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Twitter/Al Jazeera

Saudisch-iranischer Konflikt - Tödliche Hungerspiele in Syrien

In zwei syrischen Orten spielen sich gerade katastrophale Szenen ab: Milizen und Terrorgruppen, die von Saudi-Arabien und Iran unterstützt werden, halten Madaya und Alfoua seit Monaten belagert. Die Einwohner drohen zu verhungern und zu erfrieren

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Riham Alkousaa ist eine syrisch-palästinensische Journalistin. 

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Der iranisch-saudische Konflikt spielt sich dieser Tage nicht in Riad oder Teheran ab, sondern in den syrischen Orten Madaya und Alfoua.

Madaya ist überwiegend von Sunniten bewohnt. Die 40.000-Einwohner-Stadt liegt nur eine halbe Stunde nordwestlich von Damaskus, in einer Bergregion. Sie war ein beliebtes Ausflugsziel für Hauptstädter und für reiche Touristen aus der Golfregion. Die Dörfer Alfoua und Kefraja, zusammen etwa ähnlich groß, befinden sich im Nordwesten Syriens nahe der Stadt Idlib. Hier leben überwiegend Schiiten.

Zehntausende Menschen vor dem Hungertod


Doch nach Madaya und Alfoua fährt heute niemand mehr zum Picknicken. Beide Orte werden belagert, insgesamt 80.000 Menschen sind vom Hungertod bedroht.

Wer etwa den Namen der Stadt Madaya bei Twitter sucht, findet grauenvolle Bilder: die Leichen von völlig ausgezehrten Jugendlichen, von konkaven Bäuchen, von Katzen, die zum Verzehr geschlachtet werden. Ein Foto zeigt einen Kochtopf mit Laubblättern. Ein Einwohner bietet sein Auto für fünf Kilo Reis zum Verkauf an. Es ist unklar, ob die Berichte alle authentisch sind oder ob sich Fälschungen und Propaganda darunter finden. Die Lage hat sich über den Jahreswechsel nochmals dramatisch verschärft.

Fast 370.000 Tweets rufen zur Rettung der Kleinstadt auf. In jedem Fall versuchen sie darauf aufmerksam zu machen, dass hier gerade Zehntausende Menschen zu Tode hungern oder erfrieren. Syrische Aktivisten machten am Dienstag bekannt, dass seit der Belagerung Madayas 28 Menschen verhungert sind. Und sie riefen um Hilfe, auch bei den Vereinten Nationen. Doch in den vergangenen Tagen erhielten die Aktivisten nur automatische E-Mail-Antworten: Bis 5. Januar seien alle UN-Mitarbeiter im Urlaub.

Am Donnerstag teilten die Vereinten Nationen mit: „Die Uno hat glaubhafte Berichte erhalten, dass Menschen verhungern oder getötet werden, wenn sie versuchen, die Stadt zu verlassen.

Stellvertreterkrieg von Saudi-Arabien und Iran
 

Madaya, Alfoua und Kefraja sind Geiseln in einem zynischen Spiel. Hier tobt schon seit sechs Monaten ein Stellvertreterkrieg der beiden Großmächte Saudi-Arabien und Iran. Es ist ein zynisches Kräftemessen auf dem Rücken der Zivilisten. Verhandlungen zwischen beiden Seiten laufen seit einem Monat – erfolglos.

Die syrische Armee und die schiitische Hisbollah-Miliz belagern das sunnitische Madaya, um Druck auf ihre Gegenspieler auszuüben. Denn syrische Rebellengruppen und Jaish al-Fatah, ein Arm der sunnitischen Terrorgruppe Al Qaida, haben zur gleichen Zeit die schiitische Dorf Alfoua in ihrer Gewalt. Diese Einheiten werden sowohl von Saudi-Arabien als auch der Türkei unterstützt. Die letzte Nahrungsmittellieferung ließen sie im September nach Alfoua durch.

„Die Menschen betrachten den Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien als das größte Ding in den Nachrichten. Aber uns ist das egal, wir wollen einfach nur freigelassen werden, die Menschen sterben hier am Hunger“, sagt Amer Borhan, ein Manager eines Zivilkrankenhauses in Madayas Nachbarstadt Zabadani.

Abdullah al-Muhaysini, ein saudischer Dschihadist, veröffentlichte auf Snapchat ein Video: Er drohte, dass Jaish al-Fatah den Schiiten-Ort Alfoua mit Selbstmordattentaten und Raketen auslöschen würde, wenn die Belagerung Madayas nicht bald beendet würde. Al-Muhaysini bezeichnet sich auch als „Hoher Richter“ der sunnitischen Terrorgruppe; im Netz rief er zu Spenden in Höhe von einer Million Dollar auf. Damit sollen 300 Raketen beschafft werden, um das Dorf anzugreifen.

 

Nur halbes Mitleid
 

Syrer aller Seiten fordern in den sozialen Medien seit Wochen ein Ende der Belagerungen. Saad al Sawas, ein 24-jähriger Politikstudent aus Damaskus, sagte Cicero: „Wir sehen auf Facebook viele Fotos von hungernden Menschen. Viele Leute haben großes Mitleid.“

Dennoch versehen viele Leute ihre Kommentare mit sektiererischen, politischen Bemerkungen – und Syrer einer Seite machen oft die jeweils andere für die humanitäre Katastrophe verantwortlich. Das Mitleid ist nur ein halbes: Die Regimegegner fühlen mit den belagerten Menschen in Madaya, während die Assad-Anhänger die Hungernden in Alfoua unterstützen.

Die Eskalation des saudisch-iranischen Konfliktes hat viele Gründe. Einer davon ist die Hinrichtung des schiitischen Scheichs Nimr al-Nimr durch Saudi-Arabien gleich zu Jahresbeginn. Der syrische Schriftsteller Rateb Shabo, der als Regimegegner 16 Jahre in Assads Gefängnissen einsaß und heute in Frankreich lebt, hat noch eine andere Theorie: Der Zeitpunkt der Belagerungen könne auch mit den Syrien-Gesprächen zu tun haben, die im Dezember in Riad begannen.

Am 25. Januar sollen die Friedensgespräche in Genf fortgeführt werden. „Aber Saudi-Arabien will nicht, dass die syrischen Parteien daran beteiligt sind“, glaubt Shabo. Die Erwartungen an die Syrien-Konferenz sind daher sehr gering, an eine Einigung glaubt kaum jemand. „Die meisten dieser syrischen Konfliktparteien wollen ohnehin keine Lösung finden“, sagt Shabo.

„Wir sind hier nur ein Spielball“


Die iranisch-amerikanische Nahost-Analystin Holly Darges sagte im Gespräch mit Cicero: Saudi-Arabien behaupte zwar, dass die Verschlechterung der Beziehungen zum Iran die Syrien-Friedensgespräche nicht beeinträchtige. In Wahrheit geschehe aber genau das: „Es war schwer genug, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Jetzt wird Iran den syrischen Machthaber Baschar al-Assad noch stärker unterstützen - und auf der anderen Seite die Saudis die Rebellen.” Die Quittung für die Handlungen von Iran und Saudi-Arabien erhalte nun das syrische Volk.

Doch die saudisch-iranischen Hungerspiele in Syrien erfordern dringend eine Lösung. „Wir sind hier nur ein Spielball“, sagt ein junger Aktivist, der anonym bleiben will. „Wir können den Konflikt sehen, hier, vor uns, auf syrischem Boden.“ Und er fügt hinzu: „Sogar hohe Funktionäre in der syrischen Armee sagen es direkt: Iran und die Türkei haben euch hier reingezogen – und nur sie können euch wieder befreien.“

Ein bisschen Milch und Reis könnte für die belagerten Menschen schon eine Entlastung sein. Aber es braucht viel mehr, um die tief verletzte syrische Gesellschaft wieder aufzubauen.

„Die Einwohner dieser beiden Städte sind Menschen. Sie müssen gerettet werden”, fordert Saad al Sawas, der Politikstudent. „In diesem Krieg verlieren wir unsere Menschlichkeit. Ich frage mich, wann wir zu einer solch gespaltenen, rückständigen und hässlichen Nation wurden.”

Update um 16:20 Uhr: Inzwischen soll die Assad-Regierung in Damaskus den Vereinten Nationen nun Zugang zu den belagerten Orten Madaya, Alfua und Kefraja gewähren. 

Hier geht es zur englischen Version des Artikels.

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