- NS-Verbrechen totgeschwiegen
Eine unabhängige Studie beweist, wie Günther Quandt durch Zwangsarbeit und „Arisierungen“ alle Vorteile des NS-Regimes ausnutzte, um seinen Reichtum zu vermehren. Dies hatte er zeitlebens geleugnet. Nun sprechen die Enkelkinder und Großunternehmer Stefan und Gabriele Quandt 66 Jahre nach Kriegsende ihr Bedauern über das begangene Unrecht aus.
„Erst haben sie mich zu ihrem Sklaven gemacht und dann auch noch zutiefst erniedrigt. Ich werde nie wieder dahingehen und an ihre Tür klopfen. Sie werden mich nicht noch einmal zerstören.“
Carl-Adolf Soerensen kämpft mit den Tränen, als er diese Worte in die Kameras des Filmemachers Eric Friedler spricht. Soerensen war Häftling im KZ Hannover-Stöcken. Dieses grenzte unmittelbar an die Produktionsstätte des Batteriekonzerns der Varta, früher AFA. Während der Nazizeit arbeiteten dort über 1500 KZ-Häftlinge und 3700 weitere Zwangsarbeiter. Unzählige Menschen starben an Bleivergiftung oder Unterernährung, durch Arbeitsunfälle oder Misshandlungen durch die Aufseher. Die AFA, bis Kriegsende einer der wichtigsten Standbeine im Wirtschaftsimperium von Günther Quandt, garantierte weder sichere Produktionsbedingungen noch ausreichend Schutzkleidung oder ärztliche Versorgung. Nirgendswo wird die skrupellose und bedingungslose Kollaboration von Günter Quandt mit dem Nazi-Regime so anschaulich wie in Hannover-Stöcken. Mit dem KZ auf dem eigenen Firmengelände beteiligte sich Quandt wissentlich an der Vernichtung durch Arbeit.
Der Däne Soerensen war einer der wenigen Überlebenden, die nach dem Krieg persönlich bei der Familie Quandt um eine finanzielle Unterstützung baten und um Anerkennung für das erlittene Leid. Die Quandts haben ihn, als er 1972 vor ihrer Tür stand, kalt abblitzen lassen. Von seiner Geschichte wollten sie nichts wissen.
Das änderte sich erst 2007. In der TV-Doku „Das Schweigen der Quandts“ berichtete Soerensen schließlich einer breiten Öffentlichkeit davon, dass die Häftlinge aus Kloschüsseln trinken mussten und die Aufseher sie wie Sklaven auspeitschten. Freunde von ihm gingen schon nach wenigen Tagen an der Arbeit zugrunde. Nach der Ausstrahlung des Films konnte auch die Familie Quandt, bis heute einer der reichsten und mächtigsten Unternehmerfamilien Deutschlands, nicht länger wegsehen. Sie öffnet für den Historiker Joachim Scholtyseck die Familienarchive und finanzierten ihm ein dreijähriges Forschungsprojekt zur Unternehmensgeschichte der Familie Quandt.
Die Arbeit, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, bestätigt die These des viel diskutierten Films von 2007. Sie belegt, dass Günther Quandt ein Täter und Profiteur des NS-Regimes war und er nach dem Krieg von Gerichten fälschlicherweise als Mitläufer eingestuft wurde. Auch der Quandt-Biograf Rüdiger Jungbluth sieht sich bestätigt. Auf seine Befunde hatte sich der Film maßgeblich gestützt.
„Sollte die junge Quandt-Generation gehofft haben, der Historiker werde das düstere Bild der Vorfahren aufhellen, ist der Schuss nach hinten losgegangen“ kommentiert Jungbluth in der ZEIT die Ergebnisse der Studie.
Scholtyseck ist es gelungen die Verstrickungen der Quandts in das NS-Unrecht mit neuen Zahlen und Fakten zu untermauern. So kamen in den Unternehmen der Quandt-Gruppe während der NS-Zeit zwischen 51000 bis 57500 Zwangsarbeiter zum Einsatz. Nur durch die Massenproduktion von Batterien sowie von Pistolen und Kanonen in der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) konnten die Quandts ihren wirtschaftlichen Erfolgskurs in der NS-Zeit fortsetzen. „Der Einsatz von Zwangsarbeit in der Quandt-Gruppe ermöglichte der AFA und den DWM – erst die umfassende Rüstungsproduktion“ , stellt Scholtyseck fest.
Nicht überall arbeiteten die Zwangsarbeiter, die in den Firmen von Günter Quandt eingesetzt wurden, unter so grausamen Umständen wie in dem Werk bei Hannover. Ihre Behandlung variierte je nach nationaler und „rassischer“ Abstammung. Aber Scholtyseck dokumentiert viele erschütternde Beispiele, die zeigen, dass der Handlungsspielraum, der einem Unternehmer blieb, um für menschenwürdige Bedingungen zu sorgen, von Günther Quandt in keiner Weise ausgeschöpft wurde. Russische Gefangene etwa mussten im DWM Lager Berlin Werkstücke, die vorher in einem Säurebad lagen, ohne Handschuhe behandeln. Es hätte wohl kaum den Ruin des Unternehmens bedeutet alle Arbeiter mit Handschuhen auszustatten.
Günther Quandt wird von Scholtyseck als eindimensionaler, opportunistischer und ausschließlich auf Profit bedachten Unternehmer vorgestellt. Alle wirtschaftlichen Vorteile, die das NS-Regime mit sich brachte, habe dieser „skrupellos“ ausgenutzt. Das zeigt sich nicht nur an dem exorbitanten Einsatz von Zwangsarbeitern.
Scholtyseck ordnet Quandt in die Gruppe von „Arisierern“ ein, „die die Notlage der jüdischen Besitzer bewusst und kühl ausnutzten“. Er gehörte zu jenen Unternehmern, die sich mit Beginn der Naziherrschaft von den Tugenden „des ehrbaren Kaufmannes“ verabschiedeten. Es wurden keine fairen Übernahmepreise gezahlt, sondern die Unternehmen in jüdischem Besitz zu möglichst günstigen Konditionen übernommen, sofern sie dem Konzernausbau der Quandt-Gruppe dienlich waren. Die Übernahme der Gesellschaften Henry Pels, Volt und Wuppermetall oder dem Chemiekonzern Byk Gulden hat eine entscheidende Rolle für den erfolgreichen und nachhaltigen Ausbau des Firmenimperiums gespielt.
Wie aktiv Günther Quandt und sein Sohn Herbert persönlich die Aneignung jüdischer Unternehmen forcierten, zeigte sich auch in Frankreich. Kaum war das Land besetzt, ging Günter Quandt zusammen mit seinem Sohn Herbert und weiteren Mitarbeitern auf Erkundungstour. Sie ließen ihre Mitarbeiter gezielt nach jüdischen Unternehmen suchen, weil hier eine leichte Übernahme zu erwarten war. Trotz akribischer Recherche konnte Scholtyseck nichts finden, was von einem Zweifel der Rechtmäßigkeit oder „moralischer Bedenken“ der Quandts gezeugt hätte.
Günther und Herbert Quandt haben nach Kriegsende alle Schuld von sich gewiesen. Günther Quandt hat sich gar als Opfer und Verfolgter des NS-Regimes dargestellt. Eine dreiste Lüge. Scholtyseck stellt klar, dass das amerikanische Untersuchungsgericht ihn nicht hätte laufen lassen, wenn den Anklägern alle relevanten Zeugenberichte und Dokumente vorgelegen hätten. Auch von deutschen Gerichten wäre er nicht als Mitläufer eingestuft worden. Ihn hätte vielmehr eine härtere Bestrafung erwartet. Vermutlich wären Günther Quandt und vielleicht auch sein Sohn bei den Nürnberger Prozessen wie andere deutsche Großindustrielle wegen Mittäterschaft an den NS-Kriegsverbrechen zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden.
Nach Jahrzehnte langem Schweigen melden sich nun Stefan und Gabriele Quandt in einem Interview in der ZEIT zu Wort. Stefan Quandt ist der Sohn von Herbert Quandt und Großaktionär der Bayrischen Motoren Werke, die 1962 von seinem Vater gekauft und ausgebaut wurden. Gabriele Quandt ist die Tochter von Harald Quandt, Herberts jüngerem Bruder, dessen Milliarden-Vermögen sie verwaltet. Harald Quandt fiel besonders nach Kriegsende negativ auf, als er ehemalige NS-Funktionäre in die Führungsebene seines Unternehmens holte.
Die Enkelkinder bedauern nun, dass viele Menschen die Zwangsarbeit in den Unternehmen ihres Großvaters nicht überlebt haben. „Wir haben erkannt, dass es falsch war, nicht genau wissen zu wollen, was damals geschehen ist“. Sie wollen nun das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide fördern. Dort stehen noch Baracken von Zwangsarbeitern aus dem Lager der Afa-Tochter Pertrix. Auch sollen nun Zeugenberichte ehemaliger Zwangsarbeiter für eine Ausstellung zusammengetragen werden.
Uschi Kiessling kann nur lachen, als sie von der späten Einsicht der Quandts hört. Sie hat jahrzehntelang für das Andenken und die Entschädigung der überlebenden Opfer des KZ Hannover-Stöcken gekämpft. Sie stand seit den 1980er-Jahren mit 70 Überlebenden des Lagers Stöcken und weiteren Außenlagern des KZ Neugammen in persönlichem Kontakt. Mittlerweile sind sie alle – bis auf einen Franzosen und einen Dänen, der unter einer schweren Psychose leidet – verstorben. „Die Zeitzeugen liegen in den Särgen“, kommentiert Kiessling daher das angekündigte Projekt der Quandts. Auch Carl-Adolf Soerensen verstarb im August 2009. Zu einer aufrichtigen Entschuldigung bei Soerensen konnten die Quandts sich auch nach der Ausstrahlung der TV-Doku nicht durchringen.
Uschi Kiessling glaubt nicht, dass die wenigen überlebenden Zwangsarbeiter mit der Geste des Bedauerns der Quandt-Erben jetzt noch etwas anfangen können. Für eine Wiedergutmachung scheint es nach jahrzehntelanger Leugnung zu spät.
Warum aber haben die Quandts 66 Jahre gebraucht, um sich den Schattenseiten ihrer Familie zu stellen? In dem ZEIT-Interview verweist Stefan Quandt auf sein Alter. Als sein Vater 1954 starb, war er gerade erst 16. Nie habe dieser mit ihm über die NS-Zeit gesprochen. Auch seiner Mutter Johanna habe er nie etwas erzählt. Gabriele Quant hingegen verweist auf das ohnehin traurige Schicksal ihrer Familie. Ihre Großmutter Magda Göbbels hatte ihre sechs Kinder im Führerbunker umgebracht. „Damit hat man schon ein Päckchen zu tragen. Wenn man dann noch liest: Großvater war ein Mitläufer – ok.“ Mit dieser Legende konnte sie gut leben.
Die Familie Quandt ist nicht die einzige Familie, der es schwer fiel, mit der NS-Vergangenheit der Väter und Großväter umzugehen. Das Totschweigen der Verbrechen war im Nachkriegsdeutschland nicht die Ausnahme, sondern eine gängige Praxis. Doch die jungen Quandts haben nicht nur ein riesiges Vermögen geerbt, sondern auch die historische Verantwortung für das begangene Unrecht.
Die junge Quandt-Generation wird den schwierigen Aufarbeitungsprozess aber nicht abseits der Öffentlichkeit führen können. Streit gibt es bereits um den Herbert Quandt Medien-Preis. Stefan Quandt will diesen auch weiterhin vergeben: „Wenn man sein Lebenswerk sieht, denke ich nach wie vor, dass man zu einem Gesamtbild kommt, das es rechtfertigt, einen Herbert Quandt Medien-Preis zu verleihen“, sagt er im ZEIT-Interview. Der Medien-Preis zeichnet journalistische Beiträge aus, die Unternehmertum und marktwirtschaftliches Verständnis befördern sollen. Nun hat der Historiker Joachim Scholtyseck in seiner Studie aufgedeckt, dass Herbert Quandt nicht nur als Personalleiter der Firma Pertrix „unmittelbare Verantwortung“ für die unzumutbaren Bedingungen der Zwangsarbeiter trug. Er war auch an der Planung eines KZs in Schlesien beteiligt, das auf Grund der vorrückenden Roten Armee nicht mehr gebaut werden konnte.
Einigen Preisträgern war ihre Auszeichnung so peinlich, dass sie ihr Preisgeld heimlich an Opferinitiativen für ehemalige Zwangsarbeiter aus Quandt-Firmen spendeten. Herbert Quandt scheint – trotz seiner Verdienste als Unternehmer – als Aushängeschild der Familie nicht mehr tragbar. Bevor die Familie dies nicht eingesehen hat, kann sie auf kein positives Signal der Opferverbände für ihr öffentliches Bedauern hoffen.
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