Es ist immer kurz vor 12 – da bleibt noch Zeit für einen Espresso / dpa

Weltuntergangsuhr - Amateure der Apokalypse

Mit der sogenannten „Doomsday Clock“ wollen US-Wissenschaftler seit 1947 auf vermeintlich drohende globale Katastrophen hinweisen. Um des Show-Effekts Willen werden Religion und Wissenschaft miteinander vermengt. Durch Angstmacherei sollen politische Ratschläge verkauft werden.

Autoreninfo

Michael Rühle arbeitete über 30 Jahre im Internationalen Stab der Nato, unter anderem in den Bereichen Politische Planung und Reden, Energie- und Klimasicherheit sowie hybride Bedrohungen.

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Am 28. Januar jährte sich wieder einmal ein gespenstisches Schauspiel: In einer Pressekonferenz in Washington stellte die amerikanische Zeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists die Zeiger ihrer weltberühmten „Doomsday Clock“ (Weltuntergangsuhr), die seit Jahrzehnten ihr Titelblatt ziert, noch etwas näher in Richtung Apokalypse. Nachdem sich die Zeiger in den vergangenen Jahren bis auf 90 Sekunden vor Mitternacht bewegt hatten, stand die Welt nach Aussagen der Expertengruppe der Zeitschrift inzwischen nur noch 89 Sekunden vor dem Abgrund – so nah wie noch nie zuvor. Die Uhr um lediglich eine Sekunde nach vorne zu bewegen, wirkte auf den ersten Blick etwas eigenartig. Doch nachdem man die Zeiger der Uhr bereits seit 2017 nur noch in halben Minuten bewegte, um ja nicht die Zwölf zu erreichen, drohten den Untergangspropheten inzwischen offensichtlich sogar die Sekunden auszugehen.

Wie jedes Jahr begründeten die Hüter der Weltuntergangsuhr detailliert ihre Entscheidung, die Zeiger ein weiteres Mal vorzustellen. Ihrer Auffassung nach hatte die Welt nicht genug Fortschritte bei der Bewältigung globaler Risiken gemacht. Nach einer tour d’horizon, die von der nuklearen Rüstung über Desinformationskampagnen bis zum Klimawandel reichte, gipfelte die Veranstaltung wie immer in einem Aufruf, die Bürger sollten ihre Regierungen endlich zum Handeln zwingen. 

Die Doomsday Clock ist ohne Zweifel eine der erfolgreichsten grafischen Symbole im Bereich der Printmedien. Sie ist, so ein zynischer Kommentator, vergleichbar mit der „Persönlichkeit des Jahres“ des Magazins Time und des jedes Jahr mit Spannung erwarteten Swimsuit Issue der Zeitschrift Sports Illustrated. Die Uhr entstand 1947, als die amerikanische Künstlerin Martyl Langsdorf mit dem Titelmotiv für die Juniausgabe beauftragt wurde. Sie entschied sich für ein Ziffernblatt, dessen Zeiger auf sieben Minuten vor zwölf standen. Dies hatte keine politischen, sondern rein künstlerische Gründe: Für Langsdorf sah die Stellung der Zeiger bei 11:53 Uhr einfach am besten aus. 1949, als die Sowjetunion ihre erste Atombombe testete, wurden die Zeiger der Doomsday Clock auf drei Minuten vor Mitternacht vorgestellt. 1953, als die USA und die Sowjetunion ihre ersten Wasserstoffbomben testeten, waren es nur noch zwei Minuten vor zwölf; nach der überstandenen Kubakrise stellte man die Uhr 1963 auf zwölf Minuten vor Mitternacht zurück. 1991, am Ende des Ost-West-Konflikts, standen die Zeiger optimistisch auf 11:43 Uhr. 

Bereits die Rolle von „Experten“ sollte nachdenklich stimmen

Die Doomsday Clock, so werden ihre Verteidiger nicht müde zu betonen, ist natürlich keine Kristallkugel, die die Zukunft vorhersieht. Sie soll zuallererst ein Symbol sein, das die Menschen aufrüttelt, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Doch wer genauer hinsieht, erkennt schnell, dass es sich bei der Uhr lediglich um einen billigen Publicity-Stunt handelt, der wenig über den Zustand der Welt aussagt.

Bereits die Rolle von „Experten“ sollte nachdenklich stimmen. Die Uhrzeit der Doomsday Clock wird von einem wissenschaftlichen Beirat festgelegt, dem mehrere Nobelpreisträger angehören. Das soll Eindruck machen, wirft aber die Frage auf, ob Biologen, Chemiker oder Soziologen tatsächlich über höhere Einsichten verfügen, um die Wahrscheinlichkeit eines von Menschen herbeigeführten Weltuntergangs zu bestimmen. Die erste Generation der „nuclear scientists“ – zumeist Physiker – profitierte von der Tatsache, dass sie die Atombombe gebaut hatten. Ihre Meinung über die Gefahren dieser neuen Waffe war daher von erheblichem Gewicht. Aber schon damals zeigte sich, dass ihre politischen Instinkte bestenfalls durchschnittlich waren. Nicht nur wurde keine ihrer teils düsteren Vorhersagen wahr; einige ihrer Versuche, eine gleichgültige Öffentlichkeit wachzurütteln – zum Beispiel durch die Berechnung der mathematischen Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs – waren pseudowissenschaftlicher Nonsens. 

Das zweite Problem der Doomsday Clock ist die Methodik und Qualität der Analyse. Woher weiß man, dass man kurz vor einem Atomkrieg oder einer anderen Katastrophe steht? Wurde die Welt, wie die Uhr vor einigen Jahren suggerierte, deutlich sicherer, weil die USA und Russland einen Vertrag schlossen, der die Zahl ihrer Sprengköpfe um 20 Prozent reduzierte? Die Hüter der Uhr haben in der Vergangenheit jedenfalls schon häufiger zweifelhafte Entscheidungen getroffen. So stellte man die Uhr beim Amtsantritt von Präsident Barack Obama um mehrere Minuten zurück, weil man von ihm große Taten in Sachen nuklearer Abrüstung erwartete. Wie auch das Nobelpreiskomitee, das dem Präsidenten den Friedensnobelpreis gleichsam als Ansporn für künftige Leistungen verlieh, wurde auch beim Bulletin nicht nüchtern analysiert, sondern politischen Präferenzen gehuldigt. 

Der Wissenschaftler wird zum Priester

Zwar hat sich der wissenschaftliche Beirat in den vergangenen zwanzig Jahren bemüht, den nuklear-zentrierten Ansatz hinter sich zu lassen und auch andere gefährliche Entwicklungen wie Klimawandel, Robotik, Gentechnik und Cyber-Bedrohungen zu berücksichtigen. Doch auch bei Fragen jenseits der nuklearen Apokalypse erweist sich der Beirat nicht immer als sattelfest. Am 23. Januar 2020, dem Tag der jährlichen Pressekonferenz des Bulletin, meldete die Weltgesundheitsorganisation den ersten bestätigten Fall eines mit Corona infizierten Amerikaners, der aus der chinesischen Millionenstadt Wuhan zurückgekehrt war. Das Bulletin jedoch gab sich auf seiner Pressekonferenz mit der Wiederholung altbekannter Klischees zur nuklearen Apokalypse und zum „Versagen“ der Politik angesichts des Klimawandels zufrieden. Erst am 15. April folgte eine Stellungnahme, die den Eindruck erwecken sollte, die Pandemie habe die düsteren Voraussagen vom Januar bestätigt. Allerdings wirkte diese Erklärung wie ein müder Versuch, ein kapitales Versäumnis kleinzureden: Man hatte eine aufkommende Pandemie schlicht übersehen.

Das größte Problem mit der Doomsday Clock liegt jedoch im Begriff des „Doomsday“ selbst. Um des Show-Effekts Willen werden hier auf eine sehr amerikanische Weise Religion und Wissenschaft miteinander vermengt. Banalitäten werden so zu biblischen Wahrheiten – der Wissenschaftler wird zum Priester, der seine Schäfchen vor der Apokalypse warnt und eindringlich zur Umkehr mahnt. Doch selbst wenn man den pseudo-religiösen Unterton außer Acht lässt, ist der Versuch, durch Angstmacherei politische Ratschläge zu verkaufen, höchst problematisch: Er mag zwar manche Menschen zum Aktivismus verleiten, andere hingegen zum Fatalismus. Wenn das Ende der Welt bereits so nahe ist, lohnt es sich dann überhaupt noch, nach Auswegen zu suchen? Die Apokalypse-Industrie läuft in letzter Konsequenz auf ein permanentes Misstrauensvotum gegen die etablierte Politik hinaus. Dies gilt für Fragen der internationalen Sicherheit, des wissenschaftlichen Fortschritts oder des Umweltschutzes. Die apokalyptische Bildsprache der Uhr vermittelt ein Gefühl von Drama und Dringlichkeit, das die Menschheit in einen permanenten Ausnahmezustand versetzen soll. Anders Sandberg, ein schwedischer Futurist und Kritiker der Doomsday Clock, brachte es auf den Punkt: „You can‘t live your life at 3 minutes to midnight.“

Die Doomsday Clock taugt nicht als Symbol für den Zustand der Welt

Wie „spät“ ist es also wirklich? Eine amerikanische Professorin mit dem äußerst passenden Namen Pandora wollte es herausfinden und bat ihre Studenten, ihre eigene Doomsday Clock zu zeichnen. Das Ergebnis: Die Mehrheit der Studenten empfand die vom Bulletin festgelegte aktuelle Zeit von wenigen Minuten vor zwölf als Bevormundung. Eine Zeit zwischen 9:00 Uhr und 11:00 Uhr erschien ihnen wesentlich realistischer. Katherine Pandora legte Wert auf die Feststellung, dass sich ihre Studenten der zahlreichen Gefahren für die Menschheit durchaus bewusst seien. Sie hätten jedoch mehr Vertrauen in die menschliche Fähigkeit, auch schwierigste Probleme zu lösen, als die angesehenen Wissenschaftler des Beirats. Die Behauptung des Bulletin jedenfalls, bei der Weltuntergangsuhr handele es sich um eine „People’s Clock“, sei mehr als fragwürdig. 

Fazit: Die Doomsday Clock taugt nicht als Symbol für den Zustand der Welt. Sie zeigt allenfalls die intellektuelle Anmaßung einiger Wissenschaftler, die um Aufmerksamkeit heischen. In den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts mag diese Form der Kommunikation angemessen gewesen sein. Heute dagegen, wo sich die seriöse evidenzbasierte Wissenschaft unter Druck gesetzt sieht von denen, die keine Fakten mehr brauchen, sondern allein nach ihren persönlichen Gefühlen urteilen, ist die Apokalypse-Show in höchstem Maße kontraproduktiv. In einer solchen Lage zu suggerieren, ein paar Wissenschaftler besäßen fast schön göttliche Kräfte der Vorhersehung, erweist dem Ansehen der Zunft einen Bärendienst. Die Rettung der Menschheit kommt nicht vom wissenschaftlichen Beirat einer Zeitschrift.

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Enka Hein | Mi., 29. Januar 2025 - 12:23

...ist halt echt dumm gelaufen, wenn man die Zeit verrinnt und die prophezeiten Katastrophen bleiben aus.
Was friday for Future, eher friday for fools, für die kleinen Durchgeknallten ist, ist Doomsday für Oma und Opa.
Und dazwischen noch der Club of Rome deren Vorhersagen so genau sind wie die Wahlergebnisse unsrer linksgrünen Auguren für die USA.
Die ganzen "Seher" sind so blind unterwegs wie Greta Thunfisch und ihr "how dare you".
Aber wer sein Wetter von apokalyptischen Hutchenspielern vorher sagen lässt, darf sich nicht wundern morgen dumm im Regen zu stehen.

ich meine aber doch, dass man die Mahnungen nicht einfach nur wegwischen sollte, weil einem die Botschaften nicht gefallen.
Es braucht von Andersmeinenden mindestens soviel Expertise, wie die Mahner* zum größten Teil vorweisen können.
Sie haben schon viel bewirkt, das sich sehen lassen kann.
Ich fasse es nicht, dass ich letztens träumte, meine Mutter und das EHEPAAR Habeck seien zu Besuch bei mir.
Ich fand es ganz nett.
Meine Mutter hat die Grünen gewählt, bei mir werden "noch so viel Besuche" nichts daran ändern, dass ich die SPD wähle.
Die Jetzigen sind doch meine Generation, da kann also in jeder Partei noch viel zustandekommen. Wir sollten uns nicht unterschätzen.
Ich bitte herzlich um angemessenes politisches Gehabe und Gewese...

Enka Hein | Mi., 29. Januar 2025 - 18:39

Antwort auf von Dorothee Sehrt-Irrek

...wenn die Mahnungen der "Mahner" offensichtlich und eindeutig nur aus einer linksgrünen Ecke kommen, so ist dies keine Expertise sondern Ideologie.
Und wir sehen seit Jahren, insbesondere in den ÖR, das die sogenannten "Experten" keine sind.
Gleichfalls Ideologen aus dem linnksgrünen Sumpf der öffentlich Rechtlichen.
Mir würde schon ein bisschen, ein klitzekleines Bisschen Expertise oder alternativ auch Intelligenz bei unseren selbsternannten Klimahysterikern genügen. Nur soviel Intelligenz die man zur Selbstreflexion benötigt.
Bestes Beispiel Habeck. Siehe Artikel Cicero von heute. Aber es ist leider, wie auch bei Scholz seit 3 Jahren nur noch unerträglich es dummes Geschwätz.
Und das erkennt mittlerweile der größte Teil der Wähler. Und nach der heutigen Abstimmung im BT scheint man es dort auch begriffen zu haben.
Und auf einen Besuch von Robert, auch nur im Traum, kann ich persönlich gut verzichten.
Auf einen weiterhin guten Austausch hier im Forum.

Rainer Dellinger | Mi., 29. Januar 2025 - 13:38

Wie ich das verstehe, wurde diese Uhr von der Künstlerin Martyl Langsdorf entworfen, um den drohenden, vom Menschen verursachten Weltuntergang symbolisch darzustellen. J. Robert Oppenheimer, Albert Einstein und Eugene Rabinowitch unterstützten dieses Projekt. Diese Uhr ist eine Metapher. Der Ursprung der Weltuntergangsuhr läßt sich auf die internationale Forschergruppe Chicago Atomic Scientists zurückführen, die am Manhattan-Projekt teilgenommen hatte. Ich denke, diese Uhr soll ein Hinweis sein, das jede Erfindung zum Nutzen oder zum Schaden der Menschheit führen kann. Nach dem II.WK bestand die Gefahr eines Atomkrieges. Als makaberes Beispiel nenne ich die KZ's. Erfunden + entwickelt wurde die industrielle Vernichtung auch durch Wissenschaftler (Entwicklung, Forschung von Medikamenten + chem., biolog. Substanzen). Es ist eine Frage, nutzen die Erfindungen allen Menschen oder nur ein paar Wenigen, um Macht zu erreichen oder zu halten. Es ist eine ethisch, moralische Frage.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 29. Januar 2025 - 14:08

auf dem Schirm gehabt, ich finde es aber okay, wenn Wissenschaftler ihre Expertise auch zu Vorhersagen und Mahnungen nutzen.
Den Nobelpreis finde ich konstruktiver.
Am tollsten fand ich das Bild Goethes von einem Faust, der weiter an der Welt arbeitet und schafft, während die Lemuren ihn schon als sichere Beute wähnen.
...und dennoch, vielleicht sollten Wissenschaftler sich nicht zu sehr mit ihrem Wissen begnügen?