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Das Gute ist nicht relativ / dpa

Wahre Werte - Relativisten schließen die offene Gesellschaft

In der Postmoderne ist alles relativ geworden: Erkenntnisse, Wahrheiten, sogar die Menschenwürde. Das entlastet einerseits das eigene Gewissen, führt andererseits aber auch zu Diskursverweigerung und Demagogie. Am Ende bedroht die Beliebigkeit die offene Gesellschaft.

Michael Andrick

Autoreninfo

Michael Andrick ist promovierter Philosoph und Kolumnist der Berliner Zeitung. Er lebt in Berlin und publiziert u.a. in Deutschlandfunk Kultur, Freitag und Weltwoche. Sein aktuelles Buch „Im Moralgefängnis“ wurde ein Spiegel-Bestseller.

So erreichen Sie Michael Andrick:

Die populären Irrtümer des Relativismus lauten: „Jeder hat seine eigene Realität!“, „Wahrnehmung ist Wirklichkeit.“ Anders gesagt: „Du hast recht und ich habe recht, jeder auf seine Weise!“

Der Relativismus besagt, dass jede Ansicht nur eine Ansicht sei. Niemandes Meinung könne Wahrheit für sich beanspruchen, denn jeder stehe ja auf einem einzigartigen Standpunkt, den keiner teile. Und damit sei die eine Ansicht des Einen so gut wie jede andere Ansicht jedes Anderen.

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Sabine Lobenstein | So., 27. März 2022 - 09:14

Vielen Dank für diesen zwar m.E. schwierig zu lesenden, dafür aber sehr aufklärenden Artikel. Seit langem suche ich die Ursache für den derzeitigen "Zustand" unserer Gesellschaft. Selbst befreunde ich mich gerne mit streitbaren und kritischen Menschen, mit denen der Austausch immer zu einer Erweiterung meines Horizont führt und man um den gemeinsamen Nenner diskutiert und sich letztendlich zufrieden findet. Das kann bei manchen Themen auch über sehr lange Zeiträume gehen. Mir fiel über die letzten Jahre immer mehr auf, dass, unabhängig vom Bildungsstatus, immer mehr Menschen ihre Meinung einfach als einzige Wahrheit deklarieren und "rücksichtlos" diese leben. Die Ursache dafür habe ich in vielen Gründen gesucht und hier heute gefunden. Der Satz "Jeder hat seine eigene Wahrheit" vermittelt das Gefühl von Toleranz, erstickt aber in Realität jeden Diskurs und vernichtet damit die Chance eine !gemeinsame! Wahrheit zu finden. Wie gefährlich das ist zeigt sich politisch gerade zu deutlich.

und danach lebt, so macht dies für ihn den Alltag wunderbar leicht. Er braucht sich nicht mehr mit anderen auseinander zu setzen; denn alle akzeptieren diesen Relativismus und nennen es "toleranten Umgang miteinander".
Prima! - könnte man meinen.

Die glücklichen Relativierer übersehen aber dabei leider, daß es in jeder Gemeinschaft - klein o. groß - immer eine gemeinsame Wahrheit geben m u ß, weil sie für das Zusammenleben unabdingbar ist.
Und genau d i e s e wichtige "Wahrheit" überlassen sie in ihrem wohligen Glücksgefühl einflußreichen Ideologen, die es verstehen, sich geschickt ins öffentliche Spiel einzubringen. Deshalb gelingt es relativ kleinen Gruppen (z. B. den Nicht-Regierungs-Organisationen / der Antifa / Altlinken usw. ) enormen Einfluß auf die im Lande als gültig akzeptierte Mehrheitsmeinung auszuüben.

Es ist eine raffinierte Abwandlung des Prinzips: Teile und herrsche!
Je zersplitterter eine Gesellschaft, um so leichter läßt sie sich auf Staatsebene manipuieren!

Urban Will | So., 27. März 2022 - 09:18

passender Artikel.
Die „Vormachts – Meinung“, das Narrativ zu Putins Angriffskrieg ist im Mainstream klar gesetzt und wird durch tägliche Dokus und Talkshows in dessen Medien – Organen „machtvoll“ propagiert.
Die sich Fügenden findet man zuhauf, auch hier im Forum, und muss sich deren immer gleichlautendes Gequake anhören. Das war auch bei Corona, Migration, EU, Klima so, es gilt für alle wesentlichen Politikfeler.
Das ist zu akzeptieren.
Gehört zur Meinungsfreiheit.
Aber in der Ukraine sterben sinnlos Menschen. Und da es nicht mehr „erlaubt“ ist, diesen Krieg zu hinterfragen, ohne gleich übelst beschimpft zu werden, rennt die Mehrheit der Herde hinterher, die meint, Russland müsse in den Dreck, damit Putin weg kommt und dann ist alles wieder gut. Völlig verkennend was dies bedeuten kann. Putin hat sich schuldig gemacht, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er einer d mächtigsten Männer der Welt ist und man an ihm vorerst nicht vorbei kommt.
Das ist leider die „Realität“.

Urban Will | So., 27. März 2022 - 16:30

Antwort auf von Martin Falter

nach Ihrem Kommentar zu dem Artikel „Die Logik der Abschreckung“ sind sie wohl kaum der Kompetenteste in Sachen Beurteilung, ob jemand einen Artikel verstanden hat. Wie kommen Sie darauf, dass ich Putin ein „Opfer“ nenne? Wo schrieb ich das?
Mit Ihrem Seelenverwandten Lenz scheint Ihnen die Gabe gemein, Beiträge, die sie kommentieren, vorher gar nicht richtig zu lesen.

@ Lenz: es sind nicht Andersdenkende, die manchmal „dumm“ nenne, sondern Menschen, die bspw. Links – grün wählen und sich dann über hohe Energiepreise, Folgen unkontrollierter Migration, etc. aufregen. Alleine in meinem Umfeld sind das Dutzende.
Ihre Reaktion auf mein Hinterfragen dieses Krieges bestätigt doch genau meine These, und dass „erlaubt“ hier nicht im Sinne von gesetzlich erlaubt zu verstehen ist, versteht wiederum jedes Kind.
Eine mit einer Niederlage Putins verbundenes Abdriften Russlands ins Chaos wäre nicht in unserem Interesse. DAS LETZTERE ist zu bedenken.
Lesen Sie doch einfach mal richtig!

Hallo Herr Will,
einen sehr guten Beitrag haben Sie da geschrieben.
Ich mache öfters die Erfahrung, das, wenn man diesen Krieg hinterfragt,
man sofort als Putinversteher eingestuft wird.
Jetzt ist die Frage: Wie konnte Putin so mächtig werden?
1. Er hat ein mafiöses System des russischen Oligarchentums aufgebaut.
2. Wie konnten die Oligarchen so lange ihr Unwesen treiben?
Dies konnte nur unter "Nichtaufsicht" durch das Banken- und Finanzsystem der westlichen Regierungen entstehen, die immer noch gegen ein Vermögensregister sind.

Wie wäre es, wenn Sie einfach auch täten, was Sie hier so edel proklamieren?

Ein Anfang wäre es, Andersdenkende nicht mehr als "dumme und folgsame Untertanen" zu diffamieren, die auf "Kindergartenniveau" nur "Geschwafel" und "Gequake" loslassen - alles Originalton "Will", alles nachzulesen. Das Netz vergisst nicht.

Aber offensichtlich verwechseln sie grobe Beleidigungen mit der Fähigkeit zur "Argumentation", und fühlen sich bestätigt durch Arglose, die ja sowieso "ganz Ihrer Meinung" sind.

Also bleiben wir mal bei den Inhalten: Es ist schon erstaunlich, zu welchen Wertungen Sie kommen. Es sei nicht erlaubt, einen Krieg zu hinterfragen, der - von wem noch mal begonnen wurde?

Es ist erstaunlich, wie oft Sie beklagen, "Russland" solle "in den Dreck" oder zerstört werden, eine Niederlage Putins wäre nicht in unserem Interesse!

Andererseits finden Sie über das Leid der Ukrainer kaum Worte:, unschuldige Menschen, die plötzlich vom ach so bedrohten Russland bombardiert werden!

Manfred Felbinger | So., 27. März 2022 - 09:36

IMHO: Das Thema "Relativismus" wäre einer etwas differenzierteren Betrachtung würdig. Der Autor schert ohne Rücksicht auf deren Vielfalt alle Varianten des Relativismus über einen Kamm und fällt (mit Wahrheitsanspruch?) ein vernichtendes Urteil ("ein geistiges Garnichts"), dem eine gewisse Arroganz nicht abzusprechen ist. Camus hat gesagt "Jeder ist immer Opfer seiner Wahrheiten" - stimmt! Für den Autor ebenso wie für mich ...

Der Artikel ist nicht zu Ende gedacht. Oder einfach nicht durchdacht. Extremes Verständnis des Relativismus, hohe Ambiguitätsintoleranz. Also eigentlich recht zeitgeistig. Es wird ein Popanz aufgebaut, auf den man einprügeln kann.

Gerhard Hellriegel | So., 27. März 2022 - 10:03

Natürlich gibt es Bereiche, in denen wir die Wahrheit ziemlich eindeutig feststellen können.
Aber für die Bereiche, die wir alltäglich diskutieren, gilt das eben nicht. Schon deswegen nicht, weil wir aus einem weiten Feld nur Teilaspekte auswählen. Wie ist die heutige militärische Situation in der Ukraine? Dass diese Teilaspekte nun die maßgebenden seien, das ist eine Idee, mehr nicht. Wir leben aus zweiter Hand, wir bewegen uns also im Bereich von Vermutungen. Wie war das mit dem schnellen russischen Sieg nach Expertenmeinung?
"die Würde des Menschen ist unantastbar" ist eine Parole, eine Verabredung: "so wollen wir es halten". Wahrheit steht hier gar nicht zur Debatte.
Auch wer unterschlägt, dass wir uns im Bereich von Vermutungen bewegen, ist für Demagogie anfällig. Gerade Demagogen pflegen nämlich unerschütterliche Wahrheiten zu verkünden.
Ich schlage vor, auf schwankendem Boden auf Plausibilität zu achten und nie die Irrtumsmöglichkeit auszuschließen.

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 27. März 2022 - 10:50

das verstehe ich nicht.
Es gibt die Relativitätstheorie und es gibt überhaupt nicht einfach Monaden, sondern Relationen, daraus abzuleiten vlt. Perspektiven.
Wenn ich dann noch lese, dass der Text schwer zu lesen sei, dann habe ich leider jetzt nicht die Kraft dazu.
Es ist nicht Unhöflichkeit oder Ignoranz, es ist, ja was?
Freundlichst

Christoph Kuhlmann | So., 27. März 2022 - 12:28

Kann es objektive Wahrheit geben? Descartes hat mit dieser Frage eine Jahrhunderte andauernde Debatte ausgelöst. Der deutsche , philosophische Idealismus ist an der Antwort gescheitert. Wenn es keine objektive Wahrheit gibt, so doch eine intersubjektive. Also Aussagen, die sich von mehreren Personen zweifelsfrei verifizieren lassen. Es regnet oder es regnet nicht. Auch wenn es Minuten später oder einhundert Meter weiter schon anders sein kann. Dieser Satz verweist auf den Kontext, in Bielefeld oder in Berlin? Da sich unsere Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten extrem differenziert hat, existieren privat wie beruflich wesentlichen mehr lebensweltliche Kontexte als zu Zeiten Kant oder Hegels. Viele Aussagen sind aber unzureichend abstrahiert, so dass sie in einem sozialen Kontext wahr und im anderen falsch sind. Zudem äußern wir uns heute gerade in der Politik zu Fragen, bei denen wir Folgen in allen betroffenen Kontexten gar nicht beurteilen können. Die Kausalität geht verloren.

Markus Michaelis | So., 27. März 2022 - 13:10

Ich sehe es wie der Artikel, trotzdem trifft der Artikel für mich nicht den eigentlichen Punkt. Wirkliche "Wahrheiten", wie dass Steine fallen und vieles mehr, werden breit akzeptiert und haben gerade deswegen keine politische/gesellschaftliche Relevanz.

Spannend wird es bei Menschenwürde, Demokratie, Gerechigkeit, Werte, Traditionen, Gemeinschaft und Individuum, Religion etc. Zu all diesen Punkten bringt ein überzogener Relativismus wenig. Sie sind sehr wichtig und jede Gruppe muss und wird dazu strenge Normvorgaben machen. Unsere neue "Weltoffenheit" wird auch durch strengere Normvorgaben als früher begleitet, was gesellschaftlich toleriert ist, weil die Widersprüche sonst gefährlich für die Gesellschaft werden.

Innerhalb einer "Gruppe" sind dann Werte und deren Priorisierung absolut unantastbar (wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Demokratie) und eine Abgrenzung von Gruppen mit anderen Prios wird stattfinden - natürlich mit Respekt und Austausch.

René Maçon | So., 27. März 2022 - 13:40

Es wäre zumindest einmal zu trennen zwischen empirischer Wahrheit (Übereinstimmung eines Satzes mit Tatsachen) und "normativer Wahrheit" (eine Sollens-Satz, der uns vorschreibt, was zu tun ist).

Erstere ist möglich, wenn man d. Hypothese akzeptieren kann, dass es eine v. menschlichen Bewustsein unabhänge Realität gibt.

Letzere "normative Wahrheit" führt immer in ein totalitäres Denken, weil ihr Befürworter sich im Besitz einer Technik wähnt, die ihm das Recht gibt, anderen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. "Normative Wahrheit" widerspricht auch GG Art. 4: "Die Freiheit des Glaubens, d. Gewissens & d. Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich."

Man kann diese Anmaßung an Herrn Andricks Verwendung d Begriffs "Nachhaltigkeit" erkennen. Er tut so, als ob dies eine klar definierte normative Konzeption sei, an die sich jeder folglich halten muss. D. Fachliteratur zeigt jedoch, dass es unendlich viele unterschiedliche Konzepte v. Nachhaltigkeit gibt

Gisela Fimiani | So., 27. März 2022 - 17:43

Der auf dem „Faulbett“ liegende, sich der Beliebigkeit hingebende Relativist, teilt nun, mit Mephisto, die Liebe zum „ewig Leeren“. Der freie Mensch hat die Wette verloren……..

Walter Bühler | Mi., 30. März 2022 - 18:37

Der Mensch soll sich nicht in die Rolle eines Hohenpriesters für eine ewige, übermenschliche Wahrheit hineinsteigern. Für jeden Menschen gibt es jederzeit noch etwas, das er noch lernen kann (und muss). Keiner von uns besitzt jemals das volle Bild der Realität.

Durch Lernen können wir uns lebensnotwendige Tatsachenwahrheiten aneignen. Aber jede lebensnotwendige Entscheidungen bleibt mit einem Risiko verbunden, das oft auf rationale Weise abgeschätzt werden muss, vor allem im Dialog mit anderen, die möglicherweise mehr Erfahrung haben als wir selbst.

Trotzdem müssen wir immer den Mut aufbringen, uns für diejenige Wahrheit zu entscheiden, auf der unsere Entscheidung am Ende beruht. Das Risiko unsrer freien Entscheidung lässt sich aber ebenso wenig wegdiskutieren wie diese Notwendigkeit, uns für die zugehörige Wahrheit zu entscheiden.

Geht es nicht um den bewussten Mut zur Wahrheit und um die Pflicht zur rationalen Skepsis, wenn über Relativismus diskutiert wird?
Beides ist notwendig.