Drei gemalte Köpfe mit der Unterschrift „Bitte Tragen Sie Masken“ kleben im April 2022 am Eingang eines Ladengeschäfts / dpa

Corona-Aufarbeitung - Wer definiert den Notstand?

Die Corona-Pandemie war nicht so gefährlich, dass sie außergewöhnliche Maßnahmen erforderte. Von den Behörden wird heute bestätigt, dass die Risikoeinstufung eine politische Entscheidung war. Was bedeutet dies für weitere vermeintliche Notlagen, die bereits angekündigt werden?

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Der Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld ist seit 2002 Professor an der Universität Lausanne und seit 2009 Mitglied der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Sein Schwerpunkt ist die Philosophie der Physik und des Geistes.

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Gunter Frank ist Arzt und Sachbuchautor. 

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Der aufmerksame, das wilde Internet eher meidende Leser kommt derzeit nicht mehr aus dem Staunen heraus. So bestätigt der jetzige Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lars Schaade, vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück, dass die Risikohochstufung der pandemischen Gefahr durch das neue Coronavirus im März 2020 nicht auf einem wissenschaftlichen Fundament beruhte, sondern politisch angeordnet wurde. Wörtlich bezeichnete der RKI-Präsident die Risikohochstufung als „Management-Thema“. 

Eine Aussage, die in ihrer Brisanz allgemein noch nicht gewürdigt wird: Bildete diese Risikohochstufung doch die Grundlage für die Ausrufung einer „epidemischen Lage nationaler Tragweite“ in Deutschland und somit die Grundlage der weitgehenden Aussetzung der Grundrechte. Ohne diese Risikohochstufung hätte es keinen Lockdown mit all seinen Folgeschäden gegeben. 

Eine Fundgrube erstaunlichster Erkenntnisse

Grundlage dieser Befragung des RKI-Präsidenten waren die zunächst freigeklagten und nun durch einen Whistleblower komplett vorliegenden Protokolle des RKI-Corona-Expertenrates. Diese Protokolle sind eine Fundgrube erstaunlichster Erkenntnisse zur internen Lageeinschätzung des RKI. So gut wie alle Maßnahmen werden darin kritisch gesehen. Covid wird eher mit einer Influenza-Grippe verglichen, und es wird offen darüber gesprochen, dass man als Bundesbehörde verpflichtet sei, die Bevölkerung auf Weisung des Dienstherrn, des Gesundheitsministeriums, anders, sprich: alarmistischer, zu informieren – etwas profaner ausgedrückt: anzulügen. 

Auch wusste das RKI von Anfang an, dass der neuartige modRNA-Covid-Impfstoff keinen Fremdschutz bietet. In seinem Urteil vom 3.9.2024 kam das Verwaltungsgericht Osnabrück deshalb zu folgendem Schluss: 

„Aufgrund der nunmehr vorliegenden Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie der in diesem Zusammenhang heute durchgeführten Zeugenvernehmung von Prof. Dr. Schaade, Präsident des RKI, sei die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung in Frage zu stellen.“ 

Und weiter: 

„Diese auf den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts beruhende Einschätzung (Schutz vor Ansteckung der vulnerablen Gruppen) werde durch die nun veröffentlichten Protokolle des Instituts erschüttert.“ 

Sollte man von Arbeitsverweigerung sprechen?

Ebenso verblüfft derzeit ein Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), ebenfalls eine weisungsgebundene Bundesbehörde, in der September-Ausgabe seines Bulletins zur Arzneimittelsicherheit. Beschrieben wird darin „eine Machbarkeitsstudie zur Risikoevaluation der COVID-19-Impfstoffe (RiCO) auf Populationsebene in Deutschland“. Ziel ist es, Impfdaten aus Arztpraxen und Krankenkassendaten zur Wirkung der neuartigen Covid-Impfstoffe zu erfassen. Es geht um „die Zusammenführung sowie die prinzipielle Auswertbarkeit der benötigten Gesundheitsdaten“. 

Doch diese Auswertung ist sowohl in der EU-Verordnung zu bedingter Zulassung sowie im bundesdeutschen Infektionsschutzgesetz als eine Aufgabe definiert, zu der das PEI von Anfang an der Covid-Impfkampagne verpflichtet war – und nicht erst drei Jahre später. Allein anhand der an das PEI gemeldeten Impfnebenwirkungen, die im Bereich des 20-fachen der üblichen Impfungen liegen, war die unmittelbare Dringlichkeit dieser substantiellen Auswertung mehr als deutlich erkennbar. Das PEI ist zuständig für die Prüfung und Sicherstellung der Arzneimittelsicherheit. Gemessen an seiner Aufgabe stellt sich somit das PEI in erstaunlicher Offenheit ein Armutszeugnis aus. Oder sollte man direkt von Arbeitsverweigerung sprechen?

Unmissverständliche Aufforderungen zur Impfung

Diese zwei Fachbehörden bilden die fachliche Grundlage, auf die sich der deutsche Staat beruft, wenn er einen medizinischen Notstand ausruft. Auf Seiten der EU ist es in Fragen der Arzneimittelsicherheit die Europäischen Arzneimittel-Agentur (Ema). Sie gilt als fachliche Instanz zum Beispiel bei Fragen zu Impfstoffen. Wir erinnern uns an die mannigfachen und unmissverständlichen Aufforderungen zur Covid-Impfung und die intransparente milliardenfache Beschaffung der Impfstoffe. Deshalb erstaunt nicht weniger der bereits im November 2023 öffentlich gemachte Antwortbrief auf die Anfrage mehrerer Abgeordneter des EU-Parlaments bezüglich der mRNA-Impfstoffe. Unverblümt wird darin zugegeben: „Impfstoffe können Übertragung nicht verhindern“; im Zulassungsverfahren gibt es „einen Mangel an Daten zur Ansteckungsgefahr“ nach einer Impfung. 

Doch damit nicht genug. Die Ema schreibt, dass sie viele Berichte zu Nebenwirkungen erwartete: „Die meisten Nebenwirkungen sind leicht, obwohl auch schwerwiegendere Nebenwirkungen auftreten können. Man muss das Risiko einer Myokarditis und Perikarditis beachten, Nebenwirkungen, die von der Ema bewertet und in der Produktinformation beschrieben wurden.“ Genau wegen dieser Warnung vor unkontrollierbaren Nebenwirkungen wurden viele Kritiker der modRNA-Impfungen in den Corona-Jahren regelrecht verfemt. 

Verfasst wurde dieser Antwortbrief von der irischen Pharmazeutin Emer Cooke, die seit November 2020 Direktorin der Europäischen Arzneimittel-Agentur in Amsterdam ist. Angesichts des zu dieser Zeit bestehenden autoritären allgemeinen Impfdrucks, der sogar vor Kindern und Schwangeren nicht Halt machte, und dem nun offen zugegebenen Risikopotentials verblüfft die Chuzpe dieser lapidaren Erläuterungen.

Halten wir fest: Es wird heute von den Behörden offiziell bestätigt, dass die Risikoeinstufung der Gefährdungslage eine politische Entscheidung war, deren fachliche Notwendigkeit von der zuständigen Bundesbehörde intern nicht gesehen wurde. RKI und Ema bestätigen, dass die modRNA-Impfungen nie einen Fremdschutz ermöglichten, aber ein hohes Nebenwirkungspotential besitzen. Das PEI sieht sich erst drei Jahre nach Beginn der Covid-Impfkampagne in der Lage, seinen seit Anfang 2021 bestehenden gesetzlichen Auftrag anzugehen, die Nebenwirkungen systematisch zu erfassen.

Aufklärung, um bei der nächsten Pandemie besser vorbereitet zu sein?

Folgerichtig wird nun der Ruf nach einer Aufarbeitung der Corona-Krise und ihrer Entscheidungen immer lauter. Sogar der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der nicht müde wurde, der Covid-Impfung Nebenwirkungsfreiheit zu attestieren, kann sich dem nicht entziehen. Dem ZDF sagte er: „Die Aufarbeitung ist notwendig, um dazuzulernen, aber auch, um die Bevölkerung zu versöhnen.“ Der Tenor, der sich in der Fachwelt durchzusetzen scheint, ist folgender: „Wir müssen aufarbeiten, um bei der nächsten Pandemie besser gewappnet zu sein.“ Doch welche nächste Pandemie meinen die Kollegen eigentlich? Und welche Pandemie ging dieser voraus? Sollte eine Corona-Aufarbeitung, bevor über die nächste Pandemie spekuliert wird, nicht besser zuerst folgende drei Fragen klären:

1.    Gab es überhaupt eine relevante Pandemie?
2.    Wie wird ein Notstand begründet?
3.    Warum rufen Regierungen einen Notstand aus?

Gab es eine Corona-Pandemie?

Zunächst zur Definition einer Pandemie: Diese wurde 2009 von der WHO geändert. Während zuvor noch Todesfälle und Krankheitsschwere in der Definition berücksichtigt wurden, gilt für die WHO heute nur noch: „Eine Pandemie ist die weltweite Ausbreitung einer neuen Krankheit.“ Dass diese Definition nicht die Grundlage von staatlichen Schutzmaßnahmen sein kann, liegt auf der Hand. Ein weltweit auftretender Schnupfen, ausgelöst durch ein neues Rhinovirus, ist nach dieser Definition aber eine Pandemie. 

Wollen wir wegen eines Schnupfens wieder Schulen schließen und Ausgangsverbote verhängen? Wohl kaum. Besondere Maßnahmen sind selbstredend nur dann notwendig, wenn neben weltweitem Auftreten auch im übermäßigen Maß schwere Krankheitssymptome und eine Übersterblichkeit drohen, die auch zu einer gefährliche Überlastung des Gesundheitssystems führen würden. Erst dann hat es Sinn, von einer relevanten Pandemie zu sprechen. Löste das neue Coronavirus nun eine solche Pandemie aus? 

Das Hauptargument gegen diese Annahme wird meist übersehen. Das durchschnittliche Sterbealter eines Covidtoten lag in allen Ländern über dem allgemeinen Todesalter. In der Schweiz betrug die allgemeine Lebenserwartung 2020 bei Männern 81 und bei Frauen 85 Jahre. Das durchschnittliche Covid-Todesalter betrug 2020 bei Männern 82 und bei Frauen 86 Jahre. In Deutschland beträgt die allgemeine Lebenserwartung fast 81 Jahre, die von Covidtoten ca. 83 Jahre. In Schweden übrigens beträgt das Verhältnis 83 zu 86 Jahre. Das bedeutet: Wenn eine Infektionserkrankung ein durchschnittliches Sterbealter deutlich über dem allgemeinen aufweist, dann kann sie aus mathematischen Gründen keine relevante tödliche Gefahr für die Bevölkerung darstellen. 

Wenn in vielen Ländern während der Corona-Jahre eine allgemeine Senkung der Lebenserwartung zu verzeichnen war, kann es nicht an der Corona-Infektion selbst liegen. Das wird zwar immer wieder behauptet, ist jedoch rechnerisch ausgeschlossen. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Covid-Infektion nicht auch für Jüngere in seltenen Fällen schwer verlaufen kann. Es gab auch jüngere Covidtote. Dabei steht allerdings folgende Frage im Raum: Würden diese noch leben, wenn sie aufgrund einer strategischen Frühbeatmung nicht unnötig narkotisiert und intubiert worden wären? 

Diese Frage stellt zum Beispiel der Verband der Pneumologischen Kliniken. Tatsache jedoch ist: An Covid-19 starben überwiegend Menschen, die – meist aufgrund hohen Alters oder im Endstadium befindlich – ein stark geschwächtes Immunsystem aufwiesen. Wäre es anders, wäre automatisch das durchschnittliche Covid-Sterbealter niedriger. Früher hat man solche terminalen Infekte schwergeschwächter und schwerkranker Menschen als natürliche Todesursache eingeordnet.

Krankenhausbelegung und Infektionssterblichkeit

Ein weiteres Argument gegen das Vorliegen einer bedrohlichen Pandemie liefert die Krankenhausbelegung. In Deutschland fiel die unter dramatischsten Warnungen angekündigte Covid-Belegungswelle komplett aus. Es herrschte vielmehr eine historische Unterbelegung von 16 Prozent, die in den gesamten Corona-Jahren anhielt. 

Das liegt sicher auch an den abgesagten Operationen. Aber von dieser historischen Unterbelegung wiesen trotz fragwürdiger Diagnosevergaben („mit-an“) nur 2 Prozent der Patienten die Diagnose Covid-19 auf; auf den Intensivstationen waren es 4 Prozent. Saisonale und regionale Überbelegungen mit Notfallverlegungen sind im Winter die pure Normalität. Es standen stets viele freie Betten zu Verfügung. All dies war schon im April 2021 in einer Analyse des Leibniz-Instituts nachzulesen, die Jens Spahn selbst (!) der Öffentlichkeit vorstellte und die seitdem auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums aufgerufen werden kann

Die wichtigste Zahl, mit der das tödliche Bedrohungspotential einer Infektion bewertet werden kann, ist die Infektionssterblichkeit (IFR – infection fatality rate). Das ist die Zahl der an der Infektion Verstorbenen im Verhältnis zur Zahl der Gesamtinfizierten. Sehr viele maßgeblichen Epidemiologen, allen voran der Stanford-Professor John Ioannidis sowie auch das im Mai 2020 vorgestellte Ergebnis der Heinsbergstudie unter der Leitung des Bonner Virologen Hendrik Streeck, kamen bereits im Frühjahr 2020 zu dem Schluss, dass die Covid-IFR sich im Rahmen einer heftigen Grippewelle befindet. 

Auch das RKI war dieser Meinung, allerdings behielt es diese Einschätzung für sich, wie die RKI-Protokolle belegen. Ioannidis wie auch der Wiener Epidemiologe und damals Vorsitzender des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin, Andreas Sönnichsen, warnten eindrücklich davor, dass die Maßnahmen viel mehr Schaden anrichten werden als das Virus selbst. Ioannidis teilte kürzlich in einem Interview mit: „Ich stand damals in Kontakt mit sehr vielen Top-Epidemiologen der Welt, die sich an mich gewandt haben. Sie sagten zur mir, das ist unglaublich, was hier gerade passiert, aber wir können nichts sagen. Wenn wir widersprechen würden, würden wir augenblicklich zerstört.“ Sönnichsen bezahlte seine wissenschaftliche Aufrichtigkeit mit der Kündigung durch die Wiener Universitätsleitung.

Gab es nun eine gefährliche Corona-Pandemie, die außergewöhnliche Maßnahmen erforderte? Wer diese objektivierbaren und relevanten Zahlen zur Grundlage der Bewertung heranzieht, kann diese Frage nur mit nein beantworten. Uns fallen auch nach intensivem Nachdenken keine Argumente dafür ein. Anekdotische Schilderungen oder Aussagen wie „Die Intensivabteilungen waren doch voll“ oder der Hinweis auf Bilder aus Bergamo, Wuhan oder New York ersetzen in einem verantwortungsvollen Diskurs keine fachlich korrekte Bewertung der wichtigen und entscheidenden Kennzahlen.

Wie wird ein Notstand begründet?

Eigentlich ist die Begründung fachlich. Davon sollte ein Bürger eines demokratischen Rechtstaates ausgehen dürfen. Zuständig für die Bewertung eines medizinischen Notstandes ist das Fach Epidemiologie und nicht die Virologie, obwohl dieser Eindruck vermittelt wurde. Das Hauptinstrument für eine haltbare Bewertung ist die repräsentative kontrollierte Vergleichsstudie und nicht ein fehleranfälliges und leicht zu manipulierendes Computermodell; auch dieser Eindruck wurde fälschlicherweise vermittelt. Wer Wahlergebnisse voraussagen möchte, fragt auch nicht die nächste Million Bürger, die an seiner Tür vorbeilaufen, nach ihrer Parteipräferenz. Wer jedoch 5000 sorgfältig repräsentativ ausgewählte Bürger unter kontrollierten Bedingungen befragt, kommt meist zu erstaunlich genauen Prognosen. Ähnlich funktioniert dies auch bei der Prognose der Gefährlichkeit einer Epidemie. 

Das Beispiel Corona zeigt, dass der Notstand ganz offensichtlich nicht fachlich begründet wurde. Das Fehlen hochwertiger Vergleichsstudien wurden zwar von maßgeblichen Fachleuten, wie den Professoren Gerd Antes oder Matthias Schrappe, schnell angemahnt, aber sie wurden bis heute nicht durchgeführt, um nicht zu sagen blockiert. Aller Voraussicht nach würden sie die gängigen Narrative wie das der gefährlichen Corona-Bedrohung oder des Nutzens eines nobelpreisgekrönten neuen Impfverfahrens klar widerlegen. Stattdessen wurde der Notstand politisch angeordnet, wie der RKI-Präsident gerichtlich zugibt, und die Fachinstitutionen haben, aus Gründen, die wir an dieser Stelle nicht thematisieren wollen, dieser politischen Willkür den Anstrich wissenschaftlich korrekter Einschätzung verliehen. 

Was sagt uns dies bezüglich der Ankündigung der nächsten viralen Bedrohungen von Vogelgrippe, M-Pox oder MERS? Dieselben Experten, die die öffentliche Panik vor dem neuen Coronavirus vier Jahre lang gegen jeden Sachverstand schürten, laufen sich erneut warm. Und was bedeutet dies für weitere Notstände, wegen derer schon jetzt drastische Einschränkungen von Grundrechten angekündigt werden, wie den Klimanotstand? Können wir tatsächlich von einer fachlich korrekten Bewertung des Klimawandels, seiner Konsequenzen und der bereits formulierten Schutz-bzw. Zwangsmaßnahmen, wie den C40-Städten, ausgehen?

Warum rufen Regierungen einen Notstand aus?

Das führt uns zur letzten Frage. In der Demokratie gilt der Bürger als Souverän. Alle Macht geht vom Volke aus, so steht es im deutschen Grundgesetz. Der im Nationalsozialismus wohlgelittene Staatsrechtler Carl Schmitt meinte dagegen: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Was nun, wenn der Ausnahmezustand willkürlich und ohne demokratische, rechtsstaatliche Kontrolle ausgerufen werden kann? 

Denken wir uns die Existenz von Notverordnungen weg, dann handelte es sich sogar im Falle der NS-Diktatur um einen Rechtsstaat. Zu diesem vielleicht überraschenden Schluss kam der Jurist und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel. Er analysierte die Rechtswirklichkeit des Dritten Reichs, welches er im Exil überlebte. Viele der heute geltenden Gesetze haben ihre Wurzeln in der Weimarer Republik und galten auch unter Hitler. Nur da, wo es gezielt zur Machterhaltung und Unterdrückung von Kritikern notwendig war, schalteten Notverordnungen die geltenden Gesetze aus. Fraenkel spricht von einem Doppelstaat, in dem weitgehend der Normenstaat gilt, der jedoch jederzeit vom Maßnahmenstaat, der sich an politischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen ausrichtet, überstimmt werden kann. Im Falle des Dritten Reichs geschah dies bekanntermaßen in willkürlicher Weise, um die nationalsozialistische Ideologie durchzusetzen. 

Was bedeutet dies für das staatliche Handeln in der Corona-Krise? Es zeigt, wie anfällig unsere Freiheit ist, werden Notstände ohne fachliche Legitimation staatlich durchgesetzt. Es zeigt, wie einfach es geworden ist, an den Grundrechten vorbei Fremdinteressen, seien sie ökonomischer oder autoritärer Art, durchzusetzen. Es zeigt, dass unsere Grundrechte derzeit und vor allem in Zukunft nicht viel wert sind.

Wer nun Corona-Aufarbeitung fordert, um für die nächste Pandemie besser gewappnet zu sein, hat nicht verstanden, welche Form der Bedrohung Corona wirklich war und ist. Wenn es rein nach fachlichen Kriterien ginge, sind wir bestens gewappnet. Wir haben die Experten und wir haben die Methoden, um Epidemien sinnvoll zu begegnen. Man muss diese Experten nur hinzuziehen, anstatt sie auszugrenzen oder zu entlassen. Solche Experten hätten die Regierungen davor gewarnt, was nun in schrecklicher Weise eingetreten ist: Die sogenannten Schutzmaßnahmen haben einen viel größeren Schaden angerichtet, als es das Coronavirus je hätte verursachen können.

Die wirkliche Gefahr, die durch die Corona-Krise deutlich wird, besteht in der Leichtigkeit, mit der es möglich war, einen Notstand auszurufen, für den es zu keinem Zeitpunkt irgendeine Faktengrundlage gab. Es ist für derzeitige, angeblich der Demokratie verpflichtete Regierungen offensichtlich attraktiv, Notstände künstlich zu etablieren, um demokratische Rechte auszuhebeln. Corona hat gezeigt, dass sich diese Praxis der Notstandsfestlegung nicht mit einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verträgt. 

Die staatliche Befugnis, Notstände auszurufen, bedroht vielmehr als eigenständige Gefahr unsere Freiheit, unsere Gesundheit und unseren Wohlstand. Die Frage, die jede Corona-Aufarbeitung stellen muss, ist daher diese: Wie können wir zukünftig verhindern, dass die Regierung willkürlich einen Notstand ausruft und zu dessen Legitimation weisungsabhängige Behörden einsetzt, deren Vertreter in vollem Bewusstsein dessen, was sie tun, Verrat an allen wissenschaftlichen Prinzipien begehen?

Weg mit dem Vorrecht, einen Notstand zu deklarieren

Grundrechte sind Abwehrrechte gegen unerwünschte äußere Eingriffe in die Selbstbestimmung über das eigene Leben. Sie stehen in unserer Verfassung insbesondere als Abwehrrechte gegen einen übergriffig werdenden Staat. Daraus folgt: Grundrechte gelten entweder kategorisch (das heißt: absolut, unter keinem Vorbehalt stehend), oder sie gelten nicht. Wenn der Staat eine Notlage deklarieren kann, gestützt auf von ihm abhängige Behörden, und die Grundrechte einfach aussetzen kann, dann leben wir nicht in einem demokratischen Rechtsstaat. 

Denn dann sind nicht die Bürgerinnen und der Bürger der Souverän. Dann leben wir in einem Obrigkeitsstaat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern Grundrechte als von ihm abhängige Privilegien gewährt, die er gemäß eigenem Ermessen aussetzen kann. Also: Weg mit dem Vorrecht der Regierung, nach eigenem Ermessen einen Notstand deklarieren zu können, und den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen dazu. Eine Corona-Aufarbeitung, die dieses Thema nicht angeht, ist bestenfalls reine Zeitverschwendung, schlimmstenfalls Irreführung der Öffentlichkeit.

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