Wall Street in Manhattan / picture alliance

US-Finanzmarkt unter Donald Trump - Der amerikanische Exzeptionalismus

Über die Jahrhunderte wurde der amerikanische „Exzeptionalismus“ mal verteufelt, mal glorifiziert. Trotz Zweifel ist der Dollar die Weltreservewährung und US-Staatsanleihen gelten als sichere Anlage. Wird sich das unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump ändern?

Thomas Mayer

Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Auf den Finanzmärkten ist der „amerikanische Exzeptionalismus“ heute in aller Munde. Doch die Sicht auf die Besonderheit der USA hat eine lange Geschichte. Als der französische Aristokrat Alexis de Tocqueville im Jahr 1831 die USA bereiste, fand er, dass „die Lage der Amerikaner … ganz außergewöhnlich“ sei. Man könne davon ausgehen, „dass sich kein anderes demokratisches Volk jemals in einer ähnlichen Lage befinden wird“. Seither wird de Tocqueville die Entdeckung des „amerikanische Exzeptionalismus“ zugeschrieben. 

Über die Jahrhunderte wurde der „Exzeptionalismus“ mal verteufelt, mal glorifiziert. Die Kapitalmärkte hat er definitiv stark geprägt. Trotz immer wiederkehrender Zweifel ist der US-Dollar die Weltreservewährung, und amerikanische Staatsanleihen gelten weltweit als die sichere Anlage. In den USA leben nur vier Prozent der Weltbevölkerung. Aber das Land hat einen Anteil von rund einem Viertel am globalen Bruttoinlandsprodukt und von einem Drittel an den weltweiten Unternehmensgewinnen. Der US-Aktienmarkt macht zwei Drittel der Kapitalisierung des MSCI-Welt-Indexes aus. Wer an den Aktienmärkten auf den amerikanischen Exzeptionalismus gesetzt hat, konnte über die letzten eineinhalb Jahrzehnte eine höhere Rendite erzielen als anderswo, wer dagegen gewettet hat, hatte das Nachsehen (Grafik 1).

Die Furcht vor der Blase

Bekanntlich neigen Aktienmärkte immer wieder zu „irrationalem Überschwang“, sodass im Verlauf des Jahres 2024 starke Zweifel an der exzeptionellen Entwicklung des amerikanischen Marktes aufgekommen sind. Angesichts der Beliebtheit und daher hohen Bewertung amerikanischer Aktien ist das gut nachvollziehbar. Die Furcht, dass eine Blase entstanden sein könnte, ist berechtigt, und mit einem größeren Rücksetzer muss man rechnen. Doch gibt es Hinweise darauf, dass die exzeptionelle Entwicklung nicht völlig „irrational“ ist, sondern realwirtschaftliche Hintergründe hat. 

Seit der Gründung der Makroökonomik durch John Maynard Keynes in den 1930er Jahren neigen die Wirtschaftsprognostiker dazu, sich auf die Nachfrageseite des Bruttoinlandsprodukts zu konzentrieren. Eine Folge davon ist der Irrtum, der Staat könne mit seiner Fiskalpolitik und der Geldpolitik seiner Zentralbank für Wirtschaftswachstum sorgen. Tatsächlich kann die staatliche Fiskal- und Geldpolitik aber nur für Nachfrage sorgen. Folgt das heimische Angebot aus irgendwelchen Gründen nicht der von der Politik stimulierten Nachfrage, wird der Nachfrageüberschuss durch einen Anstieg der Nettoimporte befriedigt. Sinkende Exporte und steigende Importe schaffen ein Defizit in der Außenwirtschaftsbilanz. Das heimische reale Bruttoinlandsprodukt bleibt in diesem Fall unberührt.

Grafik 1
Grafik 1 / Quelle: Macrobond

Wegen dieses Irrtums wird als Grund für die bessere Entwicklung der US-Wirtschaft als (zum Beispiel) der Wirtschaft Europas oft die expansivere Wirtschaftspolitik der US-Behörden genannt. Tatsächlich hat sich die Leistungsbilanz der US-Wirtschaft jedoch von -5,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2006 auf -2,1 Prozent im Jahr 2019 verbessert und ist aufgrund der Verwerfungen in den Jahren der Corona-Pandemie auf schätzungsweise -3,7 im Jahr 2024 zurückgefallen. Der eigentliche Grund für das relativ starke Wachstum der US-Wirtschaft muss daher auf der Angebotsseite gesucht werden.

Das Wachstum der Arbeitsproduktivität – gemessen als Bruttowertschöpfung pro Beschäftigtem – war in der US-Wirtschaft vor allem in den letzten Jahren deutlich höher als in der Wirtschaft der Europäischen Union (Grafik 2). Von 1948 bis 1995 betrug der jährliche Anstieg im Trend durchschnittlich 1,3 Prozentpunkte des Werts von 1995. Im Zeitraum seit 1995 hat sich dieser Anstieg auf 2 Prozentpunkte erhöht. Dagegen betrug der Anstieg der Bruttowertschöpfung pro Beschäftigtem in der Europäischen Union seit 1995 nur einen Prozentpunkt. Folglich liegt die Arbeitsproduktivität in der US-Wirtschaft heute um 21,5 Prozent über der EU-Wirtschaft. 

Herausforderungen des 21. Jahrhunderts

Der Vorsprung der USA bei der Produktivität pro Kopf hat zwei unmittelbare Gründe. Erstens liegt die Produktivität pro Stunde in den USA um gut 17 Prozent höher als in der EU. Zweitens beträgt die jahresdurchschnittliche Wochenarbeitszeit in den USA gut 4 Prozent mehr als in der EU. Der erste Umstand dürfte unmittelbar zu einem erheblichen Teil auf die technologische Führerschaft der USA im Bereich der Digitalisierung und mittelbar auf ein wirtschaftliches Umfeld zurückzuführen sein, das diese Führerschaft ermöglichte. Der zweite Umstand könnte seinen Grund in der geringeren gewerkschaftlichen und staatlichen Einflussnahme auf den Arbeitsmarkt in den USA haben. Tatsächlich zeigt der Freiheitsindex der Heritage Foundation in den USA ein höheres Niveau sowohl allgemeiner Freiheit als auch der Freiheit auf den Arbeitsmärkten im Vergleich zum Durchschnitt der drei größten EU-Länder.

Wie das R&D Investment Scoreboard der Europäischen Kommission zeigt, waren Unternehmen in den USA im Jahr 2023 für rund 42 Prozent der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) einer weltweiten Stichprobe von 2500 Unternehmen verantwortlich. Unternehmen in der EU lagen an dritter Stelle, knapp hinter China. Aber es ist nicht nur die Summe der Ausgaben für F&E, welche die technische Führerschaft begründet, sondern auch deren Qualität. 

Grafik 2
Grafik 2 / Quelle: Macrobond

Eine kürzlich auf der Plattform EconPol Europe veröffentlichte Studie zeigt, dass der öffentliche Sektor der Europäischen Union mit 0,7 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einen ungefähr gleichen Anteil an der Wirtschaftsleistung für F&E aufwendet, der private Sektor in der EU dagegen nur die Hälfte (1,2 Prozent des BIP in der EU gegen 2,3 Prozent in den USA) (EU Innovation Policy: How to Escape the Middle Technology Trap | Publication | Econpol Europe). Hinzu kommt, dass sich die F&E-Ausgaben in der EU auf den Bereich der „mittleren Technologie“ (zum Beispiel in der Autoindustrie) konzentrieren, während in den USA der Schwerpunkt auf der Spitzentechnologie liegt. So liegt der Anteil von US-Unternehmen an den weltweiten Ausgaben für Softwareentwicklung bei 75 Prozent, während der Anteil von EU-Unternehmen mit 6 Prozent noch hinter dem von chinesischen Unternehmen liegt. 

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass der Europäischen Union die Institutionen fehlen, um die technischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Blickt man jedoch auf die Treiber des amerikanischen Exzeptionalismus, liegt der Schluss näher, dass in der EU der nötige Unternehmergeist fehlt, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse, an denen es auch in der EU nicht mangelt, in erfolgreiche kommerzielle Aktivitäten umzusetzen. 

Abhilfe dürfte weniger die Schaffung neuer Institutionen als die Abschaffung der übermäßigen bürokratischen Gängelung von Unternehmen schaffen. Mit der Datenschutz-Grundverordnung, dem EU-Lieferkettengesetz, der EU-Taxonomie-Verordnung für den Finanzsektor, dem „Green Deal“ oder der Richtline über die Sorgfaltspflichten der Unternehmen (CSDDD), um nur einige Verordnungen zu nennen, hat die Europäische Union ein Dickicht von Regulierungen geschaffen, das noch von nationalen Vorschriften verdichtet wird. Im Vergleich dazu erscheint die Regulierungsdichte in den USA eher bescheiden.

Die für den Unternehmergeist positive Seite

US-Präsident Donald Trump könnte für den amerikanischen Exzeptionalismus zum Fluch oder Segen werden, denn er gleicht dem römischen Gott Janus. In der römischen Mythologie symbolisiert Janus die der Welt und den Menschen innewohnende Dualität: Schöpfung und Zerstörung, Leben und Tod, Licht und Dunkelheit, Anfang und Ende usw. Alles hat eine gute und eine schlechte Seite. In seiner ersten Präsidentschaft hat Donald Trump die Steuern gesenkt, China als Gegenspieler identifiziert und Europa zu mehr Anstrengung zu seiner eigenen Verteidigung gezwungen. Er ist aber auch ein verurteilter Straftäter, notorischer Lügner und eine Gefahr für den Rechtsstaat. Mit welchem dieser beiden Gesichter er in die Geschichte eingehen wird, ist offen. Auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik dürfte jedoch die für den Unternehmergeist positive Seite überwiegen.

Trumps Markenzeichen ist die Erhöhung von Handelszöllen. Doch unter dem Einfluss seiner techno-libertären Unterstützer könnte die Drohung mit Zöllen als Instrument zur Verfolgung außenpolitischer Ziele genutzt werden. Hat die Drohung Erfolg, könnten die Zölle geringer ausfallen oder ausbleiben. Dem von Trump versprochenen Abbau von Regulierungen und den Steuersenkungen stehen möglicherweise eine weiter wachsende Staatsverschuldung und die Degenerierung des Kapitalismus zum „Crony Capitalism“, der „Günstlingswirtschaft“, gegenüber. Doch könnte ein Rückbau des Wohlfahrtsstaats durch das von Elon Musk und Vivek Ramaswamy geführte „Department of Government Efficiency“ den Anstieg der Staatsverschuldung bremsen und aus dem „Crony Capitalism“ wie Ende des 19. Jahrhunderts ein zweites „Gilded Age“ entstehen. 

Damit bezeichnete Mark Twain die wirtschaftliche Blütezeit in den USA nach dem Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Während dieser Zeit wandelten sich die eher agrarisch und ländlich geprägten Vereinigten Staaten durch Industrialisierung und rasches Wachstum der Städte zu einer modernen Industriegesellschaft. Vorangetrieben wurde der Wandel von Unternehmern wie Andrew Carnegie, Andrew Mellon oder John Rockefeller, die wegen ihrer „robusten“ Geschäftspraktiken den Spitznamen „Robber Barons“ erhielten. Durch die von ihm ausgehende Disruption, für die die EU-Länder kaum gewappnet sind, könnten Trump und seine „Robber Barons“ den amerikanischen Exzeptionalismus in dem von technischen und geopolitischen Veränderungen geprägten neuen Zeitalter befestigen. Die Finanzmärkte scheinen die Chance dafür höher einzuschätzen als das Risiko, das mit der Präsidentschaft von Trump auch verbunden ist.

Weil sie so überzeugend ist, ist die Wette der Finanzmarktakteure auf den amerikanischen Exzeptionalismus jedoch ein „Crowded Trade“. Man kann sie daher als „Wisdom of the Crowd“ oder als „Zug der Lemminge“ sehen. Eine resiliente Anlagestrategie kann sich der Wahrscheinlichkeit, dass die Wette „Wisdom of the Crowd“ reflektiert, nicht verschließen, muss aber sicherstellen, dass nicht alles verloren ist, falls die Lemminge in den Abgrund stürzen. Folglich müsste ein Portfolio im Grunde auf den „American Exceptionalism“ getrimmt sein, aber eine Reserve für den Fall des Absturzes der Lemminge haben.

Bereinigung vorangegangener Aktienpreisanstiege

Die Zeit um die Große Finanzkrise gibt dazu Hinweise. Mit dem Boom des Immobilienmarktes und des Finanzsektors nahm der Anstieg der realen Wertschöpfung pro Beschäftigem zunächst ab. Während des Krisenjahrs 2008 fiel die Wertschöpfung, da sich eine hohe Zahl von Immobilienprojekten als Fehlinvestitionen erwiesen. Doch nach der Bereinigung durch die Krise stieg die Wertschöpfung mehrere Jahre steiler an als zuvor. Der Aktienmarkt antizipierte den Einbruch schon 2007, verpasste aber für einige Zeit den erneuten Aufbruch. 

Auch heute dürfte früher oder später eine Bereinigung vorangegangener Aktienpreisanstiege kommen. Daraus dann auf das Ende des amerikanischen Exzeptionalismus und Verhältnisse wie nach dem Platzen der japanischen „Bubble Economy“ Anfang der 1990er Jahre zu schließen, wäre jedoch fasch. Wahrscheinlicher ist, dass der amerikanische Exzeptionalismus bestehen bleibt und der Finanzmarkt sich wieder erholen wird. Ein größerer Rücksetzer würde folglich eine neue Gelegenheit zum Einstieg in den Markt bieten, vorausgesetzt man hat eine entsprechende Barreserve.
 

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Christoph Kuhlmann | Do., 9. Januar 2025 - 15:27

Bei der beherrschenden Stellung amerikanischer Banken, Anlagegesellschaften und anderer Trader wird die Sonderstellung des Dollars erhalten bleiben. Wenn man bedenkt, dass die USA auch die technologische Basis für den globalen und regionalen Handel komplett beherrschen, sehe ich keinen Grund, warum sich etwas ändern sollte. Zumal jetzt wieder ein Präsident mit Wirtschaftskenntnissen an die Macht kommt. Ich glaube nicht, dass Stilfragen den erwarteten Wachstumsschub in den USA trüben werden.

Henri Lassalle | Do., 9. Januar 2025 - 16:19

wird sich für die USA wirtschaftlich positiv auswirken, eben weil er nationalistisch denkt und auch so handeln will.
Der Vietnamkrieg war eine Katastrophe für die USA, moralisch wie auch wirtschaftlich, es machte aus dem strahlenden Sieger des 2. Weltkrieges ein Land, in dem der Amerikanische Traum verblasst. Als Symbol dafür kann gelten, dass der Dollar vom Gold abgekoppelt wurde (durch Nixon), um den Dollar billiger zumachen und so die Schulden infolge des Vietnamkrieg zu minimisieren.
Trump hat verstanden, dass gegengesteuert werden muss. Ein Land geniesst nur dann das Vertrauen der Wirtschaft, wenn auch politische Stärke sichtbar ist. Deshalb wird Trump alles mögliche unternehmen, um nationale Interessen ohne grosse Rücksichtnahme zu verfolgen.

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