- Eine europäische Ratingagentur wird geboren
Die Herabstufung der Bonität Frankreichs durch den Rating-Riesen Standard & Poor’s hat die Debatte über die Arbeitsweise angloamerikanischer Ratingagenturen neu entfacht. Der deutsche Risiko-Experte Markus Krall arbeitet derzeit mit Hochdruck an der Gründung einer europäischen Ratingagentur. Es geht ihm dabei ums Grundsätzliche
Die nächsten Wochen werden entscheidend sein. In diesen Tagen beginnt Markus Krall nämlich seine „Roadshow“, wie er die finale Präsentationsrunde bei den potenziellen Geldgebern nennt. Und wenn alles nach Plan läuft, hat er am Ende feste Zusagen für ein Investitionsvolumen von insgesamt 300 Millionen Euro zusammen. Diese Summe braucht es, um eines der ehrgeizigsten Non-Profit-Projekte der vergangenen Jahre auf die Beine zu stellen: eine als Stiftung organisierte europäische Ratingagentur, die nicht nur den drei angloamerikanischen Branchen-Beherrschern Fitch, Moody’s und Standard & Poor’s Konkurrenz machen soll. Sondern das Geschäft mit der Bewertung von Anleihen auf eine neue Grundlage stellen will.
Krall, 49 Jahre alt, gebürtiger Mainfranke und Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger, ist der Urheber dieses mehr als ehrgeizigen Vorhabens. Wenn man mit ihm darüber spricht, hat man allerdings den Eindruck, so etwas würde bei ihm zum normalen Berufsalltag gehören. Aber jemandem, der sich schon seit seinem VWL-Studium fast ausschließlich mit mathematisch-stochastischen Modellen zur Risikoanalyse beschäftigt, liegt Sachlichkeit wahrscheinlich einfach in den Genen. Außerdem ist die Mission heikel und erfordert schon deshalb einen kühlen Kopf.
Der Zorn europäischer Politiker über die Macht der „großen drei“, die mit ihren Länderratings scheinbar über das Schicksal überschuldeter Eurostaaten entscheiden, ist gut dokumentiert. Deswegen liegt der Verdacht nahe, eine „europäische Ratingagentur“ könne das Ziel verfolgen, mildere Urteile über die Bonität notorisch klammer Volkswirtschaften zu fällen. Doch davon kann keine Rede sein. „Es sind keine staatlichen Institutionen involviert, es fließt keinerlei Steuergeld. Denn wir würden es als einen Grundkonflikt sehen, wenn Staaten daran beteiligt sind“, sagt Krall über die Struktur seines Projekts. Das Geld für die Anschubfinanzierung soll vielmehr von Banken, Versicherern oder institutionellen Investoren kommen, die durchaus selbst ein Interesse daran haben könnten, das bestehende Rating-Oligopol zu durchbrechen und mehr Transparenz in der Risikobewertung zu erlangen.
Denn Transparenz ist eines der Hauptanliegen von Markus Krall. Während die Ratingberichte der alteingesessenen Agenturen keinen wirklich präzisen Aufschluss über ihr Zustandekommen liefern, wird im Krall’schen Projekt jeder einzelne Schritt glasklar aufgeschlüsselt und im Internet frei zugänglich gemacht werden. „Es geht in unserem Ansatz wie in der Wissenschaft um die Reproduzierbarkeit des Experiments“, lautet die Ansage. Als Grundgerüst dafür dient ein mathematisches Modell, in das sämtliche für die Risikobewertung zur Verfügung stehenden Daten einfließen und das laut Krall „extreme Trennschärfe und eine hohe Prognosequalität garantiert“.
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Die Einschätzung politischer Faktoren (beispielsweise der Grad an Korruption), wie sie für Länderratings unerlässlich ist, soll ebenso offengelegt werden wie die Lebensläufe der mit dem Bericht befassten Experten. Auch ein unabhängiger wissenschaftlicher Beirat ist vorgesehen. „Wir haben viele Sicherungsmechanismen eingebaut, um genau die Diskussionen zu vermeiden, denen die drei großen Marktführer derzeit ausgesetzt sind“, sagt Markus Krall, der bei der Analyse der Finanzmarktkrise des Jahres 2008 sehr schnell zur Überzeugung gelangte, dass es sich dabei um „eine strukturelle, institutionelle Fragestellung“ gehandelt habe, von der nicht zuletzt die Arbeitsweise der Ratingagenturen betroffen gewesen sei.
Ein ganz entscheidender Punkt war dabei das bis heute noch gültige Vergütungssystem: Weil die Anleihenemittenten selbst es sind, die die entsprechenden Ratings in Auftrag geben und bezahlen, sind Interessenkonflikte programmiert. Auch das will Krall ändern: Sein „investorenbasiertes Bezahlmodell“ sieht – grob formuliert – vor, dass die Agenturen ihre Ratings auf einer frei zugänglichen Plattform veröffentlichen und die Investoren verpflichtet sein sollen, eines dieser Ratings zu erwerben. Damit wäre das System zwar vom Kopf auf die Füße gestellt, doch mangelt es bisher an entsprechenden gesetzlichen Vorschriften. Vorerst wird die europäische Ratingagentur also nach dem gewöhnlichen Honorierungsmuster arbeiten und ihre Dienstleistung den Emittenten der Wertpapiere in Rechnung stellen müssen.
Dass es überhaupt so weit kommt, daran hat Krall nur noch wenig Zweifel: „Ich denke, wir werden die nötigen festen Zusagen der potenziellen Geldgeber bekommen, zumal uns die aktuelle öffentliche Debatte Rückenwind gibt.“ Rund 1.000 Mitarbeiter könnten in ein paar Jahren für die europäische Ratingagentur arbeiten, die ersten 300 sollen schon in diesem Jahr eingestellt werden; ihr Dienstsitz dürfte dann wohl Frankfurt sein. Der Zeitplan ist ausgesprochen eng, noch 2012 will man die ersten Banken- und Länderratings herausbringen. Als eine „gegen Amerika gerichtete Initiative“ möchte Krall sein Projekt allerdings nicht verstanden wissen. Nationalismen spielen in diesem Geschäft ja bekanntlich keine Rolle. Heißt es zumindest.
Bilder: picture alliance, Edgar Schoepal, Burkhard Mohr (Karikatur)
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