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Tuvia Tenenbom über Israelkritiker - „Baut eure Zivilgesellschaft doch in Leipzig auf, nicht in Israel“

Der israelisch-amerikanische Autor Tuvia Tenenbom teilt wieder aus: Deutschland sei besessen von Israel und den Juden. Die einseitige Fokussierung deutscher NGOs und Journalisten auf Israel sei letztlich nur eines: ein neues Gesicht des alten Antisemitismus

Autoreninfo

Oliver Maksan ist Redakteur bei der Tagespost.

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Herr Tenenbom, in Ihrem neuen Buch reiben Sie sich vor allem an einer Spezies: an europäischen, besonders deutschen Journalisten und NGO-Aktivisten, die es in Israel und Palästina in einer Dichte wie nirgends sonst gibt. Was kapiert unsereins Ihrer Meinung nach einfach nicht?
Eigentlich kapiert Ihre Zunft fast gar nichts, was hier im Nahen Osten passiert. Mich stört aber besonders die Obsession der Deutschen mit den Juden im Allgemeinen und Israel im Besonderen. Ich bin während der Recherchen zu meinem Buch auf junge Deutsche gestoßen, die mir an einem Tag ihre Liebe zu den Juden versichert haben. Am anderen Tag sehe ich sie bei pro-palästinensischen Filmdrehs, in denen Juden Mörder genannt werden. Da passt doch irgendetwas nicht zusammen.

Warum? Kann man nicht für Israel als jüdischen Nationalstaat und gegen das Unrecht der Besatzung sein? Das ist ziemlich exakt die Politik der verschiedenen Bundesregierungen egal welcher Couleur.
Es gibt viele Konflikte in der Welt. Man braucht zudem ein Lupe, um Israel auf der Landkarte zu finden. Und dennoch stürzen sich Journalisten und NGOs mit einer Besessenheit auf den Konflikt hier. Warum interessieren sich Deutsche nicht für Tschetschenien oder den Sudan? Oder die Lage der Palästinenser in den arabischen Ländern? Denen geht es da gar nicht gut. Aber das kümmert niemanden. Das zeigt doch, dass sie Konflikte, vor allem aber Palästinenser letztlich gar nicht interessieren. Es geht den Palästinenserfreunden um Israel und die Juden.

Und die Palästinenser wären dann Vorwand wofür?
Für den alten Antisemitismus, den es seit über zweitausend Jahren gibt und der im christlichen Europa Teil der Kultur ist. Selbst heute, da Europa weitgehend entchristlicht ist und viele Europäer selbst die historische Existenz Jesu leugnen, halten sie doch an einem eisern fest: dass es Juden waren, die Jesus gekreuzigt haben. Es ist Teil der Kultur. Warum erlauben sich ausgerechnet deutsche Parteistiftungen hierher nach Israel zu kommen und uns Juden Nachhilfe in Demokratie und Menschenrechten zu geben? Nach allem, was in Deutschland vorgefallen ist? Da gehört schön viel Chuzpe dazu. Ich habe auch mit vielen anderen Europäern gesprochen. Warum kommen sie hierher? Sie bekommen dann tausend edle Antworten zu hören. Am Ende des Tages geht es aber nur darum, den Beweis zu erbringen, dass die Juden im Grunde schlechte Menschen sind.

Niemand bestreitet, dass Antisemitismus manchmal auch im Gewand der Israelkritik daherkommt. Aber kann man Kritik an Israel nicht auch wegen objektiver Missstände im Umfeld der Besatzung üben?
Es gibt Konflikte und Probleme überall auf der Welt. Als in Israel geborener Jude stellt es sich mir so dar: Es geht um zwei Stämme, die dasselbe Stück Land wollen. Kein Stamm ist aber bereit, ernsthaft darüber zu verhandeln. Das war so und das wird so bleiben.

Das sieht die israelische Linke anders. Sie stimmt sowohl in der Beschreibung des Konflikts wie auch möglichen Auswegen mit den Europäern überein. Fällt damit Ihre Argumentation nicht in sich zusammen?
Die Europäer haben noch immer den Juden gefunden, den sie brauchen. Mein Buch „Allein unter Juden“ ist in Israel seit Wochen Bestseller Nummer eins. Menschen bedanken sich bei mir auf der Straße dafür. Aber es wird auch stark angefeindet. Kürzlich saß ich in einer Diskussion mit einem linken jüdischen Friedensaktivisten der Organisation „Peace Now“ in einer Sendung von Kanal 10, einem linken TV-Sender. Der Aktivist sagte mir, dass mein Buch voller Lügen sei. Ob er es gelesen habe, fragte ich. Ich würde ihm eine Ausgabe schenken. Nein, meinte er, er wolle seine Zeit nicht damit vergeuden. Selbst der Moderator fühlte sich gedrängt nachzuhaken, wie man ein Buch verreißen könne, das man nie gelesen habe. Oder ein anderer Fall: Mir gegenüber hat ein leitender Mitarbeiter der israelischen Menschenrechtsorganisation „Bet Tselem“ den Holocaust geleugnet. Diese Organisation versorgt europäische Medien und Stiftungen aber mit Material für ihre Kritik an der israelischen Besatzung. Warum suchen sich Deutsche und Europäer ausgerechnet diese Juden aus?

Weil sie im Grundsatz die liberalen Ideale des Westens teilen, als dessen Teil sich Israel immer noch sieht?
Nein. In Israel gibt es zwei Lager bezüglich des Konflikts mit den Palästinensern. Warum suchen sie sich das Eine aus und nicht das Andere?

Weil Israel für jedermann offensichtlich nur durch die Teilung des Landes jüdisch und demokratisch bleiben kann. Das sieht selbst das Weiße Haus so.
Mir geht es nicht um Obama oder Merkel, sondern um die Menschen. Jetzt mal ehrlich: Wie viele amerikanische Teenager gibt es, die in ihrer Freizeit als pro-palästinensische Aktivisten in Nablus oder Bethlehem gegen Juden demonstrieren? Das ist doch fast ausschließlich ein europäisches Phänomen. Das gibt mir zu denken. Deutschland ist zudem das Land, das mehr als alle anderen Länder in Israel-feindliche NGOs investiert. Warum?

Weil man die beiden Zivilgesellschaften im Sinne westlicher Ideale stärken will.
Bauen Sie Ihre Zivilgesellschaft doch in Leipzig auf oder wo Sie wollen, aber nicht hier in Israel. Von Deutschen bekommt man genug Antisemitismus zu hören, wenn sie ein Glas oder zwei zuviel getrunken haben. Manchmal schon vorher. Und dann kommen sie zu uns und wollen uns Werte beibringen und unterstützen gleichzeitig judenfeindliche Organisationen? In meinem neuen Buch beschreibe ich eine Begegnung mit Rotkreuz-Aktivisten. Sie wollten mir weismachen, dass es nur ein einziges Land auf der Welt gebe, dass das internationale humanitäre Recht missachte. Dreimal dürfen Sie raten, welches.

Angenommen, Sie hätten Recht und den Friedensaktivisten ginge es nicht um die Palästinenser, sondern eigentlich um Kritik an Israel: Kann es nicht sein, dass Sie sich in der Begründung irren? Wäre die statt im alten rechten Antisemitismus nicht besser beim linken Anti-Imperialismus zu suchen?
Nein. Echtem linken Sozialismus geht es um die Armen, nicht um Israel. Das ist moderner Antisemitismus der Enkel jener Großväter, die die Juden ins Gas geschickt haben.

Herr Tenenbom, Sie argumentieren ständig mit dem psychologischen Subtext. Drehen wir den Spieß doch einmal um: Kann es nicht sein, dass die Juden Israels eifersüchtig auf die Palästinenser sind, weil sie ihnen im internationalen Wettbewerb um den Opferstatus erfolgreich Konkurrenz machen? Sind Sie deshalb vielleicht so verärgert?
Ich bin nicht verärgert wegen der Palästinenser. Sie mögen uns nicht, gelinde gesagt, und das schon vor der Besatzung 1967. Das weiß jeder, der arabisch versteht und ihre Bücher und Zeitungen lesen kann. Ich respektiere sie dennoch, ja ich bewundere und liebe sie. Sie sind keine Heuchler wie die Europäer. Sie sagen ganz offen: Die Deutschen haben die Juden umgebracht, sollen die sie jetzt doch aufnehmen. Wir wollen sie hier nicht. Palästina ist heiliges muslimisches Land.

Palästinas Regierung würde sich aber mit einem Teil des historischen Palästina begnügen. Das ist die Linie spätestens seit Oslo.
Das sagen sie, weil der Westen es hören will. Wenn es aber nur um Immobilien gehen würde, wäre der Konflikt doch längst gelöst. Es geht nicht um Land, sondern um einen Zusammenstoß der Kulturen und Religionen.

Also keine Lösung in Sicht?
Genau. Es gibt für diesen Konflikt keine Lösung. Es tut mir leid, wenn das in Ihren europäischen Ohren wehtut. Letztlich sind beide Seiten überzeugt: Wenn man ein Glas zerbricht, ist es wertlos. So ist es auch mit dem Land und der Zwei-Staaten-Lösung. Es geht nicht nur um Land, sondern vor allem um seine religiöse und kulturelle Bedeutung. Und da ist das Westjordanland nun mal wichtiger als Tel Aviv.

Aber Israel wurde 1948 auf anderen, liberalen Idealen gegründet. Selbst ein robuster Verteidigungsminister wie Mosche Dajan sagte angesichts einer möglichen Eroberung der Jerusalemer Altstadt mit dem Tempelberg: Was sollen wir mit diesem Vatikan? – Was ist mit Israel nach 1967 passiert?
Letztlich waren die ersten Zionisten naiv und dachten, man könnte sich das Land mit den Arabern teilen. Das hat nicht funktioniert. Das musste man bei der Staatsgründung spätestens 1948 einsehen. Und nach 1967 mussten sie erkennen, dass sie auch dann keinen Frieden mit den Arabern haben würden, wenn sie die eroberten Gebiete zurückgeben würden. Denken Sie an das Nein der Arabischen Liga in Khartum zu Verhandlungen mit Israel. Jetzt hatte man die Westbank am Hals. Die liberalen, naiven Zionisten wurden von der nahöstlichen Realität eingeholt. Diese Lektion müssen deutsche, schwedische und andere Gutmenschen aber erst noch lernen.

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Allein unter Juden - Eine Entdeckungsreise durch Israel
Erscheint: 10.11.2014
suhrkamp taschenbuch 4530, Klappenbroschur, 473 Seiten
ISBN: 978-3-518-46530-1

 

Das Interview führte Oliver Maksan

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