- Wir sind die Roboter
Menschliche Maschinen und maschinenhafte Menschen leben seit langem unter uns – als mythische Zwitter-Phantasien und profane Techno-Knechte
Sie mähen den
Rasen, spülen das Geschirr, füttern den Hamster und werden selbst
zum Haustier: Roboter sind mitten unter uns. Und wenn die
medizinische Entwicklung Schritt hält, sind sie bald auch in uns.
Als mikroskopisch kleine Nanoroboter könnten sie verstopfte
Arterien reinigen und Medikamente transportieren. Damit nähern sich
die Roboter immer mehr den Cyborgs an, die als
Mensch-Maschine-Schnittstellen ebenfalls allerlei biotechnisches
Gerät an und in sich tragen. Nach der weitesten Definition wäre
sogar jeder zweite Kriegsveteran ein Cyborg: Körper-Prothesen –
aber auch Brillen, Herzschrittmacher, Impfungen oder das Auto, das
einen mit Blech umgibt, gelten demnach als Hilfsmittel, die den
menschlichen Körper in seine Umwelt hinein ausdehnen.
Vor allem die androiden Roboter verwandeln das früher streng
geschiedene Feld von natürlichen und künstlichen, menschlichen und
maschinellen Fähigkeiten in eine flexible Grauzone. Die am Menschen
orientierten Robotermodelle vieler japanischer Konzerne verfügen
über Spracherkennungsprogramme, beherrschen den zweibeinigen Gang
und können mithilfe kombinierter Mimik und Gestik sogar Emotionen
darstellen. Und auf dem Spielzeugsektor hat Aibo, der elektronische
Hund von Sony, schon vor sechs Jahren eine neue Ära eingeleitet:
ein sich selbst steuerndes Bell-Gerät, das bei Bedarf auch wieder
zum Schweigen gebracht werden kann.
Mischwesen aus Mensch und Maschine, Technik und Natur sind ein
jahrtausendealtes Faszinosum. Aus der Antike sind bewegliche
Statuen oder mythische Fluggeräte wie die des Baumeisters Dädalus
bekannt, die das Unbelebte mit Leben ausstatteten oder umgekehrt
den Radius des Menschen erheblich erweiterten. Dabei haben
Homunculi in der hermetischen Tradition des Paracelsus, die Golems
im Judentum, die Automaten des 18. Jahrhunderts, die Prometheus-
und Frankenstein-Kreaturen der nachfolgenden Jahrhunderte eines
gemeinsam: Sie verkörpern die Gier des Menschen nach einem
selbstgeschaffenen Knecht, der mal als nützlicher Gefährte, dann
wieder als gefährlicher Konkurrent auftritt.
Wenn SciFi-Träume wahr werden
Diese hybriden Kreaturen bevölkern ein Zwischenreich aus
Erträumtem und tatsächlich Gebautem, wobei sich zwischen den
Experimenten der Naturwissenschaftler und Techniker auf der einen
und den Dichtern und Denkern auf der anderen Seite keine eindeutige
Rangfolge ausmachen lässt: Keineswegs spiegelt die Literatur bloß
das technisch bereits Realisierte wider – ganz im Gegenteil scheint
in der Fiction oft das vorweggenommen, was als
Science im technischen Zeitalter Anspruch auf absolute
Objektivität erhebt. Je genauer man die exakten Wissenschaften
betrachtet, desto romanhafter scheinen sie zurückzublicken.
«Woher stammen die Roboter?», fragt Daniel Ichbiah in seinem
phantastisch bebilderten Band über die «Geschichte, Technik und
Entwicklung» sich selbst steuernder Maschinen – und findet eine
erste Antwort in dem Theaterstück «R. U. R.» von 1920. Der
tschechische Schriftsteller Karel Capek hatte mit «Rossum’s
Universal Robots» dem Mythos des androiden Blech-Sklaven eine
begriffliche Form gegeben und gleich auch die größte Angst ins Bild
gesetzt: Die künstlichen Arbeitskräfte des Unternehmers Rossum
revoltieren nämlich gegen die Menschen und führen aufs Drastischste
vor, was die losgelassene Technik alles anzetteln kann. Die
billigen Bediensteten ohne Gefühls- und Seelenleben führen eine
Massenarbeitslosigkeit herbei, die aber irgendwann in die
vollständige Auflösung der Arbeit selbst umschlägt. Nachdem die
ungleich effizienteren Roboter alle menschenmögliche Arbeit
übernommen haben, bleibt ihren ehemaligen Vorbildern nichts mehr zu
tun. «Ich will über Menschen herrschen», scheppert es bald darauf
aus dem Mund eines mechanischen Arbeiters, und der Aufstand der
Geknechteten nimmt seinen Lauf.
Noch etwas später,
in den fünfziger Jahren, liefert wiederum die Literatur das
entscheidende Stichwort. Angeregt durch ihre Lektüre, so Daniel
Ichbiah, gründeten die Ingenieure Joseph Engelberger und George
Devol das erste Robotik-Unternehmen namens Unimation:
«Nach einem langen Gespräch über Isaac Asimovs Roboterromane
vereinbarten sie, eigene Modelle zu entwickeln.» Ichbiahs
Geschichte der Roboter hebt den wichtigen
Anteil der Schriftsteller und Filmemacher hervor, die mit ihren
Technik-Utopien die tatsächlichen Konstruktionsversuche angekurbelt
haben. Roboter, das wird hier immer wieder betont, müssen keine
widerwärtigen Stahlmonster sein, wie es die technophobe
Horrorvision von der entmenschlichten Gesellschaft behauptet. Ganz
im Gegenteil ermöglichen sie ungeheure Fortschritte in der Medizin,
der Industrie und auch im Alltagsleben. Staub saugen und Unkraut
jäten, aber auch Kinder beaufsichtigen und Alte pflegen – in
Zukunft alles ein Job für den diensteifrigen
Elektro-Kameraden?
Der Krieg als Vater der Maschinen
Wie unbedarft Ichbiahs Blick auf die Geschichte der Technik bisweilen gerät, zeigt sich am deutlichsten im Kapitel über Militär-Roboter. Dort verweist der Autor zwar vorsichtig auf die Gefahren, die ein Roboter als potenzielle Tötungsmaschine in sich birgt – doch vorgestellt werden vor allem «humanitäre» Roboter, die in der Minen-Entschärfung, bei der Rettung von Opfern in unbekanntem Gelände oder der Analyse verdächtiger Gepäckstücke zum Einsatz kommen. Dabei zählen die meisten Erstschlagswaffen – Cruise Missiles wie der selbststeuernde, unbemannte Marschflugkörper «Tomahawk» – zur Kategorie der Militär-Roboter, wie überhaupt die Militärtechnologie als treibende Kraft der Robotik betrachtet werden muss. Das Bild vom unverzichtbaren Helfer des Menschen lässt sich damit nicht mehr hochhalten. Und doch hätte gerade ein genauerer Blick auf die Militärtechnologien einer Kulturgeschichte des Roboters die nötige Brisanz verliehen, um aus der langweiligen Dialektik von Technik-Ekel und Technik-Begeisterung auszubrechen.
Der Cyborg, ein postmodernes Zauberwesen
Auch die Entstehungsgeschichte des Cyborgs, des zweiten einflussreichen Mischwesens im 20. Jahrhundert, setzt sich aus den unterschiedlichsten Bauteilen des Imaginären – Kybernetik, Raumfahrt, aber auch Philosophie und Literatur – zusammen. Cyborgs – «cybernetic organisms» – sind Menschen, die als lebendige Organismen Maschinenteile in sich integrieren. Die Raumfahrtforscher Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline verwendeten den Ausdruck in den sechziger Jahren, als es darum ging, den menschlichen Körper so hochzurüsten, dass er die Strapazen im Weltraum ertragen würde. «Cyborgs als Hybridwesen sind notwendig monströser Abstammung. Wenn Cyborgs noch Eltern hätten, dann wären es das Raumfahrtprogramm der NASA und das medizinische Forschungslabor am Rockland State Hospital in Orangeburg, New York», schreibt Simon Ruf in einem brillanten Aufsatz zur Genealogie des Cyborgs. Während sich der Roboter also mit seiner elektronischen Datenkapazität und seiner maschinellen Arbeitskraft gewissermaßen von außen dem Menschen annähert, kriecht der biotechnisch hergestellte Cyborg direkt unter die Haut des alten Human-Modells.
Neben den ganz
realen Anstrengungen, die ursprüngliche, fehleranfällige Hülle des
Menschen im Weltraum hinter sich zu lassen, übte die
Bio-Techno-Mensch-Maschine aber auch eine enorme Faszination auf
die poststrukturalistische und feministische Theorie aus. Der
Cyborg-Körper galt als Hilfsmittel, mit dem man vermeintliche
anthropologische Konstanten noch einmal ordentlich umbiegen wollte.
Denn der Poststrukturalismus hatte das «Wesen» des Menschen als
Teil einer obsolet gewordenen metaphysischen Ordnung verabschiedet,
die mit ihren Ganzheitsphantasien letztlich mitschuldig war an den
Totalitarismen der Moderne. Und ebenso wurden Natur und
Natürlichkeit im Feminismus als Konstrukte enttarnt, die unter der
Flagge des Immer-so-Seienden die herrschenden Verhältnisse
zementieren. Die Maschine, das Monster, das Mischwesen, so
verkündete die Philosophin Donna Haraway in ihrem berühmten
Cyborg-Manifest aus den achtziger Jahren, seien Schlüssel zur
Subversion alter Identitäten und Hierarchien.
Nimmt man allerdings aktuelle Künstlichkeits-Visionen – wie etwa
Michel Houllebecqs Roman vom Neuen Menschen – unter die Lupe,
scheint sich der Spieß längst schon wieder umgedreht zu haben. Es
sind die enttäuschten Romantiker, die sich die Vorstellung vom
«Ende des Menschen» zu Eigen gemacht haben: Techno-Nerds basteln an
einer Welt, die ohne Blut, Schleim und menschliche
Reproduktivkräfte auskommt – ein Traum der Biotechnologie und
Elektronik, wie ihn der alte Frankenstein mit seiner
Selbstzeugungsphantasie nicht besser hätte ausmalen können. All die
Chrom- und Elektro-Träume – nichts als Ausgeburten zu kurz
gekommener Dr. Seltsams? «Die eigentliche Kränkung des Menschen im
20. Jahrhundert», hält der Technikphilosoph Bernhard Irrgang fest,
«besteht darin, dass der Wissenschaftler, der Theoretiker und der
Mathematiker nicht die exemplarischen und am höchsten stehenden
Menschen sind, sondern dass gerade diese Menschen am leichtesten
von Expertensystemen simuliert werden können.» Von der einstigen
emanzipatorischen Kraft der Hybriden scheint momentan kaum etwas
übrig geblieben. Doch das ist kein Grund, in traurige Retro-Träume
vom alten, ganzen Körper zu verfallen – vielleicht arbeiten
unbekannte Asimovs schon längst an neuen Körper-Utopien.
Besprochene Bücher
Daniel Ichbiah
Roboter. Geschichte, Technik, Entwicklung
Aus dem Französischen von Monika Cyrol u. a.
Knesebeck, München 2005. 540 S., 35 €
Bernhard Irrgang
Posthumanes Menschsein? Künstliche Intelligenz, Cyberspace,
Roboter und Designerbabies. Anthropologie des künstlichen Menschen
im 21. Jahrhundert
Franz Steiner, Stuttgart 2005. 227 S., 36 €
Simon Ruf
Über-Menschen. Elemente einer Genealogie des
Cyborgs
In Annette Keck, Nicolas Pethes (Hg.): Mediale
Anatomien. Menschenbilder als Medienprojektionen
Transcript, Bielefeld 2002. 452 S., 25,80 €
Kristiane Hasselmann, Sandra Schmidt, Cornelia Zumbusch
(Hg.)
Utopische Körper. Visionen künftiger Körper in Geschichte,
Kunst und Gesellschaft
Fink, Paderborn 2004. 302 S., 39,90 €
Donna Haraway
Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und
Frauen
Campus, Frankfurt a. M. 2001. 237 S., 21,50 €
Karel Capek
R. U. R. Rossum’s Universal Robots
Hörspielfassung, 1 CD.
Der Audio Verlag, Berlin 2005. 65 Min., 7,95 €
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