- Konservative und Reformer begraben das Kriegsbeil
Die CDU stemmte sich erst gegen die Homo-Ehe und will jetzt selbst einen Gesetzentwurf zum Ehegattensplitting einbringen. Alles nur Show: Christean Wagner und Matthias Zimmer, der knallharte Bewahrer und der Reformer, hatten sich im CDU-Richtungsstreit längst zusammengetan, um die Grabenkämpfe in der Partei zu beenden
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Normale Spiele gibt es bei Christean Wagner nicht. Normal fällt aus. Erst Bock, dann Ramsch, das ist die Skat-Regel des hessischen CDU-Fraktionsvorsitzenden. Egal, wo er spielt. Bock heißt: Der Gewinn zählt doppelt. Ramsch verkehrt die normalen Spielregeln: Man muss möglichst wenig Stiche machen. Am ersten Abend des Bundesparteitags der CDU in Hannover im Dezember sitzt Wagner in der lila getünchten Bar des Hotels Domero und teilt Karten aus. Es ist grell, es ist ungemütlich. Egal, Wagner macht es sich an einem Tisch gemütlich mit seinen Vertrauten. Mit seinen Regeln. „Spielen Sie mit“, ruft er rüber, als er den Kollegen Matthias Zimmer sieht. Der kommt an den Tisch. „Hab 20 Jahre nicht gespielt“, sagt er. Er schaut nur zu, aber er zecht mit. Bis spät in die Nacht.
Als es im Dezember beim Bundesparteitag in Hannover krachte, als die Delegierten an der Homo-Ehe aneinandergerieten, als ein Dutzend aufgewühlte Redner ihre Weltbilder, ihre Lebensentwürfe und ihren Glauben verteidigten, als es darum ging, wem die CDU gehört – da hatte sich im Stillen längst eine erstaunliche Annährung vollzogen, in der Nacht an jenem Skattisch. Christean Wagner und Matthias Zimmer haben gemerkt, dass sie sich prächtig verstehen. Dabei ist Wagner Initiator des „Berliner Kreises“, des Traditionsbataillons der CDU, und Matthias Zimmer will eine moderne Großstadtpartei. Er kämpft als einer der „Wilden 13“ für die Gleichstellung der Homo-Ehe. Der Bewahrer und der Reformer, zwei Protagonisten des Streits in der CDU, aber sie können miteinander. Man hört diese Sympathie heraus, wenn Zimmer den Abend in der Hotelbar schildert. Und man hört sie, wenn Wagner über Zimmer sagt: „Der ist intellektuell brillant.“
Seit Hannover duzen sie sich. Sie haben sich damals, am Abend nach dem Schlagabtausch um die Homo-Ehe, gleich ein zweites Mal in die Bar gesetzt. Sie verabredeten dort, ein gemeinsames Papier zu schreiben. Nun ist es fertig und trägt gleich den wuchtigen Titel: „Die CDU als Volkspartei“. Die zwei wollen damit ein Signal im Wahljahr aussenden: Wenn sie sich verstehen, Wagner und Zimmer, dann müssen doch auch die Flügel der CDU wieder zueinanderkommen, die Modernisierer und die Traditionalisten, die „Wilde 13“ und der „Berliner Kreis“. „Wagner und ich wollen die Grabenkämpfe in der CDU beenden und auf das Verbindende in der christlichen Volkspartei verweisen“, sagt Zimmer. „Wir sind verschieden, aber unterschiedliche Denkrichtungen stärken die CDU.“
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Es ist ein Papier der Versöhnung. Der Trick: Die Gegensätze in der Partei werden positiv gewendet. Gerade die Unterschiedlichkeit mache die CDU aus, wird argumentiert. Verschiedene Werte, soziale Herkünfte und Interessen zu bündeln, sei doch das Erfolgsrezept der CDU. „Die Pluralität und Vielschichtigkeit hat nichts mit Beliebigkeit oder Warenhauskatalog zu tun“, heißt es in dem Text, der unter cicero.de/cduvolkspartei nachzulesen ist. Die CDU als große Integrationspartei der Gesellschaft müsse auch den Anspruch haben, „40 Prozent plus X“ an Stimmen zu holen. „Die CDU ist unser großes Integrationsprojekt der politischen Mitte“, sagt Zimmer.
Der Schritt der beiden ist erstaunlich, denn in der CDU hat ein Jahrzehnt unter Angela Merkel Gegensätze wachsen lassen. Die einen sehen keine Alternative zu den Veränderungen, die die Kanzlerin vollzogen hat. Die anderen fühlen sich nach Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht und Hinwendung zum Mindestlohn fremd im eigenen Haus. Zwei Sonnensysteme in einer Partei. Wie haben da Wagner und Zimmer zusammengefunden?
Die Annäherung beginnt mit einem Streit. 2011 ruft der Fraktionschef im hessischen Landtag wegen irgendeiner Sache bei Zimmer an. Der ist Bundestagsabgeordneter, 2009 hat er der SPD den Wahlkreis Frankfurt I abgenommen. Ein Neuling, in der Hierarchie der Union steht Wagner klar über ihm. Am Telefon ist er wütend. Doch das Gespräch zieht sich. Zimmer lässt sich nicht einfach umpusten. Vielleicht gefällt das Wagner, er schätzt Kampfgeist. Aber bis zum Du ist es da noch weit, denn sie sind zwei Männer aus unterschiedlichen Welten.
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Christean Wagner wurde 1943 in Ostpreußen, in Königsberg, geboren, dem heutigen Kaliningrad. Dort ist seine Heimat, sagt er. Seinen jüngsten Sohn, den jetzt 13 Jahre alten Nachzügler, hat er 2000 im alten Königsberger Dom taufen lassen. „Es war die erste Taufe dort seit 1945“, sagt Wagner. Es gibt nicht mehr viele in der CDU, die eine solche Geschichte stolz macht. Gerade ist er 70 Jahre alt geworden, und im Herbst nach der Landtagswahl hört er auf. Die Homo-Ehe ist eine letzte Schlacht eines langen Kampfes gegen den linken Mainstream. Als Student in Marburg hatte das begonnen. Er trat einer Studentenverbindung bei. Eroberte mit einer rechten Listenverbindung die Mehrheit im Studentenparlament. Es war die Zeit, als die Welt in Freund und Feind geteilt war. Studentenverbindung oder Sozialismus. „Stahlhelmfraktion“ wurden er und Gleichgesinnte später genannt. Zunächst war ihnen nicht mal der damals aufstrebende Roland Koch geradlinig genug. Seit dieser Zeit hat sich Wagner mit Leuten zusammengetan, die so konservativ sind wie er. Er und seine Freunde arbeiten zusammen. Nach seinen Regeln.
Christean Wagner ist eine der letzten konservativen Größen der CDU. Als Kultusminister hat er die Gesamtschule verdammt, als Justizminister den „härtesten Strafvollzug“ Deutschlands angekündigt. Klar, schneidig, Jurist. Aber er haut nicht nur drauf, er kann mit Raffinesse fechten. Die hessische Parteispendenaffäre, in der die Partei Schwarzgeld als jüdische Vermächtnisse ausgab, überstand er fast galant. Vor ein paar Jahren hat er den „Berliner Kreis“ mitbegründet, um den „Markenkern“ der CDU wieder zu stärken.
Matthias Zimmer ist fast zwei Jahrzehnte jünger, im Mai wird er 52. Er ist Politikwissenschaftler, Studium in Trier, in den USA, in München. Er wurde in Hamburg promoviert und hat sich in Köln habilitiert. Er arbeitete am Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung, er hat in Kanada gelehrt – ein akademisches Leben, in dem er einen Blick für Veränderungen entwickelt hat. In Frankfurt arbeitete er für die Oberbürgermeisterin Petra Roth, die später ein schwarz-grünes Bündnis einging.
Aber Wagner und Zimmer lassen sich nicht so einfach einsortieren. Der Konservative Wagner hat vier Kinder und ist das dritte Mal verheiratet. „Ich habe es immer als einen Tiefpunkt empfunden“, sagt er, „dass ich in meinem Leben meinen eigenen Ansprüchen an Ehe und Familie nicht gerecht werden konnte.“ Zimmer wiederum taugt eigentlich nicht zum Bürgerschreck. Verheiratet, zwei Kinder, manchmal lässt er sich einen Drei-Tage-Bart stehen, aber dazu trägt er ordentlich Krawatte. Wie Wagner gehörte er einer Studentenverbindung an. Auf die Frage, warum er für die Gleichstellung der Homo-Ehe eintritt, sagt er, er habe da nicht immer so gedacht, sondern seine Meinung gründlich geändert, weil er kein Argument für die Ungleichbehandlung mehr gefunden habe. Zimmer sieht sich als Analytiker.
Im vergangenen Jahr hat er ein Papier vorgelegt: „Die CDU in der Großstadt“. 13 Seiten gegen den Frust nach der Serie verlorener Oberbürgermeisterwahlen und ein Plädoyer, dass die CDU sich öffnen müsse – auch für die Grünen. Es hat ihm ein paar Auftritte und vor allem Aufmerksamkeit eingebracht. Vielleicht merkte sich Merkel damals seinen Namen.
Als er für seine Großstadt-Streitschrift im vergangenen Herbst im hessischen Landesvorstand Prügel bekommt, nimmt ausgerechnet Wagner ihn plötzlich in Schutz. „Gutes Papier, wichtige Denkanregung.“ Wagner lädt Zimmer sogar in einen Kreis von Vertrauten ein, der sich im Kloster Eberbach trifft. Seine Mitstreiter reiben sich die Augen. „Mit dem Zimmer kann man eben gut diskutieren“, sagt Wagner.
Eigentlich umgibt sich Wagner doch seit der Studentenzeit mit Gleichgesinnten. Da könnte es auch eine List sein: den Großstadt-Reformer vereinnahmen, um die Traditionalisten aus der Schmollecke herauszuführen. Immerhin ist Zimmer auch Bundesvize der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Aber vielleicht hat ein Mann von 70 Jahren so ein Taktieren auch nicht mehr nötig.
Zimmer jedenfalls profitiert von der Nähe zum Kontrahenten. Sie interessiert ihn. Sie macht ihn auch interessant. Und die Zeit spielt eh für ihn. „Er ist einer der letzten echten Herren in der CDU“, lobt er Wagner.
Das jetzt vorliegende Volkspartei-Manifest sollte Zimmer schreiben. Wagner würde es redigieren. Reibungslos verlief die Entstehung dann doch nicht. Der größte Streit ging um einen Lieblingsbegriff der Konservativen, geradezu um ein Heiligtum: den Stammwähler.
Das Wagner’sche Mantra lautet, die CDU müsse sich mehr um die Stammwähler kümmern, anstatt den Wechselwählern nachzujagen. Die verdrossenen Treuen von einst seien leichter zurückzuerobern als die flatterhaften mal Richtung Grün mal sonst wohin irrlichternden neuen Wähler. Zimmer hingegen nennt dies einen fatalen Irrtum. Es schlummerten ja auch in den jungen bürgerlichen Schichten der Städte CDU-affine Geister, die auf Ansprache warteten. Diese dürften nicht als Wechselwähler abgewertet werden. Schwarz-Grün sei kein Teufelszeug. Wer setzt sich durch?
Sie finden eine Formel. „Die größte Herausforderung besteht darin, Stammwähler zu motivieren und neue Stammwähler zu gewinnen“, heißt es in dem Papier. Wagner und Zimmer predigen „Vielstimmigkeit“ in „Grundharmonie“. Diese Sicht passt zu einer Analyse des Parteienforschers Franz Walter, der der CDU ein „Vielfaltsmanagement“ empfohlen hat. In dem Papier ist viel vom Christentum die Rede, aber zu den neuen Stammwählern sollen sogar Islamgläubige gehören: „Die CDU könnte so auch für eine zunehmende Zahl von Muslimen attraktiv sein.“
Nur das Problem mit der Homo-Ehe haben sie in ihrem Papier gemieden. Es scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Wagner sagt: „Die CDU ist ausdrücklich eine Partei der Toleranz.“ Im Manifest der zwei steht aber auch, es dürfe keine Abkehr von „Grundwerten und Traditionen geben“. Beim Skat nennt man es „drücken“, wenn man unliebsame Karten im Spiel beiseitelegt. Das hilft beim Gewinnen.
Auf dem Parteitag in Hannover haben Wagner und die Konservativen die Abstimmung gegen die Homo-Ehe gewonnen. Am Abend danach lief in der Hotelbar eine zweite Skatrunde. Diesmal stieg Zimmer ein. Er siegte.
Volker Resing ist Hauptstadtkorrespondent. Soeben erschien sein Buch „Die Kanzlermaschine: Wie die CDU funktioniert“ (Herder-Verlag).
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