Taliban-Kämpfer in Kabul / picture alliance

Lage in Südasien und Nahost - Die Achse der Krisen

Ein Gürtel von Ländern, der sich von Südasien bis in den Nahen Osten erstreckt, befindet sich in verschiedenen Stadien des Zusammenbruchs. Der neue „Krisenbogen“ dürfte sich in den kommenden Jahren noch ausweiten.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Strategische Analysen beinhalten normalerweise eine eingehende Untersuchung eines bestimmten Bereichs oder Themas. Aber manchmal ist es notwendig, herauszuzoomen und einen Überblick aus größerer Höhe zu wagen. Der gegenwärtige Moment ist einer dieser Zeiten. 

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich eine brisante Situation entwickelt und sich über Südeurasien ausgebreitet, in einem Gebiet, das der ehemalige nationale Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzezinski, einmal als „Krisenbogen“ bezeichnete. Aufgrund eines Zusammenflusses von innerstaatlichen und regionalen Konflikten befinden sich immer mehr Staaten, die fast einen zusammenhängenden Gürtel bilden, in unterschiedlichen Stadien des Zusammenbruchs. Der neue Krisenbogen wird wahrscheinlich anhalten und sich in den kommenden Jahren sogar noch ausweiten.

Myanmar

Der Sprecher des Militärs von Myanmar erklärte am 5. August, dass die Junta des Landes den Kontakt zu hochrangigen Offizieren in einer ihrer 14 regionalen Kommandozentren verloren habe. Das Eingeständnis erfolgte zwei Tage, nachdem Rebellen der Myanmar National Democratic Alliance Army bekannt gegeben hatten, dass sie das nordöstliche Regionalkommando der Streitkräfte übernommen haben. Mehrere ethnische Gruppen haben zu den Waffen gegriffen, um gegen das myanmarische Militär entlang der Grenzen zu China, Thailand und Indien zu kämpfen. Angesichts der zunehmenden territorialen Verluste der Junta wächst das Risiko, dass Myanmar kollabiert.

Bangladesch

Ebenfalls am 5. August trat die Premierministerin von Bangladesch, Sheikh Hasina, zurück und floh nach Neu-Delhi im Zuge eines nationalen Aufstands. Das Militär hat nun die Kontrolle übernommen. Für Indien, Bangladeschs westlichen Nachbarn, stellt Hasinas Sturz nach 15 Jahren an der Macht nicht nur den Verlust einer verbündeten Regierung dar, sondern auch einen potenziellen langfristigen Sicherheitsalptraum. Das hat Indien dazu veranlasst, zusätzliche Truppen entlang der etwa 4.100 Kilometer langen gemeinsamen Grenze zu stationieren. 

Der Aufstand hat die Awami-Liga-Partei Hasinas, die das Land 1971 gegründet hat, ernsthaft geschwächt und ihrer Hauptkonkurrentin, der Bangladesch National Party, geschadet. Da die beiden Mainstream-Parteien des Landes an Boden gegenüber einer islamistischen Allianz unter der Führung der Jamaat-e-Islami verlieren, ist die Zukunft des Landes mit 175 Millionen Einwohnern äußerst ungewiss.

Pakistan

In Pakistan, Indiens westlichem Nachbarn und historischem Rivalen, spitzen sich ebenfalls jahrzehntealte politische und wirtschaftliche Probleme zu. Das Land mit 245 Millionen Menschen (dem fünftbevölkerungsreichsten der Welt) benötigt Milliarden von Dollar an Finanzhilfen, um einen Zahlungsausfall zu vermeiden. Aber seine üblichen Gönner sind nicht gewillt, es zu retten. 

Die Militärführung des Landes hat traditionell das politische System dominiert, steht jedoch nun vor beispiellosen Herausforderungen durch die beliebteste politische Partei und die Justiz. Währendessen muss die Militärführung auch zwei Aufstände und öffentliche Unruhen im Westen des Landes bekämpfen. Diese multiple Krise drängt den nuklearbewaffneten Staat in Richtung eines systemischen Zusammenbruchs. Das gefährder die Sicherheit in der am dichtesten besiedelten Region der Welt.

Afghanistan

Drei Jahre nachdem die Taliban die Kontrolle im Zuge des US-Rückzugs übernommen haben, konsolidieren sie weiterhin ihre Macht in Afghanistan. Trotz ihrer Schwierigkeiten, von einer Aufstandsbewegung zu einer Regierungsentität zu werden, nutzen die Taliban die durch Pakistans Krise gebotene Gelegenheit aus. Insbesondere unterstützen sie die Bewegung der pakistanischen Taliban-Rebellen, die Fortschritte bei der Errichtung eines Schwester-Emirats in den paschtunischen Gebieten im Nordwesten Pakistans machen. Infolgedessen steuern Islamabad und sein ehemaliger Stellvertreter, der nun in Kabul sitzt, auf einen Konflikt zu.

Iran

Wie die Nordwestregion Pakistans mit der Taliban-Bewegung verbunden ist, ist auch die südwestliche, balutschisch-majoritäre Region Pakistans mit der Unruhe und dem Aufstand der Balutschen jenseits der Grenze im Iran verbunden. Rebellen beider Länder suchen Zuflucht im Gebiet des jeweils anderen. In einer Zeit, in der der Iran am Rande eines historischen politischen Übergangs steht, stellen seine abgelegenen Provinzen Sistan und Belutschistan eine große Herausforderung dar. Wichtiger ist, dass Teherans jahrzehntelange Strategie, durch Stellvertreter seinen Einfluss westwärts in die arabische Welt auszudehnen, dazu geführt hat, dass es gegenwärtig in einen großen Konflikt mit Israel und damit auch mit den Vereinigten Staaten verwickelt ist. 

Irak

Pro-iranische politische Fraktionen und Milizen dominieren den Irak, was Teheran ermöglicht, seinen westlichen Nachbarn zu nutzen, um die eigene Macht im Nahen Osten weiter auszudehnen. Ein wichtiger Knotenpunkt im iranischen Stellvertreternetzwerk – das sich von der westlichen Grenze Irans bis zum östlichen Mittelmeer erstreckt – hat der Irak als wichtiger Durchgangskorridor für das Islamische Revolutionsgardenkorps gedient, um seine operative Fähigkeit im Levante-Gebiet zu festigen. Irakische Milizen könnten auch als Kraftvervielfacher im eskalierenden Konflikt des Iran mit Israel fungieren.

Syrien

Acht Jahre nachdem es den Bürgerkrieg überstanden hat, größtenteils dank massiver Bodenunterstützung durch von Teheran mobilisierte Milizen, ist das Assad-Regime im Wesentlichen ein Vasallenstaat des Iran geworden. Die Kontrolle über Syrien ist für den Iran entscheidend, um einen zusammenhängenden Einflussbogen von seinen Grenzen bis zum östlichen Mittelmeer aufrechtzuerhalten. Irans Einfluss in Syrien ist auch ein Schlüsselfaktor in den Bemühungen Teherans, Israel strategisch einzukreisen. Langfristig sind Syrien und auch der Irak für die Iraner von entscheidender Bedeutung, um die Türken zu blockieren, die in Zukunft eine größere Rolle in der arabischen Welt spielen wollen.

Libanon

Als Heimat des wichtigsten regionalen Stellvertreters Teherans, der Hisbollah, ist der Libanon ein wichtiger Außenposten in Irans strategischen Plänen für die Region. Seine Nähe zu Israel verstärkt Irans Fähigkeit, die Israelis zu bedrohen, und die Hisbollah wird wahrscheinlich eine Schlüsselrolle in Irans erwarteter Vergeltung für die Ermordung eines Hamas-Führers im Inneren der iranischen Hauptstadt durch Israel spielen. Israel verfügt jedoch über die militärische Fähigkeit, nicht nur der Hisbollah, sondern auch dem Libanon, der sich inmitten einer schweren politisch-ökonomischen Krise befindet, erheblichen Schaden zuzufügen.

Jemen

Die Huthis sind als dominierende Fraktion aus dem jemenitischen Bürgerkrieg hervorgegangen, der seit den frühen Tagen des Arabischen Frühlings tobte und sich 2015 mit der Intervention Saudi-Arabiens intensiviert hat. Der Krieg bot dem Iran wohl seinen bedeutendsten Einfluss in der arabischen Welt. 

Zusammen mit dem iranischen Einflussbogen entlang des nördlichen Randes des Nahen Ostens vervollständigt Jemen, das sich an der südlichen Grenze Saudi-Arabiens und am Schnittpunkt von Arabischem und Rotem Meer befindet, die Einkreisung der arabischen Welt durch den Iran. Die Entscheidung der Huthis – in Abstimmung mit ihren iranischen Schirmherren – kommerzielle Schiffe zu stören, die versuchen, den Suezkanal zu durchqueren (während sie auch Israel ins Visier nehmen), bedeutet, dass Jemen noch jahrelang ein zentrales Schlachtfeld bleiben wird.

Ausblick

Der eurasische Instabilitätsbogen verläuft durch den Nahen Osten und Südasien, kann aber auf den Südkaukasus, Zentralasien und Südostasien übergreifen. Er ist keineswegs eine Randfrage, sondern stellt eine ernsthafte und unmittelbare Bedrohung für russische und chinesische Interessen dar und wird etwas sein, mit dem sich die Vereinigten Staaten auf absehbare Zeit auseinandersetzen müssen.

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Dietmar Philipp | So., 11. August 2024 - 16:02

beides ist sehr komplex und unübersichtlich.
Die hauptsächlichen Glaubensrichtungen Christen 2,5 Milliarden, Islamisten 2 Milliarden, Hinduismus 1,2 Milliarden, (Juden 16,8 Millionen) prägen unsere Welt. Ich bin mir nicht sicher, aber viele Einzelne und Gruppen sind mit dem Zustand der Weltregierenden (Kriege/Konflikte) nicht einverstanden, so dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten -leider auch mit tödlichem Terrorismus- versuchen "ihre Ordnung" der Menschheit aufzudrängen und die Regierenden damit bestrafen. All dies ist völlig neu und komplex zu begegnen mit einer weltweiten "ANTITERROREINRICHTUNG".

Reinhold Schramm | So., 11. August 2024 - 16:24

»Das Bundesinnenministerium kennt mehr als 40.000 Menschen, die als Ortskräfte in Afghanistan gearbeitet haben oder zu deren Kernfamilie gehören. Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass noch eine hohe vierstellige Zahl an Menschen hinzukommt, für die Deutschland humanitär verantwortlich ist.« (01.09.2021, tagesschau.de)

Es waren 93.000 Frauen und Männer der Bundeswehr, die in 20 Jahren im Einsatz waren. »Einige der Frauen und Männer flogen jedoch mehr als einmal an den Hindukusch, wo sie sich für Freiheit und Demokratie einsetzten. So ergibt sich rein rechnerisch die Summe von 160.000.« (bundeswehr.de)

►Offiziell befinden sich heute (bereits) mehr als 600 000 Afghanen, einschließlich Familienangehörigen in Deutschland.

►Wenn im Verlauf von 20 Jahren (nur) jeder Angehörige der Bundeswehr eine einzige Hilfskraft/Ortskraft beanspruchte und die durchschnittliche Familiengröße bei 32 Personen (Kinder, Frauen und Alte)
{...}

Nachtrag, Teil II.

Reinhold Schramm | So., 11. August 2024 - 16:34

{...}
Wenn im Verlauf von 20 Jahren (nur) jeder Angehörige der Bundeswehr eine einzige Hilfskraft/Ortskraft beanspruchte und die durchschnittliche Familiengröße bei 32 Personen (Kinder, Frauen und Alte), dann hätten im Rahmen der Familienzusammenführung rund drei Millionen Afghanen einen Anspruch auf Asyl in Deutschland (2 978 000 / Millionen).
Erinnerung:
►Laut Bericht wurden 300 000 gut ausgebildete wehrfähige afghanische Militärangehörige ausgebildet.
►In der Endphase des internationalen westlichen Militäreinsatzes verfügten die Taliban (nur) über 70 000 Barfuß- und Sandalenkämpfer.
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Zudem befinden sich bereits 1,3 Millionen Syrer in Deutschland. Davon rund 70 % (junge) Männer und Kinder. Hunderttausende hatten eine militärisch-staatliche und feudal-islamische Militärausbildung.
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Offiziell rund 300 000 [mehr als 400 000] palästinensische Migranten und Asylanten. Davon mehr als 60 000 in Berlin. Weiter Hunderttausende werden sich auf den Weg machen (müssen).

Albert Schultheis | So., 11. August 2024 - 19:18

Was verbindet die Länder der Achse? Was ist ihr zentrales Problem? - Wir sollten nicht um den politisch inkorrekten heißen Brei reden, sondern Ross und Reiter nennen: Es ist der Islam, Dummy! Diese sog. Religion, die eigentlich eine polit-militärisch-mafiöse Sekte darstellt, und die über die einzelnen Länder hinweg engste ideologische, finanzielle und logistische Verbingungen unterhält, strebt nach nichts weniger als der Weltherrschaft! Man kann die Achse im Osten durchaus nach Thailand, Indonesien bis nach Philippinen verlängern, im Westen über die Türkei, den Balkan bis nach Deutschland, Frankreich und Uk. Alle diese Länder befinden sich innerhalb dem unmittelbaren Beuteschema der Mafia-Sekte. Wäre der Westen nicht totalitär verblödet, würde er den engen Schulterschluss zwischen USA, Europa, Russland und China suchen, um der schleichenden Eroberung entgegenzutreten, aber Europa muss wohl erst im islamischen Totalitarismus absaufen, bis man begreift, dass man Geld nicht fressen kann!

Romuald Veselic | So., 11. August 2024 - 19:27

Bedrohung f Europa, zumal VR China läßt niemals zu, dass in diesem Land, etwas für die Volksrepublik bedrohliches entsteht, am wenigstens aus dem religiösen Faktor. Bevölkerungsmehrheit sind Buddhisten.

Ähnlich steht es um Pakistan, mit Milliardeninvestitionen aus China, sowie chinesischen Arbeiterkontingenten vor Ort. Das wissen die Pakis u müssen dementsprechend handeln, um nicht zu untergehen.

Der gefährlichste ist der Iran, verkörpert durch den herrschenden Klerikalfaschismus der übelsten Sorte, samt Schergentrupps von Revogarden, sowie der militarisierten Gangstersoldateska der 3H-Organisationen - Hisbollah/Hamas/Huti. Dagegen kann die beste deutsch-feministische Politik - 2-mal nixx bewirken.

Ich freue mich auf die 33. Woche. 😹

Tomas Poth | So., 11. August 2024 - 19:45

Bis auf Myanmar alles muslimische Länder, und ein weiteres Merkmal: Alles ehemalige britische Kolonien oder Einflußzonen!
Was soll uns das sagen!?

Kann vlt. so kommen.
Ich denke eher, daß derzeit andere Länder für die alte imperialistische Politik der Briten heute zur Kasse gebeten werden, z.b. Deutschland und andere EU-Staaten.