Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Große Koalition - Ludwig Erhards unrechtmäßige Erben

Ludwig Erhard gilt als Vater der Sozialen Marktwirtschaft. Ein Begriff, der in der Politik immer wieder als rhetorische Allzweckwaffe herhalten muss. Doch sowohl SPD, die Linke als auch die CDU sind heute weit von Erhard und seinen marktwirtschaftlichen Vorstellungen entfernt

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

So erreichen Sie Hugo Müller-Vogg:

Ludwig Erhard ist seit 36 Jahren tot. Seine kurze, nicht gerade ruhmreiche Zeit als Kanzler (1963-66) ist vergessen, seine Zeit als Bundeswirtschaftsminister und legendärer „Vater des Wirtschaftswunders“ (1949-63) hingegen nicht. Doch teilt er das Schicksal aller Toten: Er kann sich nicht wehren, wenn Nachgeborene sich auf ihn berufen, sich zu Gralshütern seiner Ordnungspolitik aufwerfen. 1998 hat das bereits Oskar Lafontaine versucht. Als damaliger SPD-Vorsitzender gab er vor, nur die Sozialdemokraten könnten Erhards Vorstellungen von der Sozialen Marktwirtschaft wiederbeleben. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder dann 2000 mit bisher nie dagewesenen Steuersenkungen die Wirtschaft ankurbelte und 2003 mit der „Agenda 2010“ – ganz im Sinne Erhards – den wuchernden Sozialstaat etwas zurückstutzte, war Lafontaine schon nicht mehr dabei.

Inzwischen versucht Lafontaines neue Partei, Die Linke, mit dem Pfund der Sozialen Marktwirtschaft zu wuchern. Seine Lebens- und Kampfgefährtin Sahra Wagenknecht vergießt in ihrem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ bittere Tränen wegen der „gebrochenen Versprechen Ludwig Erhards.“ Auch Sigmar Gabriel, einer von Lafontaines Nach-Nachfolgern, versuchte im Wahlkampf der CDU immer wieder vorzuwerfen, sie habe die Soziale Marktwirtschaft verraten – ohne großen Erfolg.

Der „Kompass“ der Großen Koalition
 

Wenn alle von der Sozialen Marktwirtschaft reden, kann die CDU-Vorsitzende Angela Merkel nicht zurückstehen. In ihrer Regierungserklärung Ende Januar beschwor sie gleich zwöfmal die Verheißungen der Sozialen Marktwirtschaft, erhob dieses ordnungspolitische Konzept sogar dreimal zum „Kompass“ der Großen Koalition. Ludwig Erhard hingegen erwähnte sie kein einiges Mal. Es war auch besser so. Denn das Regierungsprogramm der Großen Koalition atmet viel vom Umverteilungsgeist der siebziger Jahre in der alten Bonner Republik. Gesetzlicher Mindestlohn, Rente mit 63 und Mütterrente stehen nämlich genau für eine Politik, vor der Erhard als Wirtschaftsminister warnte und über die er als Polit-Pensionär gern laut grummelte.

In seiner wirtschaftspolitischen Bibel „Wohlstand für alle“ warnte Erhard schon 1957 vor einem wirtschafts- und sozialpolitisch zu aktiven Staat: „Die wachsende Sozialisierung der Einkommensverwendung, die um sich greifende Kollektivierung der Lebensplanung, die weitgehende Entmündigung des Einzelnen und die zunehmende Abhängigkeit vom Kollektiv oder vom Staat müssen die Folge dieses gefährlichen Weges hin zum Versorgungsstaat sein, an dessen Ende der soziale Untertan und die bevormundende Garantierung der materiellen Sicherheit durch einen allmächtigen Staat, aber in gleicher Weise auch die Lähmung des wirtschaftlichen Fortschritts in Freiheit stehen wird.“ Als Kommentar zur Regierungserklärung hätte Erhard, wenn er noch lebte, sich also selbst wörtlich zitieren können.

Natürlich lassen sich die politischen Verhältnisse der sechziger Jahre nicht gleichsetzen mit denen von heute. Auch Ludwig Erhard würde unter den Bedingungen eines globalen Wettbewerbs heute manches anders beurteilen. Aber für die alles andere als solide Finanzierung von Sozialleistungen hatte er schon 1957 die passende Formulierung gefunden: „Verschleierungsversuche mittels kollektiver Umverteilungsverfahren“. Das passt bestens zu den Rentengeschenken der Großen Koalition. Ebenso diese Erhard‘sche Weisheit: „Kein Staat kann seinen Bürgern mehr geben, als er ihnen vorher abgenommen hat – und das auch noch abzüglich der Kosten einer immer mehr zum Selbstzweck ausartenden Sozialbürokratie. Es gibt keine Leistungen des Staates, die sich nicht auf Verzichte des Volkes gründen“.

Angela Merkel hat die Philosophie der Koalitionspolitik so beschrieben: „Im Zweifel handeln wir für den Menschen. Bei jeder Abwägung von großen und kleinen Interessen, bei jedem Ermessen: Die Entscheidung fällt für den Menschen.“ Der Staat als Betreuer und Beschützer – das ist doch ziemlich weit entfernt von Erhards Vorstellung vom selbständigen, eigenverantwortlich handelnden Menschen: „Das mir vorschwebende Ideal beruht auf der Stärke, dass der einzelne sagen kann: Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein“.

Nun gut, wenn Angela Merkel das hätte zitieren wollen, hätte wohl die SPD nicht mitgemacht. Aber auch ohne diese unumgängliche koalitionspolitische Rücksichtnahme ist die Union heute meilenweit von Ludwig Erhard und seinen marktwirtschaftlichen Vorstellungen entfernt. So besehen war es ehrlich, dass die Kanzlerin eine nicht näher definierte, selbst von der Linken für sich reklamierte Soziale Marktwirtschaft zum Kompass der Koalition erklärt hat – aber nicht Ludwig Erhard.

 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.