- „Die Perversion ist die verborgene Vorderseite der Macht“
Im dritten Teil seines Essays über Ernst Lubitsch schreibt Slavoj Zizek über Doppeldeutigkeiten beim Rauchverbot, beim Militär, in Filmklassikern und in der katholischen Kirche
Ist Ernst Lubitschs Ansatz in unserer heutigen Zeit nicht an seine Grenze gekommen? Wir erfahren mehr und mehr, dass das, was für Lubitsch noch ein Witz war, jetzt einfach im realen (politischen und ideologischen) Leben in die Tat umgesetzt wird. Erinnern Sie sich an den Film „Sein oder Nichtsein“ und an Oberst Erhardts legendären Spruch „Wir machen die Konzentration, die Polen sind zuständig für das Lagern“ – könnte der heutige Manager, der die Politik der Austerität befürwortet, nicht etwas Ähnliches sagen? „Wir machen die Politik, die gewöhnlichen Leute sind für die Austerität zuständig“? Vielleicht funktioniert die Art der Lubitsch-Witze nur, solange wir noch über liberale Heuchelei spotten können – aber was bleibt uns in unserer Zeit, in der sich die Macht brutal ausbreitet und die liberal-humanitär-demokratische Maske fallen lässt? Man ist fast versucht zu sagen: Bring uns diese heuchlerische Maske zurück!
Lubitsch wäre jedoch bewusst gewesen, dass ein solches direktes „Fallenlassen der Masken“ immer eine Fälschung ist. In den „revolutionären“ sechziger Jahren war es Mode, die Perversion gegen den Kompromiss der Hysterie zu verteidigen: Ein Perverser verletzt direkt die gesellschaftlichen Normen, er macht offen, wovon ein Hysteriker nur träumt oder als Symptome mehrdeutig artikuliert. Mit anderen Worten bewegt sich der Perverse effektiv über den Meister und sein Gesetz hinaus, während der Hysteriker seinen Meister nur auf zweideutige Weise provoziert, was auch als Forderung nach einem authentischeren, wahren Meister gedeutet werden kann... Gegen diese Ansicht betonten Sigmund Freud und Jacques Lacan konsequent, dass Perversion, weit davon entfernt, subversiv zu sein, die verborgene Vorderseite der Macht ist: Jede Macht braucht Perversion als ihre inhärente Transgression, die sie aufrechterhält.
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Wenn man über Politik schreibt, sollte man sie kennen und sie auf einen Begriff bringen können.
Das gelang zweifelsohne Hegel, einem Marx, aber Zizek?
Habe nur den Vorspann gelesen.
Viele Worte, vielleicht um das zu verbergen, was er wirklich sagen möchte?
Bei allem Respekt werde ich Herrn Zizek gegenüber vorsichtig sein.
Auch wenn es niemand so recht bemerkt, stimme ich nicht wirklich immer mit dem von mir hochverehrten Prof. Sloterdijk überein, aber er ist lauter im Denken, überhaupt lauter.
Es ist ein Genuss, ihm beim Denken zuzusehen, auch weil man es dann durch ihn meist besser weiss.
Wenn Zizek in dessen Tradition stünde, gerne, wenn er ein `Vernebelungskünstler´, ein `Wasserfärber´ wäre, sollte man keinen Kopfsprung in seine Gewässer wagen.
Das aber nur mit starkem Vorbehalt, auch weil ich viel zu wenig von Herrn Zizek kenne.
Foucault hat noch gelitten im und ums Denken.
Wenn davon nichts erkennbar wird, glaube ich nicht so einfach, was man mir versucht zu sagen.