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Merkel und Sarkozy: Auf den Handkuss kommt es an

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ist die einzige politische Beziehung, die mit dem Vokabular der Amour fou beschrieben wird. Da ist gerne von „Ehekrise“ oder „Scheidungsdrohung“ die Rede. Wie aber sieht es zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy wirklich aus?

Sicher denkt sie mit Nostalgie an den luftigen Handkuss, den Jacques Chirac einige Zentimeter über ihrem Handrücken im Leeren schweben ließ. Ein Kuss, den sie durchaus goutierte, wie an ihrem etwas verlegenen Lächeln, an ihrem leicht zur Seite geneigten Kopf, an ihren leuchtenden Augen zu sehen war. Ein höflicher, galanter, lautloser Kuss. Vorbei die Zeiten, als Jacques Chirac, die pomadisierten Strähnen an den Schädel geklebt, mit vorgerecktem Oberkörper die Freitreppe des Elysée hinuntereilte, um Angela Merkel mit einem Handkuss alter Schule zu empfangen. Der alte Chirac wusste, wie man es anstellt, dem „Mädchen“ aus der Uckermark den Auftritt einer Femme fatale zu verschaffen. Nicolas Sarkozys Umgangsformen sind eher hemdsärmelig, um es vorsichtig auszudrücken. Abrupt platziert der Präsident zwei geräuschvolle Küsschen auf die Wangen der Kanzlerin. Einer rechts, einer links. Schmatz. Schmatz. Fertig. Manchmal versetzt er ihr sogar einen fast brutalen Schlag auf den Rücken. Wie man es mit Regimentskameraden oder Stammtischgenossen macht. Männer unter sich. Unübersehbar, dass Angela Merkel so etwas nicht mag. Dass sie diese Cowboy-Allüren toleriert, um keinen diplomatischen Zwischenfall auszulösen. Sie hat sich daran gewöhnen müssen. Sie zuckt leicht zusammen. Ihr Körper erstarrt. Ihre Mundwinkel rutschen nach unten. Sie gibt die Küsschen zurück, aber sie ist nicht mit dem Herzen dabei. Mit Nicolas Sarkozy ist sie wieder FDJ-Funktionärin geworden, ein eher asexuelles Wesen, Typ guter Kumpel. Schon das Begrüßungsritual und der erste Körperkontakt zeigen, dass es zwischen den beiden hakt. Keine Harmonie in den Gesten. Keine spontane Anziehung. Keine natürliche Sympathie. Kaum gemeinsame Interessen. Biografien und Sozialisation diametral entgegengesetzt. Nicht einmal eine gemeinsame Sprache verbindet sie. Er spricht kein Deutsch, und sein Englisch ist alles andere als makellos. Sie hat in der Schule Russisch, nicht Französisch gelernt. Alles trennt sie. Zunächst ihre Ursprünge. Sie ist Tochter von Horst Kasner, einem nüchternen Pastor, der Hamburg freiwillig verließ, um im heidnischen Ostdeutschland zu missionieren. In ihrer Erziehung spielten Pflichtgefühl und moralische Strenge eine große Rolle. Eine bescheidene Kindheit in Templin, einem kleinen Städtchen tief in der ostdeutschen Provinz, zwischen den geistig Behinderten vom Waldhof, den Sonntagspredigten des Vaters und den Lagerfeuern der FDJ. Nicolas Sarkozy ist der Sohn von Pál Sarközy de Nagy-Bocsa, einem nach Frankreich geflüchteten ungarischen Aristokraten. Ein nonchalanter Don Juan, der sich in seiner durchgedrehten Autobiografie damit brüstet, er habe sein Leben lang „seine Melancholie auf Frauenkörper gleiten lassen“. Nach seiner Scheidung sieht dieser eigenartige Vater seine Söhne nur noch sporadisch. Nicolas wächst in dem mondänen Pariser Vorort Neuilly auf, Revier von altem Geld und Jeunesse dorée, zu der er nicht gehört. Bis heute könnte das Privatleben der beiden Spitzenpolitiker nicht unterschiedlicher sein. Angela Merkel wohnt mit ihrem schemenhaften Ehemann in einem nicht sehr großen Apartment im Zentrum von Berlin oder in einer Datsche am Ende eines uckermärkischen Trampelpfads. Nicolas Sarkozy logiert im edlen Élysée-Palast und verbringt seine Ferien auf der Jacht eines seiner steinreichen Freunde oder auf dem Anwesen seiner unübersehbaren Frau Carla, Spross der italienischen Großbourgeoisie. Er liebt Geld und auffälligen Luxus, ohne sich dafür zu genieren. Man stelle sich Angela Merkel mit Rolex, Ray-Ban-Sonnenbrille und Louis-Vuitton-Täschchen vor! Eine Gemeinsamkeit immerhin gibt es in ihren Lebenswegen. Auf ihre eigene Art sind sowohl der Präsident als auch die Kanzlerin Außenseiter. Nicolas Sarkozy, „gemischtblütiger Franzose“, wie er sich gern beschreibt (seine Mutter ist griechisch-jüdischen Ursprungs), Sohn geschiedener Eltern, ist vom politischen Establishment in Paris nie wirklich akzeptiert worden. Und außerdem hat er nicht die ENA absolviert, für die Elite der Republik eine obligatorische Station. Er hat als Rechtsanwalt angefangen, bevor er mit 28 Jahren und gegen Widerstände im eigenen Lager Bürgermeister von Neuilly wurde. Auch Angela Merkels Weg zum Gipfel verlief abseits der üblichen Pfade. Wer hätte sich vor 20 Jahren träumen lassen, dass eines Tages eine Ossi das wiedervereinte Deutschland regieren würde, als erste Frau noch dazu! Diese Physikerin aus der „Zone“, Neuling in der Politik, überholte all diejenigen, die im Westen auf ihre Gelegenheit gewartet hatten, nachdem sie in langjährigen Mühen die Stufen der CDU-Hierarchie erklommen hatten. Wird Angela Merkel in den Kreisverbänden der CDU im hintersten Baden-Württemberg wirklich als eine der ihren akzeptiert? „Die Deutschen überlegen, wir handeln!“, witzelte der sichtlich ungeduldige französische Präsident, als die Kanzlerin der vorsichtigen kleinen Schritte während der griechischen Krise nicht sofort eine Entscheidung traf. Angela Merkel gestaltet die Politik wie eine Versuchsanordnung im Labor: eine Phase nach der anderen, vorsichtig, nicht übereilt. Nie verliert sie die Nerven. Nie braust sie in der Öffentlichkeit auf. Nie wird sie unhöflich. Nicolas Sarkozy ist ein Haudegen, impulsiv, cholerisch. Dieser „Hyperpräsident“ ist überall und nirgends. Selbst sein Gesicht mit den vielen Tics scheint sich ununterbrochen zu bewegen, und man erzählt sich, dass die Kanzlerin im engsten Beraterkreis den kleinen französischen Präsidenten glänzend imitiert. Angeblich widert Angela Merkel sein überdimensionales Ego an. Sarkozy rühmt sich, 95 Prozent des Euro-Rettungsschirms stammten von ihm (mit anderen Worten: nicht von seiner knauserigen Partnerin). Sarkozy fährt schnell aus der Haut, er wirft Passanten Flüche an den Kopf, wenn sie ihm dumm kommen. Das seines Amtes so wenig würdige „Casse-toi, pauvre con!“ (Verpiss dich, du Arschloch) ist in den schon recht umfangreichen Katalog der Sarkozy-Schnitzer eingegangen. Eine derartige Entgleisung wäre bei Angela Merkel undenkbar. Beim europäischen Gipfel in Brüssel brauchte sie ihre ganze Selbstbeherrschung, um die Blamage des „lieben Nicolas“ auszubügeln. Als ganz Europa dessen Entscheidung kritisierte, die Roma aus Frankreich auszuweisen, ging Sarkozy in die Luft, er deckte ein Komplott gegen die Ehre seines Landes auf und behauptete, auch Deutschland plane, seine Sinti- und Roma-„Lager“ zu evakuieren. Angela Merkel behielt ruhig Blut. Sie begnügte sich mit dem Hinweis, es handele sich um ein bedauerliches „Missverständnis“, und im Übrigen gebe es in Deutschland keine „Lager“. Was ist das für ein Präsident, der sich ganz offensichtlich seine eigene Realität zusammenbastelt und nicht genau weiß, was er da sagt? Seit dieser „ungekrönte Monarch“ in Paris herrscht, können die Deutschen und ihre Kanzlerin es kaum fassen, welch seltsame Komödie jenseits des Rheins gegeben wird. „Der Staatschef“, schreibt der Kolumnist Alain Duhamel in Libération, „konzentriert einen gewaltigen Hass auf seine Person, einen Hass, der das Internet und fast die gesamte Presse überschwemmt, der sich in Radio- und Fernsehdiskussionen ausbreitet und ein Buch nach dem anderen inspiriert. Nicolas Sarkozy ist zum meistverabscheuten Mann in Frankreich geworden, keiner der Präsidenten der V.Republik wurde so verachtet wie er.“ Angela Merkel steht auf dem Politbarometer ihres Landes trotz der Krisen ihrer Regierung immer noch oben. Und die Franzosen verehren Angéla, ihren Wesenszug als zurückhaltende Hausfrau und Mutter der Nation, die das Parlament respektiert, keine Leichen im Keller hat, keinen dreisten Nepotismus pflegt. Besonders deutlich wird der schier unüberbrückbare Gegensatz in der politischen Kultur unserer beiden Länder, wenn man die Wahlabende der beiden Regierungschefs vergleicht. Im weißen Hemd saß Nicolas Sarkozy am Abend seines Sieges auf dem Rücksitz seiner schwarzen Limousine und umkreiste in der Pose des einsamen Helden die Place de la Concorde. Neben dem Pathos dieser Inszenierung wirkt die Inthronisation Angela Merkels – ein strahlendes Lächeln und ein großer Blumenstrauß im Arm – in ihrer Bescheidenheit fast bieder. Im Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland spricht man von „Paar“, von „Chemie“, die „stimmt“ oder „nicht stimmt“. Man benutzt die immer gleichen abgegriffenen Bilder: „Ehekrise“, „beleidigtes Schmollen“, „Scheidungsdrohung“ … Diese politische Beziehung ist weltweit die einzige, die ihren Wortschatz dem amourösen Vokabular entlehnt. Der Unterschied der Geschlechter ist also nicht zu vernachlässigen. Zum ersten Mal ist das französisch-deutsche Paar zweigeschlechtlich. Ein Mann in Paris. Eine Frau in Berlin. Ein Typ Frau, mit dem Nicolas Sarkozy sich früher nie abgegeben hätte. Angela Merkel gehört zu der Generation von deutschen Frauen, für die Lippenstift, Nagellack und enthaarte Beine bestenfalls einen Akt der Unterwerfung unter das männliche Begehren darstellen, schlimmstenfalls einen Hinweis auf eine Frau von zweifelhafter Moral. Erst nach sehr langer Zeit war sie damit einverstanden, dass eine Stylistin sich um ihre Garderobe und ihre Frisur kümmert und sie schminkt. Was für ein Unterschied zu den Pin-ups, die Sarkozys Universum bevölkern! Schon das weibliche Personal der französischen Politik: Ségolène Royal, Rachida Dati, Christine Lagarde und besonders die Schönste von allen, die göttliche Carla Bruni mit ihrem Ruf als männerfressende Gottesanbeterin. Sarkozy ist ein „homme à femmes“. Der Ausdruck ist nicht ins Deutsche übersetzbar. Irgendwo zwischen „Schürzenjäger“ und „Frauenheld“, wobei die abwertende Konnotation im Französischen fehlt und die Bezeichnung eher bewundernd gemeint ist. Für Angela Merkel ist Nicolas Sarkozy ein Marsmensch. Gegensätze ziehen sich an. Ein Gesetz der Liebesphysik, das auf die deutsch-französischen Paare in besonderem Maße zutrifft. Schmidt-Giscard, das verstand sich nicht von selbst. Kohl-Mitterrand, das war schon sehr bizarr. Und doch hielten diese beiden schlecht zueinanderpassenden Paare Jahre durch. Mit großem Elan haben sie Europa aufgebaut. Merkel-Sarkozy erscheint dagegen als grobe Missheirat. „Wenn wir in Europa etwas durchsetzen wollen, geht das nicht ohne Frankreich. Das ist eine alte Erfahrung“, sagte Angela Merkel mit trüber und fast resignierter Stimme, als sie erklärte, warum sie sich mit Nicolas Sarkozy verständigen musste, um den Vertrag von Lissabon zu ratifizieren und damit in der Eurozone weitere Krisen als Folge der griechischen Probleme zu vermeiden. „Also habe ich mich mit Nicolas Sarkozy getroffen“, fügte sie hinzu. Ohne jedes Tremolo der Leidenschaft, ohne eine Spur von Enthusiasmus in der Stimme. Nicht gerade eine leidenschaftliche Liebeserklärung. Auf der französischen Seite der gleiche lauwarme Pragmatismus. Sarkozy, der sich seit seinem Machtantritt privat über diese allzu exklusive Beziehung mokierte, der die Vorzüge variabler Allianzen mit den anderen europäischen Großen pries und von einer feurigeren Union für das Mittelmeer träumte – auch er hat sich der Kraft des Faktischen ergeben: Ohne Deutschland geht nichts mehr. Im Elysée weiß man sehr wohl, dass ein französisch-deutscher Konflikt Europa nur schaden kann. Dem Paar Merkel-Sarkozy fehlt eine gemeinsame fundamentale und emotionale Erfahrung, die sie über das mühsame Tagesgeschäft hinaus verbinden würde. Giscard und Schmidt, Kohl und Mitterrand einte bei allem Trennenden die traumatische Erfahrung des Krieges. Sie teilten die gleichen Jugenderinnerungen. Sie hatten einen zwingenden Grund, die deutsch-französische Freundschaft aufzubauen und Europa voranzubringen. Angela Merkel wurde 1954 geboren, Nicolas Sarkozy 1955. Zwei Kinder der fünfziger Jahre. Für diese Generation bedeutet die deutsch-französische Freundschaft Garben von Fahnen, Sonntagsreden vor Kriegerdenkmälern, Händeschütteln im Fernsehen. Pompöse und monotone Rituale, Langeweile oder sogar Gleichgültigkeit. Merkel und Sarkozy haben weder den Krieg noch die zerstörten Städte der Nachkriegszeit erlebt. Für sie sind die Zwietracht zwischen Frankreich und Deutschland, der gewalttätige Nationalismus, der unstillbar erscheinende Hass nichts weiter als große Worte in den Geschichtsbüchern ihrer Schulzeit. Anders als ihre Vorgänger kultiviert auch keiner von beiden eine Faszination für das Nachbarland. Schröder erzählte, wie er in Frankreich Rotwein und Camping kennenlernte. Fischer erinnerte sich an den 2CV und die Gauloises ohne Filter. Das St.Tropez von Angela Merkel ist der Balatonsee. Und offenbar ist sie nie auf die Idee gekommen, die verlorene Zeit aufzuholen, denn sie verbringt ihren Urlaub nicht in Frankreich. Bevor Nicolas Sarkozy gewählt wurde, war Deutschland für ihn ein klaffendes Loch mitten in der Europakarte. Man kann ihn sich kaum im Urlaub in den bayerischen Alpen oder zu Besuch bei Jürgen Habermas vorstellen, wohingegen François Mitterrand mit Ernst Jünger philosophische Fragen erörterte. 65 Jahre nach dem Ende des Krieges zahlen wir den Preis für die wiedergefundene Normalität. „Wenn Europa sich weiterentwickeln soll, muss die französisch-deutsche Intimität wiederbelebt werden“, empfahl Valéry Giscard d’Estaing im vorigen Sommer. Und genau das ist es, was dem in die Jahre gekommenen Paar fehlt. Übersetzung: Elisabeth Thielicke

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