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Muslimischer Aufruf gegen den Terror - „Der Islam ist eine geladene Waffe“

In Libyen köpfen IS-Terroristen zahlreiche Christen vor laufender Kamera, in Kopenhagen schießt ein Attentäter auf Cafébesucher und Juden: Die türkischstämmige Muslimin Güner Yasemin Balci grenzt sich klar gegen den tödlichen Irrsinn im Namen Allahs ab. Ein Plädoyer für eine zeitgemäße Lesart des Korans

Autoreninfo

Güner Yasemin Balci ist Journalistin und Buchautorin („Arabboy“). Sie kam 1975 als Tochter türkischer Einwanderer in Berlin zur Welt

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Dieser Text ist eine kostenfreie Leseprobe aus der November-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie das Monatsmagazin für politische Kultur kennerlernen wollen, empfehlen wir Ihnen unser Testabo.

 

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, liebe Geschwister im, mit und ohne Glauben, im Namen Allahs des Barmherzigen rufe ich alle zur Vernunft – zum kritischen Denken auf!

Seit es unsere Religion gibt, werden im Namen des Islam Menschen getötet. Ja, es stimmt, auch im Namen anderer Religionen wurde viel Blut vergossen. Ich rede heute aber für meine Religion.

[[{"fid":"64813","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":230,"width":345,"style":"height: 160px; width: 240px; margin: 3px 5px; float: left;","class":"media-element file-copyright"}}]]Viele Muslime, ich hoffe die meisten, distanzieren sich nicht nur von diesen Taten, sondern verurteilen und verachten die Menschen, die sie begehen. Muslime stehen heute mehr denn je in der Pflicht, nicht nur den Islamisten, sondern auch allen Traditionalisten den Kampf anzusagen. Hier und überall. Es reicht nicht aus, sich zu distanzieren. Es müssen Taten folgen. Die Ursachen des Übels, des Kampfes gegen alle Nichtmuslime, liegen in unserem Umgang mit dem Islam. Wenn ich „unserem“ sage, meine ich alle Menschen, aber in erster Linie uns Muslime. Zu leise sind die Stimmen, die ihn reformieren wollen, verstummt sind die Muslime, die es einst wagten, einen aufgeklärten Blick auf unser heiliges Buch zu werfen.

Muslime wie Nichtmuslime haben Angst vor dem Islam


Muslime wie Nichtmuslime haben Angst vor dem Islam, weil es noch immer zu viele Islam-Vertreter gibt, die diesen kritischen Blick verbieten. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass ein Großteil meiner Geschwister im Glauben, besonders jene, die ihn predigen, schon immer die Abgrenzung zu all den anderen, den sogenannten „Ungläubigen“, gesucht und propagiert und bei jeder Kritik am Islam sofort die Rolle des Opfers eingenommen haben. Wo sind die Imame, die auf der Kanzel stehen und sagen: Dieser und jener Vers sind in einer bestimmten Zeit entstanden, und die müsst ihr nach heutiger Sicht der Dinge so und so verstehen, und deshalb dürft ihr euch nicht so verhalten, wie ihr es gerade tut? Wo sind die Geistlichen, die es wagen, sich gegen die Verschleierung der Frau auszusprechen und für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben für jeden Menschen?

Die Realität der islamischen Welt, egal wo man sie antrifft, ist anders: Gerade die Gewalt hervorhebenden Verse werden genutzt, um auch Muslimen und Andersgläubigen Gewalt anzutun. Es bringt uns nichts, die Diskussion über die Reformierbarkeit des Islam in die gepflegte Atmosphäre wissenschaftlichen Gedankenaustauschs zu verlegen. Die Angst vieler Muslime, die es wagen, einen analytischen Blick auf den Koran und die Hadithen zu werfen, ist verständlich, denn sie werden von den meisten Vertretern des Islam in Deutschland und auf der ganzen Welt diffamiert – gar mit dem Tode bedroht.

Unser Glaube ist nicht für alle Menschen die einzig wahre Religion und darf sich nicht mit Verachtung über alles andere stellen. Wenn das die Botschaft ist, die heute bei einem jugendlichen Moscheebesucher in Bonn, Dresden, Frankfurt oder Berlin als erste im Kopf hängen bleibt, wozu sprechen wir dann noch von einem barmherzigen Allah? Viele Muslime sagen: „Ich bin kein Islamist, warum sollte ich mich von den Taten der Islamisten distanzieren? Als die NSU-Mörder zehn Menschen hinrichteten, haben sich auch nicht alle Deutschen öffentlich von diesen Nazis distanziert.“

Islamisten legitimieren die Ermordung von Menschen mit der heiligen Schrift


Dieses Denken ist falsch. Dass es vor allem Deutschland ist, das sich mit seiner Nazivergangenheit und -gegenwart ohne Hemmungen auseinandersetzt, will ich hier nicht länger ausführen. Wir liefern allen Rassisten dieser Welt, egal ob Muslime oder nicht, das nötige Futter, wenn wir unsere Religion zu einem unberührbaren Regelwerk erklären. Die NSU-Zelle kann ihre Morde nicht mit dem Grundgesetz legitimieren, Islamisten aber legitimieren die Verfolgung und Ermordung von Menschen mit der heiligen Schrift.

Religion kann eine Waffe sein – der Islam, so wie er heute von vielen interpretiert wird, ist aufgrund des Mangels an kritischer Auseinandersetzung eine geladene Waffe. Er lebt immer noch in dem Verteidigungsglauben einer vormodernen Zeit, und viele seiner Anhänger vergessen nur zu gern, dass sie besonders in jenen Ländern sorgenfrei leben, in denen er nicht die Staatsform bildet.

Mohammed war der letzte Prophet, wir können nicht auf den nächsten warten, um unsere Probleme von heute zu lösen. Nach ihm ist viel auf Gottes Erde passiert, es gab viele Kriege, viel Leid und Tod – und dann wieder Licht. In einer Hadith heißt es: „Das Wissen ist der Gläubigen verlorenes Gut, wo auch immer sie auf Wissen treffen, sollen sie es aufgreifen.“

Der Islam ist zeitgemäß, wenn wir bereit dafür sind.

Die aktuelle Ausgabe des Magazins Cicero (Februar) widmet sich Huntingtons These eines Kampfes der Kulturen und dem Dschihad in Europa. Wenn Sie neugierig geworden sind, können Sie hier unser Testabo bestellen.

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