Wladimir Putin
Telefondiplomatie: Putin am Hörer in seinem Amtszimmer / picture alliance

Trump und Putin vor Verhandlungen wegen des Ukrainekriegs - Opportunismus und Flexibilität

Das Telefonat zwischen Trump und Putin zeigt: Russland muss seine derzeitige geschwächte Position akzeptieren oder mit den USA verhandeln. Diese Verhandlungen werden von Beleidigungen und Rückschlägen geprägt sein – aber am Ende womöglich Früchte tragen.

Autoreninfo

George Friedman, Jahrgang 1949, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Von 1945 bis Anfang der 1990er Jahre beruhte die Weltordnung auf der Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Es war eine Ordnung voller Konflikte, Gefahren und ideologischer Zwietracht – wie bei allen solcher Ordnungen. Aber es gab zumindest ein Organisationssystem, das auf den beiden Mächten basierte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war Russland zwar intakt, aber in einem Zustand der Verwirrung, was nicht zuletzt daran lag, dass es die Satellitenstaaten verloren hatte, die es von seinen Gegnern in Europa – der Nato und den Vereinigten Staaten – isoliert hatten. Der Krieg in der Ukraine wurde in erster Linie begonnen, um diese Pufferstaaten zurückzuerobern. Aber er wurde auch geführt, um den russisch-sowjetischen Staat wiederzubeleben und ihn als Weltmacht zu rehabilitieren.

Fehlschlag für Moskau

Der aktuelle Krieg war bisher ein Fehlschlag. Moskau hat nur etwa 20 Prozent des ukrainischen Territoriums erobert und es damit versäumt, einen entscheidenden Puffer wieder aufzubauen. Der Konflikt hat die russische Wirtschaft geschwächt und das Regime gefährdet, indem er Unruhen und Putschversuche ausgelöst hat, die Moskau erfolgreich unterdrückt hat. Russland hat das getan, was es am besten kann: Es ist gescheitert, aber es hat überlebt. Jetzt muss es eine Strategie für die Zukunft entwickeln, die mehr ist als bloßes Überleben.

Am 11. Februar tauschten die USA und Russland Gefangene aus, nachdem Präsident Wladimir Putin erklärt hatte, die Beziehungen zwischen Washington und Moskau drohten zu zerbrechen. Präsident Donald Trump erklärte seinerseits, dass die beiden Länder ständig miteinander in Kontakt stünden. Gerüchte über die Planung eines Gipfeltreffens lagen in der Luft und wurden inzwischen durch Berichte bestätigt, wonach Trump und Putin miteinander telefonierten und sich darauf einigten, Verhandlungen zur Beendigung des Krieges aufzunehmen. Trump sprach hinterher mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Das alles ist ein ganz normaler Verhandlungsprozess: Eine Seite droht damit, den Tisch zu verlassen, die andere Seite zeigt sich geduldig, und beide Seiten erzielen schließlich kleine Vereinbarungen. Um die geopolitische Bedeutung all dessen zu verstehen, müssen wir die Positionen und Strategien sowohl Russlands als auch der Vereinigten Staaten in diesen Verhandlungen betrachten.

Begrenzte Möglichkeiten

Russland ist dabei, seine Beziehungen zum Rest der Welt neu zu definieren und gleichzeitig seinen Staat zu erhalten, eine stabile Wirtschaft aufzubauen und Einfluss im Ausland auszuüben. Strategisch gesehen besteht das Problem Russlands darin, dass es ein riesiges Land ist, das potenziellen Gegnern gegenüber verwundbar ist. Ohne Einheit kann das Land seine Position nicht zurückgewinnen, und Einheit erfordert ein starkes militärisches und wirtschaftliches Zentrum. Im Laufe der Geschichte war die Regierung zwar stabil, aber sie hatte nur begrenzte Möglichkeiten, was sie zu Strategien zwang, für deren Umsetzung sie nicht die Mittel hatte.

Da es Russland nicht gelungen ist, die Ukraine zu erobern, sah es sich einer wirtschaftlichen – und sogar militärischen – Bedrohung aus Europa ausgesetzt. Im Osten ist Russland mit China konfrontiert, einem historischen Feind Russlands, mit dem es schon Grenzkriege führte, als beide noch kommunistische Staaten waren. China hat bei der ersten Sitzung der Vereinten Nationen zu diesem Thema nicht für die Unterstützung Russlands bei seinem Einmarsch in die Ukraine gestimmt (sondern sich der Stimme enthalten). Tatsächlich war China weit mehr an den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und zu Europa interessiert als an allem, was Russland zu bieten hatte. Strategisch gesehen musste Russland den Krieg unbedingt gewinnen, um seine Macht zu demonstrieren. Es ist gescheitert und hat nun keinen strategischen Verbündeten, der ein Interesse daran hätte, es zu unterstützen. Mit anderen Worten: Russland hat kein strategisches Gegengewicht.

Russlands langfristiger Gegner sind die Vereinigten Staaten, die Russlands Strategie in der Ukraine vereitelt haben. Die USA sehen sich keiner existenziellen Bedrohung ausgesetzt. Europa ist gespalten. China hat erhebliche wirtschaftliche und innenpolitische Probleme, und sein Militär ist derzeit nicht in der Lage, die Vereinigten Staaten herauszufordern. Russland muss daher seine derzeitige geschwächte Position akzeptieren oder mit den Vereinigten Staaten verhandeln.

Die USA haben eine Geschichte, in der sie undenkbare Bündnisse mit ehemaligen Feinden eingegangen sind. Die große Strategie der USA beruht auf Opportunismus und Flexibilität, ihre Leidenschaften sind für innenpolitische Vorstellungen reserviert. Trump hat eine systematische Unberechenbarkeit an den Tag gelegt, was bedeutet, dass er sich bei den Verhandlungen mit Russland maximale Flexibilität verschafft hat. Die Tatsache, dass Amerika auf der Weltbühne grundsätzlich nicht bedroht ist, verleiht der Regierung bei den Verhandlungen Optionen. Indem er während seiner Wahlkampagne erklärte, der Ukrainekrieg sei ein europäischer und kein amerikanischer Konflikt, teilte Trump Russland mit, dass es mit den USA verhandeln könne. Für Washington bestand einst die Befürchtung, dass Russland unter sowjetischer Herrschaft Europa dominieren und damit das Kräfteverhältnis im globalen System radikal verschieben würde. Wenn dies vor 2022 noch eine Befürchtung war, so hat Russlands anschließendes Scheitern sie zur Ruhe gebracht.

Chinas vergebliche Hoffnung

Ohne ein ausreichendes Militär, das in der Lage ist, die Ukraine militärisch vollständig zu besiegen, bleibt Russland nichts anderes übrig, als sich auf die wirtschaftliche Entwicklung zu konzentrieren, um an die Macht zurückzukehren. Dies ist ein sehr langer und potenziell gefährlicher Weg, da er Russland militärisch ungeschützt lässt. Die andere Möglichkeit besteht darin, sich mit den Vereinigten Staaten zu arrangieren. Washington hat keine moralischen Skrupel, über Ideologie und Verhalten hinwegzusehen, um lohnende Beziehungen aufzubauen. Wenn es zu einer Verständigung käme, wären die USA von ihrer Verantwortung für die europäische Sicherheit befreit, was Chinas ohnehin vergebliche Hoffnung auf ein Bündnis mit einem mächtigen Verbündeten zunichtemachen und ihm mehr Spielraum für die Verfolgung seiner eigenen Interessen geben würde. Nationale Interessen bestimmen alles, und nationale Interessen werden durch Macht bestimmt.

Einen Krieg tatsächlich zu beenden, ist einfacher, wenn eine Seite klar gewonnen und die andere Seite ebenso klar verloren hat. Viel schwieriger ist es, wenn das Ziel darin besteht, einen langfristigen Frieden zu schaffen und nicht nur eine kurze Unterbrechung, wenn es kein entscheidendes Ergebnis gibt. Das ist jetzt das Problem. Russland muss, wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, wirtschaftliches Wachstum fordern, an dem sich die USA wahrscheinlich beteiligen würden. (Russland ist natürlich Russland, also ist Vorsicht geboten, während es sich erholt.) Die Verhandlungen werden schmerzhaft und von Beleidigungen, Rückschlägen und Drohungen geprägt sein. Und über all dem schwebt die Bedrohung durch Atomwaffen, die meiner Meinung nach für die Verhandlungen aber irrelevant sind, denn die gegenseitige Zerstörungssicherheit bedeutet, dass jeder, der angreift, innerhalb einer Stunde einschließlich seiner Familie tot ist. Mit der Zeit jedoch werden die Verhandlungen jene Früchte tragen, die die Diplomaten für sich in Anspruch nehmen werden. Auch wenn es die rohe Kraft war, die das Ergebnis bestimmt hat.

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Hans Süßenguth-Großmann | Sa., 15. Februar 2025 - 16:31

aber so ganz teile ich die Sichtweise Herr Friedmanns nicht. Zur Betrachtung der Lage gehört natürlich auch, dass der Krieg in der UA auch für den Westen nicht zu gewinnen ist, bzw. der Westen wird einen Einsatz, der dafür evtl. erforderlich ist, nicht leisten. Deshalb ist der Wunsch diesen Krieg zu beenden beiderseitig.
Ansonsten bleibt zu hoffen und wünschen, dass im Kopf der "Global Player" langsam die Erkenntnis reift, dass kein Krieg zu gewinnen ist und man sich den ganzen Aufwand sparen kann. Unsere Grünen, die in der Jugend die Kriegsbegeisterung durch Zivildienst verpasst haben, pflegen sie jetzt als ältere Herrschaften, so dass bei uns die Einsicht länger dauern wird. Falls sie die Probe auf Exempel machen wollen, werden ihnen größere Knüppel gezeigt, die hoffentlich eine dämpfende Wirkung auf Gemüt haben.

Mein Einwand Ihnen gegenüber: Vor dem Hintergrund des Ausgangstextes verbietet es sich hier von „dem Westen“ zu sprechen, da Trump an diesem Krieg kein Interesse hat. Er muss ihn nicht gewinnen. Mit Aussicht auf Millionen ukr. Flüchtlinge zahlt ausschließlich Europa die Zeche für eine gefühlte militärische Niederlage, die selbst dann eintritt, wenn sie sich für Russland als Pyrrus-Sieg entpuppt.
Und dann: Kriege sind nur dann nicht zu gewinnen, wenn sie überhaupt geführt werden. Das heißt: Ohne die massiven Waffenlieferungen auch Deutschlands hätte Russland den Krieg längst gewonnen! Also bitte darauf verzichten, das Phrasenschwein zu füttern.
Btw.: Ist der Krieg bereits da, kann er nicht mehr „nur“ diplomatisch beendet werden. Er wird es dann immer auch auf dem Schlachtfeld. So oder so oder remis.

Ja klar, aber das muss (darf?) man/Presse doch nicht öffentlich sagen..., also noch nicht. Und wen bitte interessiert heute, was vor dem 24.02.2022 geschah...? Niemanden, in der aktuellen Politik...
Das werden irgendwann mal die Historiker klären müssen - stört jetzt nur.

Jens Böhme | Sa., 15. Februar 2025 - 18:49

Dass ein Völkerverbrechen Russlands über ein bilaterales Abkommen mit einem Dritten (am Katzentisch die überfallene Ukraine) und letztlich mit einem sicheren Teilerfolg des Aggressors zu Ende geht, lässt die geopolitische Zukunft nicht im besseren Licht erstrahlen. Ich kann die Kritik der EU nachvollziehen. Doch so mächtig, wie sich die EU selbst sieht, war und ist sie nicht. Die Neuordnung der Welt ist unvermeidlich und schon eine Weile im Gang, viele wollen das in Europa nicht wahrhaben bzw. erkennen. Die teilweise indiskutable Belehrung des US-Vicepräsident an die EU-Adresse sollte zumindest ein Denkanstoß sein und eine innere Inventur nach sich ziehen.

Ulrich Storr | Sa., 15. Februar 2025 - 23:27

Viele interessante und von mir noch nicht so gelesene Aspekte. Vielen Dank!
Dies vorausgeschickt dann doch ein paar Anmerkungen.
Bei aller Gelassenheit der Egozentrik des Herrn Trump gegenüber schreckt mich doch der Gedanke, dass Trump für den Deal Frieden in Europa mindestens einen Teil der Ukraine verschachert, ggfs. Europa sich selbst überlässt und dafür Grönland kassiert. Es ist irre aber nicht undenkbar. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass Trump gerade mal vier Jahre hat um „Amerika Great“ zu machen was auf diese Weise wörtlich verwirklicht wäre.
Friedmanns Prämissen müssten zutreffen: Ein immer noch zu schwaches China und ein zumindest mittelfristig geschwächtes Russland. Mit Pech verschieben sich diese Kräfteverhältnisse schneller als gedacht (China + Russland) und dann muss Amerika mit einem zutiefst verunsicherten Europa klarkommen.
Für Europa besch… Aussichten.

Ernst-Günther Konrad | So., 16. Februar 2025 - 10:03

Ja, man kann natürlich unterschiedliche Sichtweisen zur Entstehung des UA-Krieges haben und in der Folge zum Einmarsch Putins. Man kann auch unterschiedliche Einstellung dazu haben, ob und wie weit man sich da hinein hängt und Partei ergreift, in dem man Geld und Waffen und für die "Flüchtlinge" das eigene Land weiter ausbluten läßt. Aber eines haben die Kritiker dieser vereinfachten Darstellung des UA-Krieges, in dem man nur Putin die Schuld gibt und allen einreden will, dieser Krieg könne und muss von der UA gewonnen werden, schon immer gesagt. Irgendwann müssen die Beteiligten, und zwar mit Putin an den Tisch. Es war auch der Krieg einer Biden Regierung, aber nicht der von Trump. Und er macht das für mich einzig richtige. Er spricht mit Putin, denn einen anderen hat Russland nicht und er läßt die planlosen Europäer dabei zuschauen, wie Großmächte die Welt gestalten und bestimmen. Und die Europäer begreifen es weiter nicht. Das Putin und Trump Bashing fällt ihnen gerade auf die Füße.

Dem kann/muss man (leider) zustimmen. Arroganz, maßlose Selbstüberschätzung - nicht zuletzt bezüglich der eigenen letztendlich nicht vorhandenen militärischen Leistungsfähigkeit... - und eine maßlose moralische Überheblichkeit gegenüber Russland haben alles in allem zur aktuellen Situation geführt... Verdient für Europa, wie ich meine.