Pinocchio-Figuren als Reiseandenken in Italien / picture alliance / blickwinkel/P. Royer | P. Royer

Lob des Skeptizismus - Wahrheit ist ein totalitäres Konzept

Das Problematische an Fake News ist nicht der Fake, sondern die News – also die Behauptung der Wahrheit. Denn Wahrheitsbehauptungen, egal ob wahr oder falsch, sind totalitär. Sie töten Freiheit und Individualität. Dagegen hilft nur Skepsis.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Lügen ist ein Menschenrecht. Klingt vielleicht etwas seltsam. Ist aber so. Denn nur Terrorregime nötigen Menschen dazu, die Wahrheit zu sagen. Beziehungsweise das, was sie für die Wahrheit halten. Doch erstens sollte kein Mensch von Staats wegen dazu gezwungen werden, irgendetwas zu sagen – egal ob wahr oder falsch. Und zum anderen ist Wahrheit ein sehr schwammiger Begriff. Was wurde nicht alles in den letzten Jahrhunderten für wahr gehalten.

Besonders absurd – und gefährlich – wird es, wenn der Staat für sich in Anspruch nimmt, zu wissen, was als wahr zu gelten hat und was nicht. Denn der Staat ist keine Wahrheitsagentur. Er ist kein Wissenschaftler. Er ist kein Forschungsinstitut. Er ist auch nicht die Verkörperung der Vernunft oder des Weltgeistes. Der Staat sollte das Funktionieren der Gesellschaft garantieren. Oder diesem zumindest nicht behindern. Mit Wahrheit hat das nichts zu tun.

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Ernst-Günther Konrad | Sa., 29. März 2025 - 12:03

Man muss ja das Volk nicht gleich mit körperlicher Züchtigung zur "Wahrheit" führen. Heute geht das doch viel eleganter. Man betreibt soziale Ächtung mittels seelischer Folter, man behauptet einfach der Staat hat recht, die Msm oder ÖRR haben die Fakten gecheckt und für wahr befunden oder man behauptet einfach über jemand anderes, er sei ein Leugner oder Lügner, natürlich ohne Beweise und schon ist alles paletti. Man kontrolliert die sozialen Medien und lenkt sie im eignen Sinne. Und wer nicht spurt wird bis zur Existenzvernichtung verfolgt. Wir alle wissen, dass die Wahrheit viele Facetten haben kann und sehr im Auge des Betrachters und der Leser oder den Ohren der Hörer nach eigenem Empfinden ganz individuell festgelegt wird. Und nur denkfaule Menschen lassen sich ohne Skepsis "erklären", was wahr ist und was nicht. Und viele, die derzeit da gerne mitmachen, weil noch nicht selbst betroffen, merken es viel zu spät, das sie die nächsten sein werden. Wie war das mit den dummen Kälbern?

Walter Buehler | Sa., 29. März 2025 - 12:57

Wie Sie halte ich jeden Staat für extrem gefährlich, wenn er sich anmaßt, über wahr und falsch zu entscheiden.

Wie Sie halte ich es für lächerlich, dumm und abstrus, wenn Journalisten, die keine quadratische Gleichung lösen können und nie eine wirkliche Prüfung auf irgendeinem Gebiet abgelegt haben, sich als "Faktenchecker", als "Richter" aufspielen. Solche strunzdummen Jünger des Spiegel-Journalisten Relotius oder des CIA verdienen nur moralische Verachtung..

--ABER--

Niemand kann leben ohne das Vertrauen in die Wahrheit, ohne die Überzeugung, dass viele Aussagen und Erfahrungen KEINE LÜGEN sind.

Ein Kind muss sich darauf verlassen können, dass seine Mutter es nicht fallen lässt will, wenn sie die Arme ausstreckt. Wir gehen nur über Brücken, von denen wir glauben, dass sie uns tragen können.

Wer die Lüge für ein Menschenrecht hält, dürfte nie über eine Brücke gehen, und dürfte keinem anderen Menschen mehr vertrauen.
--
Ganz so einfach ist die Sache mit Wahrheit dann doch nicht.

Markus Michaelis | Sa., 29. März 2025 - 12:58

Ich denke, dass mit gutem Grund im GG nicht in Artikel 1 steht, dass der Staat nicht von der Wahrheit abweichen darf - noch nichtmal in Artikel 127. Der Hauptgrund scheint mir nicht, dass es keine Wahrheit gibt oder wir sie nicht kennen, sondern dass Wahrheit politisch meist irrelevant ist. Etwas, was wahr ist, machen ohnehin fast alle - darüber brauchen wir nicht diskutieren. Wenn Menschen es nicht machen, dann, weil zB die Wahrheit so komplex ist, dass sie nicht mehr nachvollziehbar ist - man muss anderen glauben. Aber wem, und genau welche Details? Oder es stehen andere höhere Werte entgegen wie Gott, Volk, Vaterland, Familie, Menschenrechte, Demokratie, und man will und muss seiner jeweiligen Gruppe folgen. Da nützt es aber nichts naiv für seine Gruppe die Wahrheit zu reklamieren - in Detailfragen kann das ein gutes Argument sein, aber nicht prinzipiell. Man wird sich mit den auftretenden Gegensätzen auseinandersetzen müssen und es werden nicht alle Menschen übereinstimmen.

Ingofrank | Sa., 29. März 2025 - 13:04

zu sagen oder das was sie als Wahrheit halten“

Wie wahr, wie richtig.
Wenige sind noch das die das 1000 jährige Reiche erlebt haben, etwas mehr die die 40 jährige SED Diktatur erlebt haben, jedoch viel zu viele sind da, die weder das Eine noch das Andere erlebt haben. Leider, denn sonst gäbe es diese Wahrheits- Verbiegungen in diesem Land nicht, denn nur die 100% Überzeugten können die letzten, von 2015 an, Jahre überzeugt sein. In deiner Demokratie zu leben.
Die Tendenz dieses Staates geht munter weiter in eine grün linke Staats- & Planwirtschaft. Der Kippunkt scheint aber wohl doch bevorzustehen denn der „Vorsprung der dafür Verantwortlichen schmilzt immer weiter. Derzeit auf wenige Prozent.
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Walter Buehler | Sa., 29. März 2025 - 13:08

Das ist mir noch eingefallen:

Warum ärgere ich mich so sehr über die Berichtersstattung in den Medien? Doch nicht, weil ich dort zuviel an Wahrheit finde, sondern weil ich dort ein zuviel an Lügerei wahrnehme, die mir ein unwahres Bild der Wirklichkeit vorgaukeln wollen.

Nein, Herr Grau, ein pauschales Menschenrecht auf Lügen gibt es gerade nicht!

Nix für ungut.

Dirk Bangert | Sa., 29. März 2025 - 15:54

Den Ansatz von Herrn Grau finde ich völlig richtig. Wer bestimmt denn was eine richtige, wahre und gute Nachricht ist und was zu den fake news gehört? Regierungeigene Institute, wie bei Corona? Die Fraktionsvorsitzende der Grünen? Die Süddeutsche Zeitung?

Sicherlich nicht.

Allerdings würde ich den Begriff Wahrheit noch enger fassen. Mathematik ist meiner Meinung nach nicht "wahr", wie Herr Grau schreibt, sondern logisch und die Naturwissenschaften entwickeln sich - genau wie andere Wissenschaften - nur durch Irrtümer weiter. Die Wahrheit kennt Gott allein, Herr Grau würde ihn wohl "Weltgeist" nennen. Aber das war jetzt nur eine philosophisch-theologische Randnotiz. Das Christentum vertritt übrigens ein skeptizistisches Menschenbild ("Sündenfall "), das derzeit selbst von den Kirchen unterbetont wird. Nicht nur afd Wähler haben Grenzen, sondern wir alle...

Urban Will | So., 30. März 2025 - 20:36

Man kann Ihren Beitrag fürwahr missverstehen, aber je öfters man ihn ließt, desto logischer ist er.
Er ist in dieser Zeit ein Meilenstein, doch leider wohl vergebens. Die Gesellschaft ist stumpf geworden.
Die Existenz von Fakten könnte Ihre These vom Totalitarismus der Wahrheit widerlegen, aber Fakten sind Mathematik oder halt Naturwissenschaft. Und dort gibt es sie in der Tat, die absolute Wahrheit.
In der Biologie auch, aber dort hat die Politik bereits eingegriffen und Naturgesetze (die vom Geschlecht) „overruled“ durch „Selbstbestimmung“. Wer hier die „Wahrheit“ sagt, dem droht Strafe.
Nun möchte uns die Politik bald die Wahrheit allgemein vorschreiben, das ist dann der endgültige Schritt in den Totalitarismus. Unter der Führung der CDU, das muss immer wieder erwähnt werden.
Fritzel ist mittlerweile nicht nur ein Feigling und Duckmäuser, er ist am Nasenring der Linksgrünwoken ein ganz gefährlicher nützlicher Idiot, denn „vorgeschriebene Wahrheit“ ist Teil deren DNA.