- Welche Hürden Union und SPD nehmen müssten
Die Union will in Sachen Steuern womöglich auf die SPD zugehen. Welche Knackpunkte gäbe es bei Koalitionsgesprächen?
Wahlprogramme formulieren Ziele einer politischen Partei, sie dienen als Mittel der Profilierung im Wahlkampf. Es gibt in der parlamentarischen Demokratie nur ein einziges Wahlergebnis, von dem man die unbedingte Gültigkeit eines Wahlprogramms für die folgende Legislaturperiode ableiten kann: Die absolute Mehrheit. Kommt eine Partei nicht allein an die Regierung, muss sie bei der Verfolgung der formulierten Ziele in den Koalitionsverhandlungen mit anderen Parteien Abstriche machen und Kompromisse suchen. So viel zur Theorie.
STEUERN
Der praktische Blick auf den Wahlausgang am vergangenen Sonntag zeigt: Es gibt keine Partei mit absoluter Mehrheit.
Und nur eine einzige im Bundestag vertretene Partei, nämlich die CDU, hat versprochen, die Steuern nicht zu erhöhen. „Ich sage ein klares Nein zu allen Steuererhöhungen“, hat CDU-Chefin Angela Merkel in den vergangenen Monaten immer wieder beteuert. Alle anderen Parteien, SPD, Grüne und Linkspartei, haben die Anhebung der Steuern für Besserverdienende versprochen. Ob Steuern erhöht werden und welche das sein sollen, das wird man am Ende der Verhandlungen zum Koalitionsvertrag sehen.
Zur Finanzierung des Haushaltes sehen CDU und CSU keine Notwendigkeit einer Steuererhöhung. Sowohl im Wahlprogramm als auch im Wahlkampf der Union hatte es daran keinen Zweifel gegeben. Im Gegenteil: Schwarz-Gelb hatte noch kurz vor der Wahl einen Gesetzentwurf zur Abmilderung der „kalten Progression“ eingebracht, nach dem vor allem Bezieher mittlerer Einkommen steuerlich entlastet würden.
Gleichwohl hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Interview mit der „Zeit“ nicht ausgeschlossen, dass es Steueranhebungen geben könnte. „Wir sollten jetzt schauen, wie die Gespräche (über den Koalitionsvertrag) laufen“, hat Schäuble gesagt, nachdem er eine Vermögenssteuer als „schweren Fehler“ abgelehnt hat.
Diese Unklarheit ist Schäuble am Mittwoch als verstecktes Angebot an SPD oder Grüne ausgelegt worden, mit der Union in Koalitionsgespräche zu treten und ihre steuerpolitischen Ziele durchzusetzen. Umso mehr, als auch andere CDU-Politiker, etwa der nordrhein-westfälische Landeschef Armin Laschet Steuererhöhungen nicht ausschlossen. Seither herrscht Aufregung in der Union.
„Wir sollten jetzt niemanden verunsichern“, mahnte am Donnerstag ein hoher Parteifunktionär, „weder künftige Koalitionspartner noch unsere eigenen Leute.“ Vor allem Letztere hatten sich besorgt gefragt, warum die Union mit ihrem guten Wahlergebnis ohne Not ein wichtiges Wahlversprechen vor Beginn von Gesprächen verhandelbar stellt.
Für die SPD ist die Anhebung des Spitzensteuersatzes genauso wie die Einführung einer Vermögenssteuer, die Anhebung der Erbschaftssteuer und die Erhöhung der Kapitalertragssteuer eine Frage von Gerechtigkeit. Wobei man wissen muss, dass der ehemalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück von Anfang an kein Freund der Vermögenssteuer war, weil er fürchtete, dass Unternehmen zu stark beschnitten werden.
Denkbar ist, dass die Union einer Anhebung des Spitzensteuersatzes zustimmt, weil auch ihre Wähler das Auseinanderdriften von Arm und Reich beklagen. Im Gegenzug könnte die kalte Progression gemildert werden – Mittelstand und Mittelschicht würden ein wenig entlastet. Bei Erbschafts-, Vermögens- und Abgeltungssteuer wird die Union nicht verhandlungsbereit sein.
Fazit: Gute Einigungsmöglichkeiten.
Der gesetzliche Mindestlohn steht ganz oben auf der SPD-Agenda
„Gutes Geld für gute Arbeit“ haben SPD und Grüne im Wahlkampf versprochen. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro wollten sie einführen. Das Thema steht ganz oben auf der politischen Agenda der SPD, denn es trifft ihre Kernwählerschaft, Menschen, die arbeiten gehen und dennoch vom Lohn nicht leben können. Die Union hat ebenfalls lange um das Thema gerungen, denn auch in ihrem Selbstverständnis gibt es keinen Platz für Leistung, die sich nicht lohnt. Allerdings konnte sich der Teil der CDU durchsetzen, der branchen- und regionalspezifische Ergebnisse von Tarifverhandlungen und nur im Notfall staatliche Eingriffe vorsieht. Eine Lösung, wie sie die SPD anstrebt, wird es womöglich nicht geben. Aber einen Kompromiss gewiss.
Fazit: Große Einigungschancen.
Um das Betreuungsgeld wird die CSU kämpfen
Der Kampf gegen das Betreuungsgeld war eines der Mobilisierungsthemen der SPD, denn zwei Drittel der Deutschen lehnen diese Leistung ab. Die Sozialdemokraten versprachen, das Betreuungsgeld sofort abzuschaffen und stattdessen in den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung zu investieren. Die Leistung beantragen können Eltern, deren Kinder keine öffentliche Betreuung in Anspruch nehmen. Das Problem ist: Nicht für die gesamte Union, aber für die CSU ist das Betreuungsgeld ein Symbolthema von großer Bedeutung. CSU-Chef Horst Seehofer hatte zur Durchsetzung der auch in der schwarz-gelben Koalition ungeliebten Leistung mehrfach mit dem Ende der Regierung gedroht. Angesichts des starken CSU-Bundestagswahlergebnisses wird er sich gegen den Gesichtsverlust stemmen. Auch mit ihrer Forderung nach dem vollen Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Lebenspartner dürfte die SPD bei der Union auf Granit beißen.
Fazit: Die Familienpolitik wird eines der schwierigsten Themen.
Bei der Euro-Rettung gibt es verschiede Konzepte - aber dasselbe Ziel
Seit Jahren wirft die SPD Merkel vor, sie halte die Zusagen nicht ein, die sie der SPD als Preis für deren Zustimmung zum ständigen Euro-Rettungsschirm ESM 2012 geben musste. Die Bundesregierung verschleppe ein umfassendes Investitionspaket für Krisenländer, dränge nicht auf Realisierung von Finanztransaktionssteuer und Bankenregulierung, monierten die Sozialdemokraten. Eine große Koalition könnte nun das Bekenntnis zu diesen Instrumenten bekräftigen, denn nicht über die Euro-Rettung, sondern nur über die Instrumente zur Euro-Rettung streiten Union und SPD. Denkbar ist auch, dass die Union einen Schritt auf die Sozialdemokraten zugeht und sich unter strengen Bedingungen zu einer stärkeren gemeinsamen Haftung bereit erklärt. Viele Euro-Länder würden das sehr begrüßen.
Fazit: Die Einigungschancen auf diesem Gebiet sind sehr gut.
Die Bundesländer sind ein Trumpf der SPD
Ein großes Pfund der SPD in möglichen Verhandlungen ist ihre starke Stellung in den Ländern und im Bundesrat - und ohne die Länderkammer kann auch eine Bundesregierung wenig bewegen. Die große Koalition würde im Bundestag über die nötige Zweidrittelmehrheit verfügen, um das Grundgesetz zu ändern. Die Sozialdemokraten drängen darauf, die Vorschrift aufheben, wonach Bund und Länder in der Bildungspolitik nur in Ausnahmefällen kooperieren dürfen. Die Union ist anderer Meinung. Verbessern will die SPD auch die Finanzsituation der Kommunen, die die schwarz- gelbe Koalition ihrer Meinung nach auszehrte.
Fazit: Sehr große Probleme, sehr unterschiedliche Positionen, aber gemeinsame Lösungen nach langen Verhandlungen vorstellbar. Das Ringen mit den Ländern bliebe aber auch nach Abschluss eines Koalitionsvertrages spannend.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.