- „Dann wären viele Tschernobyl-Verantwortliche ins Gefängnis gewandert“
Der britische Anwalt Philippe Sands will Ökozid als Straftatbestand am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verankern. Im Interview erklärt er, wo die Probleme liegen und warum er keine „Ligatabelle zwischen Genoziden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufstellen“ will.
Philippe Sands, 60, ist ein britisch-französischer Anwalt in der Kanzlei Matrix Chambers in London. Der Rechtsprofessor leitet das Zentrum für internationale Gerichte und Tribunale am University College London und ist viel übersetzter Autor. Seine beiden jüngsten Bücher sind bei S. Fischer auf Deutsch erschienen: „Rückkehr nach Lemberg: Über die Ursprünge von Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Die Rattenlinie – ein Nazi auf der Flucht“.
Herr Sands, Sie tragen eine Initiative mit, die Ökozid beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag etablieren möchte. Sind Sie optimistisch?
Ökozid ist keine neue Idee. Die US-Army hat Agent Orange, ein hochgiftiges, chemisches Entlaubungsmittel, im Vietnamkrieg eingesetzt. Bei der UN-Konferenz über die menschliche Umwelt 1972 in Stockholm hat sich Olof Palme dafür stark gemacht, Ökozid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu etablieren. Als das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes 1998 in Rom aus der Taufe gehoben wurde, einigte man sich auf vier Straftatbestände: Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. Ich war damals dabei und habe die Präambel mitverhandelt. Auf Ökozid konnte man sich damals noch nicht einigen.
Stehen die Chancen jetzt besser, weil der Klimawandel heute nicht mehr zu leugnen ist?
In Großbritannien macht sich eine kleine NGO namens „Stop Ecocide“ dafür stark. Vor einem Jahr wurde ich von ihnen beauftragt, mit einem Panel von zwölf internationalen Anwälten eine Definition auszuarbeiten. Die anderen vier Straftatbestände sollen Menschen schützen. Es gibt jetzt im Straftatbestand im Prinzip noch nichts, das einfach die Natur schützt, sondern nur die Folgen für Menschen. Die Idee ist, dass wir diese Gesetzeslücke füllen. Dann können sich Regierungen überlegen, ob sie das in den Statuten des IStGH festschreiben wollen. Denn letztlich entscheiden ja die Regierungen über die Gesetzeslage.
In Frankreich ist schon 2021 ein Gesetz zum Ökozid verabschiedet worden. Ist das ein guter Anfang?
Ich befasse mich jetzt gerade nur mit den internationalen Aspekten. In der Zusammenarbeit mit den anderen Juristen haben wir versucht, niemanden zu verschrecken, wir wollten unter allen zwölf Mitgliedern des Panels zu einem Konsens kommen. Das ist viel schwieriger als in der nationalen Gesetzgebung.
Der IStGH arbeitet seit 2002 wie ein Weltgericht auf Basis von Vertragsstaaten – anders als das Jugoslawientribunal, das in den 90er-Jahren von den Vereinten Nationen (UN) eingesetzt wurde.
Das ist genau das Problem. Drei von den fünf permanenten Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates – Amerika, Russland und China – sind dem IStGH nie beigetreten. Deshalb ist jede Formulierung für ein neues Gesetz besonders heikel, weil es weltweit einsetzbar sein sollte.
Und wie lautet nun Ihre Definition von Ökozid?
Das Schwierige war, dass die Ausgangslage anders ist als beim Genozid. Beim Genzoid ist immer klar eine Intention gegeben. Und zwar: jemanden zu vernichten. Der Ökozid aber wird nie mit der Intention begangen, die Natur zu vernichten. Es ist immer ein Zufall oder ein Unfall oder ein Nebenprodukt – man will etwas tun und in der Folge schädigt man die Umwelt.
Bei Katastrophen wie einer Ölpest zum Beispiel, wie kann man die Verursacher belangen?
Cicero Plus weiterlesen
-
Monatsabo0,00 €Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQsAlle Artikel und das E-Paper lesen
- 4 Wochen gratis
- danach 9,80 €
- E-Paper, App
- alle Plus-Inhalte
- mtl. kündbar
-
Ohne Abo lesenMit tiun erhalten Sie uneingeschränkten Zugriff auf alle Cicero Plus Inhalte. Dabei zahlen Sie nur so lange Sie lesen – ganz ohne Abo.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
Wenn dann weltweit alle Nationen zustimmen…
Selbst als UN-Mitglieder nehmen sich einige Sonderrechte heraus.
Es würde ja auch gehen wenn alle Nationen gleiche Verantwortungs- und Haftungsregeln in der nationalen Gesetzgebung implementierten.
Es gibt also viel zu tun, wir haben nur diesen einen Planeten.
Dinge vor höchste Gerichtshöfe zu bringen hat oft die Idee gewisse Sachen aus den politischen Verhandlungen herauszunehmen. Wie könnte man über Genozid, Menschenfeindlichkeit oder Naturzerstörung verhandeln? Das macht man einfach nicht und das wird so durchgesetzt.
Soweit die Theorie, aber ich sehe da Gefahren. Zum Einen wird jede Machtposition doch politisch erorbert (UN-Menschenrechtsrat etc.). Dann ist nichts gewonnen, man hat es nur schwerer politisch voranzukommen. Schon weil die Köpfe der Leute damit voll sind, dass sie absolute Wahrheiten verteidigen und kein Raum für Reden ist.
Ein anderer Punkt ist, dass man im Kopf hat, dass endlich alle Bolsonaros der Welt belangt werden. Aber ist das so klar? Was ist mit afrikanischen Staaten, die ihre Natur zerstören: rassistisch diskriminiert, postkolonial ausgebeutet und dann noch über diese Schiene belangt werden? Da kochen die Gemüter von allen Seiten hoch. Ich würde mich dem politisch stellen, dass die Weltsichten sehr bunt sind.
Dem möchte ich zustimmen. Zumal sich für mich auch die Frage ergibt, ob es nicht später auch zu "Übersprungsurteilen" kommen könnte. Das soll heißen, dass Menschen vor Gericht gezerrt werden und verantwortlich gemacht werden, die am untersten Ende der Kette der Ereignisse stehen, die zu entsprechenden Umweltkathastrophen geführt haben, die eigentlich Verantwortlichen aber durch ihre gesellschaftliche Stellung und entsprechend weitere Faktoren gar nicht zur Verantwortung gezogen werden/-werden können. Mit der Juristischen Ebene würde aber ein Mittel geschaffen, dass in jedem Fall "einen Täter" verlangt, welcher zum "Henker" überführt werden müsste. - in anderen Fällen unseres Gesellschaftssystemes gibt und gab es solche Ereignisse/ Kettrenreaktionen bereits.
Ich halte solche Ansinnen für eher gefährlich und dem Allgemeinwohl nicht zuträglich. In jedem Fall sollte der Schutz unserer Umwelt grundlegend/ übergerordnet auf GesellschaftsPOLITISCHER Ebene verankert und gewahrt bleiben!
Das man darüber in Diskussion geht, Möglichkeiten sucht, dass juristisch zu fassen, finde ich grundsätzlich in Ordnung. Ob sich dies aber rechtspraktisch in allen Staaten der Erde anwenden läßt, bezweifle ich doch stark. Und selbst wenn es in Statuten zum IStGH national Einzug findet, muss der jeweilige Staat auch anerkennen, dass ein solcher Fall vorliegt. Politiker werden den Teufel tun und sich selbst ggfls. anklagen lassen. Aber das müsste alles breit und transparent in den jeweiligen Staaten diskutiert werden. Ein jahrelanger Prozess der Meinungsfindung könnte man anstoßen. Doch mit welchem Ergebnis? Ich gebe Ihnen völlig recht, dass sie sich nicht darauf eingelassen haben, ein Ranking sog. Verbrechen an Ethnien oder Völkern zu erstellen. Jede Form von Verbrechen an Menschen, ob an einem oder an Millionen Menschen ist grausam, unnötig und gehört sanktioniert. Der gewaltsame Tod jedes Menschen ist zu ächten. Jedes Verbrechen, egal aus welchem niederträchtigen Motiv abzulehnen.
Passend zum aktuellen Hype in D ums Klima, resp. dessen Wandel.
Da hat der ÖRR mal wieder schön seiner Haltung gehuldigt u. noch so getan als ob er Aufklärung leisten würde.
Dabei sind solche Filme Framing auf höchstem Niveau.
Ich hätte diese Klage gar nicht zugelassen.
So etwas öffnet nur die Büchse der Pandora. Das ging bekanntlich nicht gut aus.
Der Versuch alleine ist ehrenhaft!
Wobei die Umsetzung und erst recht die Anwendung allerdings fraglich erscheinen.
Wer die Umwelt verpestet, vergeht ein Verbrechen, das ist logisch.
Die, die dafür verantwortlich sind, sollten entsprechend bestraft werden.