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Antje Berghäuser

Demonstration gegen Sarrazin - Wie man die Demokratie ruiniert

Demonstranten haben am Sonntag im Berliner Ensemble ein Podiumsgespräch mit Thilo Sarrazin gesprengt. Eine Diskussion über Meinungsfreiheit zu verhindern, weil einem die Meinung eines der Beteiligten nicht passt, darauf muss man erst einmal kommen. Und ein SPD-Mann klatscht Applaus

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Soviel also zum Thema Debattenkultur in Deutschland. Soviel auch zur aktuellen Cicero-Printausgabe mit dem Titel „Kein Recht auf Randale“. Kein Recht auf Randale? Ungefähr 25 Leute, die gestern Vormittag eine Diskussionsveranstaltung von Cicero mit Thilo Sarrazin im Berliner Ensemble gesprengt haben, indem sie mit Geschrei, Pöbeleien, Trillerpfeifen und Handgreiflichkeiten die Möglichkeit zum Meinungsaustausch verhinderten, sehen das offenbar anders. Sie fühlen sich im Recht und leiten aus diesem Gefühl ihr vermeintliches Recht ab, anderen Menschen das Wort zu verbieten – zur Not auch mit Gewalt. Herzlichen Glückwunsch!

Der Sieg der Demonstranten ist ein Triumph der Denkfaulheit


Herzlichen Glückwunsch auch deshalb, weil die Randalierer mit ihrer Aktion im traditionsreichen Berliner Brecht-Theater die Thesen des Gesprächsgastes bestätigt haben. Wir wollten nämlich mit Thilo Sarrazin über dessen neues Buch reden, in dem er einen angeblich linken „Tugendterror“ in diesem Land beklagt, der die Urheber missliebiger Ansichten mundtot zu machen versuche. Um es gleich klarzustellen: Ich teile Sarrazins Ansichten größtenteils nicht, auch nicht nach den gestrigen Vorfällen. Aber ich kann verstehen, dass jemand, der permanent solche Angriffe über sich ergehen lassen muss, auf den Gedanken kommt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung nur eingeschränkt gilt. Man muss eine Meinung nämlich nicht verbieten, um sie zu unterdrücken. Randale zum richtigen Zeitpunkt, Diffamierung oder nur die verkürzte und damit verzerrende Wiedergabe entsprechender Thesen in der medialen Öffentlichkeit tun auch schon ihre Wirkung.

Eine Diskussion über Meinungsfreiheit zu verhindern, weil einem die Meinung eines der Beteiligten nicht passt, darauf muss man erst einmal kommen. Ob die Randalierer jetzt zufrieden sind? Der Sieg, den sie nach Abbruch der Veranstaltung gestern vor dem Berliner Ensemble feierten, war ein Triumph der Denkfaulheit, der Intoleranz, der Sprechverbote. So ruiniert man eine Demokratie.

Infantile Eventkultur statt Argumenten


Dass sich gestern Morgen um die hundert Demonstranten vor dem Austragungsort des geplanten Gesprächs versammelt hatten, um gegen Sarrazin, gegen die Theaterleitung und gegen uns als Gastgeber zu demonstrieren, ist deren gutes Recht. Ebenso deren gutes Recht ist es, solch einer Demo mit Flaschenbier und dröhnender Technomusik aus Lautsprecheranlagen den Anstrich eines typischen Berliner Freiluft-Saufevents zu verpassen – das untermauert zwar nicht gerade die Ernsthaftigkeit des gesamten Unterfangens, aber hey: Ein bisschen Spaß dürfen sich ja wohl auch jene erlauben, die sonst keinen Spaß verstehen (zumindest nicht bei Leuten, deren Ansichten sie nicht teilen).

Drinnen ging der Spaß dann aber weiter – mit einfallsreichen Sprechchören („Sarrazin ist/ein Rassist“), Buh-Rufen, lustigen Kopftuchmädchen-T-Shirts oder dem wiederholten Versuch, die Bühne zu stürmen. Ja, die Freude an der Randale war förmlich mit Händen zu greifen (und ich hatte vom Podium aus einen ziemlich guten Überblick). Dass 90 Prozent der Zuschauer, die gekommen waren, um einem Streitgespräch mit Thilo Sarrazin zuzuhören, die Freude über den Karneval der Meinungsdiktatoren nicht teilen wollten, befeuerte deren Freude an der Destruktion um ein weiteres. Verständlich auch dies. Denn wer auf die Kraft seiner eigenen Argumente nicht vertraut, für den bleibt immer noch die Randale als ultima ratio der infantilen Eventkultur.

Die Cicero-Foyergespräche im Berliner Ensemble pflegen traditionell eine offene Debatte. Das zeigt sich schon darin, dass die Zuschauer im letzten Drittel der Veranstaltung die Möglichkeit haben, ihr Wort direkt an den Gast zu richten – um ihm oder ihr Fragen zu stellen, die Meinung zu sagen. Von alledem wollten die Randalierer aber nichts wissen; auch nicht, nachdem die Theaterleitung ihnen erlaubt hatte, ein Manifest zu verlesen. Gegenrede unerwünscht. Stattdessen wurde Sarrazin mit Papierkugeln beworfen.

Helau, Alaaf und Kamelle für alle, die das nicht lustig finden. „Wir sind alle Narren, aber keiner hat das Recht, einem anderen seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen“, hat Georg Büchner einmal treffend bemerkt.

Im Berliner Ensemble geht es um nichts weniger als ums große Ganze


„Wenn wir ihn [Sarrazin] schon nicht loswerden: Ausgerechnet das Berliner Ensemble sollte dem nicht auch noch seine Bühne öffnen“: Diese Twittermeldung hat gestern kein anderer als der Berliner SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß in die Welt gesetzt. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als klar war, dass die Randalierer ein Streitgespräch mit Thilo Sarrazin verhindert hatten. Nur zur Erinnerung: Jan Stöß, das ist der Mann, der sich derzeit Hoffnung darauf macht, Klaus Wowereit als Regierenden Bürgermeister zu beerben. Und so einer freut sich auch noch darüber, wenn eine Debatte vereitelt wird, die in wesentlichen Punkten ganz unmittelbar mit der Stadt zusammenhängt, deren höchstes Amt er anstrebt.

Lieber Herr Stöß, ich weiß, dass es in Ihren Ohren unerhört klingen muss: Aber Politik hat nicht immer nur mit kleinen Machtspielchen in den Konferenzräumen irgendwelcher Bezirksrathäuser zu tun. Sogar in Berlin sollte es ab und zu ums große Ganze gehen. Zum Beispiel, wenn das für eine funktionierende Demokratie unerlässliche Streitgespräch durch Randale verhindert wird.

Und noch etwas, verehrter Jan Stöß. Ich glaube, wir teilen beide nicht Sarrazins Ansichten. Aber im Gegensatz zu Ihnen freue ich mich überhaupt nicht darüber, wenn Krawallmacher ihn daran hindern, seine Meinung zu sagen. Ich hätte Thilo Sarrazin gestern zum Beispiel gern gefragt, ob die Debatte, die er angestoßen hat, unsere Gesellschaft denn in irgendeiner Form weitergebracht hat oder nicht. Eine Antwort darauf konnte er aber nicht geben, weil Randalierer ihrer eigenen Form des Antwortens glaubten Ausdruck geben zu müssen. Und Leute wie Sie, Herr Stöß, spenden dazu ihren Applaus?

Lieber Herr Stöß, ob es Ihnen passt oder nicht: Das Streitgespräch mit Thilo Sarrazin werden wir nachholen. Und Sie sind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen. Vielleicht reicht es beim nächsten Mal ja sogar zu mehr als einer Twittermeldung.

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