In Berlin protestieren Jugendliche und Netzaktivisten gegen die geplante Reform des EU-Urheberrechts
Aufgewacht aus dem politischen Winterschlaf: Tausende „Netzkinde“ demonstrieren gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform / picture alliance

Protest gegen geplante Upload-Filter - Der Aufstand der Netzkinder

Es ist die bislang größte Online-Petition in der Geschichte der EU: Knapp 4,8 Millionen Menschen haben das EU-Parlament aufgefordert, die Reform des Urheberrechts nachzubessern. Unterstützt werden sie von der Piratenpartei. Ihr Bundesvorsitzender Sebastian Alscher erklärt, warum

Sebastian Alscher

Autoreninfo

Sebastian Alscher ist ein deutscher Politiker und seit November 2018 der Bundesvorsitzende der Piratenpartei Deutschlands.

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Wir erleben gerade einen politischen Frühling in Deutschland – Tausende junger Menschen gehen auf die Straße, um zu protestieren. Vor allem Kunstschaffende, Kreative, Gamer und Netzaktivisten versammeln sich auch kurzfristig zu lautstarken Demonstrationen und zeigen ihren Unmut über die Bundesregierung. Zwar skandieren sie meistens „Nie mehr CDU!“, doch auch die SPD hat sich bei den Menschen ins politische Aus katapultiert. Insbesondere das Verhalten der Justizministerin Barley scheint das Vertrauen in die Bundesregierung zerrüttet zu haben.

Breite Ablehnung von Uploadfiltern

Hintergrund des Streits ist die geplante Reform des Urheberrechts. Seit 2016 wird auf EU-Ebene darüber verhandelt, wie das Urheberrecht an die Anforderungen der Gegenwart angepasst werden kann, dass die Rechte der Kunstschaffenden und Kreativen angemessen berücksichtig werden können. Auch heute schon gilt das Urheberrecht im Internet, und Verstöße werden verfolgt. Was sich jedoch ändern soll, ist die Frage, wer in diesem Fall für die Urheberrechtsverletzung verantwortlich ist.

Nach der neuen Richtlinie ist nicht mehr die Person verantwortlich, die eine Urheberrechtsverletzung begangen hat, sondern die Plattform, auf der die Urheberrechtsverletzung geschieht. Das bedeutet, dass kommerzielle Plattformen zukünftig für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer haftbar gemacht werden. Um dieser Haftung zu entgehen, müssen sie nachweisen, dass sie versucht haben, mit den möglichen Rechte-Inhabern Lizenzen auszuhandeln. Hierbei entstehen mehrere Probleme.

Urheber müssen vor dem Hochladen erkannt werden 

Zum einen müssen mit allen möglichen Rechte-Inhabern weltweit Lizenzen ausgehandelt werden. Zum anderen muss urheberrechtlich geschütztes Material erkannt werden. Eine Plattform kann jedoch zunächst jedoch nicht wissen, was für Inhalte ein Benutzer hochlädt – dies kann ein einfacher Kommentar sein oder aber ein urheberrechtlich geschütztes Bild eines Künstlers. Aber bereits vor Veröffentlichung des Materials muss die Urheberrechtsverletzung verhindert werden. Der derzeit bestmögliche Weg, bereits beim Hochladen geschützte Werke zu erkennen, ist eine technische Maßnahme, die auch als Uploadfilter bezeichnet wird. 

Uploadfilter sind eine Software, die erkennen soll, ob ein Werk urheberrechtlich geschützt ist und hierfür Nutzungsrechte erworben werden müssen. Diese Erkennung wird in der Regel durch mathematische Verfahren erreicht, die bereits zur Bilderkennung oder zur Erkennung bestimmter Musikstücke eingesetzt wird. Erfahrung mit diesen Filtern bei diesen verhältnismäßig einfachen Aufgaben zeigen aber, dass Fehler auftreten. Beispielsweise weil Werke falsch erkannt werden, oder weil legale Inhalte gelöscht werden, wie beispielsweise Parodien oder Zitate.

Außerdem besteht das Risiko, dass Plattformen wegen der Strafen lieber vorsichtig sind, und damit die Publikation von Werken verhindern, die uneindeutig aber dennoch legal sind, das sogenannte Overblocking. Dabei stellt erst eine tatsächlich veröffentlichte unlizenzierte Werksnutzung einen Urheberrechtsverstoß dar. Ein vorheriger Eingriff in die Freiheit zur Veröffentlichung von Inhalten wird unter allen Experten als unverhältnismäßig abgelehnt.

Für Prozesse haben Künstler kein Geld  

Diese Eingriffe betreffen keineswegs nur YouTuber, sondern auch Otto-Normal-User. Beispielsweise könnte ich für jemanden einen kleinen Videofilm aufnehmen, in dem ich ein Lied zum Geburtstag vorsinge. Ich würde mich aufnehmen und den Film auf einer Plattform wie Youtube hochladen, um meinem Freund einen Link zu dem Video zuzusenden. Wenn es sich hierbei um ein urheberrechtlich geschütztes Lied handelt, so könnte möglicherweise bereits das Zur-Verfügung-Stellen des Videos unterbunden werden. Das gleiche Problem tritt auf, wenn ich eine kleine Geburtstagsrede aufnehme und im Hintergrund mein Mobilfunktelefon klingelt, der Klingelton aber vom Anbieter geschützt wurde.

Es ist schon vorgekommen, dass private Videos von einem Fernsehsender ausgestrahlt wurden. Weil anschließend die Sendung im Internet verfügbar war, nahmen der Upload-Filter an, dass die Bildrechte vollständig beim Sender liegen. Daraufhin wurde dem Produzenten das Bildmaterial mit dem Hinweis gelöscht, offensichtlich lägen die Nutzungsrechte beim Fernsehsender. Für eine entsprechende juristische Auseinandersetzung, die zur Wieder-Veröffentlichung führen könnte, hat nicht jeder Kunstschaffende das Geld und die Zeit. 

Ökosystem für Kreative 

Fernab der Mainstream-Medien hat sich in den vergangenen 15 Jahren ein Ökosystem für Kleinkünstler und Kreative entwickelt, die insbesondere im Videoformat neue Formen der Unterhaltung entwickelt haben und alternative Geschäftsmodelle verfolgen. Das Spektrum reicht von Gamern bis zu den Produzenten von fernseh-ähnlichen Formaten. Die Reform hat sie massiv verunsichert, da mit einem Mal unklar ist, was weiterhin erlaubt ist oder nicht – und ob gegebenenfalls Produktionen als urheberrechtlich bedenklich eingestuft werden. Denn häufig fallen Beiträge unter das so genannte Zitatrecht.

Vor einigen Wochen starteten die Betroffenen eine Petition mit der Bitte, diesen Artikel 13 der Reform zu überarbeiten oder in der Abstimmung zurückzustellen – mit dem Ziel der Nachbesserung. Die Reaktionen aus der Politik waren vernichtend. So mussten sich Demonstranten als Mob beschimpfen lassen. Ihnen wurde unterstellt, sie seien gar keine Menschen, sondern Bots. Sie handelten auf Initiative von Google, sie würden sich also von dem Plattformbetreiber vor den digitalen Karren spannen lassen. Dabei verfügt Google als Betreiber von Youtube über den derzeit am weitesten entwickelten Algorithmus, der sich als Uploadfilter einsetzen lassen könnte. So schaukelte sich der Streit um die Upload-Filter hoch. Die Nutzer fühlten sich verprellt. Ihr Vertrauen in die Politik wurde beschädigt. 

Bundesregierung lehnt Upload-Filter ab – auf dem Papier 

Die Bundesregierung, so schien es, hatte das Problem mit den Upload-Filtern zunächst erkannt. Im Koalitionsvertrag einigten sich die Koalitionspartner, dass man Uploadfilter ablehnen würde. Darüber setzte sich Angela Merkel jedoch kurzerhand hinweg und entschied für die Bundesregierung, die Richtlinie in der neuen Form anzunehmen – inklusive  der Filter. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hatte im Ministerrat ein Vetorecht, nutzte dies jedoch nicht.

Katarina Barley und die SPD scheinen hier zweigleisig zu fahren. Denn einerseits betont Barley gegenüber den Protestierenden, gegen Uploadfilter als Mittel zur Durchsetzung beziehungsweise Kontrolle von Urheberrechtsverletzungen zu sein. Andererseits spielt sie eine maßgebliche Rolle für die Befürworter, indem sie mit ihrer Zustimmung zur Reform eine solche Einführung überhaupt ermöglicht. Meiner Meinung nach macht sich die SPD hier also einen schlanken Fuß, wenn sie auf die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin verweist.

Aus dem politischen Winterschlaf erwacht

Warum jedoch steht die SPD nicht zu ihrer aktuellen Entscheidung und erklärt die Ablehnung von Filtern für eine Minderheiten-Position innerhalb der Partei? Weil sie – ebenso wie die CDU und auch die Grünen, die in Teilen ebenfalls dafür stimmten – von den Protesten vollkommen überrascht wurden. Panikartig setzten die Reaktionen ein. Einzelne Abgeordnete distanzierten sich schnell, andere erklärten, dass man der Richtlinie inklusive Filtern ja zwar zugestimmt hätte, aber eigentlich ja dagegen gewesen wäre, den Passus mit den Uploadfiltern zu streichen – was in der Konsequenz eben wirkungsloser Widerspruch ist.

Bereits im Sommer 2018 haben Jugendliche ihren Protest geäußert und gegen den Artikel 13 demonstriert. Weil der Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene dermaßen langfristig ist und sich über Ausschüsse und Trilogverhandlungen leicht im bürokratischen Klein-Klein verliert, versandete der Protest aber wieder. Für die Politiker schien die Gefahr gebannt. Doch weit gefehlt. Seit Beginn des Jahres haben sich etliche weitere Influencer und Multiplikatoren dazu entschlossen, ebenfalls Position zu beziehen, um ihren politischen Winterschlaf zu beenden. Es erscheint wie ein Erwachen, eine politische Mobilisierung der „Netzkinder“, die bis dahin immer als unpolitisch abgestempelt worden waren.

4,8 Millionen Unterschriften 

Eine Wählergruppe, die aufgrund ihrer Größe und geringen Wahlbeteiligung immer außen vor gelassen wurde, begehrt nun auf. Für die Parteien ist das plötzlich ein Problem. Doch sie beziehen keine klare Position, indem sie ehrlich einräumen, dass sie sich bislang lieber für die Interessen der Verlegerverbände eingesetzt haben. Schließlich sind es Zeitungen, die Politikern eine Bühne geben. Stattdessen wird laviert – und der letzte Rest Glaubwürdigkeit verspielt. Katarina Barleys Verhalten ist da beispielhaft. Die Initiative SaveTheInternet“ übergab ihr die Petition Stoppt die Zensurmaschine – Rettet das Internet!, die wohl als die bislang größte Onlinepetition in die Geschichte eingehen wird, mit knapp 4,8 Millionen Unterschriften. Die SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl betonte zwar, sie lehne Filter ab. Doch seither warten die Unterzeichner der Petition darauf, dass ihren Worten Taten folgen. 

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Ullrich Ramps | Fr., 15. März 2019 - 10:46

Liebe Leser und liebe Journalisten,

sind wir denn unserer aktiven, echten Politiker wirklich so müde (Merkel sei von der Frage ausgenommen - wer ist denn NICHT Merkel-müde?), dass wir uns ständig mit Kindern wie Greta und völlig unbedeutenden Randerscheinungen wie den Piraten abgeben müssen?
Hat denn niemand, der auch in entscheidender Funktion ist, hierzu Relevantes zu sagen - und sollte auch spätestens von den Journalisten angeregt gezwungen werden, sich hierzu zu äußern und sich öffentlich zu seiner Position stellen müssen?
Was sagen AKK, Lindner, Scholz, Nahles, die Grünen und andere dazu?
Mich interessieren letztlich DIE (denn die bestimmen, was passieren wird!), nicht Greta, nicht die Piraten (so witzig die auch mal waren), nicht irgendeine Umweltlobby - mich interessiert, was die relevanten Personen zu den wirklich heißen Themen sagen könnten, wenn Sie denn gefordert würden!

Wir sind unserer Politiker womöglich deshalb „müde“, weil, nicht nur zu diesem Thema, nichts „Relevantes“ vom Bürger vernommen wird. Vielleicht kann aber dieses Thema die Erkenntnis befördern, welche politische Verfasstheit einer derartigen Gesetzgebung zu Grunde liegt. Es ist die Haltung von Politikern, die Angst vor dem freien, selbstddenkenden Bürger haben. Jene herrschende „Neue Klasse“, die ihre Untertanen belügt und Ihnen mißtraut, aber ihr Vertrauen verlangt. Das Handeln dieser Politiker möchte das kritische Denken ersticken, um die Untertanen in der gelenkten Demokratie besser verwalten zu können. In diesen Geist ist unsere Demokratie eingebettet und die Instrumentalisierung Minderjähriger (all die Gretas) bildet diesen Zustand trefflich ab.

gabriele bondzio | Fr., 15. März 2019 - 10:47

der Justizministerin Barley scheint das Vertrauen in die Bundesregierung zerrüttet zu haben."...ist schon komisch, man will den Bürgern Freiheiten nehmen, um ihn in ein großes (angeblich) freiheitliches Europa einzugliedern.
Das hier was nicht stimmen kann, müsste ja ein Blinder mit Krückstock merken.
Natürlich ist der Artikel 13 der Reform, welche geplant wird für viele kleine Unternehmen existenzbedrohend. Und kein Wunder das sie sich wehren. Ich habe hier auch unterschrieben, weil ich der Meinung bin, das dass Internet bleiben soll wie es ist...eine riesige Informationsquelle für Jederman.
Kein Wunder, dass sich die derzeitige Politik besonders betroffen sehen. Hat der Nutzer doch auch Zugriff auf alle Fehler, die sie sich geleistet haben und kann sich zudem,abseits von regierungstreuen Medien, informieren.

...und absolut durchsichtig der übliche Versuch, damit die ganze europäische Idee zu diffamieren.

Auch im europäischen Rahmen werden Fehler gemacht, so wie auf nationaler Ebene sowieso.

Eine im Grund durchaus berechtigte Idee ist in der Umsetzung fragwürdig, man kann den Anspruch, den Urheber zu schützen, als durchaus gerechtfertigt ansehen.

Anzunehmen, man müsse jederzeit umfassend auf alle Inhalte freien Zugang haben, ist nicht nachvollziehbar. Selbst der Cicero verlangt für bestimmte Inhalte und Funktionen separate Bezahlung.

Karl Müller | Sa., 16. März 2019 - 08:10

Antwort auf von Gerhard Lenz

Reflektionsvermögen. Was genau hat die "E-Idee" mit dem fragwürdig legitimierte Konstrukt "EU" zu tun? und warum zeichnet sich ein EU-Superstaat positiv gegen einen Nationalstaat ab?
Und wie bezeichnet man Ihre DDR-mäßige Geisteshaltung zur Informationsfreiheit? Wer Content willentlich entäußert hat jeden Anspruch verloren.
Begründeter Urheberschutz gerne, nur dumm das die EU eine Zensurinfrastruktur aufbaut. Sicher ganz praktisch im Kampf um Deutungshoheit, aber weder demokratisch legitimiert noch kontrolliert.

gabriele bondzio | Sa., 16. März 2019 - 14:00

Antwort auf von Gerhard Lenz

Ich weis nicht, Herr Lenz ob sie sich mit Artikel 11 und 13 auseinandergesetzt haben.
https://juliareda.eu/2018/07/artikel-11-13-entschluesselt/
Hier können sie lesen was auf uns zu kommt.
Mit dem Gesetzentwurf wird kein neues Urheberrecht geschaffen, sondern eines welches dem Verleger gehört. Und es wäre auch unmöglich, dass ich ihnen einen Link zur Verfügung stelle (wie oben), damit sie sich besser informieren können.
Die EU muss ich nicht diffamieren, das besogt sie mit ihren Gremien bestens selbst

ich stimme Ihnen wieder einmal zu. Unsere Politiker müssen sich ja irgendwie bei der ihnen immer gewogenen Presse revanchieren, in dem sie ihnen finanzielle Teilhabe sichert. Der selben Presse, die sich dem Internet für Recherchen zu eigen Artikel gerne bedient. Also Leeres Gerede ohne einen potentiellen Nährwert. Wie sagten Sie unlängst so schön. Werthülsen halt.:)
Einige Kommentatoren merken es, andere merken nichts oder reden es sich schön. Okay, auch eine Meinung.

Dorothee Sehrt-Irrek | Fr., 15. März 2019 - 12:35

Male lesen müssen/ wahrscheinlich mehr dazu, bis ich das Problem ansatzweise verstehe, etwas beurteilen kann.
Momentan kann ich sagen, dass jede Argumentation etwas für sich hat, aber Google vielleicht zu gut dabei wegkommt.
Was sind denn Urheberrechte? Ich denke doch das Recht, für die Benutzung eines Inhaltes durch andere auch Geld zu verlangen oder es zu untersagen, weil man mit dem Benutzer nichts zutun haben möchte.
Andererseits ist aber die schiere Nennung von etwas auch so etwas wie Bewerbung für ein Produkt, für das der Produzent normalerweise zahlen müßte.
Deshalb trage ich keine Logos von Firmen, die ich ablehne, sehe mich aber als Supporterin, wenn ich sie trage und zahle sogar dafür, weil umgekehrt durch die Logos auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen kann, das einen zu schützen vermag/ Wiedererkennung.
Bezüglichkeiten sind evtl. nicht eingleisig. Es könnte wirklich schwer sein, Streitfälle zu entscheiden.
Beteiligung an Gewinnen Googles/ Gebühr für Nutzer?