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Ohne Bares nichts Wahres
Neue iPad-Anwendungen, Onlineabos, Verkauf einzelner Artikel – Zeitungsverlage suchen im Internet verzweifelt nach neuen Einnahmequellen, um die wegbrechenden Einnahmen aus dem Printgeschäft zu kompensieren. Die bisherigen Erfolgsmodelle im Onlinejournalismus belegen, dass man vor allem auf eins setzen muss: Qualität!
Gerade mal ein britisches Pfund – so viel hat kürzlich sowohl das einwöchige Schnupperabo der englischen Tageszeitung Independent als auch das gesamte Unternehmen gekostet. Der russische Milliardär und Ex-KGB-Spion Alexander Lebedew hat den ums Überleben kämpfenden Independent im März für diesen symbolischen Betrag übernommen. Gleichzeitig kündigte er die Gründung einer nicht gewinnorientierten Stiftung an, die Not leidenden Zeitungsverlagen eine Zukunft geben soll – eine Art mediales Artenschutzprogramm, wie die FAZ schrieb. Ist der Journalismus letztendlich nur noch ein Fall für die Kulturförderung? Oder muss er gar staatlich unterstützt werden, wie es während der Wirtschafts- und Finanzkrise hin und wieder gefordert wurde?
Das absurde Beispiel des Independent zeigt, wie bedrohlich die Lage der Branche ist. In Zeiten, in denen das traditionelle Printgeschäft einbricht und kaum eine der Onlineplattformen der deutschen Verlage schwarze Zahlen schreibt, werden die Sorgenfalten der Verlagsmanager immer tiefer. Online experimentieren die Verlage seit Jahren weltweit mehr oder minder erfolglos mit verschiedenen Werbeformen und Bezahlmodellen herum. Sie sind verzweifelt auf der Suche nach einem Geschäftsmodell, mit dem sich Qualitätsjournalismus im Internetzeitalter finanzieren lässt. Inzwischen droht der Branche die Zeit davonzurennen. Die jahrelang betriebene Quersubvention der Onlineredaktionen durch das Printgeschäft funktioniert wegen schrumpfender Vertriebs- und Werbeeinnahmen nicht länger.
Vielen Verlagsmanagern fiel als Gegenrezept in den vergangenen Jahren nur ein strikter Sparkurs ein. Übersehen wird dabei allerdings oft, dass sich die Branche mit diesem einfallslosen Controlling-Denken schnell zu Tode spart. Doch mithilfe teurer Unternehmensberater Arbeitsplätze zu streichen und die Budgets der Redaktionen zu kürzen, erscheint den deutschen Verlagen offenbar immer noch zukunftsträchtiger zu sein, als sich neue Erlösquellen für ihre Inhalte auszudenken und unternehmerisches Neuland zu beschreiten. Dabei zeigen aktuelle Studien, dass Leser bereit sind, für Qualitätsjournalismus auch online zu bezahlen. Das kann aber nur funktionieren, wenn die Verlage ihre Kostensenkungsmission beenden. Denn schlecht entlohnte Journalisten, die in unterbesetzten Redaktionen mit immer knapperen Budgets zurechtkommen müssen, werden keine hochwertigen Inhalte liefern.
Unabhängig davon haben die Manager der gebeutelten Medienzunft derweil einen neuen Heilsbringer auserkoren: das iPad aus dem Hause Apple. Dessen Produkte werden von den Kunden traditionell schon mit fast religiöser Inbrunst verehrt. Da passt es dann auch, wenn Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, sich kürzlich zu einer Art Glaubensbekenntnis an die neueste Schöpfung von Apple-Chef Steve Jobs verstieg: „Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet.“
Aber wie erklärt sich der Hype ums iPad bei den Verlagen? „Es geht um die Frage: Wie kann ich meine Inhalte besser verpacken und ausliefern, um die Nutzer zum Zahlen zu bewegen?“, erläutert Klas Roggenkamp, Mitinhaber der Medienagentur Compuccino, die Kunden wie welt.de, faz.net und tagesschau.de beim Webdesign und der Benutzerführung berät. Die iPad-Anwendungen, kurz Apps genannt, „führen die Leser anders und besser durch die Inhalte, und Videos und Audios lassen sich sinnvoller integrieren.“ Die Verlage setzen außerdem auf die große Verbreitung des iPad. Nach einer Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom werden sich allein in Deutschland bis Ende des Jahres 500.000 Menschen das Apple-Gerät kaufen, bis Ende 2012 sollen es zwei Millionen sein.
In der aktuellen Diskussion um Formate und Entwicklungen für zahlungspflichtige iPad-Anwendungen der Verlage zeichnen sich zwei verschiedene Ansätze ab: „Die einen bieten eine Art digitale Printversion an, während die anderen ständig aktualisierte Inhalte in ihren Apps aufbereiten.“ Den ersten Ansatz verfolgt die Welt mit einem in sich geschlossenen Produkt ohne Links, dessen Aktualisierung nicht automatisch beim Laden, sondern mehrfach täglich in Ausgaben zu bestimmten Uhrzeiten erfolgt. Die zweite Strategie strebt der Spiegel an, der allerdings aus finanziellen Gründen momentan die Weiterentwicklung seiner iPad-App mit gebremstem Tempo betreibt.
Klas Roggenkamp beziffert die Entwicklungskosten einer solchen Anwendung auf 100.000 bis 200.000 Euro. Dass sich solch eine Investition schnell rentieren kann, zeigt das Beispiel des amerikanischen Wall Street Journal (WSJ). Die größte Wirtschaftszeitung der Welt hat im Mai eine iPad-App auf den Markt gebracht, die sich im Layout stark an der Printausgabe orientiert. Inzwischen lesen mehr als 200.000 Nutzer das WSJ in dieser Version. Für ihr Abo zahlen sie 17 Dollar im Monat. Doch werden sich solche Zahlen kaum auch nur annähernd auf deutsche Zeitungen übertragen lassen, deren Zielgruppe sich nicht aus den wohlhabenden Entscheidern der internationalen Finanz- und Wirtschaftskreise zusammensetzt. Die ebenfalls im Mai gestartete Welt-App bietet der Springer-Verlag zunächst kostenlos an.
Doch vor übersteigerten Erwartungen in Bezug auf das iPad sollten sich die Verlage hierzulande hüten. Auch der bekannte deutsche Blogger und Buchautor Sascha Lobo ist skeptisch: „Das iPad wird nach meiner Überzeugung nicht der Heilsbringer der arg gebeutelten deutschen Verlagsbranche“, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem Stern. Für „kriegsentscheidend“ hält Lobo bei allen digitalen Produkten eine Verbesserung des Design und der Nutzerfreundlichkeit.
Aber stimmt das? Denn was bei allem berechtigten Nachdenken über neue Endgeräte, Formatfragen und Benutzergewohnheiten derzeit weiter ins Hintertreffen zu geraten droht, ist die Diskussion über die Qualität der Inhalte. Gerade der Nachrichtenjournalismus krankt heute daran, dass nach mehreren Kündigungswellen und wegen des hektischen Tagesgeschäfts viele Redakteure entweder dieselben Agenturmeldungen auf ihre Websites hieven oder gleich voneinander abschreiben, sodass sich die Onlineportale kaum noch voneinander unterscheiden. Wer möchte es da dem Leser verdenken, wenn er nicht bereit ist, dafür zu zahlen, weil er in der Regel immer ein Portal finden wird, auf dem ihm die Nachrichtenlage gratis serviert wird? Dies ist auch eines der zentralen Argumente der iPad-Skeptiker: Da man mit dem „Tablet Computer“ auch ins Netz gehen könne, würden sich die Nutzer weiterhin für die kostenlosen Onlinenews-Angebote entscheiden, anstatt für die iPad-Apps derselben Anbieter Geld auszugeben.
Auch im Journalismus der Zukunft kommt es nicht auf das Trägermedium an, sondern auf Neugierde, Recherche und Kompetenz der Journalisten. Für gute Inhalte gibt es auch online genügend Nachfrage: Nach einer repräsentativen Befragung des IT-Branchenverbands Bitkom sind 39 Prozent der deutschen Internetnutzer bereit, für Qualitätsjournalismus zu zahlen. „Es sollte den Verlagen gelingen, mit dem Verkauf einzelner Artikel, Onlineabos und Flatrates sich ein zweites finanzielles Standbein im Internet zu schaffen“, sagt Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer. Einig sind sich die Experten, dass es zur Finanzierung aufwendiger journalistischer Angebote im Netz nicht ausreicht, nur auf die margenknappen digitalen Werbeeinnahmen zu setzen. Diese lang gehegte Hoffnung hat sich in den vergangenen Jahren zerstoben. Eine Studie von Deutsche Bank Research zu den wirtschaftlichen Perspektiven kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass sich Erfolgsaussichten kostenpflichtiger Onlineportale dann „nachhaltig verbessern, wenn das Geschäftsmodell auf hoch spezialisierte Fachinformationen, zeitkritische Meldungen oder hochwertige Hintergrundanalysen mit aufbereitetem Archiv abstellt“.
In Deutschland ist neben Spiegel Online, wo man sich momentan zu den wirtschaftlichen Aussichten nicht äußern möchte, in vielerlei Hinsicht Axel Springer der digitale Vorreiter. Die großen Anstrengungen des Verlags schlagen sich mittlerweile auch in den Umsatzzahlen nieder. In das laufende Geschäftsjahr startete das Berliner Verlagshaus mit einem Rekord-Quartalsergebnis und einem kräftigen Umsatzzuwachs. Die digitalen Medien erhöhten dabei ihre Erlöse um mehr als 50 Prozent und lieferten nach den inländischen Zeitungen den zweitgrößten Umsatzbeitrag. Romanus Otte, General Manager von Welt Online, skizziert die zukünftige Strategie: „Die kostenfreien Nachrichtenportale werden auch künftig eine werbefinanzierte Ertragssäule sein. Für Hintergrundjournalismus sind die Nutzer bereit zu bezahlen. Das haben unsere ersten Erfahrungen gezeigt. Ich bin da realistisch, aber nicht euphorisch.“ Bei den kostenpflichtigen Inhalten, paid content genannt, hat man bei Axel Springer seit vergangenem Jahr verschiedene Versuche gemacht: iPhone-Apps wurden entwickelt, regionale Inhalte der Bild übers Handy verkauft, die am Ende des Monats mit der Telefonrechnung bezahlt wurden. Die Regionalportale des Hamburger Abendblatts und der Berliner Morgenpost bieten seit Dezember eine Mischung von kostenlosen und -pflichtigen Beiträgen. Die Wortschöpfung dafür heißt Freemium, was sich aus free und Premium zusammensetzt. Dabei verschwindet insbesondere die regionale Berichterstattung der beiden Lokalzeitungen hinter der Bezahlschranke.
Die wenig überraschende vorläufige Bilanz dieses jüngsten Experiments sieht so aus: Die Kundschaft im vom Abendblatt dominierten Hamburger Zeitungsmarkt ist weit eher zum Zahlen zu bewegen als die Hauptstädter, die zwischen drei Tageszeitungen und deren Onlineportalen auswählen können. Genaue Zahlen will Otte mit Verweis auf das Versuchsstadium nicht nennen. „Wir sind Lernende. Probieren geht über Studieren.“
Mit dem vorsichtigen Herantasten an die Kundschaft der Zukunft mittels Feldversuchen steht Springer nicht alleine da. Die ganze Branche folgt derzeit diesem Trial&Error-Ansatz oder guckt mit großer Neugierde auf die Experimente der Konkurrenz. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Aktivitäten von Rupert Murdochs News Corp, einem der größten Medienkonglomerate weltweit, das schon vor längerer Zeit eine Paid-content-Offensive angekündigt hat. Seit Anfang Juli ist nun der Onlineauftritt der zum Konzern gehörenden britischen Times kostenpflichtig. Allerdings will Murdoch die Onlineleser der traditionsreichen Zeitung wohl nicht zu sehr verschrecken und bietet ihnen den Zugang einen Monat lang für ein Pfund als Schnupperangebot an. Ursprünglich hatte das Unternehmen angekündigt, diesen Betrag pro Tag zu verlangen.
Auf eine weit längere Erfahrung mit bezahlpflichtigen Inhalten kann das ebenfalls zum Murdoch-Imperium zählende Wall Street Journal zurückblicken: Seit 1997 müssen die Leser des WSJ auf dessen Internetseiten für bestimmte Beiträge bezahlen. Der Umsatz damit ist in den vergangenen vier Jahren um 30 Prozent gewachsen. Die Zahl der Onlineabonnenten des WSJ beläuft sich inzwischen auf über eine Million Nutzer, und die Website verzeichnet monatlich mehr als 22 Millionen Visits.
Vergleichbar mit dem „Freemium“-Angebot bei Springer verfolgt auch das Journal ein „Hybrid“-Modell, wie es Gordon McLeod, Präsident von WSJ Digital Network, nennt. Nachrichten, Lifestyle und Sport sind für jeden Nutzer gratis verfügbar. Die zur Kernkompetenz zählenden Berichte über Wirtschafts-, Finanz- und Technologiethemen sowie Analysen und Kommentare gibt es nur gegen Geld. Der Erfolg dieses Modells belegt auch das Ergebnis der Studie der Deutschen Bank.
Eine Besonderheit beim WSJ ist die bewusste Zurückhaltung bei Anzeigen im eigenen Onlineangebot: „Wir haben sehr wenige davon auf unseren Seiten. Das unterscheidet uns von der Konkurrenz“, sagt McLeod. Man könne sich das erlauben, weil die Leserschaft für die Werbewirtschaft sehr attraktiv sei und man entsprechend hohe Preise verlangen könne. Die Zahlen geben seiner Strategie recht. Der Zuwachs im digitalen Werbegeschäft war 2009 beim WSJ trotz Wirtschaftskrise zweistellig.
Auch in Europa gibt es etablierte erfolgreiche Onlinebezahlmodelle wie bei der britischen Zeitschrift Economist: Die Marke Economist steht für kompetenten, meinungsstarken Journalismus mit klarer wirtschaftspolitischer Linie und gewinnt so weltweit immer mehr Leser. Vor allem zeigt der Erfolg des Economist, dass man für Qualität auch entsprechend hohe Preise verlangen kann: Die Onlineausgabe des Wochenmagazins kostet genauso viel wie die gedruckte Version. Dem Internetnutzer werden außerdem Zusatzinfos geboten. Er kann sich unter anderem jede Woche das komplette Magazin als Audioformat herunterladen und unterwegs vorlesen lassen sowie auf das komplette Archiv zurückgreifen.
Neben dem Abomodell setzen manche in der Branche auf den Einzelabruf von Artikeln für ein paar Cent durch sogenannte Micropayment-Systeme. Sie scheiterten bisher häufig, weil der Bezahlvorgang zu kompliziert ist. „Die Faustregel ist, dass man bei jedem zusätzlich nötigen Klick die Häfte der Nutzer verliert“, erläutert Klas Roggenkamp von Compuccino die Nachteile dieses Systems. Einer der Verfechter des Micropayments ist der Kölner Verleger Konstantin Neven DuMont, zu dessen Zeitungshaus neben dem Kölner Stadtanzeiger auch die Frankfurter Rundschau und die Berliner Zeitung gehören. Er räumt aber ein, dass die Abrechnung und Registrierung bislang nicht zufriedenstellend funktioniert habe. „Das muss automatisch mit einem Klick funktionieren“, sagt er. Da die Transaktionskosten beim Onlinebezahldienst Paypal zu hoch waren, um rentabel für den Verlag zu sein, führt er nun Gespräche mit der Telekom und anderen Unternehmen. „Die Idee ist, dass erst bei einem bestimmten Volumen einmal abgebucht wird“, sagt DuMont.
Die Beispiele der führenden internationalen Print- und Onlinemedien zeigen, dass nur diejenigen Erfolg haben werden, die auf Qualität setzen. Die Verlage müssen entschlossen ihre Stärken auf allen Vertriebskanälen ausspielen und weiter ausbauen: Der Journalismus muss profiliert, unterscheidbar von der Konkurrenz, im Idealfall investigativ und meinungsstark sein. Das ist auch eine Chance für ein Comeback des Autorenjournalismus, weil die Verlage Gesichter brauchen, die ihre Marken verkörpern. Der Journalist der Zukunft muss soziale Netzwerke in seine Arbeit einbinden, sich mit deren Nutzern austauschen und von deren vorhandener Sachkompetenz profitieren. Dasselbe gilt für die Kooperation der Redaktionen mit Bloggern. Denn unter ihnen gibt es Experten mit speziellem Fachwissen oder Autoren, die sich in bestimmten Regionen sehr gut auskennen. Daher sind auch Lokalzeitungen gut beraten, Blogs auf ihren Portalen zu integrieren. Insgesamt sollte die bessere und stärkere Einbindung der Leserschaft ganz weit nach oben auf der Prioritätenliste der Redaktionen rücken.
Ideen, Ansätze und Testprojekte gibt es viele. Offen bleibt, was sich bei welchem Medium als praktikabel und profitabel erweist. Weitgehende Einigkeit herrscht aber wohl unter Deutschlands Zeitungsverlegern, dass staatliche Finanzspritzen keine Lösung für den Weg aus der Krise sind. Denn Geldgeber wollten immer auch Einfluss nehmen, sagt Konstantin Neven DuMont. Wohin staatliche Einmischung führt, hat nicht zuletzt das unwürdige Schauspiel von Roland Koch bei der Abberufung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender gezeigt. Seine Zukunftsprognose für die eigene Zunft ist allerdings nur sehr verhalten optimistisch: „Wir müssen uns alle fragen, was es für Auswirkungen für die Meinungsbildung in der Demokratie hat, wenn wir kein funktionierendes Geschäftsmodell finden. Aber ich habe noch Hoffnung.“
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