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(picture alliance) Alles Bio

Energiewende - Vor moralischer Überheblichkeit und Angst sei gewarnt

Wir Deutschen möchten so gerne die Welt retten. Wir fürchten radioaktive Strahlen, auch wenn sie weit weg sind. Wir schreiben uns Bio auf die Stirn und rufen nach der Energiewende. Doch angesichts von so viel moralischer Überlegenheit ist Vorsicht geboten. Für eine zukunftsweisende Politik ist das zu wenig. Eine Polemik

Wir alle möchten so gerne die Welt retten. Jeden Tag ein bisschen. Indem wir hocherhobenen Hauptes durch den Biomarkt schreiten und glückliches Biogemüse von glücklichen Biobauern kaufen. Indem wir unser Altpapier abseits der Folie sortieren und den Apfelbutzen mit stolzem Blick am Hausmüll vorbei in den Kompost bugsieren. Indem wir morgens auf dem Fahrrad in die Arbeit strampeln. Und indem wir energiesparende Glühbirnen in unsere Nachttischlampe schrauben, auch wenn man damit vielleicht bei der Bettlektüre die Augen ein bisschen zusammenkneifen muss. Die schummrige Atmosphäre dankt es einem. Wir haben zur moralischen Überlegenheit gefunden. Zu ethischer Größe.

Allen voran Angela Merkel. Nach dem Atomunglück in Fukushima steckte den Menschen der Schrecken vor der gefährlichen Strahlung in Mark und Bein. Sie rüsteten sich mit Geigerzählern und auch die Jodtabletten in den Apotheken wurden knapp – kurioserweise nicht nur in Japan. Vor allem die Deutschen ließen sich von Hysterie leiten und fürchteten sich tausende Kilometer entfernt von den Reaktorruinen von Fukushima-Daiischi vor saurem Regen. Die 19.000 Toten hingegen, die das Erdbeben und der Tsunami gefordert hatten, schienen schnell vergessen.

Die Kanzlerin sah sich in der Pflicht zu handeln. Sie gab sich persönlich betroffen, ließ ohne rechtliche Grundlage von einem auf den anderen Tag acht Atomkraftwerke abschalten. Sie berief eine Ethikkommission ein, um eine „Energiewende mit Augenmaß“ auf den Weg zu bringen, die Regierungsparteien folgten, obwohl sie noch wenige Monate zuvor die Laufzeitverlängerung brav abgenickt hatten. Glaubwürdigkeit hin oder her.

Doch die Idee des Ausstiegs aus der Atomkraft sollte mehr sein als nur Opium fürs Volk. Es war Merkel ernst, über ihre Beweggründen lässt sich bis heute trefflich spekulieren. Es mag sein, dass sie von moralisch-ethischen Motiven getrieben wurde oder von einer neuen Bewertung der Risiken. Vielleicht war es aber auch nur politisches Kalkül.

Im Nu jedenfalls hatte sich die Kanzlerin die Schärpe der Energie-Pionierin eigenmächtig übergestülpt, auch ohne den Rückhalt ihrer europäischen Nachbarn und binnen weniger Wochen war die energiepolitische Kehrtwende vollbracht. (Dass sie damit den politischen Abstand zwischen Union und dem Lager der Grünen-Wähler merklich verringerte, kam ihr nach Stuttgart 21 wohl gerade gelegen.)

Doch Deutschland steht mit seiner Politik allein. Kein anderes großes Industrieland zog dermaßen drastische Konsequenzen aus Fukushima. Weltweite Stresstests für Atomkraftwerke blieben aus, in der EU waren sie wenig nachhaltig. Gleichzeitig überraschen derzeit Polen, Finnland oder auch die USA zum ersten Mal seit vielen Jahren mit Neubauprojekten, während die Republik zusehends verspargelt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Angst alleine als politische Motivation für die Energiewende nicht ausreicht

Ein klein bisschen klingt das nach Erfolg der wagemutigen Deutschen, die so vorbildlich nach Vorne streben. Alleine an der Spitze. Doch die gefühlte moralische Überlegenheit, sie stößt hierzulande schnell an ihre Grenzen. Denn ganz heimlich still und leise importieren wir ihn dann doch immer noch, den Atomstrom aus der Tschechdose, aus Osteuropa, der Tschechischen Republik und aus Frankreich.

Der Energiehunger der Deutschen ist keinesfalls gesättigt, die milde Winterwitterung dieser Tage erweckte nur den Anschein. Gefürchtet wird schon die nächste sibirische Hochdruckfront, denn dann könnte der Strom richtig knapp werden. Das Wetter lässt sich von der deutschen Energiepolitik wahrlich wenig beeindrucken.

Dass dem politischen Beschluss auch Taten folgen müssen, ist längst noch nicht überall angekommen. So ließ denn auch der CDU-Politiker Klaus Töpfer, ehemals Vorsitzender der Ethikkommission, verlauten, er vermisse den politischen Willen, die Energiewende zügig und entschieden durchzusetzen. Er forderte zuverlässige Rahmenbedingungen der schwarz-gelben Regierung und einen „Energiemanager“, der die notwendigen Schritte in den verschiedenen Ministerien koordinieren solle.

Doch mit Organisationsreformen allein lässt sich die Energiewende genauso wenig umsetzen wie mit politischen Debatte. Es fehlt ein gesellschaftlicher Aufbruch. Damit die Versorgungssicherheit sichergestellt werden kann, müssen alternative Stromquellen her, müssen die Netze ausgebaut und die Ökostromförderung grundlegend neu geregelt werden.

Bisher hat die Energiewende die Stromversorgung in Deutschland vor allem eins gemacht: teurer. Schon wächst der Unmut, schon melden sich die Bedenkenträger. Fast scheint es, als hätten die Deutschen noch nicht begriffen, was mit der Energiewende auf sie zu kommt. Ihre Liebe zum Ökostrom gleicht einem Lippenbekenntnis. Sauber soll der  Strom sein und nicht strahlen, aber ansonsten soll am besten alles beim Alten bleiben.

So lässt sich die Welt nur schwer retten. Vielleicht ist das sogar der Denkfehler der Nation, sich größer machen zu wollen, als wir eigentlich sind. Wer sind wir schon, dass wir die Erde retten wollen? Aber das ist eine andere Geschichte und so reitet die Generation Bio eben weiterhin blauäugig in den Sonnenuntergang.

Wer weiß, wohin die Energiewende uns noch führen wird? Nur soviel scheint klar: Die Angst vor der Kernenergie alleine reicht auf Dauer als Motivation nicht aus, sie ist ein schlechter Ratgeber. Der Weg in neue Gefilde, er erfordert Chuzpe und die Bereitschaft neue Pfade zu beschreiten. Mit allen kalkulierbaren und unkalkulierbaren Risiken.

 

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