- Der Tod aus dem Schornstein
Kohlekraftwerke stoßen Schadstoffe in gewaltigen Mengen aus. Besonders die Belastung durch Feinstaub ist groß. Trotzdem setzt Deutschland weiter auf diese Art der Energieerzeugung. Wie sehr gefährdet das die Deutschen?
Deutschland setzt im Zuge des Atomausstiegs und der Energiewende auch auf Kohlekraftwerke – obwohl sie große Mengen Kohlendioxid (CO2) ausstoßen, das für den Klimawandel verantwortlich ist. Einer der bedeutendsten Produzenten von Braunkohlestrom ist der Energiekonzern Vattenfall in der Lausitz. Jetzt warnt eine Studie im Auftrag der Umweltschutzorganisation Greenpeace vor Gesundheitsschäden durch Kohleverstromung.
Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie?
Die Studie des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) an der Universität Stuttgart hat anhand von Modellrechnungen ermittelt, dass durch den Schadstoffausstoß der 67 größten Braun- und Steinkohlekraftwerke in Deutschland jährlich 3100 Menschen vorzeitig sterben – gemessen an der durchschnittlichen Lebenserwartung.
Die Forscher haben auf der Grundlage von Zahlen der Europäischen Umweltagentur eine Modellrechnung erstellt: Menschen, die durch Schadstoffe sterben, hätten unter anderen Umständen 10,7 Jahre länger gelebt.
Die Todeszahlen entsprechen damit einem Verlust von 33.000 Lebensjahren. Hinzu kommt der krankheitsbedingte Ausfall von etwa 700.000 Arbeitstagen. Sicher ist laut Wissenschaftlern aber nur ein statistischer Zusammenhang zwischen diesen Krankheiten und dem Feinstaub. Ob der Ausstoß der Kraftwerke die unmittelbare Ursache sei, lasse sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen.
Welche Regionen sind besonders gefährdet?
Für Berlin und sein Umland errechneten die Forscher regional unterschiedlich bis zu zehn und mehr Todesfälle pro Jahr, die auf den Feinstaub aus Kohlekraftwerken zurückzuführen sind. In der Lausitz, wo der Energiekonzern Vattenfall Strom produziert, sind es teils bis zu 100 Todesfälle. Besonders stark ist die Belastung in Deutschland aber im nordrhein-westfälischen Ruhrgebiet. Insgesamt ist der Westen Deutschlands stark belastet.
Was sagen andere Experten und die Energiekonzerne?
Das Umweltbundesamt sieht zwar einen Zusammenhang zwischen Lungen- und Atemwegserkrankungen und Kraftwerken. Ob sich daraus aber die zugespitzte Aussage ableiten lasse, dass statistisch 3100 Menschen vorzeitig sterben, sei fraglich. Aus Sicht des Energiekonzerns Vattenfall, der das 3000-Megawatt-Kraftwerk Jänschwalde betreibt, ist die Greenpeace-Studie zu einseitig. Die Organisation verfolge damit die Absicht, „den Energieträger Kohle zu diskreditieren und den Menschen Angst zu machen“, sagte Hubertus Altmann, Kraftwerksvorstand der Lausitzer Vattenfall-Tochter.
Messungen von Landesbehörden im Umfeld der Vattenfall-Braunkohlekraftwerke hätten gezeigt, dass die Luftqualität nicht oder nur unwesentlich durch zusätzliche Emissionen der Anlagen beeinflusst werde. Vattenfall verweist zudem darauf, dass die Kraftwerke nach strengen Emissionsvorgaben genehmigt seien und deshalb davon auszugehen sei, dass von ihnen keine Gesundheitsschäden ausgehen.
Dagegen zeigen Daten des Landesumweltamtes Brandenburg, dass in der Lausitz tageweise die Grenzwerte für Feinstaub überschritten werden. Fest steht, dass die Kraftwerke beim Feinstaub knapp die Hälfte aller gemeldeten Emissionen verursachen. In Berlin dagegen hat der Verkehr einen wesentlich höheren Anteil als Industrieanlagen.
Welche Gesundheitsgefahren drohen durch Kohlekraftwerke?
Verbrennungsprodukte der Kraftwerke, die trotz Filteranlagen in die Luft gelangen, können den Körper auf vielfache Weise schädigen. Besonders betroffen sind die Atemwege, wo chronische Erkrankungen der Lunge drohen, die auch zu Lungenkrebs führen können. Auch Herz- Kreislauf-Krankheiten sowie Veränderungen des Bluts und des Gehirns werden damit in Zusammenhang gebracht.
Besonders gefährlich ist Feinstaub – vor allem Partikel, die kleiner als 2,5 Mikrometer sind. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist rund 20-mal so dick. Die Partikel werden aus Schwefeldioxid, Stickoxiden, Staub und Ruß gebildet. Sie werden tief in die Lunge eingeatmet, können dort ins Blut gelangen. Schwefel- und Stickoxide sind auch an der Bildung von schädlichem Ozon in der Luft beteiligt.
Die Kohlekraftwerke stoßen darüber hinaus Schwermetalle wie Quecksilber und Blei aus. In höheren Dosen schädigt beispielsweise Quecksilber die Nerven und kann die Hirnentwicklung ungeborener Kinder stören. Ob die Mengen an Schwermetallen, die ein Kohlekraftwerk in der Nachbarschaft ausstößt, groß genug sind, um wirklich als „Gefahr“ zu gelten, ist derzeit noch offen. Auch noch nicht ganz klar ist, auf welche Weise Luftverschmutzung das Herz-Kreislauf-System schädigt. Auf der anderen Seite gibt es viele Hinweise darauf, dass die Feinstaubkonzentration eng mit der Todesrate durch Herzkrankheiten verbunden ist.
Wie ist die Lage in anderen Ländern?
Die Gesundheitsgefahr durch Kohlekraftwerke ist ein weltweites Problem. Vor allem in China, wo der Kraftwerkspark massiv aufgestockt wurde. Diese Anlagen verfügen – wie auch immer die Smogbilder zeigen – selten über gute Filter. Auch in Europa werden Kohlekraftwerke von Gesundheitsforschern kritisiert. Vor einem Monat legte Health and Environment Alliance aus Brüssel einen Bericht vor, der sich den kohlebezogenen Gesundheitsschäden in der EU widmete. Demnach gehen auf die Kraftwerke jährlich 18 200 frühzeitige Todesfälle zurück, erkranken jedes Jahr 8500 Menschen an chronischer Bronchitis, der krankheitsbedingte Arbeitsausfall beträgt vier Millionen Tage. Etwa die Hälfte der Gesundheitsschäden gehe auf Kohlekraftwerke in Polen, Rumänien und Deutschland zurück.
Seite 3: Filteranlagen helfen, können aber nicht alle Schadstoffe zurückhalten
Was kann man gegen die Belastung tun?
Filteranlagen helfen. Sie können einen Teil der Luftschadstoffe zurückhalten, aber nicht alle. Der Effekt wird umso mehr geschmälert, wenn man bedenkt, dass europaweit rund 50 neue Kohlekraftwerke in Planung oder im Bau sind, 17 davon in Deutschland. Greenpeace fordert daher, kein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen zu lassen. Bis 2030 solle die Braunkohleverstromung beendet werden, bis 2040 die Stromgewinnung aus Steinkohle.
Warum setzt Deutschland weiter auf Kohle?
Fast die Hälfte des deutschen Stroms wird in Kohlekraftwerken erzeugt. Dieser Anteil lässt sich so schnell nicht ersetzen, erst recht nicht, wenn bis 2022 alle Kernkraftwerke vom Netz gehen sollen. Hinzu kommt, dass die Preise für Verschmutzungsrechte im EU-weiten Emissionshandel stark gefallen sind. Daher ist derzeit die Verstromung von Kohle besonders lukrativ, während etwas klimafreundlichere Gaskraftwerke immer unrentabler werden. Solange die erneuerbaren Energien keinen grundlastfähigen Strom in großer Menge erzeugen können, wird sich an dem Bild wenig ändern.
Wie gefährlich sind andere Energieerzeugungsarten?
Eine umfassende Analyse darüber gibt es nicht. Aber es gibt grobe Schätzungen, wie viele Tote pro erzeugter Stromeinheit anzunehmen sind. So kommt das Magazin „Forbes“ auf durchschnittlich 170 000 Tote pro eine Milliarde Megawattstunden für Kohle (wobei China einen 19fach höheren Wert hat als die USA). Öl fordert demnach 36 000 Menschenleben, Gas 4000. Die 24 000 Toten pro eine Milliarde Megawattstunden durch Verbrennen von Biomasse sind dem schlechten Zustand der Anlagen in Entwicklungsländern geschuldet. Windenergie kostet nur 150 Menschen das Leben – etwa weil sie bei Wartungsarbeiten herunterstürzen. Die Mortalität der Kernkraft wird einschließlich Tschernobyl und Fukushima mit 90 beziffert. Dass Wasserkraft mit 1400 Toten so gefährlich erscheint, ist ein statistischer Effekt: 1976 brach in China ein Damm, rund 171 000 Menschen starben.
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