- Das Imperium der Lügen
Die Wahrheit abzustreiten, das hat in Russland nicht nur Tradition, sondern ist vielmehr Teil des Gesellschaftsvertrags. Auch deshalb wirkt der Westen im Ukrainekonflikt so hilflos
Als Kinder lasen wir alle das Buch „Gelsomino im Lande der Lügner“ des Italieners Gianni Rodari. Darin kommt ein Junge in ein Land, das von einer Piratenbande eingenommen worden ist, die nun alle zum Lügen zwingt. Den Katzen wird befohlen zu bellen, den Hunden zu miauen. „Brot“ muss „Tinte“ genannt werden. Es ist nur Falschgeld im Umlauf, und die Einwohner werden über die Zeitung „Der musterhafte Lügner“ über die wichtigsten Nachrichten informiert.
Uns Kindern gefiel die Absurdität dieser Situation natürlich. Für die Erwachsenen lag das Geheimnis des unglaublichen Erfolgs dieses Buches allerdings darin, dass sie genau verstanden, über welches Land hier in Wirklichkeit geschrieben wurde. Orwell für Anfänger. Als die Kinder älter wurden, begriffen sie ebenfalls sehr schnell, dass sie in genau diesem Land lebten.
Die Lüge war allgegenwärtig. Die Zeitungen logen, das Fernsehen, die Lehrer. Der Staat betrog seine Bürger, die Bürger betrogen den Staat. So waren die allen verständlichen Spielregeln. Vom Kindergarten an gewöhnten wir uns daran.
Mit Plakaten überzeugte man die Bevölkerung, dass die „UdSSR – das Bollwerk des Friedens“ sei, und schickte gleichzeitig seine Panzer überallhin auf der Welt. Im Fernsehen berichtete man freudig über die Erfüllung der Fünfjahrespläne, doch die Regale in den Geschäften wurden fortwährend leerer und die Schlangen davor größer. Wir lebten in dem Land, „in dem der Sozialismus gesiegt“ hatte, in dem laut Gesetz alles dem Volk gehörte, doch in Wirklichkeit besaß das Volk nichts. Überhaupt gehörte niemandem etwas.
Katastrophen kamen nur im Westen vor
Wir lebten in diesem außergewöhnlichen Land voller Sklaven, in dem alle dem System gehörten. Diejenigen, die uns anführten, waren einfach die größten Sklaven. Niemand trug die Verantwortung für sein Land. Die Kolchose-Sklaven sind enteignet worden und ihnen war es egal, ob die Ernte heranwuchs oder nicht. Die Arbeiter-Sklaven soffen, und ihre Vorgesetzten schickten gefälschte Bilanzen ans Ministerium. Die regierenden Sklaven nahmen diese verdrehten Lügen als gültige Resultate in Empfang.
Über Jahrzehnte wurden eigene und fremde Leute angeschwindelt, und man störte sich nicht daran, dass niemand dem anderen glaubte. Unter dem erlogenen „Aufruf einer Gruppe von Genossen“ fiel man in die Tschechoslowakei ein. Man log, dass man uns nach Afghanistan eingeladen habe. Es wurde geschwindelt, wenn bei Flugzeugkatastrophen Fußball- oder Hockeymannschaften starben – denn solche Katastrophen kamen ja nur dort vor, im Westen. Die ganze Welt wurde angeschwindelt, als ein südkoreanisches Flugzeug abgeschossen worden war.
Chruschtschow wurde aus den offiziellen Bildern des Empfangs von Gagarin auf dem Roten Platz herausgeschnitten. Man log über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, zu jedem Anlass, egal ob wichtig oder unwichtig.
Meine Mutter unterrichtete damals in der Schule, doch ich habe zu der Zeit natürlich noch nicht realisiert, wie schwierig die Gestaltung des Unterrichts für sie und alle Lehrer war: Sie standen vor einer unlösbaren Aufgabe – die Kinder zu lehren, die Wahrheit zu sagen, und sie gleichzeitig auf ein Leben im Land der Lügen vorzubereiten. Nach dem geschriebenen Gesetz sollte man immer die Wahrheit sagen, doch das ungeschriebene hieß: Wenn du die Wahrheit sagst, wirst du Kummer ernten.
Erziehung in der schwierigen Kunst des Überlebens
Sie lehrten uns Lügen, an die sie selbst nicht glaubten, weil sie uns liebten und uns retten wollten. Denn in unserem Land wurde mit Worten ein tödliches Spiel getrieben. Man musste die richtigen Worte aussprechen und die falschen verschweigen. Niemand zog diese Grenze offiziell, doch jeder spürte sie in sich. Die Dissidenten verstießen gegen diese Spielregeln – aufgrund ihres selbstmörderischen Verständnisses für Gefühle der persönlichen Wertschätzung (so lautete Solschenizyns berühmter Aufruf: „Nicht nach der Lüge leben“). Auch unerschrockene junge Leute verstießen dagegen – aus Dummheit.
Die Lehrer versuchten, diese wahrheitsliebenden Jugendlichen zu retten, indem sie ihnen eine belebende Dosis Furcht einimpften. War das im Moment ein bisschen schmerzhaft, so immunisierte es doch für das ganze folgende Leben. Vielleicht hatte man uns Chemie oder Englisch nur schlecht beigebracht, doch wir erhielten eine beispielhafte Erziehung in der schwierigen Kunst des Überlebens – das eine zu sagen, aber das andere zu denken und zu tun.
Diese Lüge darf keinesfalls als Sünde bezeichnet werden – in ihr konzentrierte sich die ganze Kraft der Vitalität, die Stärke der Überlebensgeister. Jeder, der geboren wurde, fand sich in diesem geschlossenen Kreis aus Lügen wieder. Doch warum? Wie konnte es so kommen? Ich kann mich erinnern, wie mich als Jugendlicher die einfache Erklärung überrascht hat, die ich dazu im Artikel „Das Paradox der Lüge“ gelesen habe, den der verbotene Philosoph Nikolai Berdjajew 1939 im Exil über die Diktaturen von Hitler und Stalin geschrieben hatte: „Die Menschen leben in Angst, und die Lüge ist ihre Waffe zur Verteidigung.“ Die Machthaber fürchteten sich vor ihrem eigenen Volk und logen deshalb. Und die Bevölkerung machte bei dieser Lüge mit, denn sie fürchtete sich wiederum vor der Macht.
Die Machthaber und ihr Volk hatten einen Gesellschaftsvertrag miteinander geschlossen: Wir wissen, dass wir lügen und dass ihr lügt und werden weiter lügen, um zu überleben. Mit diesem contrat social sind Generationen groß geworden.
Gefängnisstaat bricht in sich zusammen
Ich weiß noch, wie wir vom Reaktorunglück in Tschernobyl erfahren haben. Ich arbeitete damals an einer Schule. In der Pause rannte ein sichtlich erregter Physiker zu uns ins Lehrerzimmer, der von einem Bekannten hinter vorgehaltener Hand über die Katastrophe unterrichtet worden war. Ihm glaubten wir sofort. Er, und nicht die Regierung, sagte, man solle die Kinder in die Häuser holen.
Die offiziellen Kanäle schwiegen noch lange, und dann berichteten sie zwar über die Ereignisse, beschwichtigten aber gleichzeitig, es bestehe überhaupt keine Gefahr. Die Bevölkerung wusste bereits, was das bedeutete: Wenn sie sagten, es gebe keine Gefahr, dann stand es nicht gut.
Ein gespaltetes Bewusstsein – das eine zu sagen und etwas anderes zu denken und zu tun – machte die Wirklichkeit einer ganzen Nation aus. Wenn sich eine Lüge von sich selbst abschottet, wird sie fähig, eine neue Realität zu konstruieren. Diese Realität sind wir. Und alle wir Russen, die heute leben, kommen aus ihr. Sowohl Regierungsbefürworter wie auch Oppositionelle.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts fand in Russland ein Wunder statt. Die obersten Sklaven starben einer nach dem anderen, und unser Gefängnisstaat brach einfach in sich zusammen. Von Mitte der achtziger bis zu Beginn der neunziger Jahre erhielt mein Volk die einzigartige Möglichkeit, sein Leben neu aufzubauen, eigene Entscheidungen zu treffen. 1991 befreiten wir uns zwar von der Kommunistischen Partei, doch von uns selbst konnten wir uns nicht befreien. Unser gewohnter Gesellschaftsvertrag blieb auch nach dem Zerfall der UdSSR in Kraft.
Demokratie - das bedeutete Chaos
Wir waren naiv. Alles erschien so einfach und offensichtlich: Unser Land ist von einer Bande von Kommunisten eingenommen worden, und wenn man die Partei verjagt, werden sich die Grenzen öffnen und uns eine Rückkehr ermöglichen in die Familie der Nationen, die nach den Gesetzen der Demokratie, der Freiheit und der Persönlichkeitsrechte leben. Die Worte klangen wie ein wunderbares Märchen über die unerreichbare Zukunft – Parlament, Republik, Verfassung, Wahlen.
Irgendwie dachten wir gar nicht daran, dass all diese Worte bei uns bereits Wirklichkeit waren – immerhin galt die Verfassung Stalins aus dem Jahr 1937 als „demokratischste Verfassung der Welt“ –, und auch an Wahlen nahmen wir regelmäßig teil. Wir vergaßen, dass alle guten Worte, wenn sie die Grenze zu unserem Heimatland überquerten, plötzlich eine ganz andere als ihre ursprüngliche Bedeutung annahmen.
Demokratie – das bedeutete Chaos. Parlament – ein Ruheposten für das Ganoventum. Brot – Tinte. Wer hätte damals gedacht, dass die Kommunistische Partei zwar verschwindet, wir aber dieselben bleiben – und mit uns auch all die guten Worte: Demokratie, Parlament und Verfassung wurden einfach zu Schlagstöcken im endlosen Kampf um Macht und Geld im neuen Russland.
Es erwies sich als unmöglich, die Wächter zu verjagen, denn jeder war sich selbst ein Wachposten. Wenn der Aufruhr im Sträflingslager nicht unterdrückt werden konnte, so hörte er irgendwie von selbst auf, und er endete einfach damit, dass die Leute in ihre Baracken zurückkehrten. Schließlich musste man weiterleben. Die Ordnung stellte sich von selbst wieder her. Die gleiche Ordnung wie früher – denn eine andere kannte dort niemand. Und wieder besetzten die Stärksten die besten Pritschen und drängten die Schwachen zum Abort.
Staatliche Mittel verschwinden in den Taschen der Beamten
Die kommunistische Lüge wandelte sich zu einer demokratischen. Die Leute wurden nun unter demokratischen Losungen ausgeraubt. Die Clique ehemaliger Partei- und Komsomolfunktionäre teilte alle natürlichen Ressourcen unter sich auf und beeilte sich, sie so schnell wie möglich ins Ausland zu verkaufen, um heute reich zu werden, ohne an die Zukunft des eigenen Landes zu denken. In diesem Licht sieht der unterdrückte, größte Teil der Bevölkerung heute die demokratischen Reformen der neunziger Jahre.
Denn hinter der Maskerade des 21. Jahrhunderts treten die ewigen russischen Konstanten überdeutlich hervor: ein Haufen Diebe, Beamte und Oligarchen, die den Reichtum des Landes an sich gerissen haben und keine Sekunde daran denken, mit der armen, versoffenen Bevölkerung zu teilen. Das Geld für die bald ausverkauften Bodenschätze fließt in den Westen und wird nicht in russische Straßen, Krankenhäuser oder Schulen investiert. Staatliche Mittel, die für soziale Zwecke zur Verfügung gestellt werden, kommen größtenteils nie an ihrem Bestimmungsort an, sondern verschwinden in den Taschen der Beamten.
Die Fingerabdrücke aus Lügen bleiben dieselben. So wie in der UdSSR schwindelt auch die russische Propaganda eine andere Realität vor. Die Automobilindustrie ist zusammengebrochen, die Flugzeugherstellung ebenfalls; Raketen werden zwar noch abgeschossen, doch sie stürzen regelmäßig ab; die Hälfte aller Nahrungsmittel wird importiert, Haushaltsgeräte kommen zu beinahe 100 Prozent aus dem Ausland. Das Land produziert praktisch nichts mehr, der Staatshaushalt gründet allein auf dem Verkauf von Öl und Gas, doch das Fernsehen erklärt der Bevölkerung, „Russland erhebe sich von den Knien“.
Putin begann seine Regentschaft sogleich mit Lügen. Als er den zweiten Tschetschenienkrieg vom Zaun brach, erklärte er gleichzeitig den Massenmedien den Krieg. Lügen umhüllten den Untergang des U-Bootes Kursk, Explosionen in Moskauer Wohnhäusern, die Tragödie in Beslan, die Geiselnahme und deren tödlichen Ausgang im Musicaltheater Nord-Ost.
Ungemütliche Suche nach der Wahrheit
Gleichzeitig mit der Zunahme der Lügen steigt die Popularität des Staatsführers. Lügen gibt es nur dort, wo man nach der Wahrheit sucht. Doch da, wo man nicht sucht, da gibt es auch keine Lügen. Allein nach der Wahrheit zu suchen, wird ungemütlich.
In Tolstois Roman „Anna Karenina“ fragt Levin einen Bauern: „Michajlitsch, was hältst du vom Krieg? Was findest du? Sollen wir für die Christen kämpfen?“ Die Antwort: „Was soll man da denken? Zar Alexander Nikolajewitsch denkt doch für uns, das hat er immer gemacht. Er kennt sich da besser aus.“
Dem Großteil der Russen erging es schlecht in der marktwirtschaftlichen Pseudodemokratie. Das sich satt gegessene Land wurde von Sehnsucht ergriffen. Generation für Generation hat man den Menschen alles weggenommen und ihnen zur Kompensation das stolze Gefühl vermittelt, Bürger eines riesigen, ruhmreichen Imperiums zu sein. Für sie wurde gedacht, für sie wurde entschieden, sie wurden geleitet. Eine solche Leere empfindet wohl ein aus dem Armeedienst entlassener Berufssoldat. Plötzlich muss man Verantwortung für sein eigenes Leben übernehmen, den eigenen Weg finden, selbst denken.
Die Menschen vermissten die Eindeutigkeit, die Ordnung, die Obrigkeit. Die russische Schwermut. Sehnsucht nach einem eindeutigen Weltbild. Nach der Unterteilung in eigen und fremd. Nach einem weisen väterlichen Anführer. Nach einem großen Sieg. Nach der Größe des Heimatlands. Die Propaganda keimt auf diesem gut vorbereiteten Boden.
Patriotismus als Sicherung der diktatorischen Macht
Die Fernsehbilder der Leiche Gaddafis waren für diejenigen, die mein Land in Geiselhaft genommen haben, ein Wink aus den Weiten des Weltalls. Hunderttausende Menschen, die sich mit den gefälschten Wahlen 2011 nicht abfinden wollten und sich auf den Plätzen Moskaus versammelten, zwangen den selbst ernannten Herrscher im Kreml zum Nachdenken. Der Sieg des Maidan und die würdelose Flucht von Wiktor Janukowitsch riefen Panik hervor und forderten sofortiges Handeln. Denn wenn die Ukrainer ihre Bande verjagen konnten, so könnte dies dem Brudervolk zweifellos als Beispiel dienen.
Als Erstes zog das Fernsehen in den Krieg. Das Medium zur Masseninformation wandelte sich in eine Massenvernichtungswaffe. Die Lüge ist die Verteidigungswaffe eines Regimes vor seinem Volk. Nun wurde ein von allen Diktaturen erprobtes Mittel herangezogen – ein äußerer Feind. Vor unseren Augen wandelten sich die Ukrainer zu „Ukrofaschisten“. So wurden die visionären Worte Churchills Wirklichkeit: „The fascists of the future will be called anti-fascists.“ Wieder wurden die Russen in einen Krieg gegen den Faschismus gerufen.
Zum x-ten Mal in der Geschichte beruft sich ein Diktator zur Sicherung seiner Macht auf den Patriotismus. Von den Fernsehbildschirmen hallt es nun hysterisch: „mächtiges Russland“, „wir erheben uns von den Knien“, „die Rückkehr der russischen Länder“, „die Verteidigung der russischen Sprache“, „das Sammeln der russischen Erde“, „wir retten die Welt vor dem Faschismus“. Und natürlich schreitet unser Führer ganz an der Spitze voran: Putin im Panzer, Putin im U-Boot, Putin im Flugzeug.
Abermals wird die Geschichte umgeschrieben, man lässt ihr nur noch kriegerische Siege und erkämpften Ruhm und unterstreicht die Losung des stalinistischen Gelehrten Michail Pokrowski: „Geschichte ist Politik, die sich der Vergangenheit zuwendet“ – und bei dieser Gelegenheit auch die Losung des totalitären Regimes in Orwells „1984“: „Wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht auch die Vergangenheit, und wer die Vergangenheit beherrscht, der wird auch in Zukunft herrschen.“ In die Schulbücher wurde bereits ein Kapitel über die ruhmreiche Rückkehr der Krim eingefügt. Das folgende Kapitel muss noch geschrieben werden: Kiew kriecht wie ein verlorener Sohn in die offenen Arme der russischen Welt.
Krieg ist Krieg
Der Krieg mit der Ukraine passt vollständig in jenes Korsett aus Lügen, das ganzen Generationen vertraut ist. „Auf der Krim gibt es keine russischen Soldaten“, heißt es unverfroren. Den eigenen Leuten ist alles klar; der Gesellschaftsvertrag der Lüge behält seine Gültigkeit. Dann wird das Offensichtliche mit selbstzufriedenem Lächeln bestätigt: „Auf der Krim waren russische Truppen.“ Im Westen wundert man sich, wie man sein eigenes Volk so schamlos belügen kann. Doch die Bevölkerung nimmt das nicht als Lüge wahr. Krieg ist Krieg, wir verstehen doch alles, es geht darum, den Feind zu täuschen. Das ist kein Laster, sondern eine Tugend.
„In der Ukraine kämpfen keine russischen Soldaten.“ – „In der Ukraine gibt es keine russischen Panzer.“ – „Die Boeing wurde von Ukrainern abgeschossen.“
Das alles gab es schon oft, auch dass man über Leichen geht. Das sowjetische Radio übertrug einst folgende in Umlauf gebrachte Lüge: „Tass, die russische Nachrichtenagentur, teilt mit, dass sich kein sowjetischer Soldat auf dem Territorium Koreas befindet!“ So gab es auch keine sowjetischen Soldaten in Ägypten, in Algerien, im Jemen, in Syrien, in Angola, in Mosambik, in Äthiopien, in Kambodscha, in Bangladesch oder in Laos. Wenn sie das Glück hatten, am Leben geblieben zu sein und dann nach Hause kamen, wurde ihnen angeordnet: kein Wort!
Die Heimat verleugnete sie – erst in den neunziger Jahren erkannte man sie an und subsumierte sie als Teilnehmer kriegerischer Handlungen unter den Gesetzesparagrafen „Über die Veteranen“. In diesem Gesetz ist eine Aufzählung der „unsichtbaren Kriege“ aufgeführt, in denen unsere Soldaten und Offiziere gekämpft haben, deren Teilnahme jedoch kategorisch und grimmig von unseren Regierungen verneint wurde. Die zukünftigen Gesetzgeber werden auch die Ukraine in diese Liste aufnehmen müssen.
Putins Wählerschaft ist mit seinen Lügen einverstanden
Ich erinnere mich, dass der Mutter eines meiner Klassenkameraden, der in Afghanistan gefallen war, verboten wurde, auf dem Grabstein den Ort seines Todes anzugeben. Heute, wenn die „Fracht 200“ aus der Ukraine nach Russland kommt, wird den Angehörigen der in der Ukraine Gefallenen auch nicht erlaubt, ihre Geliebten öffentlich beizusetzen. Wieder werden in meiner Heimat Begräbnisse im Verborgenen durchgeführt.
Niemand glaubt an die massenweisen Infarkte und Gehirnschläge, die jene Soldaten aus einer Ecke bei Rostow getroffen haben sollen, als sie im Urlaub waren – alle verstehen alles. Und niemand verletzt den contrat social der Lüge. Der Vater eines Fallschirmjägers, der ohne Beine aus der Ukraine nach Russland zurückgekommen ist, hat auf Facebook geschrieben: „Mein Sohn ist Soldat, er hat seine Befehle ausgeführt, deshalb hat er, was auch immer mit ihm geschieht, richtig gehandelt, und ich bin stolz auf ihn.“
Wenn Putin seinem eigenen Land ins Gesicht schwindelt, wissen alle, dass er lügt, und er selbst weiß, dass es alle wissen. Doch seine Wählerschaft ist mit seinen Lügengeschichten einverstanden.
Wenn Putin den westlichen Politikern unverfroren ins Gesicht lügt, schaut er mit offensichtlichem Interesse und nicht ohne Spaß auf ihre Reaktionen, sonnt sich in ihrer Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit. Zu solchen Lügen sind sie nicht bereit. Die westlichen Politiker schwindeln anders, im demokratischen Europa herrscht ein anderer Algorithmus der Lüge. So können sie beispielsweise nicht ihre Soldaten zum Sterben schicken und sich gleichzeitig von ihnen lossagen wie in Russland. Das würde ihre Wählerschaft niemals verstehen und verzeihen.
Wird Europa diesem Tsunami der Lügen etwas entgegensetzen können, oder wird es den Putinischen Gesellschaftsvertrag akzeptieren?
Man muss die Ukrofaschisten zerschlagen. In der Ukraine gibt es keine russischen Panzer. Brot – ist Tinte.
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