- Melancholisch, weise und überraschend vergnügt
Kerstin Ekman macht sich einen tollen Jux mit dem Schreiberleben
Die schwedische Schriftstellerin Kerstin Ekman ist eigentlich nicht als Autorin komischer Bücher bekannt. Sprachgewaltig beschreibt sie zumeist die existentielle Einsamkeit, ihre Figuren sind dem Schicksal ausgeliefert wie einer Naturgewalt. Umso fulminanter ihr neuer Roman: Mit „Schwindlerinnen” hat Ekman, die im nächsten Jahr achtzig wird, ein hoch amüsantes Buch über das Schreiben und die Liebe, über das Nobelpreiskomitee, die Literaturbranche und über sich selbst geschrieben.
„Schwindlerinnen” ist ebenso ein satirischer Rückblick auf die letzten fünfzig Jahre der schwedischen Gesellschaft wie eine autobiografische Verwirbelung. Mit ähnlicher Lust am ästhetischen Spiel wie Vladimir Nabokov in seinem Roman „Sieh doch die Harlekine” nimmt Ekman die eigene Biografie zum Anlass, das Leben als Autorin zu hinterfragen.
Lillemor Troj, eine 79-jährige Schriftstellerin, erfährt von ihrem Lektor, dass jemand einen Roman über ihr Leben geschrieben hat, der intime Details enthüllt. Der Lektor hält das Buch für eine Autobiografie, die Troj einem anderen Verlag unter Pseudonym gegeben hat. Aber Troj hat noch nie einen Roman geschrieben – das ist das Geheimnis ihres Lebens. Ihre Romane nämlich verfasste Barbro Andersson, die zu Studienzeiten einen Deal mit Troj gemacht hatte: Barbro würde die Bücher schreiben, Lillemor sich mit Namen und Foto der Öffentlichkeit stellen. Eine perfekte Symbiose: die eine unansehnlich, ohne Sinn für Etikette, aber mit kritischem Verstand und einem rauschhaften Zugang zur Sprache, die andere mit Sinn für Mode und Small-Talk und einem fürs Lektorieren notwendigen analytischen Sprachverstand.
Damit sind zugleich zwei Seiten einer Autorin charakterisiert; die weltgewandte Person der Lesungen und Auftritte und die unkorrumpierbare, einsam Schaffende. Ekman lässt diese konträren Seiten in Gestalt zweier eigenwilliger Frauen so aufeinanderprallen, dass die Skurrilität dessen, was wir für normal halten, offensichtlich wird – mag es nun um die Literaturbranche oder die Hörigkeit der kleinen Leute gegenüber der schwedischen Sozialdemokratie gehen. Barbro kommt aus der Arbeiterklasse, Lillemor aus einer bürgerlichen Familie. Plastisch lässt Ekman das unbeholfene, aber rechtschaffene Schweden mit demjenigen der Bessergestellten und deren Idee kollidieren, das schwedische Gutmenschentum in die Welt exportieren zu wollen.
Barbro etwa verabscheut Lillemors Aufnahme ins Nobelpreiskommittee. Lillemor dagegen fühlt sich in der Akademie zu Hause, sie mag das weltentrückte Beisammensein der Auserwählten. Von schlechten Rezensionen und nörgelnden Lesern geplagt, scheint ihr die Akademie wie eine zeitlose Hülle. Die erfrischenden Szenen, die einen Einblick in die Arbeit der Jury der weltweit wichtigsten literarischen Auszeichnung vorgaukeln, leben von Ekmans eigenen Erfahrungen als Akademiemitglied. Allerdings ist ihr Stuhl seit Jahren unbesetzt geblieben: Sie verweigert die Mitgliedschaft, seit sich die Akademie im Fall der Fatwa gegen Salman Rushdie nicht deutlich positionierte.
Seine Komik gewinnt das Buch auch dadurch, dass es sich hier um zwei alte Damen handelt, die in jugendlichem Tempo denken und reden (mit dem die Übersetzung von Hedwig M. Binder nicht immer mithalten kann). Zeichnete Ekmans Figuren schon immer die große Menschenkenntnis ihrer Autorin aus, strotzen sie hier nun vor Leben. Die inneren Monologe der Frauen wechseln sich ab mit schnellen Dialogen und aberwitzigen Abschweifungen. Die Männer kommen und gehen – ein egomaner Akademiker, ein bankrotter Schweinezüchter, ein trinkfester Straßenmusikant. Das enge Verhältnis der Frauen überdauert bis zum Schluss, als Lillemor sich entschließt, das gefälschte Manuskript zu veröffentlichen: „Muss unser Verhältnis, das vielleicht nicht so leicht erklärbar ist, eine Lüge sein? Wird denn etwas dadurch wahr, daß es öffentlich wird?”
Dieses grandiose Finale einer Schriftstellerin, deren Romane ein halbes Jahrhundert schwedischer Literatur mitgeprägt haben, verhandelt nicht zuletzt die Frage nach dem Ursprung eines Textes. Anstelle des Bildes vom aus sich selbst schöpfenden Genie entwickelt Ekman eine Zweiheit, die an Gertrude Steins „Autobiografie von Alice B. Toklas” erinnert – die Frage nach dem Ursprung beginnt zu irrlichtern, wenn eine andere Person die eigene Autobiografie erzählt.
Melancholisch, weise und überraschend vergnügt ist diese Abrechnung mit dem menschlichen Theater, auf das Ekman hier zurückblickt. Sie selbst fasst es im Roman so zusammen: „Irgendwie ist die Vergangenheit besser. Sie ist zumindest vorbei.”
Kerstin Ekman
Schwindlerinnen. Roman
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder
Piper, München 2012
368 S., 22,99 €
____________________________________________________________
Jetzt den Newsletter von Cicero Online abonnieren!
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.