- Der Papst tritt ab – na und?!
Die Zeitungen überschlagen sich mit Lobeshymnen auf den scheidenden Papst. Warum eigentlich? Mit der Lebenswirklichkeit der Menschen hat all das nichts zu tun
Schon erstaunlich. Ein geistlicher Führer dankt ab und die säkulare Welt spendet Applaus. Die Zeitungen überschlagen sich mit Lobeshymnen, Huldigungen und schmeichelnder Ehrerbietung. Kein Politiker, der nicht eine Meinung hat, der verherrlicht und Respekt zollt.
Allenfalls in Nebensätzen oder als Fußnote erschöpf sich dann das, wofür dieser Mann und seine Kirche auch stehen: Ökumene verstanden als Schulterschluss mit der Orthodoxie, mit Piusbrüdern, Missbrauchskandalen, Homosexuellenfeindlichkeit und einer Abtreibungspolitik, die jüngst eine mutmaßlich vergewaltigte Frau in Köln zu spüren bekam, als ihr zwei katholische Krankenhäuser die Behandlung mit der „Pille danach“ versagten.
Stattdessen: Jubelchöre. Mit dem Rücktritt wiederentdeckt die feuilletonistische Publizität ihren christlichen Kern. Man sollte doch. Und könnte ja. Mit fast schon wohliger Unterwerfungsbereitschaft feiert der Feuilleton-Katholik einen Mann, ein System, das aus der Ferne so lieblich daher kommt, weil ihm längst der Zahn der Absolutheit gezogen wurde und die Religion – Gott bzw. der Vernunft sei Dank – zu einem schmerzhaften Anpassungsprozess an die Moderne genötigt wurde.
Umso erstaunlicher, dass all jene, die vom Pluralismus der Meinungen leben, einen Mann beklatschen, der nie müde wurde, die vermeintliche „Diktatur des Relativismus“ anzuprangern. So bietet dann auch der Papst Projektion für eine ganz weltliche Dialektik: Das Lob, die Huldigung fällt besonders dort leicht, wo der Einfluss des Katholizismus tatsächlich gering ist. Weit weg, als hermetisches System im System, aus der Ferne mahnend, ertragen wir es. Dort und nur dort. Und sprechen es jetzt in sicherem Abstand und in aller Demut heilig.
Also. Der Papst kündigt seinen Rücktritt an. Na und?! Möchte man rufen. Hierzulande leben auf dem Papier knapp 25 Millionen gläubige Katholiken. Von Ihnen geht tatsächlich nur ein Bruchteil (15 Prozent) regelmäßig in die Kirche. Tendenz abnehmend. Unterm Strich eine Minderheit also. Wohl auch, weil viele von ihnen nicht ohne weiteres bereit sind, ihr sündiges Leben in die Kirche zu tragen. Weil sie die vermeintlichen Wahrheiten der Kirche unweigerlich in einen Konflikt führt. Weil sie das Glaubenskonkordat des Vatikans in letzter Konsequenz zur Heuchelei nötigen würde.
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Zur Wahrheit gehört eben auch, dass die wenigen Aktiven, die das Kirchenleben in Deutschland aufrechterhalten, viel zu oft an ihrem geistlichen Führer und den Vorgaben des Vatikans verzweifeln. Die logische Folge einer Politik, die Kompromiss mit Selbstauflösung gleichsetzt.
Ohne Zweifel: Mit Joseph Ratzinger geht ein großer Denker, ein Intellektueller, dessen Thesen über Welt, Geist und besonders Vernunft absolut denkens- und lesenswert sind. Wie kein zweiter ging er der Frage nach, ob eine auf die Spitze getriebene säkulare Vernunft tatsächlich so segensreich ist, wie sie den Anschein erweckt. („Die säkulare Kultur ist faktisch ebenso nicht-universal wie das Christentum.“) Folglich müsse auch die Vernunft unter Aufsicht gestellt werden.
Als radikale These wunderbar, als gelebtes Modell hermetisch und damit demokratieuntauglich. Außerdem betrauert die Presse auch weniger den Abtritt eines Denkers als den Abtritt eines Führers. Es tritt ja nicht Ratzinger in Funktion eines wachen Geistes ab, sondern das Oberhaupt der katholischen Kirche.
Und eben an genau dieser Stelle würde man sich ein wenig mehr kritischen Geist, statt Applaus wünschen. Ein wenig mehr Schulterzucken statt epochaler Huldigung. Denn letztlich geht es um die Spitze eines rückwärtsgewandten Systems, eines unreformierbaren Männerbundes.
Schenken wir also zur Abwechslung etwas anderem Gehör: der Aufklärung, der Vernunft. Genauer: Max Horkheimer: „Wenn wir unter Aufklärung und geistigem Fortschritt die Befreiung des Menschen vom Aberglauben an böse Kräfte, an Dämonen und Feen, an das blinde Schicksal – kurz, die Emanzipation von Angst – verstehen, dann ist die Denunziation dessen, was gegenwärtig Vernunft heißt, der größte Dienst, den die Vernunft leisten kann.“
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