Mister Metro

Impressionen aus dem Alltag eines Milliardärs

Der Tegernsee ist spiegelglatt. Kein Lüftchen regt sich. Im Wasser schaukeln Bäume und Berge. Die Kirchenturmuhr schlägt gerade ein Mal, als ein älterer Mann auf einem Fahrrad mit Hilfsmotor, Marke „Velosolex“, schwungvoll die Kurve aus einer Seitenstraße nimmt. Außer dem schnurrenden Geräusch des Motorfahrrads stört kein Laut die bayerische Bilderbuch-Szene. Mit forschem Blick thront der Silberhaarige auf dem leicht verstaubten Drahtesel, trägt ein kurzärmeliges Polohemd und eine Baumwollhose. Den Strohhut vom amerikanischen Exklusiv-Golfclub „Indian Creek“ in Miami hat er tief ins Gesicht gezogen, damit er ihm nicht vom Kopf fliegt. Über ihm strahlt ein azurblauer Himmel, der Fahrtwind lindert die Hitze. Mit dem Gefährt ist der Mann vor allem auf Kurzstrecken unterwegs, wie jetzt auf den rund 750 Metern von seiner durch dichtes Grün abgeschotteten Villa zur Eisdiele „Crystallo“ in Rottach-Egern am Tegernsee. Dort verlangt er eine Tüte Eis und schleckt sie genüsslich, als er einarmig lenkend weiterfährt. Bei so einem Manöver ist er vor geraumer Zeit schon mal gestürzt und zog sich einen Oberschenkelbruch zu. Der freundliche, ältere Herr, den niemand im Café so richtig wahrnahm, ein Jedermann wie du und ich, ist einer der reichsten Schweizer – der meisterhaft tiefstapelnde „Mr.Metro“ Otto Beisheim, den keiner kennt, bei dem aber alle einkaufen. Der stille Krösus, der eher so aussieht wie „Herr Kaiser“ von der „Hamburg-Mannheimer“-Versicherung, ist mehrfacher Milliardär – das manager magazin schätzt sein Vermögen auf 3,4 Milliarden Euro, im persönlichen Umfeld von Beisheim werden Summen von bis zu 13 Milliarden genannt. Er hält noch 18,5 Prozent der Metro-Anteile (zu dem Handelsimperium gehören neben der „Metro“-Kette die Großmärkte „Saturn Hansa“, „Media Markt“, „Real“ und die Kaufhäuser „Galeria Kaufhof“) sowie zahlreiche weitere Unternehmensbeteiligungen. Beisheim genießt ein Single-Dasein und hat praktisch keine Erben. Es gibt nur eine Schwester, aber die ist älter, 90 Jahre. Der kinderlose Witwer muss keinen weitverschwägerten Clan mitschleppen. Wer sein Vermögen erbt? Stiftungen, die er gegründet hat. Die Beisheim-Milliarden werden auf jeden Fall fremden Menschen zufließen, keinem von Ottos Blut. Auch die meisten guten Freunde hat er schon überlebt. Von der Apothekerin Christiane Winkhaus, neben der Otto sichtlich auflebte und von der auch der Rat kam, seinem 450 Millionen Euro teuren Gebäudekomplex am Potsdamer Platz in Berlin den eigenen Namen zu geben und mit „Beisheim Center“ endlich mal Farbe zu bekennen, hat er sich getrennt. Dafür sorgte die gegenwärtige Begleiterin, eine rüstige, verheiratete Dänin namens Lise Evers, die zwei erwachsene Kinder hat. Vor lauter Otto-Verehrung ließ sie ihren fast neunzigjährigen Ehemann Paul in Lugano ins Gebirge schauen, gestattete ihm aber zum Zeitvertreib ein dänisches Kindermädchen. Vor kurzem starb der Angetraute, und sie musste nach Lugano zurück, um die Beerdigung zu organisieren. Deshalb ist Otto Beisheim in diesen Tagen ganz allein am Tegernsee. Der Handelsriese langweilt sich nicht, forstet regelmäßig Akten im Privatbüro durch. Als akkurater Mensch, der ohne Leibwächter auskommt und wegen der günstigen Preise bei Aldi in Rottach einkauft, heftet er sogar handschriftliche Papiere über große und kleine Finanzleihgaben an engste Freunde ab. Neuerdings fährt er häufiger zur Klinik Agatharied in der Nähe des Schliersees zum Durchchecken. In dem Krankenhaus verfügt er auf Lebenszeit über zwei Zimmer mit allen Notfallgeräten, praktisch eine Intensiv-Station nur für ihn. Der Ehrendoktor der Universität Dresden hat den Hauptsitz seiner Beteiligungsgesellschaften zwar schon vor Jahren in die Schweiz verlegt und ist 1988 auch Schweizer Staatsbürger geworden. Doch im Sommer hält er sich immer in der bayerischen Postkarten-Idylle auf. Hier lässt der Milliardär kaum eines der urigen Waldfeste von „Enterrottach“ oder „Hirschberg“ sausen und mischt sich gern unter die Gäste des „Tegernseer Bräustüberls“, stets mit seinem Strohhut von jenem US-Golfclub, der es sich bis vor kurzem noch leistete, ein Hinweisschild mit der Aufschrift „No Jewish, No Blacks“ am Eingang zu haben. Modisch dem örtlichen Outfit angepasst, trägt er Janker. Tracht fasziniert ihn. Seine folkloristischen Anzüge sind Modell „Musikantenstadl“. Hemden und Alltagsgarderobe kauft er ausschließlich in den USA, weil die Sachen günstiger sind und seiner Meinung nach besser sitzen. Der Herr des Handels isst am liebsten Schnitzel mit Bratkartoffeln und trinkt Bier, aber auch Rotwein. Mit seinen Schweizer Freunden, den Küderlis, fährt er in Miami allerdings schon mal etwas länger um die Häuser, um ein Lokal zu finden, wo ein passabler Tropfen nur sieben Dollar kostet. Der richtig gute Stoff lagert in seinen Kellern, wo sich auf den Flaschen mit „Chateau Petrus“, „Chateau Cheval Blanc“ oder „Chateau Mouton Rothschild“ patinagerecht der Staub ansammelt. Im Dachgeschoss seines Tegernseer Eigenheims verbirgt sich ein ganzer Golf-Shop. Da schlummern 20 Sätze Golfbesteck, Hölzer, Eisen sowie 40 Putter. Auf dem Beisheim’schen Anwesen in Rottach-Egern mit riesiger immer, immer kurz geschnittener Wiese gibt es auch ein Vogelhäuserl, so groß, dass eine Studenten-WG darin Platz hätte. Die Amseln oder Spatzen haben es bisher nicht angenommen. Seinen grasgrünen VW Scirocco hat der Milliardär inzwischen gegen eine sehr sichere, silberne Mercedes S-Klasse eingetauscht. Für kürzere Distanzen nimmt er von Lugano aus den Helikopter, Marke „Agusta A 09 Power“, und landet damit gern auf dem Rottacher Fußballplatz. Für längere Strecken steht ein Lear-Jet zur Verfügung. In seinem Tegernseer Domizil wie auch in seinem sehr geräumigen Hochhaus-Appartement in Miami, wo er gern in den Biergarten „Heidi“ geht oder beim Chinesen „Christin Lee“ isst, war lange Zeit ein Meer von Monitoren installiert, damit sich Beisheim sofort in die aktuelle Geschäftslage der Metro-Kette einklicken und den aktuellen Umsatz auf dem Schirm abfragen konnte. Die Exekutive delegiert Otto heute und widmet sich lieber dem Golfspiel (Handicap 11) im Club von Bad Wiessee, der früher über neun und dank einer Finanzspritze Beis-heims nun über 18 Löcher verfügt. Bei dieser Art von Streicheleinheit können die wenigsten „Nein“ sagen. Deshalb zählt Beisheim wie auch Evergreen-Playboy Gunter Sachs und Verleger Hubert Burda zu den Privilegierten, die den Golfplatz mit dem Electrocart befahren dürfen. Gegen eine Spende ist das Gelände auch spielgerecht flurbereinigt und ein störender Baum auf dem dritten Fairway gefällt worden. Gebüsch wurde ebenfalls auf angenehme Beisheim-Höhe gestutzt. Interviews gibt der 82-jährige Einzelkämpfer nicht. Ich hatte aber mal die Gelegenheit, ihn einen Abend lang bei einer Party im Club von Bad Wiessee als Tischgegenüber zu haben und erlebte ihn als freundlichen, zuvorkommenden Herrn, dem der Gesprächsstoff nicht ausging. So lautlos, wie seine gesamte Karriere verlaufen war, wollte der reiche Mann im Sommer 2005 dem Tegernseer Gymnasium zehn Millionen Euro stiften. Die fünf Bürgermeister des Tals hießen das großzügige Angebot willkommen und boten als Geste der Dankbarkeit an, das auf Benediktinermönche zurückgehende Gymnasium nach dem Spender zu benennen. Auch in Elternbeirat und Lehrerkollegium votierte zunächst eine Mehrheit für die Umbenennung in „Otto-Beisheim-Schule“. Beisheim richtete daraufhin eine Stiftung zugunsten des Gymnasiums ein. Doch im November 2005 kam es zum Eklat: Einige Lehrer verlangten vom bayerischen Kultusministerium eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung für Beisheim aufgrund seiner nicht geklärten Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus. Beisheim war bei Kriegsbeginn 15 Jahre alt, diente später in der zur Waffen-SS gehörenden Panzerdivision Leibstandarte Adolf Hitler, allerdings immer nur im untersten Dienstgrad und wohl ohne Beteiligung an Gräueltaten. Angesichts der Diskussion um seine SS-Mitgliedschaft distanzierte sich der Moneymaker von seinem Angebot. Doch der Rückzieher ist rechtlich nicht so einfach möglich: Nach dem bayerischen Stiftungsgesetz ist eine einmal rechtsfähig eingerichtete Stiftung der Disposition des Stifters entzogen. Es sieht so aus, als müsse Beisheim die zehn Millionen Euro an die Stiftung überweisen. Es ist nicht das erste Mal, dass Beisheim bei mäzenatischen Aktivitäten auf Widerstand stößt. Nachdem er 1993 mit einer Spende von 50 Millionen DMark maßgeblich zur Entwicklung der zehn Jahre zuvor gegründeten Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar bei Koblenz beigetragen hatte, heute als „WHU – -Otto Beisheim School of Management“ eine der besten privaten Wirtschaftshochschulen Deutschlands, wollte er Mitte der neunziger Jahre zusätzlich eine Musikhochschule stiften, erst in Kaltenbrunn am Nordufer des Tegernsees und später auf einem riesigen Gelände zwischen Bad Wiessee und Rottach-Egern. Aber jedes Mal bekam Wohltäter Otto, der mit großem Tamtam zum Ehrenmitglied der berühmten Gebirgsschützen gekürt wurde, Widerstand von irgendeinem Anrainer. Doch in Kreuth, jenem Ort, wo einst Franz Josef Strauß seine Macht verströmte, konnte Beisheim seinen guten Willen unter Beweis stellen und für drei Millionen Euro einen Kindergarten bauen. Auf der anderen Seite schachert er mit seiner Haushaltshilfe, die sein Luxusappartement in Miami in Schuss hält, um jeden Dollar. Für einige Jahre schien „Mr.Metro“, der einst in Mülheim an der Ruhr in der Elektro-Großhandlung „Stöcker & Reinshagen“ vom Lehrling zum Prokuristen aufstieg und 1964 in Deutschland den ersten Supermarkt eröffnete, Blut an der Sparte Medien geleckt zu haben. Im kleinen Schweizer Kanton Zug, immer gut für große Geschäfte, gründete das anfangs von den reichen Familien Schmidt-Ruthenbeck und Haniel gesponserte Handelsgenie die Medien-Handels-AG, die dann zur großen Überraschung in der damals von Leo Kirch kontrollierten deutschen Fernseh-Szene für rund 500 Millionen D-Mark rund 2500 Filme aus dem Kirch-Fundus kaufte, um sie mit großem Aufschlag an Sat.1 weiterzuveräußern. Als Außenseiter stieg Beisheim, der wie ein patenter Junggeselle seinen Kaffee morgens mit der Mikrowelle aufwärmt, auch beim Deutschen Kabelkanal groß ein, aber kurze Zeit später wieder aus. Trotz seiner ungebrochenen Vitalität, in allen Bereichen, hat Otto Beisheim sein irdisches Ende bereits organisiert. Sein Pracht-Grab auf dem Friedhof von Rottach-Egern ist vorbereitet und schon mit bunten Blumen geschmückt. Er ließ es außerhalb der Wegordnung des kleinen Gottesackers direkt vor der letzten Ruhestätte seiner Frau Inge platzieren. Die Grabfläche ist gleich groß und hat die gleiche, bläulich-graue Marmorplatte und die gleiche festbetonierte Blumenschale. Längere Zeit war die Fläche mit schneeweißem Kies gekennzeichnet. Kurz nach der Beerdigung von Ehefrau Inge, die übrigens, so heißt es in Lugano, per Testament verfügt haben soll, dass die „Freundin“ Lise Evers nicht bei der Beisetzung dabei sein darf, entstand helle Aufregung im Hause Beisheim. Am Grabstein hing eine handgeschriebene Postkarte, an der eine Rose steckte. Die rätselhafte Aufschrift: „Ich halte zu Dir. Auf mein Versprechen kannst Du Dich verlassen. Wir sehen uns in einer anderen Welt. Monika“. Otto Beisheim sinniert bis zur Stunde darüber nach, wer Monika ist. Michael Graeter war Kolumnist bei AZ, Bild und Bunte und das Vorbild des Baby Schimmerlos in „Kir Royal“.Er schrieb unter anderem das „Lexikon des Klatsches“ (Eichborn)

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