen verteilte, versuchten die Christdemokraten nicht auf ihrem beziehungsreichen Gemüse sitzenzubleiben. Als dann alle Rosen verschenkt waren, half die sozialdemokratische Standbesatzung den lieben Kollegen von der anderen sympathischen Volkspartei beim Verteilen, gemeinsame Parole: „Der Kohl muss weg!“

Das fanden dann alle ganz witzig, denn der Wahlkampf war da längst gelaufen, der Erdrutsch Richtung Rot-Grün nur noch eine Sache von Stunden. Aber Vorsicht: Wäre Helmut Kohl der wahrscheinliche Sieger gewesen, hätte die Kohlkopf-Aktion durchaus funktionieren können! Cool und Kult ist immer eine Frage der Umstände.

Nicht anbiedern

Eine Regel, die ich in vielen Wahlkämpfen gelernt habe, lautet: Der Wahlkampf muss uns selbst Spass machen. Bloss pflichtschuldige Aktionen oder dem Kandidaten persönlich unangenehme Köder-Manöver, die nur dem „Fisch“ schmecken sollen, sind sinnlos. Wähler sind keine Fische, sie durchschauen Manöver, wollen nicht geangelt werden, sondern sie wollen überzeugt werden. Da ist es besser, wenn die Wahlkämpfer Dinge tun und sagen, von denen sie selbst überzeugt sind, die zu ihnen passen, die eine gute Stimmung vermitteln.

Eine lokale Kandidatin, die klassische Bildung und analoges Bücherlesen wichtig fand, sammelte einmal eine ganze Truppe prominenter Gleichgesinnter und „besetzte“ eine Promenadenstrasse mit Literatur: Alle 50 Meter saß auf einem Hocker ein Vorleser mit einem Buch seiner Wahl, dahinter (damit es auch optisch auffiel) ein Wahlkampfhelfer mit einem aufgespannten roten Regenschirm. Davor sammelte sich schnell entzücktes Publikum. Das sah gut aus, machte Spass und kam gut an. Kosten: keine. Sympathiegewinn: hoch.

Wahlkampf muss selbstbewusst sein. Vor allem geht es um Themen und Haltung, um persönliche Glaubwürdigkeit und Souveränität. Dass Wähler sich in erster Linie für das Kleingedruckte in Wahlprogrammen interessieren, ist eine total irreführende Legende. Die tausend Spiegelstriche in den Programmen sind vielmehr der Brennstoff für die Hölle der Koalitionsverhandlungen.

Die FDP als traditionell eher „kleinere“ Partei versucht es regelmässig mit Provokationen, was allerdings den Eindruck erweckt, sie hätte Angst, sonst gar nicht wahrgenommen zu werden. Tatsächlich werden die Liberalen oft als Korrektiv, als Mehrheitsbeschaffer für gewünschte Koalitionen, kurz: als Funktionspartei gewählt. Oder eben nicht. Da können ihre Kandidaten bei den jetzt kommenden ostdeutschen Landtagswahlen Kopf stehen – wenn die FDP für die Regierungsbildung absehbar keine Rolle spielt, werden sie nicht gewählt.

Allgemein gilt, Kandidaten sollten sich nicht anbiedern, gar keiner Wählergruppe. Sie dürfen aber gern ausdrücklich darauf hinweisen, dass sie nicht die Absicht haben, sich anzubiedern. Keine Anbiederung ist es, sich vorher zu überlegen, was für ein Bild die Wähler eines Wahlkreises von einem akzeptablen Repräsentanten haben. Vielleicht lässig, locker, freizeitmässig? Oder mit Fahrrad und Helm? Ein Jogger mit Hund? Einer wie Du und ich? Oder einer, der fleissig arbeitet, dem man anmerkt, dass er weiß, dass es eine Ehre ist, 200.000 Menschen im nationalen Parlament zu vertreten? Es ist kein „Job“, keine Spielerei, kein Selbstverwirklichungstrip.

Repräsentation hat, was gern übersehen wird, zwei Seiten: Die Wähler sollen ihren Abgeordneten kennen. Und der Abgeordnete sollte sich für die Wähler interessieren. Denn er repräsentiert immer auch „die Öffentlichkeit“, der wichtig ist, zu wissen, was für Probleme oder Erfolge es in diesem Industriebetrieb oder in jenem Krankenhaus gibt. Wer Angst vor Nähe und wenig Interesse an seinen Mitmenschen hat, dürfte es als Direktwahlkandidat schwer haben.

Analog oder digital?

Vor jedem Wahlkampf wieder wird in Parteien und Medien darüber philosophiert, ob es denn wirklich noch dieses altertümliche Werbemittel „Plakat“ brauche. Oder jedenfalls so viele. Diese Debatte ist reine Zeitverschwendung. Die Plakate und ihre Botschaften sind oft das Einzige, was ein Teil unserer Mitbürger überhaupt vom Wahlkampf mitbekommt. Fragt man Wähler nach den Themen der Parteien, kommen regelmässig die Parolen vom Straßenrand. Desgleichen, wenn man Gründe für die Wahlabsicht abfragt. Und wo nur die AfD Plakate hängen hat, sind die anderen Parteien auch nicht präsent. Hallo Ostdeutschland!

Noch eine Geschichte aus meiner eigenen allerersten Kampagne: Bei einsetzender Dunkelheit befestigten wir am ersten Abend, an dem das erlaubt war, unsere Plakate an den Laternenmasten der Stadt, manchmal nicht ganz ungefährlich bei laufendem Verkehr. Was mich zunehmend wütend machte, war das häufige Hupen der vorbeifahrenden Autos. Glaubt Ihr etwa, wir machen das hier aus Jux und Dollerei, dachte ich. Dann schaute ich einmal ins Auto, als wieder einer hupte. Der Fahrer hob den Daumen. Da verstand ich erst, sie feuerten uns an, Wechselstimmung!

Jedem, der seine Wahlwerbung plant, sollte eines klar sein: Social Media ersetzt keine Plakate, keine Hausverteilungen mit Kandidatenbriefen und keine Infostände fürs persönliche Gespräch. Aber die Präsenz auf allen Kanälen des Netzes gehört inzwischen dazu, und zwar mit möglichst wenig Peinlichkeiten. Deshalb sollte auch kein unbeaufsichtigter Praktikant für den Social-Media-Auftritt verantwortlich sein – jeder Unsinn kann zu einem negativen „Event“ werden. Deshalb ist von nächtlichen oder trunkenen Ad-hoc-Äußerungen des Kandidaten auf der Plattform X dringend abzuraten. Die Zielgruppe ist auch längst nicht mehr nur irgendeine hippe Klischee-Jugend, sondern die ganze erwerbstätige Erwachsenenwelt bis ins Pensionsalter.

Ein Glaubwürdigkeits-Desaster

Wahlkämpfer sollten übrigens grundsätzlich auch die Materialien der eigenen Partei mit einer gewissen Vorsicht genießen. 2005 gab es zum Beispiel empörte SPD-Plakate mit der Zeile „Mehrwertsteuer ist Merkel-Steuer“, weil die CDU beabsichtigte, nach einem Wahlsieg die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte zu erhöhen – was die SPD im Wahlkampf ablehnte. In meinem Wahlkreis hängten wir diese Plakate allerdings vorsichtshalber gar nicht auf. Und tatsächlich, kaum war die Wahl gelaufen, einigten sich CDU/CSU und SPD in den Verhandlungen zur Bildung einer Großen Koalition auf eine Mehrwertsteuer-Erhöhung – nicht um ein, nicht um zwei, sondern, wenn schon, denn schon, gleich um drei Prozentpunkte. Ein Glaubwürdigkeits-Desaster.

Inzwischen ist das Kriegsgeschichte. Wobei: Über politische Glaubwürdigkeit nachzudenken, lohnt sich vor Wahlen und nach Wahlen und eigentlich immer. Denn Glaubwürdigkeit ist das Wichtigste. Vielleicht hat es die Ampel-Koalition gegenwärtig auch deshalb so schwer.

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Enka Hein | Mo., 5. August 2024 - 17:35

....kann ich jetzt aus dem Text ziehen?
Keine Ahnung.
Eine Abhandlung über Magellansche Wolke hätte hier besser gepasst.
Da geht's nämlich zwei Zwerggalaxien. Und zu solchen Zwergen werden die Roten und Grünen demnächst im Osten gemacht.
Der dritte im Bunde ist längst im schwarzen Loch verschwunden.
Man kann nur hoffen das die 2 anderen es dahin ein auch noch irgendwie schaffen. Ich drücke fest die Daumen.
Die Demokratie lebt im Osten. Der Westen ist desaströs dekadent und hat von dem Ampel gehampel nichts gelernt.

Enka Hein | Mo., 5. August 2024 - 17:39

...und empfiehlt mit einem blauen(!) Kreuz was zu tun ist. 😜
Der ist schlauer als Millionen Deutsche.

Danke für den Hinweis werte Frau Hein. Ich hatte es wirklich noch
nicht bemerkt. Wie der Autor es meinte, ist mir leider nicht richtig
klar geworden. Aber den zweiten Beitrag empfand ich weniger
polemisch als den Teil 1, der sachliche Inhalt ist eigentlich unstrittig.

MfG

Ingofrank | Mo., 5. August 2024 - 17:54

Kandidaten*in aufzustellen.
Da dürfte dann der alte HB Spruch wirken ….
„wer wird denn in die Luft gehen, wähle einfach …… dann geht alles wie von selbst“ 😂
Lasst doch die 15% Partei SPD ihren Fortschrittskanzler ins Rennen schicken und den Vize- Kanzler von der Grünen Sekte mit hoffentlich näher an den 5% als die 10% sich die Finger verbrennen.
Und der Erklär- Bär von der CDU falls nominiert, der meint man müsse halt den Ostdeutschen mehr erklären damit sie’s verstehen, hat sich im Osten längst ins Abseits geschossen zumal er eine Koalition mit der Sekte nicht ausschließen wird.
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Wenn man sich in Umfragen bei knapp unter 20 % bewegt und die
Wettbewerber bei 10, 15 bzw. 30 %, sollte man schon einen eigenen
Kandidaten aufstellen, dass gehört sich eigentlich auch den eigenen
Wählern gegenüber, die ja eine Änderung wollen.

Kleine Scherzfrage: Haben Sie sich jetzt ins Genderlager verirrt?

Gruß nach Thüringen

Ernst-Günther Konrad | Di., 6. August 2024 - 09:45

Nette Anekdoten vergangener Wahlkämpfe, aber für mich ohne potenziellen Nährwert. Ich fest davon überzeugt und die Landtagswahlen geben einen Vorgeschmack für die BT-Wahlen 2025, die etablierten Parteien werden in Anlehnung an den amerikanischen Wahlkampf jede Schmutz Kampagne gegen die AFD fahren, die ihnen einfällt. Recht und Gesetz, Anständigkeit und Fairness werden ignoriert. Und die Wähler werden das immer mehr auch tun und diese Lügner und Betrüger ächten.