- Das Verfahren ist kein Schauprozess
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff steht ab Donnerstag wegen Vorteilsnahme in Hannover vor Gericht. Er pflegte enge Beziehungen zu Unternehmerfreunden. In Wahrheit geht es in dem Prozess aber um mehr
Als Ende 2011 die ersten Korruptionsvorwürfe gegen den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff laut wurden, schrieb mir ein empörter Leser: „Ich bin einfacher Beamter in Niedersachsen. Als Ministerpräsident hat Wulff uns Landesbediensteten untersagt, Geschenke im Wert von mehr als zehn Euro anzunehmen. Und er selber lässt sich von Wirtschaftsfreunden einladen und sich von ihnen einen dicken Kredit geben! Was soll ich da meinen Kindern sagen?“
So wie der niedersächsische Staatsdiener reagierten auch viele andere. Sie stießen sich daran, dass hier wieder einmal ein Politiker augenscheinlich gegen Prinzipien verstoßen hatte, die er anderen verordnet hatte, die aber für ihn selber offenbar nicht gelten sollten. Als Regierungschef in Hannover hatte Wulff die Vorschriften des Landes zur Korruptionsverhütung verschärft. Beamte und Mandatsträger dürfen seitdem in Niedersachsen nicht einmal den Eindruck erwecken, sie könnten bestechlich sein. Deshalb dürfen sie wie in anderen Bundesländern keine größeren Einladungen annehmen und auch nur Geschenke bis zum genannten Wert.
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Er selber hatte sich jedoch, so kam bald heraus, von Wirtschafts- und Unternehmerfreunden wiederholt Urlaubsreisen spendieren lassen. Ein Schrott-, Schmuck- und Immobilienhändler hatte ihm sogar Geld für den Kauf seines Hauses gegeben. Und das sollten alles nur reine Freundschaftsdienste gewesen sein, wie er behauptete – gegenüber dem Ministerpräsidenten eines der größten Bundesländer, der gleichzeitig stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender war und dem damals noch einiges mehr in der Bundespolitik zugetraut wurde?
Offenkundige Doppelmoral
Was viele aber in Fällen wie dem von Wulff noch mehr aufregt als die Vorwürfe an sich und die übliche Haltung, erst alles abzustreiten und dann, wenn es nicht mehr zu leugnen ist, die Wahrheit nur scheibchenweise zuzugeben, ist die offenkundige Doppelmoral: Für den Normalbürger sollen strenge Gesetze und Vorschriften gelten. Mächtige, die selber die Gesetze machen, aber nehmen sich die Freiheit heraus, sich über diese nach Gutdünken hinwegzusetzen. Und zeigen nicht einmal ein schlechtes Gewissen, wenn sie erwischt werden.
Diese Abgehobenheit von Mitgliedern der politischen und ökonomischen Elite hat gravierende Folgen. Das Ansehen ihrer gesamte Kaste sinkt beständig. Die Menschen verlieren das Vertrauen in die Führungsschicht und die Achtung vor ihr. Und die Bürger haben auch immer weniger Vertrauen in die Institutionen, für die Politiker und Verantwortliche in den Unternehmen stehen: Regierung, Parlamente, Vorstände, Aufsichtsräte, ja in die Demokratie und die soziale Marktwirtschaft insgesamt – zwei Errungenschaften, welche die Deutschen nach dem Krieg erst mühsam zu schätzen gelernt haben.
Wulff unterhielt als Ministerpräsident in Hannover ein dichtes Netzwerk mit Unternehmerfreunden. Dazu gehörten neben dem Osnabrücker Stahlunternehmer und späterem Eon-Chef Jürgen Großmann unter anderen der Gründer des Finanzdienstleister AWD, Carsten Maschmeyer, der damalige Air-Berlin-Chef Joachim Hunold und Norbert Winkeljohann, Deutschland-Chef von PricewaterhouseCoopers, einer der weltgrößten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.
Einige aus diesem Kreis halfen Wulff auch gerne persönlich. So lud Maschmeyer, einst Herr über zahllose Drückerkolonnen, die Tausenden fragwürdige Finanzanlagen und Versicherungen andrehten, ihn 2010, als er schon Bundespräsident war, mit seiner zweiten Frau Bettina in seine Ferienanlage auf Mallorca ein. 2007 sponserte er mit mehr als 40.000 Euro Anzeigen für das Wulff-Wahlkampfwerbebuch „Nichts als die Wahrheit“. Der Stahlmanager Großmann war sehr aktiv in Wulffs „Club 2008/2013“, der Parteispenden für die niedersächsische CDU sammelte. Hunold spendierte der Familie Wulff ein Upgrade in die Businessclass – Air Berlin, damals von Hunold geführt, ist Großkreditnehmer der NordLB; die Landesbank gehört wiederum zum Großteil dem Land Niedersachsen. Und Winkeljohann verschaffte Wulffs geschiedener erster Frau Christiane einen Job bei einer befreundeten Anwaltskanzlei, was dem Ministerpräsidenten Unterhaltszahlungen ersparte – Winkeljohanns PWC testiert den Autokonzern VW, an dem das Land maßgeblich beteiligt ist, sowie weitere Landesbetriebe. Außerdem berät die Wirtschaftsprüfungsfirma das Land bei der Vergabe von Bürgschaften.
David Groenewold, Filmmanager aus Berlin, lud Wulff zweimal zu Urlauben auf Sylt ein. Wulff will ihm das Geld dafür erstattet haben. Außerdem spendierte er ihm 2008 eine Suite im Bayerischen Hof in München anlässlich eines gemeinsamen Besuchs beim Oktoberfest. Die Plätze im Kaefer-Zelt besorgte er ebenfalls.
Alles nur Freundschaftsdienste, wie Wulff beteuerte, als die Vorwürfe gegen ihn immer heftiger wurden? Daran gibt es jedenfalls bis heute starke Zweifel, auch wenn die Staatsanwaltschaft nach langen Ermittlungen schließlich nur im Fall des gemeinsamen Oktoberfest-Besuchs genug Beweise für eine Anklage wegen Vorteilsannahme sah.
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Denn Wulff stand mit vielen seiner Gönner mehr als nur in privater Beziehung. Die Annahme von Vorteilen, die einen Bezug zum Amt haben, sind Amtsträgern wie einem Ministerpräsidenten jedoch strikt verboten.
Verquickung zwischen Einladung und unternehmerischen Interessen
Wulff bedankte sich bei seinen Freunden jedenfalls auf vielfache Weise:
- Er setzte sich mehrfach gegen geplante Änderungen der EU bei der Regulierung für Finanzvermittlungen ein, von denen besonders Maschmeyers AWD als größter deutscher Vermittler betroffen gewesen wäre.
- Groenewold bekam unter Wulffs Verantwortung eine Landesbürgschaft von vier Millionen Euro für ein Filmprojekt. Bereits 2005 hatte sich Wulff als CDU-Vize dafür stark gemacht, dass die großzügige Steuerförderung für Fonds, die Filme in Deutschland produzieren lassen, erhalten bleiben sollte. Davon hätten im wesentlichen nur drei von Groenewold geführte Filmfonds profitiert. Außerdem warb er nach dem gemeinsamen Oktoberfestbesuch in einem Brief an die Siemens-Führung um eine finanzielle Beteiligung des Konzerns an einem geplanten Filmprojekt über einen früheren Siemens-Manager, der während der NS-Zeit Juden gerettet hatte.
In dieser Verquickung zwischen der Einladung und Wulffs Einsatz für die unternehmerischen Interessen seines Filmfreundes sah das Landgericht Hannover dann auch einen ausreichenden Verdacht, die Anklage zuzulassen. Der Prozess in Hannover wird zeigen, ob es genügend Beweise gibt, um eine korruptive Beziehung zwischen dem früheren Ministerpräsidenten und seinem Gönner aus Berlin zu belegen. Wenn das der Fall ist, dürfte Wulff ebenso wie sein Filmfreund verurteilt werden. Wenn nicht, wird sein Ruf wohl dennoch für alle Zeit beschädigt bleiben.
Ludwig Greven ist Politik-Redakteur bei ZEIT ONLINE und freier Autor. Dieser Text ist ein Auszug aus seinem gerade erschienenen Buch „Sind wir alle käuflich? Weshalb Korruption die Politik und unser Leben durchdringt.“ Edition Lingen Stiftung, 304 S., 9,94 €.
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