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Kritik an „Pegida“ - Wählerbeschimpfung ist keine Lösung

Kisslers Konter: Die „Pegida“ sind ein disparates Bündel, das man ablehnen kann. Wenn aber nun Vertreter der etablierten Parteien diese Bürger beschimpfen, leidet unsere Demokratie, die eben nicht zu Konsens zwingt

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Wie eigentlich ist es um die demokratische Reife der Politiker Bosbach, Ulbig (beide CDU), Jäger und Lischka (beide SPD) bestellt? Wissen die Herren, dass eine Demokratie exakt in jenem Maße lebendig ist, in dem politische Meinungsverschiedenheiten offen und öffentlich und friedlich ausgetragen werden? Oder hat die regierende Klasse sich von diesem Grundprinzip zugunsten einer Kommandowirtschaft verabschiedet? Soll unter demokratischer Fassade das Gebot von Herrschen und Gehorchen zurückkehren? Anders sind die bevormundenden Äußerungen im Angesicht der Pegida, der „Patriotischen Europäer gegen eine Islamisierung des Abendlandes“, kaum zu erklären.

Demokratie – ein Schönwetterspaziergang mit Konsenszwang?


Ich war nicht dabei in Dresden, als dort am vergangenen Montag rund zehntausend Menschen sich unter dem Motto „Gewaltfrei & vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden“ versammelten – und fast ebenso viele Gegendemonstranten. Und wäre ich dabei gewesen, hätte ich nicht in die Köpfe der Zehntausend sehen können. Auch Wolfgang Bosbach kann das nicht, und auch Wolfgang Bosbach war, nach allem, was wir wissen, nicht dabei. Beide Umstände halten den langjährigen Innen-Experten der CDU nicht davon ab, dreierlei in einem Satz zu tun: Die Teilnehmer als vorbewusste Dummköpfe zu brandmarken, als Wessi auf die tumben Ossis herab zu blicken und drittens der Demokratie nicht zu trauen.

Bosbach „warnte“ vor einer Teilnahme an den Pegida-Demonstrationen und fügte hinzu: „Man sollte sich nicht für extreme politische Ziele instrumentalisieren lassen, die man selbst nicht teilt.“ Im Klartext: Liebe Dresdner Zehntausend, ihr seid so dumm, dass es kracht, ihr wisst gar nicht, was ihr tut. Einem Reporter hingegen, der im Gegensatz zu Herrn Bosbach und zu mir vor Ort war, verdanke ich den Hinweis: „Zu hören sind vor allem Themen wie: ‚kriminelle Asylanten‘, ‚die etablierten Parteien‘, ‚die gleichgeschalteten Medien‘, ‚der Euro‘, ‚die USA‘, ‚die Frühsexualisierung von Kindern‘.“ Ein disparates Bündel, gewiss, das man einzeln oder komplett ablehnen kann. Aber jeder der Zehntausend, die allesamt freiwillig kamen, wird sich bei einem Aspekt wiederfinden. Er wird wissen, was er tut, er wird es bewusst und freiwillig tun. Davon müssen wir und davon sollte Wolfgang Bosbach ausgehen. Sonst verstärkt er die in Dresden so massiv artikulierten Vorbehalte wider „die da oben“. Und hält außerdem Demokratie für einen Schönwetterspaziergang mit Konsenszwang.

Religionen müssen es aushalten, hart angefasst zu werden


Nicht klüger redeten von der SPD der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger – hier würden mit ausländerfeindlicher Hetze Vorurteile und Ängste geschürt –, der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Bernhard Lischka, demzufolge Pegida nur „ein Ventil für diffuse Vorurteile und Bauchgefühle“ biete, und der sächsische Innenminister Markus Ulbig, der vor den Pegida-„Rattenfängern“ warnte. Zehntausend Demonstranten werden also vom zuständigen Innenminister als Ratten beschimpft – es handelt sich wohlgemerkt um eine „Mischung aus Wutbürgern, Frustrierten und besorgten Bürgern“, unter die sich laut polizeilicher Aussage 150 Rechtsextreme gemischt hatten. Soll künftig das Demonstrationsrecht eingeschränkt werden und nur für staatsreligiöse Bekenntnisse gelten? Darf nur nach erfolgreichem Studium der Habermas’schen Diskurstheorie und des Rawl’schen Gerechtigkeitsbegriffs eine politische Kundgebung angemeldet werden? Auch Bauchgefühle dürfen demonstrieren.

Sind Pegida aber im Kern islamfeindlich oder nur islamkritisch? Das bedürfte einer empirischen Untersuchung nebst anspruchsvoller definitorischer Arbeit. Aus demokratietheoretischer Sicht kann nur gelten: beides ist nicht verboten. Religionen müssen es in Demokratien ebenso wie Politiker oder Unternehmen aushalten, dass sie öffentlich hart angefasst werden. Apropos: Hörte man je „Warnungen“, die Bürger sollten sich keinen kirchenkritischen Veranstaltungen anschließen, keinem „Höllenspaß statt Heidenqual“ an Karfreitag zum Beispiel? Weder Islamfeindlichkeit noch Kirchenhass kann ich teilen; besser, es gäbe beides nicht. In friedlichen Formen aber müssen sie alle demonstrieren dürfen: die Linken und die Rechten, die Veganer und Metzger, Feministinnen und Maskulinisten, Rennfahrer und Fußgänger.

In immer mehr Städten demonstrieren immer mehr Menschen aus letztlich demselben Grund: Sie fühlen sich von der Politik nicht repräsentiert und von den Medien nicht ernstgenommen. Aufgabe kluger Politik und verantwortungsvoller Medien wäre es nun, zu argumentieren und abzuwägen, hinzuhören und Antwort zu geben, nicht aber zu schimpfen, zu drohen, zu poltern. Sonst wird aus der Glaubwürdigkeitskrise endgültig eine Demokratiekrise.

In einer früheren Version des Textes hieß es fälschlicherweise, Markus Ulbig sei Mitglied der SPD und Herr Jäger hieße mit Vornamen Peer.

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