Inspiration für Thomas Manns Roman: Sanatorium Schatzalp mit Blick auf Davos, Postkrate von 1905 / dpa

100 Jahre „Zauberberg“ - Beklemmend aktuelles Kammerspiel

Vor 100 Jahren, im November 1924, erschien Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“. Er schildert eine Welt des Zerfalls und des verzweifelten Lebenshungers sowie eine Gesellschaft, die nur noch selbstmitleidig um sich selbst kreist.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Wir schreiben den 30. Juli 1907, als der angehende Schiffbauingenieur Hans Castorp seinen Cousin Joachim Ziemßen von Hamburg aus im Lungenheilsanatorium Berghof in Davos besucht. Drei Wochen gedenkt Castorp zu bleiben. Es werden daraus sieben Jahre. Erst am 30. Juli 1914 reist Castorp wieder ab, hinunter ins Flachland und hinein in das Gemetzel des Ersten Weltkriegs, „das arge Tanzvergnügen“, wie es der Dichter und Chronist der Ereignisse mit dem ihm eigenen Zynismus nennt.

Und er fährt fort: „Lebewohl, Hans Castorp, des Lebens treuherziges Sorgenkind! Deine Geschichte ist aus. Zu Ende haben wir sie erzählt; sie war weder kurzweilig noch langweilig, es war eine hermetische Geschichte. Wir haben sie erzählt um ihretwillen, nicht deinethalben, denn du warst simpel.“

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Markus Michaelis | Sa., 26. Oktober 2024 - 16:32

Ich muss zugeben, der Zauberberg ist harter Stoff und ich habe ihn nie wirklich verarbeitet oder verstanden. Von meinem Bauchgefühl her ist er ein rasendes Panoptikum durch alle intellektuell angesagten Ideen des Bürgertums dieser Zeit. Alles wird angerissen, oft nur mit theatralischem Ernst - eigentlich geht es mehr darum, auch über die tollen Themen mitplappern zu können. Vielleicht ist es das, was Herr Grau mit dem "komischen Bild der Großideologien" meint. So ganz ernst nimmt man sich selber nicht.

Da sehe ich einen großen Unterschied zu unserer bürgerlichen Gesellschaft der letzten Zeit: all die großen Themen, Menschheit, Klima, Menschenrechte, Demokratie, Gerechtigkeit meint man mit jedem Komma bitterernst. Da ist keine Spur von sarkastischem Spielen damit, kein Plappern nur um mitzuplappern, schon gar nicht eine gewisse Distanz. Es geht 100% um die Verteidigung des einzig und universellen Heiligsten.

Ingofrank | Sa., 26. Oktober 2024 - 16:51

Nein, Wiederspruch Herr Dr. Grau das obig beschriebene, auf wen trifft das zu ? Auf „Alle“ ?
Nein, das sehe ich nicht so. Ich finde, Ihre Beschreibung zielt nur auf eine bestimmtes Klientel hin. Der woke Livestyle Linke der es sich leisten kann dekadent, fanatisch & falsch zu sein. Der einerseits „ unter sich sein möchte in seiner Enklave“ öhne störende migrantische Mitmenschen aber andererseits eine Sekte wählt, die noch mehr und keine Veränderung der Migration will und eine Geldzuwendung nach der anderen fordert. Andere Mitbürger die das komplett anders sehen, nein da wird der Diskurs vermieden und die Andesdenkenden als Rechte, Nazis, Putinversteher u.ä. verschmäht und beschimpft.
Nein, noch ist diese deutsche Gesellschaft nicht gleich geschaltet und irgend wer wird hoffentlich die Einsicht haben, dies zu verhindern.
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Henri Lassalle | Sa., 26. Oktober 2024 - 17:06

nur war der von Th. Mann beschriebene Zustand das Resultat von sehr dynamischen Entwicklungen ab 1918. Der heutige Zerfall ist langsam, schleichend, viskös.
Ich meine den Zerfallprozess auch an der zeitgenössichen Kunst zu sehen: Die Auflösung der Formen, die Dikatur des "Anything-Goes-Prinzips", Hyperindividualismus und ein verrückter Kunstmarkt, der das Ganze fördert und die Kunst in gewisser Weise, mit Verlaub, zur Prostituierten macht.
Ich denke immer mehr Menschen sehnen sich nach einer neuen Ordnung, können sie aber nicht artikulieren und haben auch nicht die Courage, lauthals Korrekturen zu fodern.

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