
- Ein schlechtes Geschäft für alle
Der Rücktritt des Schleswig-Holsteinischen Kronprinzen ist mehr als fällig. Nicht der hysterischen Empörung der Deutschen, sondern des Mädchens und der CDU zuliebe.
Die Lust am Skandal, diagnostizierte Martin Walser schon vor Jahren, ist ein Signum unserer Zeit. Und Christian von Boetticher, der das Pech hatte, sein Verhältnis mit einer damals 16-jährigen ausgerechnet in der Sommerpause öffentlich machen zu müssen, hat die Medienlandschaft mit seiner „Lolita-Affäre“ (Spiegel) tatsächlich in hämische Ekstase versetzt. Dabei geschah alles, wie beide Beteiligten später zu Protokoll gaben, einvernehmlich und ohne Treuebruch, juristisch unbedenklich war die Beziehung ohnehin.
Musste er darob zurücktreten und sich seitdem als mediale Sau durchs Dorf treiben lassen? Empören wir uns ein halbes Jahrhundert, nachdem Adenauer zu den Gerüchten der damals noch strafrechtlich heiklen Homosexualität seines Außenministers Heinrich von Brentano nur gelangweilt die Achseln zuckte, allen Ernstes über diese „ungewöhnliche Liebe“ (von Boetticher)? Und das in der komplett durchsexualisierten und -gegenderten Bundesrepublik?
Und müssen wir wirklich immer noch so tun, als seien unsere Politiker Herrscher per Gottesgnadentum, denen mit ererbter, also unverdienter Macht eine besondere moralische Vorbildfunktion zukäme, als lebten wir in einer Monarchie? Auch wenn es von Boetticher selbst war, der in seiner Rücktrittsrede auf „verständliche, moralische Vorbehalte“ zu sprechen kam: Das erratische, moralische Empfinden der Deutschen ist schon länger keine sonderlich Vertrauenserweckende Messlatte mehr, zumal in Zeiten, in denen die öffentliche Empörungsbereitschaft proportional zur Erosion der Wertorientierung gestiegen ist. „Das Prinzip der Diffamierung“, befand Peter Sloterdijk einmal, „wird in Deutschland immer mehr zum Politikersatz.“ Je geringer die Kompetenz der Parteien für Problemlösungen wird, umso stärker gedeiht ihre Neigung, Konflikte, Unregelmäßigkeiten und Missstände zum Skandal hochzustilisieren. Es ist Mode und Methode geworden, statt plausibler Lösungen Sündenböcke zu suchen, die man an den Pranger stellen kann.“ Dass Boetticher – wie fast alle zurückgetreten Politiker – seinen Hut nur nehmen musste, weil die Partei ihn fallen lies: geschenkt.
Trotzdem ist von Boettichers politische Karriere vorläufig aus dreierlei Gründen zu Recht beendet.
Erstens: Politiker sollen ihren Job vernünftig machen und sich an geltende Gesetze halten. Leuchtende Vorbilder brauchen sie so wenig zu sein, wie sich der Staat zum Hüter der jeweils geltenden Moral aufzuschwingen hat. Wäre es anders, das Berliner Regierungsviertel könnte dicht machen. Allerdings unterstehen Politiker – wie alle anderen Träger öffentlicher Ämter –einer besonderen Beobachtung, die ihrem Verhalten ein gewisses Maß an Allgemeinverträglichkeit abverlangt. Bald 40-jährige Männer, die 16-jährige Mädchen über Facebook kennen lernen und beim ersten Treffen in einem Hotelzimmer beschlafen, fallen nicht in diese Kategorie. Selbst wenn man annähme, im speziellen Fall von Boetticher habe das Mädchen eine weit über ihr Alter hinausreichende Reife besessen: Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass 16-Jährige vollkommen andere Erwartungshaltungen, Urteilskräfte, Verletzlichkeiten und Erfahrungsstände haben, als mittelalte Herren. Bei dieser Art von Tauschgeschäft wird meist der Schwächere über den Tisch gezogen, darum verbietet es sich.
Zweitens: Die Qualität eines Politikers bemisst sich immer auch an der Fähigkeit, seine Aufgaben im Geiste der eigenen Partei wahrzunehmen. Und von Boetticher ist eben kein Mitglied der Grünen, deren Bundestagsfraktion 1985 forderte, die Strafrechtsparagrafen 175 und 182 zu streichen, da diese „einvernehmliche sexuelle Kontakte“ mit Minderjährigen unter Strafe stellten und beklagten, in dieser Norm drückten sich „bürgerliche Moralvorstellungen aus“. Er selbst steht mit seiner Partei für genau dieses Bürgertum samt christlichem Familienbild und hat diese Werte zu vertreten. Dass Unionskollegen wie Seehofer, Wulff oder von Beust weithin unbeschadet das Gegenteil getan haben, hat zur Unglaubwürdigkeit der Union und der Identitätskrise des Konservativismus beigetragen und macht den Fall von Boetticher nicht besser.
Drittens und vor allem: Wer kurzfristige Passionen nicht zugunsten langfristiger Ziele in den Griff bekommt, eignet sich nicht zum Landesvater. Von Boettichers Beziehung war kein wohl abgewogener Überzeugungsakt. Dafür spricht der bislang undementierte Bericht des Mädchens vom Sex beim ersten Treffen. Und hätte von Boetticher sich die Sache gründlich genug durch den Kopf gehen lassen, er wäre die Beziehung vermutlich nie eingegangen. Dafür spricht die Tatsache, dass er sie nach mehreren Monaten zugunsten seiner politischen Karriere dann doch wieder beendete. Das Mädchen, siehe Erstens, hat ein schlechtes Geschäft gemacht. Die CDU auch. Gut, dass der Handel nun ein Ende hat.
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