() Schumpeter: Für unseren Autoren die Nummer eins
Der tragische Ökonom
Der beste Liebhaber Wiens, der beste Reiter Europas, der größte Ökonom der Welt!
Zehn Kerzen für Keynes, eine Kerze für Schumpeter. So feierte das US-Magazin Forbes den hundertsten Geburtstag der beiden Ökonomen im Jahr 1983 auf dem Titelbild. Zehn zu eins für Keynes – so würde das Ergebnis im Wirkungswettstreit heute wohl nicht mehr illustriert. Peter Drucker, Management-Professor und damals Autor der Forbes-Titelgeschichte, deutete das vor 25 Jahren bereits an: „Es wird zunehmend klar, dass es Schumpeter ist, der für den Rest des Jahrhunderts, wenn nicht für die nächsten 30 oder 50 Jahre, das Denken formen und über die Fragen der Wirtschaftspolitik Auskunft geben wird.“
Zwei aktuelle Biografien widmen sich dem am 8. Februar 1883 im österreichisch-ungarischen Triesch (Mähren) geborenen und am 8. Januar 1950 im nordamerikanischen Taconic (Connecticut) verstorbenen Denker. In „Prophet of Innovation“ (Belknap) stellt der Wirtschaftshistoriker und Pulitzer-Preisträger Thomas McCraw das Werk und seinen Entstehungskontext in den Mittelpunkt. Annette Schäfer setzt in „Die Kraft der schöpferischen Zerstörung“ (Campus) den Akzent auf die private Seite und das zerrissene Seelenleben des Ökonomen. Schumpeters Vita liest sich zunächst wie der Abenteuerroman eines unaufhaltsamen Aufsteigers: Von der ehrgeizigen und früh verwitweten Mutter gefördert, dank ihrer Hochzeit mit einem k.u.k. General auf dem Theresianum in Wien gemeinsam mit Prinzen und Diplomatensöhnen ausgebildet, wird Schumpeter nach glänzendem Studium und zwei fulminanten Publikationen bereits 1911 der jüngste ordentliche Professor der Donaumonarchie.
Politische Ambitionen führen ihn im März 1919 in die österreichische Regierung. Doch als Finanzminister bringen ihn sein Hochmut und seine Passionen für edle Rennpferde und teure Prostituierte schon nach neun Monaten zu Fall. Das anschließende Intermezzo als Bankpräsident endet im finanziellen Ruin. Und die 1907 geschlossene Ehe mit der Britin Gladys Seavers hat den Ersten Weltkrieg nicht überstanden. Mit 42 Jahren steht sein Leben ernsthaft auf der Kippe.
Die Universität Bonn ermöglicht Schumpeter 1925 mit der Berufung auf eine Professur für Finanzwissenschaft das wissenschaftliche Comeback, die Heirat mit seiner Jugendfreundin Anna Reisinger komplettiert das neue Glück. Doch 1926 sterben binnen weniger Monate erst seine Mutter, dann seine Frau und das gemeinsame Kind im Wochenbett. Als die Deutschen der Versuchung des Nationalsozialismus erliegen, wechselt Schumpeter im September 1932 an die Universität Harvard. Im Akademikeridyll bei Boston fühlt sich Schumpeter schnell wohl, hier lebt und forscht er bis zu seinem Tod.
Welches Vermächtnis hat er hinterlassen? Schumpeter ist mehr als der Stichwortgeber, dessen „Kraft der schöpferischen Zerstörung“ oft achselzuckend bemüht wird, wenn sich Protest gegen die sozialen Verwerfungen des Kapitalismus regt. Drei Werke begründen seine Relevanz: In der „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ von 1911 erklärte er als erster Ökonom die Entstehung wirtschaftlicher Dynamik und erkannte dabei die zentrale Rolle des Unternehmers als Durchsetzer wohlstandsfördernder Innovationen. Die von Schumpeter identifizierten Rahmenbedingungen – ein leistungsfähiges Bankensystem, gut ausgebildete und risikofreudige Bürger sowie ein prokapitalistischer Wertekanon – finden sich bis heute in den Blaupausen von Wirtschaftspolitikern auf der ganzen Welt.
Mit seinem populärwissenschaftlichen Essay „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ traf Schumpeter 1942 den Nerv der Zeit. Seine Warnung, dass der dynamische Unternehmerkapitalismus an seinem eigenen Erfolg zu ersticken drohe, erst in einen Bürokratenkapitalismus angestellter Manager degeneriere und dann in den Sozialismus der Politfunktionäre münden werde, klingt heute, in Zeiten von Mindestlohn-Gesetzgebung und Bankenverstaatlichungen, wieder auf unangenehme Weise aktuell.
Die Veröffentlichung seines letzten großen Werkes verdankt Schumpeter seiner dritten Frau Elizabeth. Die Volkswirtin stellte die 1954 erschienene „Geschichte der ökonomischen Analyse“ in dreijähriger Arbeit aus Tausenden Manuskriptseiten zusammen. Bis heute führt in der sozialwissenschaftlichen Ideengeschichte kein Weg an den beiden Bänden vorbei.
Als junger Ökonom hatte Schumpeter oft mit nur leichter Ironie behauptet, er habe zwei seiner drei Ziele („der beste Liebhaber Wiens, der beste Reiter Europas, der größte Ökonom der Welt“) bereits erreicht – aber mit seinem geerbten Sattel minderer Qualität sei ein Spitzenplatz in der Reiterei schlicht unmöglich.
In den Tagebüchern seiner letzten Lebensjahre vermittelt der Entdecker der schöpferischen Zerstörung hingegen das Bild eines zerstörten Schöpfers, gequält von Depressionen und Selbstmordgedanken. Von den Schicksalsschlägen des Jahres 1926 hatte er sich nie ganz erholt. Und der Erfolg von John Maynard Keynes mit der 1936 erschienenen „General Theory“, die das eigene theoretische Hauptwerk „Business Cycles“ in den Schatten stellte, verdüsterte unumkehrbar seine Selbsteinschätzung. Es stimmt: Schumpeters Bücher sind nicht so stringent aufgebaut und elegant formuliert wie die Schriften von Keynes, weder verbal noch in der mathematischen Formalisierung. Aber Relevanz und Gültigkeit seiner Erkenntnisse gleichen kompositorische und stilistische Mängel aus. Zehn Kerzen für Schumpeter!
Nils aus dem Moore ist Volkswirt und Journalist. Er leitete zweieinhalb Jahre das Kapitalressort bei Cicero und arbeitet jetzt als Finanzwissenschaftler im Berliner Büro des RWI Essen
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