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() Protest gegen das Internet-Sperrgesetzt, entstanden unter der Federfürhung Ursula von der Leyens

Kinderpornographie im Internet - Löschen statt sperren – es geht!

Das Internetsperr-Gesetzt, das Ursula von der Leyen in der Internetgemeinschaft den Spitznamen „Zensursula“ bescherte, ist vom Tisch. Alvar C. H. Freude, Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft im Bundestag, erklärt warum das Sperrgesetzt nicht die Opfer, sondern die Täter geschützt hätte.

Das von der großen Koalition Im Juni 2009 eingeführte und umstrittene Internet-Sperrgesetzt - offiziell Zugangserschwerungsgesetz - ist außer Kraft gesetzt. Auch sie haben gegen das Gesetz mobil gemacht und Verfassungsbeschwerde eingereicht. Warum?
Das Gesetzt schützt weder die Opfer von Kindesmissbrauch, noch ist es aus bürgerrechtlichen Gesichtspunkten vertretbar. Es sieht den Aufbau einer Sperrinfrastruktur vor, die für beliebige Inhalte genutzt werden kann. Die Erfahrung aus skandinavischen Ländern wie Dänemark hat gezeigt: Wenn die Technik erst einmal steht, wird sie auch für andere Zwecke verwendet. Dort haben auch private Interessensgruppen Sperrungen durchgesetzt, die zum Teil abstrus sind. Man hat eine Internetseite mit türkischer Domain gesperrt, weil es in Dänemark ein Unternehmen mit dem gleichen Namen gab und die Firma auf Markenrechtsverletzung geklagt hatte. Natürlich stand die türkische Seite, bis auf den Namen, in keiner Verbindung zur dänischen Firma. Spätestens bei solchen Fällen führt eine Sperrung ins Absurde.

War das Argument, gegen Kindesmissbrauch vorzugehen zu wollen, ein politisches Mittel, mit dem beim Bürger eine Toleranzschwelle für eine solche Sperr-Infrastruktur überwunden werden sollte?
Ganz genau. Beim Thema Kindermissbrauch setzt - verständlicherweise - sehr häufig der Verstand aus. Natürlich ist es grundsätzlich zu befürworten, wenn jemand etwas gegen die Darstellung von sexuellem Missbrauch an Kindern unternimmt. Allerdings muss man auch hinterfragen, welche Maßnahme sinnvoll ist.

Können Sie dem Laien erklären, wie die Sperren ausgesehen haben?
Zunächst einmal waren die Sperren nicht aktiv. Der Bundestag hat das Gesetzt zwar verabschiedet, es gab aber eine sechsmonatige Übergangszeit. Zwischenzeitlich fanden die Bundestagswahlen statt. Nachdem Schwarz-Gelb die Wahlen 2009 gewonnen hatte, haben die Liberalen in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, diese Frist auf ein Jahr zu verlängern. Jetzt wird das Gesetz endgültig ausgesetzt. So wünschenswert das auch ist - rechtsstaatlich ist es äußerst bedenklich. Das Gesetz wurde vom Parlament verabschiedet. Die Bundesregierung hat nicht das Recht, das Gesetz einfach nicht mehr anzuwenden. Ähnlich wie beim Atom-Moratorium hat die Bundesregierung sich in der Entscheidung über den deutschen Bundestag und damit über die Legislative hinweggesetzt. Auch im Rechtsausschuss des Bundestages war man sich einig, dass das nicht geht.

Wie hätte eine solche Sperre denn funktioniert?
Hier kommen wir zum zweiten bedenklichen Punkt, nämlich die Probleme aus Sicht der Opfer. Die Sperren sind letztlich nur Fassade und helfen den Tätern sogar, ihre Spuren zu verwischen. Bei der technischen Umsetzung, die die Bundesregierung bevorzugt hätte - im Übrigen, weil sie die einfachste ist-, muss man sich das in etwa folgendermaßen vorstellen: Computer werden im Internet über eine IP-Nummer identifiziert. So hat zum Beispiel auch der Server von Cicero Online eine solche IP-Nummer. Nun wollen Ihre Leser nicht jedes Mal eine kryptische Zahl eingeben, um ihre Seite zu besuchen. Dafür gibt es einen sogenannten DNS-Server. Der funktioniert ähnlich wie ein Telefonbuch. Auf solch einem Zentralrechner wird jede IP-Nummer eines Servers, so auch dem Cicero-Server, ein Name zugewiesen: Den kennt der Laie als Internetadresse einer Webseite. In Ihrem Fall wäre das www.cicero.de. Bei einer Sperrung von Cicero Online würde der Internetadresse www.cicero.de eine falsche IP-Nummer zugewiesen.

Unsere Leser würden sich bei einer Sperre also verwählen …
Sozusagen. Anstatt auf Ihre Homepage, stieße der Nutzer auf eine Warnseite. Nun weiß man, dass Kinderpornographie aufgrund der internationalen Ächtung im Netz sehr schwer zugänglich ist. Die Nutzer sind also technisch bestens gerüstet, solche Sperren zu umgehen.

Die Anbieter von kinderpornographischem Material sicherlich auch?
Die Anbieter können auf andere DNS-Sever ausweichen, bildlich gesprochen ein anderes Telefonbuch nutzen, beispielsweise eines im Ausland. Noch problematischer bei der Sperrung ist: Sie hilft einem Anbieter von Darstellung sexuellen Kindesmissbrauchs dabei, sich zu schützen. Indem er seine eigene Seite aufruft, kann er ganz leicht selbst überprüfen, ob die Seite gesperrt ist. Sieht er eine Sperre, weiß er: "Ich werde verfolgt". So kann er seine Spuren verwischen oder sich auf eine Hausdurchsuchung vorbereiten. Diese Prüfung kann er ohne großen technischen Aufwand sogar automatisieren. Somit warnt ihn die Sperre vor Verfolgung und schützt den Täter.

Sollte man die Inhalte also besser ganz löschen?
Ja, denn die Ermittler haben dabei anders als beim Sperren die Möglichkeit, die Spuren zu analysieren und so die Täter zu verfolgen. Dass das funktioniert, kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Für den Unterausschuss "Neue Medien" im Bundestags habe ich die dänische Sperrliste untersucht: Auf der Liste waren insgesamt 327 Adressen verzeichnet, ich habe etwa 190 analysiert. Auf nur vier Seiten fand ich einschlägige Inhalte. In den anderen Fällen existierte die Adresse nicht mehr, beziehungsweise waren die Inhalte entfernt oder harmlos. Bei zwei der vier Seiten habe ich es mit nur einer E-Mail an die Provider geschafft, die Inhalte innerhalb von 30 Minuten löschen zu lassen. Zuvor standen die Seiten zwei Jahre lang auf der dänischen Sperrliste. Für Nutzer mit ein wenig Know-How waren sie die ganze Zeit über erreichbar. In den anderen beiden Fällen dauerte es drei beziehungsweise fünf Stunden, bis die Kinderpornoseiten vom Netz waren. Ich hatte eine Erfolgsquote von 100 Prozent. Es geht also.

Das Internet scheint zunehmend politisch zu wirken: Guttenplug, die sogenannte Facebook-Jugend in der arabischen Welt, Wikileaks oder auch online organisierte Proteste gegen Bankenrettung und soziale Kürzungen in Großbritannien - welche Rolle spielt das Internet für die Entwicklung der Demokratie?
Ich komme aus Stuttgart. Als am 30. September die Polizei mit Wasserwerfern gegen die Demonstranten vorging, hatte der Innenminister von Baden-Württemberg am Abend behauptet, Demonstranten hätten zuvor Steine geworfen. Die Medien vertrauen dem Wort des Innenministers, er hat für sie per se Glaubwürdigkeit. Die Anwesenden wussten zwar, dass das falsch war. Ohne das Internet wäre die Wahrheit möglicherweise erst Monate später in einem Untersuchungsausschuss an die Öffentlichkeit gelangt. Durch die Kommunikation im Netz, besonders über Videos, war sehr schnell klar, dass von den Demonstranten, bis auf wenige Ausnahmen, keine Gewalt ausging. Eine solche Demokratisierung der Öffentlichkeit konnte nur durch das Internet erreicht werden. Dadurch liegt die Informationshoheit nicht mehr bei einigen Wenigen.

Werden Journalisten dadurch überflüssig? Wenn jeder selbst alles nachlesen kann, wofür wird die Presse dann gebraucht?
Die Informationsfluten im Internet sind gewaltig. Deshalb braucht man Journalisten mehr denn je. Der Einzelne hat einfach nicht die Zeit, alle relevanten Informationen zu filtern und zu bündeln. Das erfordert Profis, die dem Leser die Informationsbeschaffung erleichtert. Andererseits kann ich mich in Themen, die mich besonders interessieren, vertiefen und verschiedene Meinungen einholen. Natürlich gewinnt der Einzelne dadurch mehr Unabhängigkeit von den Medien. Da der Tag aber nur 24 Stunden hat, kann er diese Möglichkeiten nur beschränkt nutzen und ist auf Journalisten angewiesen.

Herr Freude, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Peter Knobloch

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