Calin Georgescu / dpa

Mehrheit für Calin Georgescu - Rumäniens Schockwahlen

Der Sieger der ersten Runde des rumänischen Präsidentschaftswahlkampfes steht der Nato und der EU kritisch gegenüber. Das erstaunliche Ergebnis passt zum Trend in der EU: Unzufriedene Wähler stimmen für Kandidaten, die sogar tabuisierte Ideen vertreten.

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Das erste Opfer der rumänischen Präsidentschaftswahlen waren die Meinungsumfragen, von denen sich keine als richtig erwies. Das zweite Opfer könnten die postkommunistischen Ideale des Landes sein, einschließlich seiner pro-westlichen Ausrichtung. Der unabhängige Kandidat Calin Georgescu ging als Überraschungsgewinner aus dem ersten Wahlgang am 24. November hervor. 

Mit 22,9 Prozent der Stimmen lag der nationalistisch-populistische Georgescu vor den pro-westlichen Kandidaten Elena Lasconi und Marcel Ciolacu, dem derzeitigen Premierminister, die beide rund 19 Prozent der Stimmen erhielten. Lasconi belegte knapp den zweiten Platz und wird am 8. Dezember in die Stichwahl mit Georgescu einziehen. Diese erstaunlichen Ergebnisse passen zu einem allgemeinen Trend in der europäischen Politik des zurückliegenden Jahrzehnts, bei dem unzufriedene Wähler die etablierten Parteien zugunsten von Kandidaten ablehnen, die unorthodoxe, ja sogar tabuisierte Ideen vertreten.

Wichtige Energie- und Handelsrouten

Rumänien, Mitglied der Nato und der EU, ist nach europäischen Maßstäben recht groß und bevölkerungsreich, aber nicht wohlhabend. Was das Ergebnis dieser Wahl so bedeutsam macht, ist seine Lage. In einer Zeit, in der sich Russland direkt im Krieg mit der Ukraine befindet und indirekt gegen die Nato kämpft, ist Rumänien neben Russland das einzige Land, das sowohl an das Schwarze Meer als auch an die Ukraine grenzt, was ihm eine Schlüsselrolle bei der Sicherung der Stabilität der Ostgrenzen Europas verleiht. 

Durch Rumänien verlaufen wichtige Energie- und Handelsrouten auf dem Weg nach Westeuropa. Es beherbergt bedeutende militärische Einrichtungen der USA (den Luftwaffenstützpunkt Mihail Kogalniceanu und den Militärstützpunkt Deveselu, der bis vor kurzem Washingtons einziges ballistisches Raketenabwehrsystem Aegis Ashore in Europa beherbergte) und arbeitet eng mit den USA beim Austausch von Informationen und bei der Terrorismusbekämpfung zusammen.

Rumänien ist auch eine Brücke zwischen West- und Osteuropa und unterstützt die Bemühungen, mit den postsowjetischen Ländern in Kontakt zu treten, Moldawien zu stabilisieren und die Ukraine zu stärken. Eine politische Neuausrichtung in Rumänien könnte die Fähigkeit der Nato zur Bewältigung regionaler Sicherheitsherausforderungen erheblich beeinträchtigen.

Im politischen System Rumäniens teilen sich die Präsidenten die Macht mit dem Parlament. Er ernennt den Premierminister (sowie andere Positionen wie die Leiter der Inlands- und Auslandsnachrichtendienste), aber das Parlament muss seiner Wahl zustimmen. Der rumänische Präsident ist auch für die Außenpolitik und die nationale Sicherheit zuständig, führt den Vorsitz im Obersten Rat für Nationale Verteidigung und kann Regierungssitzungen zu Themen leiten, die in seinen verfassungsmäßigen Zuständigkeitsbereich fallen. Daher könnten die Parlamentswahlen in Rumänien am 1. Dezember entscheidend sein.

Postkommunistische Geschichte

Da Georgescu seit 1991 in der öffentlichen Verwaltung tätig ist, ist er in der rumänischen Politik kein Unbekannter. Sein Name tauchte 2011 und 2012 als potenzieller technokratischer Premierminister auf, und auch 2020, als er der populistischen, ultranationalistischen Allianz für die Union der Rumänen (AUR) beitrat. Die AUR trennte sich jedoch 2022 von Georgescu, nachdem er eine Reihe umstrittener Äußerungen gemacht hatte, in denen er Corneliu Zelea Codreanu, den Führer der Eisernen Garde Rumäniens, einer rechtsextremen, ultranationalistischen und faschistischen Bewegung in der Zwischenkriegszeit, und Ion Antonescu, einen verurteilten Kriegsverbrecher, der 1946 hingerichtet wurde, verteidigte. Anstatt sich einer anderen politischen Partei anzuschließen, entschied sich Georgescu, bei den Wahlen 2024 als Unabhängiger anzutreten.

Im Mittelpunkt von Georgescus Kampagne steht die Kritik an der 35-jährigen postkommunistischen Geschichte Rumäniens, die seiner Meinung nach den einfachen Rumänen nicht zugute gekommen ist. Er bedient sich einer Nostalgie, die die Versäumnisse des Kommunismus zugunsten anderer Aspekte wie stabile Arbeitsplätze, erschwingliche Wohnungen und Sicherheit herunterspielt und dabei die Tatsache ignoriert, dass es sich dabei um staatlich erzwungene Maßnahmen handelte, die von einem starken Polizeiapparat und einem allgegenwärtigen Geheimdienstapparat begleitet wurden. 

Seine Reden haben einen mystischen Ton, und er bezieht sich häufig auf das Christentum und traditionelle Werte, die er als zentral für die einzigartige Identität Rumäniens ansieht. Er ist ein entschiedener Gegner der Nato und behauptet, das Bündnis biete Rumänien keine echte Sicherheit, und er hat das US-Raketenabwehrsystem auf dem Militärstützpunkt Deveselu als „diplomatische Peinlichkeit“ bezeichnet. Georgescu plädiert dafür, dass Rumänien sich von westlichem Einfluss und westlicher Propaganda lösen, Russlands „Weisheit“ verstehen und den Frieden in der Region fördern sollte.

Spekulationen über russische Beteiligung

Sein überraschender Wahlerfolg wurde durch eine intensive Social-Media-Kampagne in den letzten beiden Wochen des Wahlkampfs begünstigt. Georgescus nationalistische und populistische Botschaft, die sich gegen das Establishment richtete, war auf TikTok, einer Plattform, die bei jüngeren Menschen und desillusionierten Wählern beliebt ist, besonders wirksam. 

Angesichts der Tatsache, dass Russland in der Vergangenheit Bewegungen wie die von Georgescu unterstützt hat, insbesondere durch Einflussnahme in den sozialen Medien, sowie der Tatsache, dass russische Medien zu den ersten gehörten, die seinen Einzug in die zweite Runde vorhersagten, haben einige Beobachter über eine mögliche russische Beteiligung am Erfolg seiner Kampagne spekuliert. Doch während Russland seine außenpolitischen Ansichten begrüßt, liegen die tieferen Gründe für seine Anziehungskraft darin, dass er die wachsende Unzufriedenheit der Rumänen mit den etablierten politischen Parteien und seine Sehnsucht nach der vermeintlichen Stabilität und Sicherheit der kommunistischen Ära geschickt zu nutzen weiß.

Anti-Mainstream-Narrative

Georgescus wichtigste Herausforderin, Elena Lasconi, hat ihre Kampagne ebenfalls auf Anti-Mainstream-Narrativen aufgebaut, befürwortet jedoch progressive Reformen, die auf eine stärkere soziale Integration abzielen. Ihr Programm betont die Stärkung der demokratischen Institutionen, die Bekämpfung der Korruption und die Gewährleistung gleicher Chancen für alle Rumänen. Nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse der ersten Runde bekräftigte sie ihr Bekenntnis zur prowestlichen Ausrichtung Rumäniens und argumentierte, dass die Mitgliedschaften in der Nato und der Europäischen Union wichtig für die Sicherheit des Landes seien.

Das starke Abschneiden der Anti-Establishment-Kandidaten in der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahlen spiegelt den wachsenden Appetit auf politische Veränderungen wider – ein ermutigendes Zeichen für nationalistische und populistische Parteien im Vorfeld der Parlamentswahlen am 1. Dezember. Gleichzeitig verdeutlichen der Wahlkampf und seine Ergebnisse die sich vertiefende Polarisierung in Rumänien. Die Kampagnen von Georgescu und Lasconi stellen die Rumänen vor die Wahl, den prowestlichen Kurs ihres Landes beizubehalten oder sich dem Isolationismus oder sogar Russland zuzuwenden. Ob die rumänischen Wähler einen Wechsel in der Außenpolitik des Landes gutheißen, wird sich zeitnah entscheiden.

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Sven G. | Mi., 27. November 2024 - 14:59

Als ich bei dieser gefühlten „Standard“-Zeile ankam, hatte mich die Lust - an der eigentlich interessanten Lektüre - leider - verlassen.

Warum?
Wenn so etwas postuliert wird suggeriert man - uns den Lesern - „die infantile Unselbständigkeit der erwachsenen Rumänen“.

Diese monopolitische Weltsicht mit Agenda beleidigt mein Intellekt.

Es lebe das multikulturelle rumänische Volk!

Henri Lassalle | Mi., 27. November 2024 - 15:00

Wie oft hört man, dass in Rumänien alles teuer geworden ist (wegen der EU-Mitgliedschaft, heisst es), die Einkommen niedrig bleiben. Kurz, es geht das Gespenst der Fremdbestimmung um, Rumänien verliere seine Bestimmung über das eigene Schicksal, seine Souveränität.

Es ist somit eine Antithese gegenüber der nahezu ideoligischen Anschauung der EU-Administration, ein gemeinsamer Markt mit der einhergehenden Gleichmacherei sei ein Bindemittel, um ein gemeinsames Haus zu errichten. So einfach scheint dies nun doch nicht zu sein. Wir erleben gerade eine konträre Tendenz.

Christoph Kuhlmann | Mi., 27. November 2024 - 15:15

Russland ringt mit und das erstaunlich erfolgreich. Die Definition dieses europäischen Wertekanons ist niemals abgeschlossen. Kräfte, die die eigenen Werte für verbindlich halten werden sich wundern.

Manfred Sonntag | Mi., 27. November 2024 - 15:29

Ich drücke Herrn Calin Georgescu beide Daumen bei der kommenden Stichwahl, Denn er ist bestrebt Frieden in Europa, vor allem in der Region zu fördern. Das ist das Wichtigste was im Moment erreicht werden muss und allen friedliebenden Menschen ein Herzensanliegen ist. Und nebenbei bemerkt, liebes Cicerobüro, Sie schreiben Frau Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University. Das strotz nur so vor Anglizismen. Was soll da anderes herauskommen als dieser Text?

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Übrigens, ich war vor kurzem in Rumänien und kann mir ein Bild von der Lage dort machen.

Keppelen Juliana | Mi., 27. November 2024 - 15:44

die veröffentliche Meinung wieder mal geschlagen was ja eine Frechheit von den Wählern ist. Aber keine Sorge die passenden NGO`s zum Bspl. LibMod und die PR Abteilung der CIA werden schon zur Stelle sein um die richtige Person ins Amt zu heben. Obwohl sie derzeit auch noch in Georgien alle Hände voll zu tun haben. In Moldau ist es ja gerade noch mal gut gegangen dank der Stimmen aus dem Ausland. Ja der berechenbare Wähler wird immer unzuverlässiger und wählt einfach drauflos ohne Rücksicht auf die Wünsche der Strippenzieher im Hintergrund.

Armin Latell | Mi., 27. November 2024 - 17:17

sind natürlich ganz klar ermutigende Zeichen für nationalistische und populistische Parteien-in meiner Naivität hätte ich jetzt behauptet, das wäre Demokratie und Meinungsfreiheit. Aber natürlich kann es das gar nicht sein, da das ja gegen eine
prowestlichen Ausrichtung Rumäniens und gegen die Mitgliedschaften in der Nato und der Europäischen Union wäre. Wenn ich lesen muss, dass Kandidaten tabuisierte Ideen vertreten, stelle ich mir mittlerweile immer die Frage, wer diese Ideen denn tabuisiert und warum. Davon haben wir hier ja auch reichlich, und natürlich: alles populistisch. Ein Artikel, der die Position des Autors deutlich erkennbar werden lässt und ein Paradebeispiel für Meinungsmache im Ausland. Die Rumänen werden Gründe für ihr Wahlverhalten haben, am Ende müssen sie, so oder so, mit den gewählten Konsequenzen leben.

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