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Flüchtlinge - Willkommenskultur ist ein Widerspruch in sich

Kisslers Konter: So sympathisch und menschlich das Anliegen auch ist – der Begriff „Willkommenskultur“ hat keinen Sinn. Die Versuche, Deutschland so eine neue Identität zu geben, werden scheitern. Zum Nachteil für Alteingesessene wie Zugewanderte gleichermaßen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Das Rätsel ist gelöst, die Debatte beendet. Die SPD teilt uns mit, wonach wir lange suchten, seit mindestens 1949. Sie weiß, was Deutschland ausmacht, worin sein identifikatorischer Kern besteht. Der Verfassungspatriotismus hat ausgedient, Leitkultur und Kulturnation waren gestern: „Deutschland heißt Willkommen“. Der neue SPD-Slogan lässt sich unverfänglich deuten als Willkommensgruß, im Sinne von „Deutschland sagt Guten Tag“. Die tiefere und gewiss intendierte Deutung, beglaubigt durch Großschreibung, besagt hingegen, dass Deutschland prinzipiell Willkommen bedeute; dass das Land zwischen Garmisch und Kiel sich als Willkommensrepublik definiere. Deutschlands neue Grenzen sind die Grenzen seiner Willkommenskultur; sie gehen mitten durch die Bürgerschaft.

Damit wird die moralische wie praktische Tragweite der Willkommenskultur leider überschätzt. Was einmal mit dem recht hohl gewordenen Begriff der Willkommenskultur gemeint war, ist eindeutig und ist eindeutig löblich. Kein „Haut doch ab!“, kein „Wir wollen unter uns bleiben!“ sollte Deutschland je wieder den anderen Nationen entgegen brüllen. Kein Muffelkopf mit Rückfahrkarte oder Peitschenknall sollte den Menschen aus aller Herren Länder den Grenzübertritt vergällen. Einen herzlichen Willkommensgruß wollen die Deutschen stattdessen den Durch- und Einreisenden entbieten. Aus Abschottung, Chauvinismus, Engstirnigkeit und Fremdenangst sollten Herzlichkeit, Freundlichkeit, Friedfertigkeit werden. In sehr weiten Teilen ist dieser Mentalitätswandel vollzogen, glücklich und glücklicherweise vollzogen.

Das „Willkommen!“ lässt sich nicht in eine Kultur zwingen


Darauf aber lässt sich kein Staat bauen, damit keine Nation bilden. Da mögen noch so viele Menschen in diesen Tagen an Bahngleisen stehen und Schildchen mit „Welcome!“ den Asylsuchenden, den Migranten und den Flüchtlingen fast hysterisch entgegen recken. Individuell ist es hochsympathisch, kollektiv ist es albern. Am Bahnsteig hat die Geste ihr Recht, bei den ersten Schritten auf fremdem Boden, wohin sich die Einreisewilligen aus sehr disparaten Gründen und auf teillegalen Wegen aufmachten. Willkommen, daran erinnert das Grammatisch-kritische Wörterbuch von Adelung, willkommen meint „bei der Ankunft angenehm“, „angenehm in Ansehung der Ankunft“. Nur stationär lässt sich der Ausdruck sinnvoll verwenden, nur im Moment. „Willkommen!“ ist Ausdruck eines Auftakts und unmöglich ins Rasterbett einer Kultur zu zwingen.

Kultur ist Inbegriff des Nachhaltigen, ist, was Menschen im Wechsel der Gezeiten kontinuierlich tun, wenn sie das Feld des Geistes oder der Natur bestellen. Wer nachhaltig willkommen heißen will, wird zur komischen Figur, zum dicken Vetter, der an der Pforte steht und immer noch „Grüß Gott!“ sagt, wenn da längst keiner mehr ist. Willkommensgesten ist ihr punktueller Charakter eingeschrieben. Kurz ist die Begrüßung, lang oder länger der Aufenthalt im gemeinsamen Haus. Dort drinnen entscheidet sich, ob Zusammenleben gelingt und ob man ehrliche Leute hereingebeten hat, mit denen ehrlich umzugehen man entschlossen ist. Der Bewillkommnende wird, soll er nicht zum Grüßaugust ausarten, schauen, wen er da begrüßt hat am Bahnsteig oder sonstwo, und er wird merken: Es ist die ganz normale menschliche Mischung, aus Größe und Niedertracht, Lauterkeit und Tücke. Nicht die prinzipiell besseren Menschen werden da begrüßt, sondern Reisende mit Absichten, Ansprüchen, Leiderfahrungen. Wie sollte es anders sein? Nur Menschen gibt es unter Menschen.

Wenn die Bundesregierung also nun die Mittel der Steuerzahler priorisiert und sechs Milliarden Euro aus welchen Töpfen auch immer an Willkommensgeldern „zur Bewältigung der Lage“ bereitstellt, soll damit verstetigt werden, was letztlich nicht zu verstetigen ist: die herzliche Geste unterschiedslos für all jene, die ihre Heimat zurückließen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob eher das Geld oder eher die Willkommensbereitschaft zur Neige gehen. Auf Dauer lässt diese sich nicht konservieren. Es sei denn, die Deutschen wollten auf Gedeih und Verderb dem Rest der Welt zeigen, dass, wie einmal im Bösen, so nun im Guten, sie sich von niemandem übertreffen lassen wollen. Auch so ist man wieder wer – und hoffentlich mehr als der dicke Vetter aus Berlin.

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