- „Jeder kann ein komplexes Thema in 18 Minuten erklären“
Die deutsche Version der weltbekannten Innovationskonferenz TED bringt jedes Jahr kluge Köpfe aus allen Bereichen in Berlin zusammen. Im Interview erzählt Organisator Stephan Balzer, wo er die besten Redner und Ideen aufspürt, warum Schüler für seine Veranstaltung die Schule schwänzen und was amerikanische Wissenschaftler den deutschen voraus haben
Der gebürtige Berliner Stephan Balzer ist Chef der Kommunikationsfirma Red Onion. Er hat das Konzept der amerikanischen Innovationskonferenz TED 2009 in Form von TEDx-Konferenzen nach Deutschland geholt. Fachleute aus unterschiedlichsten Bereichen stellen innovative Ideen vor und treten so in einen Dialog über zukünftige Entwicklungen.
Das Thema der diesjährigen TEDxBerlin ist „exponential change“. Was verbirgt sich dahinter?
Dahinter steckt die These, dass Fortschritte auf unserem Planeten in Zukunft nicht mehr linear verlaufen, sondern durch die zunehmende Technologisierung den Verlauf einer exponentiellen Kurve haben werden. Es wird in immer kürzerer Zeit schneller in der Entwicklung nach oben gehen. Die Innovationszyklen werden immer kürzer. Einige Redner hinterfragen diese These kritisch.
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Der Beitrag des Tech-Altstars Andrew Keen lautet zum Beispiel „Exponential Fuck up“
Andrew Keen warnt vor dieser rasanten exponentiellen Entwicklung. In seinem Buch „The internet is not the answer“ ( auf Deutsch erschien: „Das digitale Debakel: Warum das Internet gescheitert ist - und wie wir es retten können") warnt er vor den Tech-Firmen im Silicon Valley und den negativen Folgen des raschen digitalen Wandels auf unsere Psyche, die Wirtschaft und Kultur.
Unter den zwölf Rednern ist nur ein Deutscher. Warum?
Man findet nur sehr wenige Leute in Deutschland genau zu diesem Thema. Wir Deutschen stehen, was Digitalisierung und neue Technologien betrifft, nicht an erster Stelle. Wir hängen hinter anderen Ländern wie den USA, Israel oder England hinterher. Auch große Tech-Unternehmen in Deutschland sind global nicht Marketleader, wenn es um Digitalisierung geht. Es gibt wenige vom Format eines Oliver Samwer von Rocket Internet, der in zehn Jahren ein globales Unternehmen aufgebaut hat, weil er verstanden hat, wie man Technologie einsetzt.
Wie finden Sie neue Redner, die an innovativen Ideen arbeiten?
Mit unserem Redaktionsteam aus vier Leuten suchen wir permanent nach interessanten Leuten auf der ganzen Welt. Es ist vergleichbar mit Ihrer journalistischen Arbeit: wir recherchieren, spüren auf, reisen herum, hören uns um. Ich fahre oft ins Silicon Valley, nach London oder Tel Aviv, wo es eine große Innovationskultur gibt. Ich besuche andere TEDx-Veranstaltungen. Mittlerweile gibt es ja Ableger in 170 Ländern und 2500 Städten. Das heißt theoretisch könnte man jeden Tag auf 12 bis 15 verschiedene TEDx-Konferenzen gehen.
Die TEDxBerlin ist keine reine Businesskonferenz, bei Ihnen treten auch Künstler und Designer auf.
Das Spektrum ist breit, unsere Speaker wie auch unsere Teilnehmer kommen von überall her. Wir haben sowohl einen Aktivisten, einen Autor, eine Performancekünstlerin als auch sozial engagierte Unternehmer auf der Bühne. Wir behandeln Themen zu allen Bereichen der Gesellschaft. Die TED ist als multidisziplinäre Konferenz gegründet worden. Der Gründer Richard Saul Wurman hat gesagt: Innovation entsteht da, wo sich Leute aus unterschiedlichen Bereichen gegenseitig ihre Ideen vorstellen.
Alle Redner müssen ihre Idee in nur 18 Minuten auf den Punkt bringen. Ist das zu schaffen?
Die berühmtesten Wissenschaftler der Welt zeigen, dass es geht. Manchmal kommen zu uns gestandene deutsche Professoren, die dann zu mir sagen: Unter 100 Minuten kann man mein Thema doch gar nicht erklären. Dann schicke ich Ihnen den Link zur Rede eines Nobelpreisträgers, der seine Theorie auch in 18 Minuten rübergebracht hat. Das überzeugt sie meist. Wir coachen auch manche Redner und geben ihnen Tipps, wie sie ihre Rede aufbauen können.
Welche Tipps geben Sie ihnen?
Wir zeigen ihnen, wie man aus einem Thema eine Story macht. Oft sagen mir die gestanden Herren dann auch: Herr Balzer, ich halte 200 Vorträge im Jahr, Sie brauchen mir nicht zu sagen, wie man das macht. Dann sage ich: Unser Publikum ist anders als Ihr Wissenschaftskolleg. Wir wollen keinen Wissenschafts-Speak, den keiner versteht. Vielmehr sollen die Redner von ihrer Idee erzählen, als säßen sie mit Freunden am Lagerfeuer. Die Leute wollen wissen, was ihn fasziniert, woran er glaubt.
Deutschen Wissenschaftlern und Unternehmern fällt es anders als ihren amerikanischen Kollegen oft schwer knackig unterhaltsame Reden zu halten. Warum?
Das ist ein großer kultureller Unterschied. Bei den Amerikanern gibt es das Show & Tell schon in der Grundschule. Die Schüler treten vor die ganze Klasse und erzählen, was sie am Wochenende gemacht haben. So üben sie sich im Reden vor Publikum. Irgendwann haben sie gar keine Angst mehr, vor Leuten aufzutreten. Beim Redenhalten geht es ja vor allem darum, sich wohl zu fühlen. Die Grundvoraussetzung, um auch andere für ein Thema zu begeistern.
Was ist das für ein Publikum, das zur TEDxBerlin kommt?
Leute aus allen denkbaren Bereichen und Industrien. Das Alter der Teilnehmer liegt zwischen 20 und 40 Jahren. Es kommen Studenten, Young Professionals von Anfang 30, Unternehmer, aber auch Schüler.
Schüler? Werden die dann von den Eltern dahin geschickt?
Wir hatten bei der Hamburger TEDx schon mal drei 14-jährige Schüler, die uns nach der Veranstaltung gestanden haben, dass sie die Schule geschwänzt haben, um dorthin zu kommen. Als ich so alt war, hätte ich gar nicht gewusst, wo es solche Konferenzen gibt. Viele Studenten und Schüler gucken auch die TEDTalks, die kostenlosen Videos von den Veranstaltungen.
Ist die Schule also langweiliger als eine TEDx-Veranstaltung?
Die junge Zielgruppe ist unglaublich wissbegierig, wenn man ihnen Sachverhalte gut und spannend erzählt. Eine unserer beliebtesten Talks stammt von Sir Ken Robinson und wurde bisher weltweit 35 Millionen Mal heruntergeladen. Ken Robinson sagt, die Schule ersticke die Kreativität. Ihm zufolge setzen wir agile, vitale Kinder in die Welt, die gar nicht genug Wissen aufsaugen können, und in dem Moment, in dem sie in die Schule kommen, geht diese Lust aufs Lernen verloren. Er plädiert für die Schaffung eines Bildungssystems, das die Kreativität fördert und nährt (anstatt sie zu untergraben).
Sollte die TED-Veranstaltung verpflichtend für Schüler werden?
Der Erfolg der TEDx in der jungen Zielgruppe ist enorm. Ich würde mir wünschen, dass viele Lehrer ihre Schüler mal zu uns schicken. Wir hatten vor vier Jahren mal eine kostenlose TEDxYouth für Schüler in Berlin organisiert, aber der Widerstand von Seiten der Schulen war zu groß. Die Direktoren fragten uns, was das solle. Das sei ein amerikanisches Format, das sei ja gar nicht wissenschaftlich bewiesen, dass das einen pädagogisch nachhaltigen Wert habe. Es kamen nur Schüler von Privatschulen. Wir haben das dann nicht weitergeführt.
Wie finanziert sich die TEDxBerlin?
Wir nehmen keine 500 Euro Eintritt wie normale Businessveranstaltungen, sondern nur rund 99 Euro. Es geht bei uns immer nur um Kostendeckung, wir machen keinen Gewinn. Einer unserer großen Sponsoren ist u. a. die IFA Berlin, die uns die Bühne kostenlos zur Verfügung stellt. Wir fliegen die Redner aus der ganzen Welt ein und bezahlen die Unterkunft, sie treten ohne Honorar auf.
Warum sind in den USA Leute bereit 8.500 Dollar für den Eintritt zur TED-Hauptveranstaltung zu bezahlen, manche sogar 17.000 Dollar für eine Bonuskarte?
Die TED in Amerika sieht sich ja eher auf dem Niveau des Wirtschaftstreffens in Davos. Die TED-Bühne ist für Redner eine Art „Heiliger Gral“, alle Personen von Wichtigkeit wollen da sprechen. Bill Gates ist immer dabei. Da läuft Al Gore vorbei, George Lucas, Philippe Starck, der Jeff Bezos hört sich ausnahmslos alle Vorträge an. Solche Leute kann man da aber auch ansprechen.
Welche Themen werden denn in Zukunft wichtig werden?
Bildung ist ein Riesenthema und ein globales. Bildung wird im positiven Sinne viel verändern können. Je mehr Menschen auf der Erde eine gute Ausbildung erhalten, umso besser wird es uns allen gehen. Technologie und der Zugang zu Wissen werden immer wichtiger. Ich hoffe, dass das deutsche Bildungssystem bald noch stärker durch die internationale Konkurrenz unter Druck gerät, damit sich was ändert. Was die Digitalisierung angeht, sind wir nicht führend und das ist schade. Denn wir haben so kluge Leute hier.
Das Interview führte Claudia Scholz
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