Wie Hitler Planck umbrachte
Der Sohn des Nobelpreisträgers Max Planck wurde von den Nazis ermordet. Erwin hatte für den Widerstand gearbeitet, getarnt als Berater des Industriellen Otto Wolff. Der erst jetzt ausgewertete Nachlass enthüllt das bislang unbekannte Drama seiner Familie.
Der lange geplante Umsturzversuch scheiterte. Hitler wurde nur leicht verletzt, als am 20.Juli 1944 im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ in Ostpreußen die von Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg gelegte Bombe explodierte. Regimetreue Truppen besetzten in den Abendstunden den Bendlerblock in Berlin, von wo aus Stauffenberg und seine Mitverschwörer – darunter Generalstabschef Ludwig Beck sowie die Generäle Friedrich Olbricht und Erwin von Witzleben – die reichsweite Kommandogewalt an sich reißen wollten. Beck wurde zum Selbstmord gezwungen; Stauffenberg, Olbricht und zwei weitere Beteiligte erschoss man noch in derselben Nacht im Innenhof des Gebäudes. Das Reichssicherheitshauptamt reagierte auf das Attentat mit einer umfassenden Verfolgungsaktion – mehrere hundert Menschen wurden in den kommenden Monaten festgenommen, mindestens 180 von ihnen zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Erwin Planck wurde am 23.Juli, einem Sonntag, in seiner Wohnung verhaftet. Es wird berichtet, einer der Häscher habe gefragt: „Haben Sie Ihre Festnahme erwartet?“ – „Ja, da Sie auch meine Freunde verhaften.“ Planck hätte sich womöglich absetzen können, denn sein Pass mit einem Visum für Dänemark und Schweden lag seit dem 13.Juli bereit.
Max Planck konnte das Unglück zunächst gar nicht begreifen, wie aus einem Brief an den Physiker Max von Laue von Anfang August hervorgeht: „Seit dem 20.Juli herrscht in der Staatsführung eine erheblich schärfere Tonart. So ist auch gegen meinen Sohn Erwin – doch dies bitte ich mit völliger Diskretion zu behandeln – eine Untersuchung eingeleitet worden, deren einzige Grundlage die ist, dass er mit einigen Attentätern bekannt war. Mein Trost ist, dass eine ganze Anzahl anderer Persönlichkeiten von dem gleichen Schicksal betroffen worden sind, so zum Beispiel der preußische Finanzminister Popitz. Man kann doch auf dieser Grundlage unmöglich ein vernünftiges Urteil aufbauen. Aber sehr unangenehm ist diese Sache immerhin, namentlich weil es vermutlich wochenlang dauern wird, bis eine Entscheidung fällt.“
Es ist schwer zu sagen, wie gut Max Planck von seinem Sohn unterrichtet worden war. Vom aktiven Widerstand wusste er nichts – an dessen Notwendigkeit hätte er aber wohl kaum gezweifelt, denn ihm war bekannt, welche Verbrechen von Deutschen begangen wurden, sofern er es nicht sogar mit eigenen Augen sehen konnte. „Es müssen schreckliche Dinge geschehen, wir haben schreckliche Dinge getan.“ Das sagte er bei seinem Stockholm-Besuch im Mai 1943 zu Lise Meitner, wie diese nach dem Krieg einer Freundin mitteilte. Meitner war Max Plancks Assistentin vor dem Ersten Weltkrieg gewesen und für dessen Kinder fast wie eine Schwester.
Ende August 1944 reiste Max Planck nach Berlin, um selbst zu versuchen, seinen Sohn freizubekommen. Er wandte sich schriftlich an SS-Führer Heinrich Himmler; sein Brief zeigt, dass er den Ernst der Lage inzwischen erkannt hatte:
„Ich bin durch meine Schwiegertochter informiert worden, dass mein Sohn Erwin am 23.Juli verhaftet wurde und seine Situation nunmehr als sehr ernst bezeichnet wird. Aufgrund des innigen Verhältnisses, das mich mit meinem Sohn verbindet, bin ich sicher, dass er mit den Geschehnissen des 20.Juli nichts zu tun hat. Ich stehe im 87.Lebensjahr und bin in jeder Beziehung auf die Hilfe meines Sohnes angewiesen. Bis heute habe ich mich bemüht, meiner Wissenschaft und meinen Ehrenämtern zu leben, um auf diese Weise auch in meinem Alter dem Vaterland zu dienen. Das habe ich nur vermocht, weil mein Sohn mir in allen Dingen zur Seite stand. Am Ende meines Lebens ist dieser Sohn der Einzige, der mir aus erster Ehe geblieben ist, nachdem ich meinen ältesten Sohn im Weltkrieg und außerdem meine beiden Töchter verloren habe. Mein Sohn aus zweiter Ehe ist geistig nicht in der Lage, die Familientradition aufrechtzuerhalten, während dieser Sohn Erwin an Charakter und Gaben alles verkörpert, was unsere Familie in Generationen geworden ist. Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Reichsführer, sich in meine Lage versetzen und ermessen zu wollen, was es für mich auch unter Berücksichtigung meines Namens, der in Deutschland und in der Welt Geltung besitzt, bedeuten würde, wenn ich auch diesen Sohn durch ein sehr hartes Urteil verlieren müsste.“
Mit Hilfe der Berichte verschiedener Leidensgenossen, die überlebt haben, lässt sich rekonstruieren, wo Erwin Planck inhaftiert war und wie man sich die Bedingungen seiner Haft vorstellen muss. Hermann Pünder, der im August 1926 Staatssekretär in der Reichskanzlei und damit der Chef des damals zum Regierungsrat berufenen Erwin Planck geworden war, beschreibt den Vernehmungsbeamten, der Planck auf ähnliche Weise verhört haben dürfte: „Mein erster Eindruck… war geradezu abstoßend. Vor mir, der ich stehen musste, flegelte sich in einem Armsessel ein gedrungener SS-Hauptsturmführer, etwa Mitte dreißig, mit einem aufgedunsenen, verwüsteten Gesicht voll von schlecht vernähten Mensurnarben.“ Erst später erfuhr Pünder, dass es sich um „den gefürchteten SS-Hauptsturmführer… Herbert Lange handelte. Nach einem längeren Grinsen aus seinen verglasten Augen kam als Erstes: ‚Nun wollen wir uns mal dieses Früchtchen ansehen!‘ Und nach einer Pause weiteren Grinsens: ‚Und so was ist mal Staatssekretär der Reichskanzlei gewesen! Aber das Gelichter kennen wir bereits, draußen steht ja noch so einer.‘“ Viele der Gefangenen, möglicherweise auch Planck, wurden vom Reichssicherheitshauptamt aus in das Zellengefängnis in der Lehrter Straße in Moabit gebracht. Nur zu den – meist nächtlichen – Verhören fuhr man sie dann wieder in die Prinz-Albrecht-Straße. Pünder beschreibt die Haftbedingungen: In der engen Zelle gab es nur eine Pritsche, ein Tischchen und einen Kübel. Nachts brannte die Deckenlampe und erfüllte den Raum mit grellem Licht. Durch den Türschlitz wurde man permanent beobachtet und sofort zur Ordnung gerufen, wenn man etwa die Arme unter die dünne Decke steckte oder sich schon tagsüber auf die Pritsche legte.
Erwin Planck wurde gefoltert, mehrfach sogar. Der Offizier und Jurist Fabian von Schlabrendorff, der die KZ-Haft überlebte, schrieb nach dem Krieg: „Viele meiner Gesinnungsfreunde, zum Beispiel Rechtsanwalt Langbehn, Regierungspräsident Graf Bismarck und Staatssekretär Planck, haben solche Folterungen über sich ergehen lassen müssen. Wir alle machten die Erfahrung, dass der Mensch Dinge ertragen kann, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Wer von uns es noch nicht konnte, lernte beten und erlebte, dass das Gebet und nur das Gebet in solchen Lagen Trost spendet und übermenschliche Kraft verleiht. Man erlebte ferner, dass auch die Fürbitten der Verwandten und Freunde außerhalb des Gefängnisses einem Ströme von Kraft zuführten.“
Erst am 11.Oktober 1944, zweieinhalb Monate nach Plancks Festnahme, erging ein offizieller Haftbefehl. Er richtete sich gegen Planck und drei weitere Personen: den ehemaligen Potsdamer Regierungspräsidenten Gottfried Graf von Bismarck-Schönhausen, den Staatswissenschaftler Jens Peter Jessen und Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, den früheren Botschafter in Moskau. Planck wurde beschuldigt, „das hochverräterische Unternehmen, mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern und den Führer seiner verfassungsmäßigen Gewalt zu berauben, vorbereitet zu haben, wobei die Tat darauf gerichtet war, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen, und damit zugleich es unternommen zu haben, im Inlande während eines Krieges gegen das Reich der feindlichen Macht Vorschub geleistet zu haben“. Damit war die Anklage gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt: Planck hatte an einer neuen Verfassung für Deutschland mitgearbeitet, er hatte mit anderen das Ziel verfolgt, Hitler zu beseitigen, er hatte einen wichtigen Beitrag zum „organisatorischen Zusammenhalt“ der Verschwörer geleistet, indem er Kontakte herstellte und Unterstützer anwarb, und er hatte versucht, Verbindungen zum Ausland herzustellen, um so zu einem möglichst schnellen Ende des Krieges beizutragen. Max Planck zeigte sich unterdessen – zumindest Laue gegenüber – noch immer überzeugt, dass sein Sohn „an den Geschehnissen des 20.Juli in keiner Weise beteiligt“ gewesen sei und man ihn nur deshalb verhaftet habe, „weil einige der Attentäter zu seinem Bekanntenkreis gehörten“.
Die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof fand am 23.Oktober 1944 statt, genau ein Vierteljahr nach Plancks Verhaftung. Wie aus dem lückenhaften Tonprotokoll hervorgeht, baute der Zwangsverteidiger seine Strategie auf der These auf, dass Planck durch Carl Goerdeler verführt worden sei und sich ihm nur aus Sorge um das Vaterland zur Verfügung gestellt habe. Der Anwalt erfand Sätze, die Planck in einem Gespräch mit Goerdeler gesagt haben könnte, etwa: „Wir dürfen um Himmels willen kein Debakel erleben, etwa wie 1918.“ Weiter führte er aus: „Man kann es Planck glauben, wenn er sagt: ‚Ich habe bei den ersten Goerdeler-Gesprächen nur daran gedacht, was soll geschehen, wenn durch Feindeinwirkung ein Zusammenbruch unserer staatlichen Ordnung sich ereignen sollte, muss ich dann als Deutscher irgendwie handeln?‘ Nun weiß ich und wir wissen alle, dass uns unsere Pflicht einen ganz klaren geraden Weg vorschreibt, dass wir es nicht nötig haben, uns in Überlegungen einzulassen, die außerhalb unseres vom Führer ausgestalteten Programms (liegen).“ Solche Reden konnten Roland Freisler, den Präsidenten des Volksgerichtshofes, nicht beeindrucken. Der Volksgerichtshof sprach gegen Erwin Planck das Todesurteil aus.
Zwei Tage später, am 25.Oktober, richtete Max Planck ein Schreiben an Hitler:
„Mein Führer! Ich bin zutiefst erschüttert durch die Nachricht, dass mein Sohn Erwin vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt worden ist. Die mir wiederholt von Ihnen, mein Führer, in ehrenvollster Weise zum Ausdruck gebrachte Anerkennung meiner Leistungen im Dienste unseres Vaterlandes berechtigt mich zu dem Vertrauen, dass Sie der Bitte des im siebenundachtzigsten Lebensjahr Stehenden Gehör schenken werden. Als Dank des deutschen Volkes für meine Lebensarbeit, die ein unvergänglicher geistiger Besitz Deutschlands geworden ist, erbitte ich das Leben meines Sohnes.“
Bereits am Tag nach dem Urteilsspruch hatte sich Max Planck ein zweites Mal an Himmler gewandt und seinen Brief vom 30.August noch einmal beigelegt. Er bat den SS-Führer, sich beim Reichsjustizminister, dem er ebenfalls geschrieben habe, dafür einzusetzen, dass „die Todesstrafe im Gnadenwege in eine Freiheitsstrafe umgewandelt wird“.
Auch Hermann Göring wurde offensichtlich von mehreren Seiten bedrängt, sich für Planck einzusetzen. Ein Gnadengesuch der Firma Wolff, an dem Helmut Rhenius mitgewirkt hatte, wurde bei Görings Staatssekretär Paul Körner eingereicht, der es seinerseits an andere Herren weitergab, wozu „es ihn aufgrund seiner eigenen Kenntnis von Herrn Planck drängte“. Auch Plancks alter Verhandlungspartner Erich Gritzbach von der Vierjahresplanbehörde versuchte, auf seinen Chef Göring einzuwirken. Er hatte regen Kontakt zu Erwin Planck gehabt und unter der Hand wohl auch Informationen weitergegeben. Sein Vorstoß blieb – wegen Görings „schlaffer Resignation“ – ohne Erfolg. Die Firma Wolff versuchte alles, um Planck vor der Hinrichtung zu bewahren. Die Geschäftsführer Rudolf Siedersleben und Georg Gasper sowie der Firmenerbe Otto Wolff junior betrachteten es als ihre „Ehrenpflicht, den Herrn Reichsjustizminister zu bitten, das Urteil in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln“.
Max Planck versuchte, sich selbst und der Familie weiter Mut zu machen. Am 1.November schrieb er seiner Schwiegertochter: „Liebe Nell! Niemals im Leben bist du mir so nahe gewesen und nie habe ich mich dir so eng verbunden gefühlt wie in diesen Tagen, wo wir beide alle unsere Gedanken und Sorgen auf den einen richten, der unter allen Männern der Welt uns am nächsten steht und uns den besten Schutz und festesten Halt gibt und der uns nun genommen werden soll. Es ist nicht auszudenken. Umso dankbarer bin ich dir, dass du meine Gnadengesuche in die richtige Form und an die richtige Adresse gebracht hast… Lass uns weiter hoffen, dass das Schicksal es auch diesmal wieder gut mit ihm meint.“
Am 9.November gelangte dann eine Auskunft an die Firma Wolff: „Der Reichsführer SS wünscht, dass Professor Planck mündlich mitgeteilt wird, dass der Reichsführer SS von seiner Eingabe Kenntnis genommen hat und dass zunächst der Strafvollzug ausgesetzt worden sei. Der Reichsführer SS brachte hierbei zum Ausdruck, dass er eine Begnadigung durch die Umwandlung in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe für vertretbar hielte.“
Erwin Plancks Ehefrau Nelly, geborene Schoeller und Tochter des Gründers der Diskont-Gesellschaft Alexander Schoeller, wurde umgehend benachrichtigt. Sofort rief sie ihren Schwiegervater an, und Max Planck war ganz euphorisch vor Erleichterung: „Liebstes Nellchen! Ich weiß gar nicht, ob dich dieser Jubelruf noch in Berlin erreichen wird. Aber ausstoßen muss ich ihn auf alle Fälle; denn ich fühle mich seit deinem gestrigen Telefongespräch wie neu geboren und bin auf Näheres gespannt. Hauptsache ist: Er bleibt leben. Gott sei Dank, und allen seinen Helfern. In Liebe Dein Vater.“ Auch an Himmler schrieb er: „Danken möchte ich Ihnen nicht nur für Ihre wohlwollende Stellungnahme in der Angelegenheit meines Sohnes, sondern auch für Ihre Rücksichtnahme auf mich, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass Sie mir das Ergebnis Ihrer Prüfung sofort mitteilen ließen. Ihre Nachricht hat meine Schwiegertochter und mich von der drückendsten Sorge befreit und gibt wieder berechtigten Grund zur Hoffnung.“
Erwin Planck selbst war Mitte November wieder nach Tegel verlegt worden; er kam in eine Zelle neben seinem Freund Georg Thomas, der einer der führenden Köpfe der Widerstandsgruppe um Carl Friedrich Goerdeler, Ludwig Beck und Johannes Popitz gewesen war. Obwohl man Planck schon zum Tode verurteilt hatte, wurde er, wie Thomas berichtet, weiter „gefoltert…, um eine Aussage über mich zu erzwingen“. Planck habe jedoch „zu meiner Entlastung ausgesagt, dass ich gegen die Beseitigung Hitlers gewesen sei“. Ab Ende Dezember wurde Thomas nicht weiter vernommen, und er kam auch nicht mehr vor Gericht. Acht Wochen waren Planck und er nebeneinander inhaftiert, wie Thomas nach Kriegsende an Nelly schrieb. Planck habe ihn, als er Anfang Dezember seine „schweren Herzzustände bekam,… ermuntert und getröstet… Er war bewunderungswürdig und hat treueste Freundschaft gehalten. Mir bleibt er als einer der treuesten und klügsten Menschen in Erinnerung.“
Die Vernehmungen fanden nach wie vor meist in der Prinz-Albrecht-Straße statt. Am 21.Dezember wurde Planck dort seinem inzwischen ebenfalls verhafteten Freund Helmuth Rhenius „zur Klärung von Widersprüchen in unseren Aussagen“ gegenübergestellt. Rhenius, der seit der gemeinsamen Schulzeit der engste Freund von Erwin Planck gewesen war, berichtete nach dem Krieg von dieser letzten Begegnung: „Von einem Gestapobeamten begleitet, trat er ins Zimmer. Die Fußfesseln erlaubten nur ein langsames Schreiten. Er bewegte sich bis in die Mitte des Raumes, wo eine helle, direkt über ihm hängende Lampe scharfe Schlagschatten in sein abgemagertes Gesicht zeichnete. Den vernehmenden Gestapobeamten begrüßte er mit einem knappen Neigen des Kopfes, von mir nahm er keine Notiz. So stand er unbeweglich eine kurze Zeit in der Mitte des Raumes, gefesselt an Händen und Füßen, aber steil aufgerichtet, den Kopf erhoben, Ausdruck und Haltung eines Mannes, der in Wochen qualvoller Vernehmungen und Wartens auf das Urteil und in weiteren Wochen nach dem Todesspruch des Gerichtes hinausgewachsen war über das, was ihm auf dieser Welt noch angetan werden könnte. Man nahm ihm die Fesseln ab, und plötzlich ging wie durch ein Wunder eine Wandlung mit ihm vor. Er begrüßte mich mit seinem alten treuen Lächeln und machte dann seine Aussagen in dem überlegenen Plauderton, der mir aus unzähligen Unterhaltungen so vertraut war. Der Abschied war ein Händedruck.“
Mit einem Händedruck unter Schulkameraden hatte vier Jahrzehnte zuvor die Freundschaft zwischen den beiden begonnen. Während der Eroberung Berlins durch die Rote Armee gelang Rhenius zusammen mit einem Freund die Flucht aus dem Gefängnis. Die beiden gesellten sich zu Nelly Planck und ihrer Freundin Elisabeth zu Salm-Salm und erlebten mit ihnen das Kriegsende. Rhenius starb 1979.
Marga Planck, die Max Planck nach dem im Jahr 1909 erfolgten Tod seiner ersten Frau Marie im März 1911 geheiratet hatte, fuhr noch einmal allein nach Berlin und brachte einen Brief von Erwin mit, der „gottlob ganz erfreulich“ klang. Nelly teilte ihr mit, „dass alles gut stehe und die Begnadigung in Kürze zu erwarten sei“.
Alle Hoffnungen, alle Bemühungen waren vergebens. Am 23.Januar 1945, genau ein halbes Jahr nach der Verhaftung und ein Vierteljahr nach dem Urteilsspruch, wurde Erwin Planck im Gefängnis Plötzensee hingerichtet. Zusammen mit ihm starben an diesem Tag noch zehn weitere Regime-Gegner am Galgen, darunter auch Graf Moltke; der frühere württembergische Staatspräsident Eugen Bolz wurde als Einziger enthauptet. Nelly, die als Erste von der Hinrichtung erfuhr, überbrachte ihrem Schwiegervater selbst die schreckliche Nachricht. „Es geschah plötzlich und ganz heimlich.“ Marga schilderte die Vorgänge in einem Brief, der noch einmal die ganze Willkür des Systems dokumentiert: „Gerade, als wir fast sicher waren, dass er begnadigt würde, ist das Urteil vollstreckt worden. Es ist entsetzlich, und wir können es noch gar nicht fassen. Himmler sei an der Ostfront, Hitler aber in Berlin, und der habe sich die Listen geben lassen und verfügt. Natürlich mit vielen anderen… Nelly ist es offiziell überhaupt nicht mitgeteilt worden, sie hat es durch Zufall erfahren, man war sogar ungehalten darüber! Niemand wollte es glauben, bis Nachforschungen angestellt wurden, dass es wirklich so ist. Erwin soll ganz gefasst gewesen sein. Aber man darf nicht darüber nachdenken. Wie mag es in ihm ausgeschaut haben?“
Die offizielle Bestätigung der Hinrichtung durch den Oberreichsanwalt kam am 31.Januar; die Sterbeurkunde trug das falsche Datum vom 20.März 1945. All das, was Max Planck noch geholfen hatte, den Schmerz über den Tod seines ältesten Sohnes Karl im Ersten Weltkrieg zu bewältigen: die Ehre und das Vaterland, die beruflichen und die familiären Verpflichtungen – es nutzte ihm nun nichts mehr. Er war zutiefst verwundet. An Fritz und Grete Lenz, ein befreundetes Paar, schrieb er: „Ich ringe täglich aufs Neue, um die Kraft zu gewinnen, mich mit dieser Schicksalsfügung abzufinden. Denn mit jedem neu anbrechenden Morgen kommt es wieder wie ein neuer Schlag über mich, der mich lähmt und mir das klare Bewusstsein trübt, und es wird lange dauern, bis ich wieder völlig ins seelische Gleichgewicht komme. Denn er bildete einen wertvollen Teil meines eigenen Lebens. Er war mein Sonnenschein, mein Stolz, meine Hoffnung. Was ich mit ihm verloren habe, können keine Worte schildern.“ Als er seinem Neffen Max „aus tieftraurigem Herzen“ mitteilte, dass er von der Hinrichtung erfahren habe, schrieb er bei der Anrede versehentlich den Namen „Erwin“; er strich ihn durch und setzte „Max“ darüber. Ab und zu setzte er sich ans Klavier und spielte Erwins Lieblingsmelodien.
Am 23. und 24.April 1945, als die Rote Armee die Stadt schon beschoss, sollten in Berlin die letzten Widerstandskämpfer umgebracht werden. Unter ihnen waren Dietrich Bonhoeffers Bruder Klaus sowie der Geograf und Schriftsteller Albrecht Haushofer. Beide wurden im Gefängnis in der Lehrter Straße von einem SS-Kommando ermordet. Bei Haushofer fand man später das Gedicht: „Die Gefährten“.
Im Juli 1945 trat Max Planck erneut an die Spitze der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, wodurch er entscheidend zum Wiederaufbau der Organisation beitrug. Es kam ihm vor allem darauf an, die Einheit der Gesellschaft zu bewahren, was angesichts der Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen nicht einfach war. Als am 1.April 1946 Otto Hahn offiziell die Präsidentschaft übernahm, wurde Planck Ehrenpräsident. Im Februar 1948 erfolgte die Umbenennung in Max-Planck-Gesellschaft. Die Amerikaner waren ursprünglich gegen einen Fortbestand der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gewesen – die Briten setzten ihn durch, nicht zuletzt unter Hinweis auf den von den Nazis ermordeten Sohn Max Plancks. So stand Erwin seinem Vater noch über den Tod hinaus zur Seite.
Welch hohes Ansehen Max Planck in Großbritannien genoss, zeigte sich, als er im Juli 1946 als einziger Deutscher – und als ältestes ausländisches Mitglied der Londoner Royal Society – zur Feier des dreihundertsten Geburtstags von Newton nach London eingeladen wurde.
Max Planck starb am 4.Oktober 1947. Die Trauerfeier fand am 7.Oktober in der Göttinger Albanikirche statt. Sechs Studenten der Physik trugen den Sarg. Seine letzte Ruhestätte fand Planck auf dem Friedhof an der Gronerstraße; das Grab liegt an einem See, in der Nachbarschaft des Historikers Hermann Oncken. Erwin Planck hat kein Grab gefunden. Die Frauen der Widerstandskämpfer hatten sich vergeblich auf den Weg gemacht, um die Leichen oder wenigstens die Asche ihrer Ehemänner zu finden. Eva Olbricht beschrieb in einem Brief an Nelly die verzweifelte Suche nach den Überresten ihres Mannes, der bereits in der Nacht zum 21.Juli 1944 erschossen worden war. Sie tröstete Nelly und sich selbst damit, dass „unsere Männer, die mit den gleichen Idealen vor Augen für Deutschland kämpften und starben,… durch diesen gemeinsamen Tod auch in unserer Erinnerung für immer so eng miteinander verbunden (sind)“. Schön und sinnvoll fand sie, dass Nelly am 23.Januar 1946 in der Kapelle des Berliner St.-Hedwigs-Krankenhauses eine Trauerfeier zur Erinnerung an Erwin Planck gestaltete – „da doch niemand ein Gebet an ihren unbekannten Gräbern sprechen konnte“. Nelly hatte der Feier einen Vers aus dem 1.Korintherbrief gewidmet: „Was du säst, kommt nicht zum Leben, wenn es nicht zuvor abstirbt.“
Astrid von Pufendorf lebt als Publizistin in Düsseldorf. Sie schrieb die Biografie des letzten preußischen Finanzministers: „Otto Klepper – Deutscher Patriot und Weltbürger“ (Oldenburg)
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