- Zeit für neue Brücken
Die Präsidenten Süd- und Nordkoreas, Park Geun Hye und Kim Jung Un, tragen die Fehde zwischen den Ländern in ihren Familiengeschichten. So sehr sich ihre Väter rivalisierten, so günstig stehen die Zeichen der Annäherung für die heutigen Regenten
Ihre Mutter stirbt, ihr Vater überlebt nur knapp den Anschlag. Am 15. August 1974 schmuggelt sich der Attentäter Mun Se-Gewang mit einem Revolver ins Nationaltheater von Seoul, um Südkoreas Präsidenten Park Chung Hee zu ermorden. Als der Präsident ans Rednerpult tritt, schleicht sich der Spion im Dunkel des Saales nach vorne. Den Revolver in der Tasche umfasst er aus Nervosität so fest, dass er versehentlich abdrückt und sich selbst in den Fuß schießt. Während die Bodyguards zum Präsidenten hechten, feuert Mun wahllos Richtung Bühne und trifft die First Lady tödlich in den Kopf. Im Verhör gibt Mun später an, nicht zu wissen, von wem der Befehl zu Parks Ermordung ausgeht – ob vom „Großen Führer“ Kim Il Sung oder seinem Sohn Kim Jong Il, der angeblich Nordkoreas Geheimdienste steuert.
Knapp vier Jahrzehnte später hat sich an der Feindschaft zwischen den beiden Koreas wenig geändert, und wie in einem shakespearischen Königsdrama sind es nun die Kinder der beiden einstigen Herrscher, die das Schicksal der Brudervölker in den Händen halten. Im Dezember wählten die Südkoreaner Park Geun Hye, die älteste Tochter des ehemaligen Präsidenten, an die Spitze ihres Staates. In Nordkorea hat ein Jahr zuvor Kim Jong Un das Machterbe seines Vaters und Großvaters angetreten.
Das Regentenpaar könnte Mutter und Sohn sein: Park Geun Hye (sprich: Bak Gunn Hjä) ist 60 Jahre alt, Kim Jong Un (sprich: Kim Dschong Un) gerade mal halb so alt. Beide verdanken ihre heutigen Positionen ihren Vätern, der monarchisch inthronisierte Kim ebenso wie die demokratisch gewählte Park, die im Wahlkampf mit dem Slogan „Die vorbereitete Präsidentin“ bewusst die Präsidententochterkarte spielte. Werden sie die alte Fehde wieder aufnehmen oder gemeinsam über die Schatten ihrer Väter springen?
Der Auftakt der politischen Schicksalsgemeinschaft war holprig. Kurz vor der südkoreanischen Wahl am 19. Dezember testete Nordkorea eine Langstreckenrakete. Demonstrationen militärischer Macht und atomarer Bedrohung sind seit dem Ende des Kalten Krieges an die Stelle der einstigen Attentatskommandos getreten. Unterdessen erklärte die Konservative Park, dass sie sich nicht erpressen lassen werde. In seiner Neujahrsansprache schlug der junge Kim plötzlich andere Töne an. Er versprach Reformen und „große Schöpfungen und Veränderungen, die einen radikalen Umschwung bewirken“ würden. Derartige Ankündigungen sind nicht neu, aber dennoch wecken sie Hoffnungen, dass Bewegung in die Beziehungen kommen könnte. Sollte Kim es ernst meinen, könnte er in Park eine gute Beraterin und Partnerin finden – eine, die nicht nur mit Reformen Erfahrungen hat, sondern auch mit den Problemen, die diese für Diktatoren darstellen.
Denn ihr Vater Park Chung Hee, ein ehemaliger Grundschullehrer und späterer Karrieresoldat, war alles andere als ein Demokrat. 1961 putschte er sich an die Macht. Seine damals neunjährige Tochter besteht bis heute darauf, dass es sich dabei weniger um einen Coup d’État als um eine „Revolution zur Rettung des Landes“ gehandelt habe. Viele Südkoreaner teilen diese Ansicht, denn unter General Park erlebte Südkorea seine atemberaubende Metamorphose vom bettelarmen Drittweltland zum dynamischen Tigerstaat. Er ließ Straßen bauen, förderte die Exportindustrie und unterstützte die Entstehung großer Firmenkonglomerate wie Samsung oder Hyundai. Auch seine älteste Tochter sollte Teil der Wirtschaftswundermaschine werden. Sie studierte Elektrotechnik, zunächst in Korea, dann in Frankreich, wo sie von der Ermordung ihrer Mutter erfuhr. Sie brach ihr Studium ab, reiste zurück in ihre Heimat und übernahm an der Seite ihres Vaters die Aufgaben der First Lady.
Wenn Park Geun Hye ihre damaligen Erfahrungen heute als politische Lehrjahre darstellt, so waren es nicht nur Lektionen in kluger Wirtschaftspolitik, sondern auch Schulungen in harter Diktatur. 1972 hatte sich Park mit Notstandsgesetzen zum uneingeschränkten Herrscher aufgeschwungen. Bürgerrechtler ließ er grausam unterdrücken. 1979 wurde der Präsident schließlich selbst Opfer seines Systems und von seinem Geheimdienstchef erschossen. Seine 27 Jahre alte Tochter verschwand aus der Öffentlichkeit, blieb aber eine einflussreiche Strippenzieherin und leitete unter anderem eine mächtige Stiftung, die ihr Vater einst einem reichen Unternehmer abgepresst hatte und die zwei bedeutende Medienhäuser kontrollierte.
Als 1998 die Asienkrise Südkoreas Aufschwung bedrohte, war Park plötzlich wieder da. Sie wolle ihr Leben dem Volk widmen, erklärte die Präsidententochter, und ließ sich – den mittlerweile etablierten demokratischen Spielregeln folgend – ins Parlament wählen. Doch sie war nicht mehr die Alte. Aus dem Mädchen von einst war ein kühler Politprofi ohne eigene Familie geworden. In der konservativen Partei stieg sie schnell auf. Bald klebten Spitznamen wie „Eisprinzessin“, aber auch „Königin des Wahlkampfs“ an ihr. Wie weit Parks Ambitionen reichten, zeigte sich spätestens, als die Abgeordnete 2002 überraschend nach Nordkorea reiste, um sich mit Kim Jong Il zu treffen. Sie wolle sich für die koreanische Wiedervereinigung einsetzen, erklärte Park. „Versprichst du das?“, soll Kim gefragt haben. „Ja, ich verspreche es“, habe sie erwidert.
Seite 2: Kim Jong Un genießt die Vorzüge des Westens
Ihr künftiger Counterpart Kim Jong Un stand damals noch nicht auf der politischen Bühne. Wo er stattdessen war, ist unklar. Berichten zufolge soll er seine Kindheit unter falschem Namen in der Schweiz verbracht und eine internationale Schule besucht haben. Er sei älter und größer gewesen als die anderen, berichten vermeintliche ehemalige Klassenkameraden. Englisch und Schweizerdeutsch soll er gesprochen haben. Im Unterricht war er offenbar keine Leuchte, aber dafür ein begeisterter Basketballspieler, der für Michael Jordan schwärmte. Im Herbst 2000 sei er plötzlich verschwunden. Da war er wohl gerade volljährig.
In den kommenden Jahren müssen sich hinter den Kulissen dramatische Machtkämpfe abgespielt haben. Kim Jong Un war als jüngster Sohn seines Vaters nicht der prädestinierte Thronerbe. Doch sein ältester Bruder Kim Jong Nam schoss sich selbst aus dem Nachfolgerennen, als er sich 2001 mit einem gefälschten Pass am Flughafen in Tokio festnehmen ließ, wo er angeblich Disneyland besuchen wollte. Ein weiterer älterer Bruder soll wegen schlechter Gesundheit ausgefallen sein. So fiel das Los schließlich auf Jong Un, der ab 2009 intern als neue „Sonne Koreas“ aufgebaut wurde.
So geheimnisvoll Pjöngjangs Regime auch sein mag, so gibt es doch wenig Zweifel, dass die Nomenklatura bestens Bescheid weiß, wie es im Rest der Welt aussieht und wie katastrophal ihr Land im internationalen Vergleich dasteht. Und die Eliten sind längst nicht so arm wie der Rest des Landes. In der Hauptstadt mehren sich seit Jahren die Anzeichen von importiertem Luxus, mit dem die Führung die Systemträger bei der Stange hält. Auf den Straßen sind schicke Limousinen zu sehen, in Restaurants werden Sushi und Espresso serviert, in Karaokebars läuft westliche Popmusik.
Was lange heimlich geschah, ist unter Kim Jong Un Teil der offiziellen Propaganda geworden: Der jugendliche Herrscher gibt sich modern, fröhlich und verliebt, offenbar in der Hoffnung, damit im Volk Optimismus und Aufbruchstimmung zu verbreiten. Trat der Vater in der Öffentlichkeit bevorzugt als Inspektor von Betrieben, Farmen und Armeestellungen auf, besucht der Sohn lieber Freizeitparks, eröffnet Fitnessstudios und lässt amerikanische Disney-Figuren für sich tanzen. Oft tritt er in Begleitung seiner eleganten Frau auf, angeblich eine bekannte Sängerin. Südkoreanische Medien haben beobachtet, dass sie und Kim sogar die gleiche Schweizer Uhr tragen.
Ein nordkoreanischer Herrscher, der sein Leben nach den Idealen südkoreanischer Jugendlicher führt, und eine südkoreanische Präsidentin, die keine Berührungsängste mit Diktatoren hat – könnte es eine bessere Voraussetzung für eine koreanische Annäherung geben? Sicher: Kims Reformen existieren bisher nur als politische Rhetorik, während Park sich von den diktatorischen Untaten ihres Vaters längst distanziert hat. Gemeinsam scheint den beiden jedoch der Wille zu einer Annäherung, Park hat bereits signalisiert, noch einmal nach Nordkorea reisen zu wollen.
Sehen wir also den letzten Akt des innerkoreanischen Dramas? Der prominente Nordkoreaexperte Andrei Lankow, Professor an der Kookmin-Universität in Seoul, dämpft allzu hohe Erwartungen. „Können wir unter Park eine Ära von Versöhnung und Austausch erwarten?“, fragte er nach ihrer Wahl. „Vielleicht, aber wir sollten nicht den Atem anhalten.“
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