- Unser Problem in der Bildung? Ewige Besserwisser!
Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister reagiert auf die Vorwürfe von Richard David Precht: Die Forderung nach einer Bildungsrevolution ist zwar medienwirksam, aber nicht zielführend. Lehrer, Schüler und Eltern brauchen vor allem ein besseres Miteinander
Dass Philosophen sich in die Politik einmischen, hat in Europa Tradition. Schon vor knapp 2500 Jahren empfahl der athenische Philosoph Platon in seinem Hauptwerk "Politeia" schließlich, dass in einem Staate niemand besser zur Ausübung der politischen Herrschaft prädestiniert sei als der Philosoph. Platons Hauptargument scheint bis heute einigermaßen schlagend: Da es in der Politik um die Herstellung der Gerechtigkeit geht und diese genau dann erreicht ist, wenn die Teile eines Ganzen in Harmonie zueinander stehen, braucht es zwingend eine Instanz, die mit Weitsicht und Klugheit eben jene Harmonie herzustellen und zu sichern bestrebt ist.
Und dass Philsophen sich für weitsichtig und klug halten, ist eine Frage der Selbstachtung, denn wer sonst kann schon von sich behaupten, gemäß offizieller Berufsbezeichnung ein "Freund der Weisheit" zu sein?
Auch Richard David Precht hat sich jüngst an der Politik versucht, nicht an der politischen Herrschaft zwar, aber an der Politikberatung. Das ist sicher auch das Einfachere. Er forderte, um zu besseren Schulen zu gelangen, lautstark eine "noch nie da gewesene Bildungsrevolution". Die dabei präsentierten Argumente sind so gähnend langweilig wie abgenutzt: In den Schulen würde angeblich nur lauter unnützes Zeug unterrichtet und lebloses Faktenwissen in die armen Kinderlein hinein getrichtert. Was konkret zu tun wäre, sagt Precht zwar nicht, aber eines weiß er ganz genau: So, wie es ist, darf es nicht bleiben. Alles muss anders werden. Und das ganz doll.
Man weiß dabei gar nicht, worüber man sich mehr ärgern soll. Ob über die unbedarfte Lässigkeit, mit der Precht nicht nur schulsystemische Großreformen, sondern gar "Revolutionen" einfordert, oder ob über die bis an den Rand der Anmaßung heranreichende Lehrerbeschimpfung. Beispiel gefällig? "Unsere Schulen bereiten nicht nur schlecht auf das Leben vor, sie zerstören sogar gezielt jene Potenziale an Neugier, Begeisterungsfähigkeit und Kreativität, die später für ein erfülltes Leben gebraucht werden." Nochmal zum Mitschreiben: Schulen - und das kann ja nur heißen: Lehrer - zerstören "gezielt" die Bedingungen für ein erfülltes Leben der Kinder. Ich weiß ja nicht, was Precht in seiner Jugend so alles erlebt hat. Aber zumindest meine Lehrerinnen und Lehrer waren nicht die Ehrenvorsitzenden in irgendwelchen pädagogischen Sado-Maso-Clubs.
Zugegeben: auch hier gibt es die berüchtigten schwarzen Schafe. Aber die gibt es überall. Man findet sie unter Kfz-Mechanikern, Zahnärzten, Beamten ebenso wie unter Philosophen. Unter Lehrern fallen sie vielleicht besonders auf, und ich gebe auch zu, dass sie dort besonders großen Schaden anrichten können. Doch es ist einfach falsch, von den schwarzen Schafen auf die Qualität der ganzen Berufsgruppe zu schließen. In der Philosophie nennt man so etwas einen induktionslogischen Fehlschluss.
Seite 2: Lehrer werden nicht ernst genommen
In Wahrheit sind übrigens weniger die Schulen als die Besserwisser unser Problem: Damit Schule funktioniert und Unterricht pädagogisch wirksam wird, müssen Lehrerinnen und Lehrer bei den Schülerinnen und Schülern als Respektspersonen anerkannt sein. Das meint gewiss nicht den Rohrstock und die preußische Kasernenschule. Aber ein Lehrer, der von seinen Schülern nicht ernst genommen oder gar verachtet wird, kann pädagogisch nicht viel erreichen. Und eben hier beginnt unser Problem: Man kann sie nicht einmal mehr zählen, diese ewigen Ratschlaggeber, die zwar weder den Lehrerberuf erlernt noch je vor einer Klasse unterprivilegierter Erziehungsschwieriger gestanden haben, aber vom Ledersofa aus in lässiger Pose wohlmeinende und möglichst weitreichende Ratschläge erteilen.
Das Ergebnis dieser Unsitte ist nicht weniger als ein Angriff auf den Ruf der Lehrerschaft. Ständig wird an ihnen herumgemäkelt, jeder weiß es besser und seziert das angebliche Versagen dieser elenden "Gurkentruppe". Allerdings bleibt das alles nicht ohne Wirkung. Gerade die Schülerinnen und Schüler merken schnell, was die Erwachsenen so alles über Lehrerin Müller und Lehrer Meier erzählen. Bleibt nur eine Frage: Warum sollen Kinder vor Lehrern eigentlich noch Respekt haben, wenn dies nicht einmal mehr bei deren Eltern so ist? Und so stecken wir in Wahrheit mitten in einer self fulfilling prophecy: Die Wirksamkeit von Schule ist deshalb nicht befriedigend, weil wir die Wirksamkeit von Schule selbst in Grund und Boden quatschen.
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Um es überspitzt zu sagen: Lehrer sind in diesem Spiel die Opfer und einige (!) Eltern die Täter. Die Lehrer sind es nämlich, von denen die Gesellschaft verlangt, all jene Unzulänglichkeiten und Probleme auszugleichen, die in Familien bisweilen vorherrschen und zu höchst ungleichen Startbedingungen und Lebenschancen der Kinder führen. Es sind die Schultern der Lehrerinnen und Lehrer, auf denen sämtliche gesellschaftlichen Verwerfungen, seien es ökonomische Krisen oder sittliche Verrohungen, abgeladen werden. Was geschieht wohl, wenn jene, die eigentlich unsere Helden des Alltags sind, weil sie ausgleichen sollen, wozu wir Eltern nicht mehr in der Lage oder Willens sind, von uns beschimpft anstatt geehrt und respektiert werden? Ganz klar: Lehrer werden demotiviert und die Lage dadurch schlimmer und nicht besser.
Daher ist Prechts Forderung, wir bräuchten eine "Bildungsrevolution" in den Schulen, müssten das System also einmal komplett vom Kopf auf die Füße stellen, auch leichtfertiger Unfug und zudem empirisch schlecht untermauert. Schauen wir doch einfach nach Deutschland: Bayern führt seit Jahren den innerdeutschen PISA-Vergleich mit an und gehört dabei zu den konservativsten und nicht revolutionärsten Schulsystemen.
Gegliedertes Schulsystem hin oder her: In Bayern funktioniert es einfach - jedenfalls besser als anderswo. Und einer der Erfolgsfaktoren scheint neben gesicherten sozialen Verhältnissen durchaus zu sein, dass Bayern regelmäßig hauptberufliche Lautsprecher ignoriert und einfach nicht jeden pädagogischen Modekram mitmacht. Eine solche stoische Ignoranz hat nämlich auch ihre erheblichen Vorzüge: Ob Reformen oder Revolutionen - beides lohnt sich nur, wenn der Transformationsaufwand kleiner als der sich langfristig einstellende zusätzliche Nutzen ist. Es muss eben, wenn es sinnvoll sein soll, mehr herauskommen, als man reingesteckt hat.
Die Wahrheit zahlreicher Bildungsreformen sieht jedoch anders aus. Eine Mode jagt die nächste, und nach der Reform ist es zwar nicht unbedingt schlechter, aber eben auch nicht besser als zuvor. Was übrig bleibt, sind der im Grunde unnütze Aufwand und der Stress der Lehrerinnen und Lehrer, um von dem einen Zustand zu einem vergleichbaren Zustand zu gelangen. Dass dies für Frustrationen und einen konservative Grundhaltung in der Lehrerschaft sorgt, kann kaum verwundern, sondern wirkt eher wie eine gesunde Überlebensstrategie.
Seite 3: Keine Revolution, sondern „Beziehungsarbeit“
Was also brauchen Lehrerinnen und Lehrer? Eigentlich wenig und
dennoch unendlich viel: ein Herz für die Kinder (wie auch Precht
fordert), solides Fachwissen (das hingegen vergaß Precht zu
erwähnen), ein Stück Kreide und alle nur erdenkliche Unterstützung
durch die Öffentlichkeit. Unsere Schulen werden genau an jenem Tag
in ihrer breiten Mehrheit zu unser aller Zufriedenheit
funktionieren, an dem Lehrerinnen und Lehrer
wieder voller Stolz und Selbstvertrauen durch die Straßen unserer
Städte und Dörfer gehen. Damit sie dies können, brauchen wir keine
systemischen Schuleformen oder gar -revolutionen, sondern Dank,
Respekt und Anerkennung. Und der erste Schritt auf diesem Wege
wäre, dass sich nicht alle Nicht-Lehrer - und seien es auch
Philosophen - einbilden, besser zu wissen, wie Schule funktioniert,
als die Lehrerinnen und Lehrer selbst.
Und eines könnte auch nicht schaden: Wenn in Elternhäusern Schluss damit gemacht würde, bereits Kleinkinder vor dem Fernseher oder dem Computer zu parken, so dass sie in jungen Jahren eben jene Kompetenzen erst gar nicht ausbilden können, die sie bereits mitbringen müssten, um in der Schule erfolgreich sein zu können.
Was wir brauchen, sind also keine Revolutionen von Strukturen oder Systemen, sondern seelische Beziehungsarbeit. Auch das kann man übrigens vom alten Platon lernen. Nach dessen Überzeugung hängt nämlich das Maß an Gerechtigkeit in einem Staate vom Ausmaß des gerechten Handelns seiner Bürgerinnen und Bürger ab. Was auch sonst? Wir können also im Sinne eines hydraulischen Politikverständnisses so viele Hebel umlegen und Systemreformen oder gar -revolutionen durchführen, wie wir wollen. Solange dies alles sich nicht einpflanzt in die einzelne menschliche Seele, wird sich nichts Wesentliches ändern. Politiker (und Politikberater) müssten das eigentlich am besten wissen. Wer schon einmal am Beschluss eines Gesetzes mitgewirkt hat, um anschließend mitansehen zu müssen, wie die Normadressaten Ausweichstrategien entwickeln, um ja nicht der Intention des Gesetzgebers Rechnung tragen zu müssen und sich zugleich völlig legal zu verhalten, kann ein Liedchen davon trällern.
Diese einfache Weisheit, dass es letztlich immer auf daszwischenmenschliche Miteinander ankommt, also auf seelische Dispositionen und Beziehungen, gilt dabei nicht nur für das Verhältnis von Lehrern und Schülern, sondern auch für den Umgang der Gesellschaft mit den Lehrern selbst. Gewiss, wer weiß, wie lange es dauert und wie anstrengend es ist, menschliche Charaktere zu beeinflussen, wird sich wenig Illusionen darüber hingeben, dass jede wirklich spürbare und nachhaltige Veränderung in unseren Schulen Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte in Anspruch nimmt, viel Geduld kostet und nur schrittweise möglich ist.
Und dieser Weg ist so trocken, so steinig und so langweilig, dass er sich nicht für Schlagzeilen und effekthascherische Debatten eignet. Und dennoch müssen wir ihn gehen. Natürlich werden wir uns auch darum bemühen müssen, die Anzahl schwarzer Schafe, also unmotivierter oder unfähiger Lehrer, zu verringern. Und wir müssen versuchen, möglichst viele fähige Interessenten für diesen Beruf zu gewinnen. Aber das können wir nur, wenn wir nicht ständig Dreck auf ihn werfen.
Mathias Brodkorb, geboren 1977 in Rostock, Magister der Philosophie und des Altgriechischen, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern
Autorenfoto: Stefanie Link
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