Benjamin Netanjahu
Benjamin Netanjahu: hoch gepokert – und gewonnen / picture alliance

Regierungskrise in Israel - Warum die Hamas der wichtigste Verbündete für Benjamin Netanjahu ist

Trotz der Regierungskrise in Israel hat es Premierminister Benjamin Netanjahu wieder einmal geschafft, politisch zu überleben. Gerettet hat ihn ausgerechnet die Offensive der Hamas, die selbst mit dem Rücken zur Wand steht. Aber neues Ungemach droht – im Gewand eines Friedensplans

Autoreninfo

Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

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Er ist wieder einmal davongekommen – jedenfalls vorläufig. Erneut hat sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Dauer-Überlebender im komplexen Spektrum der israelischen Politik erwiesen. In der Knesset hat die Opposition ihre Anträge für eine Auflösung des Parlaments und damit Neuwahlen zurückgezogen. Sie musste einsehen, dass sie sich trotz einer Mehrheit von nur noch einer Stimme für das rechts-konservative Lager nicht würde durchsetzen können. Damit sind die Pläne, Netanjahu endlich zu stürzen, erst einmal vom Tisch.

Ob das Thema der vorgezogenen Neuwahlen damit endgültig erledigt ist, bleibt offen. Regulär stehen sie erst in einem Jahr, im November 2019 an. Nun sieht sich Netanjahu, der Meister-Taktierer an der Spitze der Regierung, darin bestätigt, dass seine politischen Gegner zu zersplittert und zu schwach sind, ihn vom Thron zu stoßen. Jedenfalls  hat er in einer dramatischen Fernsehrede am vergangenen Wochenende klar gemacht: Neuwahlen wären gerade in Zeiten der Krise für das Land hoch gefährlich. Diese Verteidigung ist ein Netanjahu-Klassiker. Jedes Mal, wenn „Bibi“ wie ihn alle nennen, politisch in Bedrängnis gerät, zieht er die Sicherheitskarte. Und das funktioniert in aller Regel zuverlässig, auch diesmal wieder.

Der Dauerfeind als Verbündeter

Ausgerechnet Israels Dauerfeind, die Hamas im Gaza-Streifen, ist dabei für Netanjahus politisches Überleben der beste Verbündete. Seit Monaten versucht die Hamas, mit immer neuen gewalttätigen Provokationen entlang des Grenzzaunes eine militärische Antwort Israels zu erzwingen. Die Hamas steht mit dem Rücken zur Wand, nicht zuletzt, weil die PLO, die Palästinenserführung in Ramallah, sich weigert, weiterhin finanziell einzuspringen und sogar Israel aufgefordert hat, Strom und Wasser für die palästinensischen Brüder in Gaza abzusperren. 

Eine schief gegangene geheime Kommandoaktion einer israelischen Spezialeinheit im Gazastreifen zwang die Hamas, die Eskalation der Gewalt noch weiter voranzutreiben, damit sie ihr Gesicht wahren konnte. Hunderte von Raketen schlugen auf israelischem Boden ein, tausende Israelis mussten in ihre Bunker flüchten. Im Hintergrund jedoch hatten längst unter ägyptischer Vermittlung Waffenstillstandsgespräche begonnen. Israels Sicherheitsestablishment, Armee wie Geheimdienste, bedrängten die Netanjahu-Regierung, keinen neuen Bodenkrieg zu beginnen und sich auf Luftschläge zu beschränken. Am Ende, so die Lehre aus dem bisher blutigen Waffengang 2014, werde es nur wieder hunderte, wenn nicht tausende Tote geben, Israel werde vor der Weltöffentlichkeit als Aggressor dastehen, und vor allem: Was tun mit den rund zwei Millionen Einwohnern im Gazastreifen, die unter schweren wirtschaftlichen und sozialen Problemen leiden?

Netanjahu pokerte hoch – und gewann

Genau das aber hatte das israelische Kabinett gespalten und die Regierung Netanjahu an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Netanjahu, im Ausland eher als Falke angesehen, erwies sich in den Augen seiner Kritiker als Taube. Er schlug sich auf die Seite seiner Militärs und lehnte eine neuerliche Bodeninvasion in Gaza ab. Zudem erlaubte er sogar dem Scheichtum Katar, 15 Millionen Dollar in Koffern nach Gaza zu schaffen, um dort Gehälter zahlen zu können. Das war zu viel für seinen Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, zugleich der Chef der nationalistischen Siedlerpartei. Er trat zurück.

Die Regierungskrise eskalierte vollends, als auch die ultra-orthodoxe Partei „Jüdisches Heim“ mit ihrem Austritt drohte, wenn Parteichef Naftali Bennett, zugleich Kulturminister, jetzt nicht mit dem Amt des Verteidigungsministers belohnt würde. Das wiederum lehnte Netanjahu ab und übernahm den Posten gleich selbst. Damit ist er nun Premierminister, Außen- und Verteidigungsminister in einer Person. Er pokerte hoch – und gewann: Bennett und seine Getreuen blieben dann doch lieber in der Regierung.

Netanjahu bleibt, die Krise aber auch

Es war der Volkszorn, der sie zurückzucken ließ: Dreiviertel der Bürger sehen die Regierung Umfragen zufolge kritisch. Sie wollten angesichts des Dauer-Raketenbeschusses der Hamas härtere Gegenmaßnahmen, am liebsten eine Militäraktion, die die Hamas ein für alle Mal vernichten würde. Im Regierungslager zog man schnell den Schluss: Keine gute Zeit für baldige Neuwahlen. Erst einmal abwarten, ob der Waffenstillstand mit der Hamas wirklich funktioniert.

Damit hat Benjamin Netanjahu wieder einmal überlebt. Er wird die Zeit nutzen, weiter an seinem Image zu basteln, der „Mr. Security“ zu sein, der Garant für Israels Sicherheit. Erledigt sind die Probleme damit allerdings mitnichten.

Trotz Waffenstillstand schwelt die Gaza-Krise weiter und bewegt sich nur knapp unterhalb einer humanitären Katastrophe. Nur tiefgreifende wirtschaftliche Hilfe könnte einen Wandel bringen. Aber Israels Sorgen richten sich vor allem nach Norden, an die Grenze zum Libanon, wo die vom Iran unterstützte Hisbollah militärisch immer mehr an Stärke gewinnt. Im Libanon, so die Erkenntnisse der israelischen Geheimdienste, gibt es Anzeichen für den Aufbau einer eigenen Waffenproduktion. Das könnte das ohnehin mit zehntausenden von Raketen gefüllte Waffenlager der Hisbollah zu einer noch größeren Gefahr für Israel machen. 

In Jerusalem wird denn auch betont, Pläne für Militär-Aktionen seien sowohl für Gaza als auch für Libanon weiter in Vorbereitung, auch ein Präventivschlag könne derzeit nicht ausgeschlossen werden. 

Angst vor Friedensplan von Donald Trump

Druck könnte allerdings auch von jenseits des Atlantik, aus Donald Trumps USA entstehen. Für Dezember wird erwartet, dass Donald Trump seinen lange angekündigten Friedensplan für den Nahen Osten präsentieren wird, von ihm selbst als „deal of the century“ angekündigt.  Das löst in Jerusalem keineswegs Euphorie aus. Ganz im Gegenteil, steht doch zu befürchten, dass etwa der Dauer-Klassiker einer Zwei-Staaten-Lösung darin vorkommen wird. Justizministerin Ayelet Shaked brachte es in der Knesset schon mal auf den Punkt: Solche Anstrengungen, ein Friedensabkommen zu erreichen, seien „Zeitverschwendung”. Denn: „Die Kluft zwischen Israelis und Palästinensern ist zu weit“. Sie sehe keinen „Weg, dies zu überbrücken“.

Was all dies für Benjamin Netanjahu bedeutet, ist höchst ungewiss. Auch die Ermittlungen wegen Korruption, die die Justiz ihm vorwirft, belasten ihn zwar. Aber bisher konnte er sich immer noch darauf verlassen, dass die Bevölkerung vieles in Kauf genommen hat, wenn es darauf ankam, ob der „Mr. Security“ von der politischen Bühne verschwinden soll oder nicht.

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Alexander Mazurek | Mi., 21. November 2018 - 18:11

… in "Der Mann der Donnerstag war" von G. K. Chesterton sind alle Mitglieder einer terroristischen Vereinigung Geheimagenten … siehe auch "Hatufim (In der Hand des Feindes)". Was ist schon Wahrheit, das war bereits Statthalter Pilatus unklar. Cui bono, fragt die Kriminalistik, auch in diesem und anderen Fällen ist das ein wichtiger Aspekt.
So sollte wohl auch regime change in Libyen, davor dem reichsten Land Afrikas, die Popularität des damaligen französischen Präsidenten dienen, das hat aber nicht geklappt und wir bekamen den Herren Sarkozy.
Viel interessanter finde ich aber, dass der 9/11 Anschlag überwiegend saudischer Staatsbürger, der zum Tod tausender Amerikaner führte, mit einem Krieg gegen Afghanistan beantwortet wurde und jetzt wegen einem einzigen "Journalisten", dem Namen nach Mitglied einer Waffenhändlersippe, so viel Aufhebens gemacht und mit dem Finger auf MbS gezeigt wird - wem ist dieser im Wege?
False flags wie den Reichstagsbrand gabs vor Havanna und Tonking ...

Joachim Wittenbecher | Mi., 21. November 2018 - 18:28

…. wie lange MP Netanjahu sich noch im Amt hält; es geht darum, dass von palästinensischer Seite keinerlei konstruktive Vorschläge eingebracht werden, die einen neuen Friedensprozess in Gang bringen könnten. Stattdessen erfolgt ein Raketenhagel auf Israel aus dem Gaza-Streifen, einem Gebiet, aus dem sich die Besatzungsmacht forderungsgemäß - unter Gewaltanwendung gegen die eigenen Siedler - zurückgezogen hat. Keine Regierung, schon gar nicht eine, die von demokratischen Wahlen abhängt, kann dies hinnehmen.

Holger Stockinger | Mi., 21. November 2018 - 22:03

Ohne eigenen Staat ist jeder Mensch ein "Staatenloser". Der Staat Israel täte vermutlich "staatsmännischer" agieren, das Recht auf einen eigenen Staat den Palestinensern nicht vorzuenthalten.

Was einem Maestro Barenboim im "Musikalischen" gelungen ist, dass Palestinenser und Juden sich verständigen können, ist natürlich ein Tropfen "auf den heißen Stein".

Ohne Anerkennung des Staates Israel seitens der "Arabischen Welt" stünden "Die Juden" in Israel nämlich ähnlich da wie seit "Kaiser Augustus" vom Imperium Romanum: in einer Diaspora ..., mal geduldet und dann zum Pogrom freigegeben.

Die "Sicherheit" und vor allem das Existenzrecht Israels sind "Knackpunkt" ebenso wie das Beenden von Konflikten mit terroristischen Mitteln, sollte man meinen dürfen!

wolfgang spremberg | Do., 22. November 2018 - 13:16

Antwort auf von Holger Stockinger

Die Israelis haben sich ihr Staatsgebiet u.A. durch Vertreibungen angeeignet.
Wir nicht. Die Israelis wollen mehrheitlich kein Risiko eingehen und Araber ins Land lassen um Barenboims Visionen auszuprobieren. Wir ja. Wir probieren es einfach mal. Nur so. Mal sehen ob es klappt. Wenn nicht haben wir halt Pech gehabt. Unsere Kinder auch. Sooo gut sind wir. Oder soooo naiv ?

Birgit Fischer | Do., 22. November 2018 - 11:23

Der Staat Israel hat sich deutlich definiert als Staat der Juden. Andere haben dort keinen Platz. Araber in Israel sind bis auf wenige Ausnahmen unerwünschte Personen. Drusen und Christen sind eine solche Ausnahme. In geringer Zahl werden sie geduldet. Zuwanderung von Nichtjuden findet faktisch nicht statt und ist ausdrücklich nicht gewollt. So kann Israel seinen Charakter als Judenstaat bewahren. Und das finde ich ausdrücklich gut so! Es wäre schön, die BRD wäre das Land der Deutschen. Etwas anderes akzeptiere ich auch nicht. Leider ist die Politik der BRD seit langem darauf ausgerichtet, das deutsche Volk und Land aufzulösen. Das lehne ich strikt ab.