Der designierte US-Präsident Donald Trump mit dem amtierenden Präsidenten Joe Biden / picture alliance

Nach der US-Wahl - Immer locker bleiben

Ohne die USA wären wir heute vermutlich ein post-faschistisches Entwicklungsland. Und anders als Deutschland haben die USA auch nicht zwei Diktaturen hintereinander etabliert. Die Amerikaner brauchen keine Demokratie-Ratschläge aus der Bundesrepublik.

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Der Deutsche hat den Autoritarismus im Blut“, sagte mir im Sommer 2019 ein Freund, den ich als klugen Marxisten besten Gewissens ganz links einordnen darf. Nach dieser Aussage kam es auf meiner Terrasse zu einem kleinen Disput. Ich hielt seine Behauptung für maßlos übertrieben. Wenn überhaupt, so mein Gegenargument, trägt allgemein der Mensch den Geist des Autoritarismus in sich, der dann zum Vorschein kommt, wenn es die Umstände begünstigen.  

Einige Monate später habe ich den autoritären Geist dann live erlebt, der sich hierzulande breitmachte aus Angst vor einem Virus. Da standen sie plötzlich wieder stramm, die Denunzianten und Blockwarte, die Mitläufer und Folgsamen eines übergriffigen Staates. In dieser Zeit fiel mir erwähntes Gespräch mit meinem Freund wieder ein – und seither denke ich darüber nach, ob seine Aussage wirklich maßlos oder nur ein wenig übertrieben war. 

Zur Wahrheit gehört immerhin auch, dass es eine bemerkenswerte Leistung war und ist, dass Deutschland in der Mitte des 20. Jahrhunderts fließend von der einen in die nächste Diktatur übergegangen ist. Ich weiß nicht, ob Sie das wussten, aber die NVA wurde damals mit Helmen der Wehrmacht ausgestattet, weil der Übergang vom Faschismus in den Sozialismus so rasch vonstatten ging. Und hier und da kommt er auch heute wieder raus, der kleine Autoritäre; wenn es etwa darum geht, andere Meinungen partout nicht ertragen zu können. 

Wenn die Welt nicht nach ihrer Pfeife tanzt

Wir schreiben das Jahr 2024. In den USA wurde jüngst ein Mann zum Präsidenten gewählt, der in Teilen Westeuropas, vor allem in Deutschland, keinen guten Ruf genießt. Donald Trump gilt als autoritärer Charakter, der keinen Widerspruch duldet und sich die Welt, wo möglich, baut, wie sie ihm gefällt. Und weil dem so ist, überschlagen sich die deutschen Medien nun bei der Suche nach Indizien dafür, dass Donald Trump eine Gefahr für die amerikanische Demokratie sei. 

Anders als Deutschland haben die USA allerdings längst bewiesen, dass sie eine funktionierende Demokratie sind. Mehr noch wären wir ohne die Vereinigten Staaten und die 1,1 Millionen gefallenen US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg heute keine Industrienation mit einem Sozialstaat und einem Supermarkt, in dem ich zwischen 93 Sorten Joghurt wählen kann. Nein, dann wären wir bestenfalls ein post-faschistisches Entwicklungsland. Im schlechtesten Fall würden wir immer noch in braunen und schwarzen Uniformen durch die Straßen marschieren und am 20. April eines jeden Jahres zum Hitler-Mausoleum in der Reichshauptstadt pilgern.

Ich halte daher all die Schreckensszenarien, die im Zuge von Trumps Rückkehr ins Weiße Haus jetzt tagein, tagaus beschworen werden, für absurd. Das schrieb ich dieser Tage schon an anderer Stelle. Dass erwachsene Menschen in Tränen ausbrechen, sich die Haare abrasieren oder in einen Sexstreik treten wegen Donald Trump scheint da nur ein weiterer Aspekt ein und derselben Hysterie zu sein, die mit einer jetzt angeblich fragilen Demokratie in den Vereinigten Staaten nichts zu tun hat, sondern Ausdruck der Unfähigkeit postmoderner Progressiver ist, zu akzeptieren, dass die Welt nicht nach ihrer Pfeife tanzt. 

All die Warnungen und Befürchtungen sind auch unehrlich. Wer beispielsweise davor warnt, dass Donald Trump einen autoritären Machtapparat schaffen könnte, sollte mindestens zur Kenntnis nehmen, dass in Washington D.C. knapp 92,5 Prozent der Wähler für Kamala Harris stimmten. Das macht in Zahlen rund 20.000 Stimmen für Donald Trump gegenüber rund 286.000 Stimmen für die Kandidatin der Demokraten. Unter anderem die Hauptstadt der USA – und damit auch all die Ämter und Behörden, die dort ansässig sind – scheint mit Blick auf diese Zahlen fest in demokratischer Hand zu sein, und die Zahlen selbst sind ein Indiz dafür, dass es in den USA längst eine real existierende Machtkonzentration gibt, allerdings zugunsten der Demokraten.

Checks and Balances

Gleiches gilt mit Blick auf die politischen Präferenzen in amerikanischen Redaktionen (Fox News ausgenommen), im Silicon Valley und im amerikanischen Establishment, von den allermeisten Universitätspräsidenten bis zu all den Weltstars, die sich vor der US-Wahl auf die Seite von Kamala Harris stellten. Wer jetzt zum Beispiel davor warnt, die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus mit der Unterstützung von Elon Musk würde jene Checks and Balances infrage stellen, die die amerikanische Demokratie stützen, muss sich zuerst fragen, wie es in den vergangenen Jahren eigentlich um diese Checks and Balances bestellt war. 

Zumal, wenn solche Warnungen aus Deutschland kommen. Aus einem Land, in dem sich die Politik bis heute weigert, den Irrsinn der Corona-Jahre ordentlich aufzuarbeiten. Aus einem Land auch, in dem mittlerweile Menschen vor Gericht gestellt werden, weil sie die jetzt ausgegangene Ampelregierung zu harsch kritisierten, und, wie dieser Tage, eine Hausdurchsuchung bei einem 64-Jährigen stattfindet, weil dieser Robert Habeck in den sozialen Medien einen „Schwachkopf“ nannte. 

In Deutschland gibt es zudem Meldestellen für „Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ und jetzt auch sogenannte „Trusted Flagger“, die von der Politik damit beauftragt werden, die eigene Bevölkerung unter Druck zu setzen. Und jüngst erst feilschten die Fraktionsvorsitzenden der SPD, der Grünen und der Union um die Vertrauensfrage, als wäre das Parlament kein Parlament, sondern ein Basar. Das sagt nicht nur viel über den noch amtierenden Kanzler Scholz aus, sondern dies und mehr auch viel über mangelnden Respekt vor unserer Verfassung. Kurzum: Die Vereinigten Staaten brauchen ganz sicher keine Demokratie-Ratschläge aus der Bundesrepublik. 

Von Hitler über Honecker bis Scholz

Mir ist selbstverständlich bewusst, dass der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika weitreichende Befugnisse hat, die sich rein theoretisch auch dazu missbrauchen ließen, perspektivisch einen Führerstaat unter lebenslanger Regentschaft von Donald Trump zu errichten. Aber die USA haben eben auch eine funktionierende Justiz und vieles mehr, das ein solches Szenario in etwa so wahrscheinlich macht wie Schneefall im September. Auch der lässt sich theoretisch nicht ausschließen, dennoch würde man in Deutschland nicht auf die Idee kommen, dieses Szenario ernsthaft zu diskutieren. 

Im Gegenteil stünde es den Deutschen gut zu Gesicht, trotz Trump locker zu bleiben und davon abzusehen, Extremszenarien an die Wand zu malen, die schon vor dem Hintergrund der amerikanischen Demokratiegeschichte und des Status quo unwahrscheinlich sind. Dafür könnte man sich sogar ein Beispiel nehmen an Joe Biden, der gerade erst Donald Trump im Oval Office empfangen hat, um sich dort als amtierender US-Präsident mit dem nächsten US-Präsidenten auszutauschen. Deutschland dreht wegen Trump durch – und Biden bleibt tiefenentspannt. 

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